OLAF K. ABELSEN
Abenteuer
Abseits vom
Alltagswege
Malmotta - das Unbekannte
Einzig berechtigte
Bearbeitung a.d.
Schwedischen von
M. Schraut
- Band 7 -
Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
Berlin SO 16
Copyright 1929
1. Kapitel
Das Grab in der Savanne
Es lohnt sich, darüber zu berichten, wie ich
Kapitän Peter Bolk, den Eigentümer eines jämmerlichen
Küstenfahrers, einen Deutschen von Geburt, kennenlernte.
Mein Weg abseits des Alltagsweges hatte mich
in die Urwaldregion der südöstlichen Grenzgebiete Abessiniens geführt, und hier
hatte ich Patumengi, den Häuptling der Dokozwerge
kennengelernt.
Patumengi erwartete Peter Bolk,
der ihn regelmäßig alle drei Monate besuchte.
"Das ist er, Olaf..." flüsterte der
Zwergenhäuptling grinsend.
Er hatte Grund zum besonderen Lächeln.
Was da nahte, war ein Unikum, ein Original,
eine Rarität. Ich hätte mir den Mann weit eher in die Gefilde Karl Mayscher
Indianerromantik hineingewünscht als hier in die Urwaldregion des südöstlichen
Grenzgebiete Abessiniens.
Ich nahm mein Fernglas und beäugte das Wunder.
...Peter Bolk war
ein hagerer Mensch mit einem ungepflegten weißen Patriarchenbart, mit einer
dicken blauroten Nase im tiefgebräunten, tiefgekerbten fleischlosen Gesicht:
ein mit Haut und Haaren überzogener Totenkopf.
Anzug?!
...Ein längst ausgedienter blauer Jackenanzug
mit goldenen Ankerknöpfen, ein Gummikragen, eine speckige schwarze Schleife,
hohe Schaftstiefel, in denen die zerknüllten Hosen staken...
Und doch...
Selbst die Kapitänsmütze, mochte sie noch so
verwittert sein, saß keck auf einem Ohr, und der Gesamteindruck Peter Bolks verbesserte sich entschieden bei kritischer Würdigung
der Einzelheiten seiner Erscheinung.
Daß er um die doppelreihige Jacke einen
Ledergurt geschnallt hatte, an dem die Futterale zweier Pistolen hingen - daß
er vor sich am Sattelknopf eine kurze Winchesterbüchse
griffbereit baumeln ließ - daß er auf dem Rücken am Riemen ein Messingfernrohr
von museumsreifer Antike sehen ließ... - - Nebensachen alles..!
Patumengi trat ins Freie.
Patumengi ist etwa 1,1o Meter groß, aber sein
Kopfputz aus Federn läßt ihn dreißig bis vierzig Zentimeter dazumogeln.
Er, intimer Vertrauter eines abessinischen
Kaisers, er, so alt, daß er seine Jahre nur mehr schätzen kann, er, Gebieter
von tausend Dokozwergen, verteilt auf sechs Baumsiedlungen
- er mit einem durch Silberspangen zusammengehaltenen Leopardenfell, mit dem
zerknitterten, mehr gelblichen als braunen Gesicht, begrüßte den Ankömmling mit
der natürlichen Würde eines Greises, dessen Vergangenheit mehr Abenteuer
aufweist, als in einem Dutzend Romane sich zusammendrängen ließ - er sprach zu Käpten Bolk in seinem seltsamen
Kauderwelsch, das vielleicht an das Englische erinnerte:
"Sei willkommen in meinem Reiche, du
Sohn des Meeres - hier ist mein Freund Abelsen - schenke ihm deine Seele, denn
seine eigene Seele ist wie die weite Steppe, die im Sonnenlicht daliegt und
keine Schatten besitzt."
Peter Bolk schien
jedoch dieser blumigen Empfehlung nicht recht zu trauen. Aus seinen klaren
blauen Augen traf mich und meinen Fennek ein nadelscharfer
Blick.
"Seit wann hast du dir den Gentleman als
Prunkstück zugelegt, alter Patu?!"
Patumengo nahm diese kühle
Abweisung gelassen hin.
"Dein Herz ist hart," sagte er
nachsichtig. "Ich kenne dich... Ich kenne auch Olaf Abelsen. Er war mit im
Berge des Affen, o Sohn des Meeres."
Peter Bolks
Mißtrauen war nicht so leicht zu zerstreuen.
"Mister Abelsen," meinte er
grobschlächtig, "was sind Sie von Beruf?"
Er hatte sein Tier niederknien lassen und war
abgestiegen. Er hielt sich gebückt, seine Gestalt wirkte schlaff und altersgebeugt,
er schien ohne geistige und körperliche Spannkraft zu sein, er hatte die trägen
Bewegungen eines Menschen, der vom Leben nichts mehr erwartet, dem alles
gleichgültig ist, dem das Schicksal mißlaunige Nackenschläge verabfolgte, bis
der davon Betroffene eben zusammenbrach.
Aber - - seine Augen.
Sie waren jung, fast zu jung, sie leuchteten
in einem Feuer, das entschieden alles andere an dieser Persönlichkeit Lügen
strafte, in ihnen schimmerte die klare Weite der Ozeane, funkelte der Nachglanz
toller Orkane mit zuckenden Blitzen.
"Mein Beruf, Mr. Bolk..?"
erwiderte ich belustigt. "Einst Ingenieur, dann Sträfling, zur Zeit
steckbrieflich Verfolgter, Weltentramp, Abenteurer, Nichtstuer, meinetwegen
auch Opfer der irrenden Dame Justitia, die man vorsichtshalber stets mit einer
Bilde vor den Augen darstellt - ein dickes Brett wäre besser. - Wünschen Sie
noch mehr?"
Seine Blicke durchforschten mein Gesicht.
"Patumengi ist Menschenkenner,"
murmelte er. "Und - alle zwanzig Jahre kehrt sie wieder - die Tatsachen
sind nicht wegzuleugnen..."
Seine Züge bekamen etwas Träumerisches.
"Alle zwanzig Jahre - es stimmt
schon..."
Er wandte den Kopf zur Seite, dann aufwärts.
Er starrte in den lichtblauen Himmel, der vom Sonnenglast erfüllt war. Ein paar
Aasgeier schwebten träge über einer fernen Baumgruppe...
Patumengi raunte mir zu: "Du siehst, er
hat seine Anfälle, er ist krank..."
Peter Bolks
Gesichtsmuskeln zuckten wie im Krampf. Er bemerkte nicht einmal, daß mein Mukki-Fennek, echter nubischer
Wüstenfuchs, schlauer als ein Pudel, anhänglicher als der treueste Hund, seine
hohen stark gefetteten Schaftstiefel beschnupperte. Fenneks
buschige Rute reckte sich langsam hoch, die Fledermausohren richteten sich auf,
und Mukki stieß ein ganz sanftes, leises Kak-Kak-Kak-Kak
aus.
Mukki ist mir sicherster Charakterdeuter.
Peter Bolk mochte geisteskrank, verkommen, entgleist
sein: ein übler Wicht war er niemals. Der Fennek "riecht"
die Abgründe der Seele.
Nun senkte der Käpten
den Kopf, sein Gemurmel erstarb, er bückte sich, streichelte Fenneks gelbliches Seidenhaar und sagte dazu:
"Sie lieben Tiere, Abelsen..."
"Ja!"
"Das spricht für Sie. - Habt ihr eure
Dromedare in der Nähe?"
Der Zwergenkönig
spähte in die Ferne. "Ich hörte drei Schüsse, o Sohn des Meeres, und dort
kreisen die Geier..."
Peter nickte. "Sie waren wieder hinter
mir her, die Schufte... Und dann waren sie vor mir, alter Patu.
Aber mit solchen Schlichen fängt man Käptn Bolk nicht... Reiten wir hinüber. Sie sind tot. Lebend
wollten sie mich haben. Die Würfel fielen gegen sie. Es war ein ehrlicher Kampf
von meiner Seite, Abelsen."
Er schaute mich an. "Die drei kämpften
unehrlich. Einer mag Pferdedieb in Texas gewesen sein. Er warf den Lasso wie
ein Jongleur, aber meine Kugeln waren flinker."
Patumengi hatte unsere Dromedare durch einen
Pfiff herbeigelockt. Wortlos trabten wir zu den fernen Büschen. All das war
sehr seltsam.
Wortlos betrachtete ich die Toten, drei Kerle
wie Strauchdiebe. Jedem saß die Kugel im Hirn.
Bolk sagte kalt:
"Das sind sie... Vor zwanzig Jahren waren sie jung... Sie wußten viel, und
sie klebten sich an meine Fährte, bis sie mich fanden... Narren!! Als ob's auf
Malmotta Gold gegeben hätte!" Er lachte bitter. "Gold?! Immer wieder
dieser verfluchte blanke Dreck, Abelsen! Immer noch werden die Menschen zu
Halsabschneidern dieses jämmerlichen Metalls wegen! - Buddeln wir sie ein...
Der da hieß Joicker, der da Mortensen,
der Petersen... um den tut's mir leid, das war noch der Anständigste. Aber auch
sein Herz war nur noch ein Spritfaß, die Kerle hatten den Alkoholwurm im
Schädel - wie ich, denken Sie nun, Abelsen, und sie lächeln sicherlich
ironisch... Mein Würmchen, ja, das nährt sich nur in den Stunden banger Zweifel."
Ein nadelscharfer Blick traf mich. "Glauben Sie an die periodische
Wiederkehr gewisser Erdumwälzungen? Sie sind doch ein Studierter..."
Der ganze Mann und sein zusammenhangloses
Gerede und seine unbegreifliche
Kaltblütigkeit als Vernichter dreier Menschenleben waren mir ein Rätsel.
Ich kam nur zu der betrübenden
Schlußfolgerung, daß es mit Peter Bolks
Geisteszustand doch weit schlechter bestellt war, als Freund Patumengi mir dies
ebenfalls sehr geheimnisvoll angedeutet hatte.
Er blickte mich immer noch durchdringend an.
"...Vielleicht," fügte er hinzu,
"vielleicht könnte ich sie brauchen... Hätten Sie Lust zu einer Seereise
ins Unbekannte, Abelsen?! Ihr Gesicht gefällt mir. Mein Würmchen darf Sie nicht
stören. Jeder hat einen Gehirnknacks. Die Grenzlinien zwischen Gehirn und
Irrsinn sind ziemlich verschwommen. Ich bin kein Genie, auch kein Verrückter.
Ich... warte nur. Nein, ich wartete. Denn die Zeit ist um, und dieser Besuch
beim alten Patu mein letzter. Heute über zwölf Tage
sticht mein frischgepinselter Schoner in See. Ich habe alles genau berechnet...
Wir kommen dann gerade zur rechten Zeit an.
Er hatte bereits begonnen, ein natürliches
Sandloch zu vergrößern. Patumengi half ihm
Irgendein dunkler Trieb zwang mich dazu,
gerade die Taschen des toten Petersen zu durchsuchen. Peter Bolk
verlangte keine Antwort von mir, kümmerte sich auch nicht weiter um mein Tun -
und Petersen sollte Deutscher gewesen sein. In meinen Adern floß zur Hälfte
deutsches Blut. Das Wort "Mutter" war für mich noch immer wie ein
Gebet.
Petersen war in grünen Kord gekleidet. Sein
fahles Gesicht zeigte mir klare Linien einer besseren Vergangenheit.
Ich steckte seine Brieftasche, seine billige
Nickeluhr und ein Medaillon, das er um den Hals auf der Brust trug, zu mir. Als
ich den Jackenzipfel, der stark gewölbt war, befühlte, fand ich noch ein
Ledersäckchen. Es war schwer und enthielt zu meinem Erstaunen tropfenförmige
Goldklümpchen in Erbsengröße.
"Käptn, sehen
Sie her..."
Bolk zuckte die Achseln.
"Weiß ich..!! Gestohlen, geraubt! Schmeißen Sie das Zeug in das
Sandloch - Vorwärts!" Seine Stimme
war hart, seine Augen funkelten.
Patumengis kleine schmierige
Hand griff nach dem Säckchen.
"Freund Olaf, aus der Erde kam's, die Erde erhält es zurück. Es klebt Unheil an diesen
Körnern!"
Ich wandte mich ab als sie die Toten
einscharrten und Sand und Steine zum Hügel wölbten. Mir war seltsam zumute. Vielleicht
ist es das innige Vereintsein mit der Natur, das mir
nun bereits seit Jahren beschieden ist und das meine feinsten Sinne geschärft
und jenes "Unterbewußtsein" wachgerufen hat, von dessen Vorhandensein
nicht nur der exakte Wissenschaftler, sondern ebensosehr der unzivilisierte
Naturmensch Zeugnis ablegen kann. Ich ahnte irgend etwas Bedrohliches voraus.
Ich kannte die drei Erschossenen nicht, ich kannte erst recht nicht ihre Beziehungen
zu Peter Bolk. Ich sagte mir, daß der Kapitän doch
sehr triftige Gründe für diesen letzten Besuch bei Patumengi gehabt haben
müsse. Von der Küste hierher waren es gut acht Tagesritte. Aus rein
freundschaftlichen Gefühlen würde Bolk wohl kaum in
diese Einöde sich hineingewagt haben - nur um dem Zwergenkönig
die Hand ein letztes Mal kameradschaftlich zu drücken. Acht Tage Dromedarreise,
hier vielleicht zwei Ruhetage - dann wieder zurück zur Küste - - wer nimmt
diese Strapazen ohne triftigen Grund auf sich?!
...Und dann Bolks
drei Verfolger! Wirklich nur drei?!
Sie hatten ihn hier überholt, hatten ihm hier
in den Büschen aufgelauert... Es stimmte schon, was er von dem Lassowurf
angedeutet hatte. Er hatte darüber nicht viel Worte gemacht, das war wohl
überhaupt nicht seine Art, aber mir war der rote dicke Streifen rund um seinen
Hals über dem wenig dekorativen, zerplatzten Gummikragen nicht entgangen. Sie
mußten ihn beinahe erwürgt haben, die drei, und seine Schüsse waren zweifellos
in Notwehr abgegeben worden - ich sah seine Handlungsweise nun doch in weit
milderem Licht an.
Rätsel... viele Fragen... - Und die Antwort
darauf?! Die mußte ich mir wohl selbst suchen, Patumengi und der Käpten würden mich kaum so leicht in ihre Geheimnisse
einweihen.
Dort, wo die Büsche eine lange grüne Zunge
nach Norden in die Steppe vorstreckten, fand ich die drei Dromedare der Toten.
Ich war sehr einfach den nur schlecht verwischten Spuren der Leute gefolgt.
Es waren ziemlich elende Kreaturen, diese
drei Reittiere, sie hatten auch nicht die entfernteste
Ähnlichkeit mit dem schlanken vornehmen Wuchs meines eigenen Bischarin, das noch ein Andenken an verflossene Tage
darstellte, als hier in den ostafrikanischen Ebenen und Wäldern eine stolze
herrische Frau mit ihren Bischarin-Kriegern aufgetaucht
war.
Vorbei..!
Auch das... war einmal! Wie so vieles
andere...! Menschen kreuzten meinen Weg, Menschen gewann ich lieb, Menschen
zerrannen mir wie Nebelschwaden vor dem Wind des Schicksals.
Ich betrachtete die drei abgehetzten
Kreaturen, die widerkäuend im Grase ruhten und mich hochmütig anglotzten. Seltsam
, daß gerade im Auge der Dromedare soviel dummer Hochmut liegt...
Sie waren gesattelt, gezäumt, in der Erde
staken die Weidepflöcke mit den Halsriemen, das Gras war rund um die Tiere bis
auf einzelne Büschel abgerupft. Wie übermüdet mußten sie sein, daß sie im
Liegen gefressen hatten!
Mit dem Sattelzeug war auch nicht viel Staat
zu machen. Die Wasserschläuche waren leer, in den beschabten Satteltaschen
entdeckte ich nur armseligen Kram, nur das Tier des Deutschen Petersen brachte
mir einen geringen Aufschluß über diesen Mann. Seine Papiere hatte ich noch
nicht durchgesehen - hier stieß ich auf eine lederne Kartentasche, in der ich
vier sehr genaue Seekarten eines bestimmten Teils des Stillen Ozeans fand. In
die linke obere Ecke jeder Karte was mit Tintenstift geschrieben:
Johann Friedrich Petersen, Hamburg.
Also ein Seemann..! riet ich.
Ich steckte auch die Karten zu mir. Fennek-Freund stupste mich in demselben Moment mit dem
Näschen. Im Nu hatte ich die Büchse halb erhoben... Ein Blick auf Mukki... Er
starrte sprungbereit auf einen dunklen dichten Strauch jenseits der Tiere...
Ich sah etwas, das mich veranlaßte, mich
sofort niederzuwerfen: es war ein Büchsenlauf und - - und eine Hand... Nur das!
Mithin ein vierter Wegelagerer..! - Ich hatte
es ja geahnt... Und dieser Vierte würde wohl nicht der einzige Überlebende
sein..! Sollte ich Patumengi und Bolk warnen?!
Wieder ein prüfender Blick auf Fennek-Freund. Aber der hatte seine Haltung geändert, er
saß neben mir, die buschige Rute lang nach hinten gedrückt, die Riesenohren zur
Seite gestellt, und sein Interesse galt lediglich noch einem Stein, unter dem
das Loch einer Mäusefamilie lockend hervorgähnte. Wenn Mukki für solche
Leckerbissen Neigung verspürte, war jede Gefahr beseitigt. Auf Fennek konnte ich mich unbedingt verlassen. Sein Geruchssinn
war so glänzend, daß dagegen selbst der mir als bestes "Nasentier" bekannte
Leopard nicht aufkam.
Ich erhob mich - - zwei Sprünge brachten mich
in Deckung hinter einen dicken kurzstämmigen Feigenbaum - ein Blick in die
Steppe zeigte mir den davonjagenden Fremden, der einen scheinbar sehr guten
Gaul ritt und einen dunkelgrünen Anzug trug, dazu hellgelbe Schnallgamaschen
und einen breitrandigen hellen Filzhut.
Sollte ich hinter ihm drein?! Hatte es Zweck,
ihn zu verfolgen?! Würde nicht sein Vorsprung allzu groß werden, wenn ich erst
mein Bischarin herbeiholte?!
Holen?!
Ich pfiff, ich steckte den gekrümmten
Zeigefinger in den Mund, der schrille Ton durchschnitt die Luft - die Dromedare
der Toten spitzten die Ohren, dann ein Rauschen der Büsche, mein Bischarin jagte herbei - und dann hinaus in die wellige
sonnige Steppe, deren Buschinseln und Waldstreifen über dem gelbgrünen Grase
wie Wolken im Nebelmeer zu schwimmen schienen.
Nebel?!
Nebel?!
Nein - nur Blütenstaub all dieser unzähligen Katsa-Kriechpflanzen, die zweimal im Jahre an ihren vielverzweigten
Ästen gelbe Äpfel treiben - Äpfel die man nicht berühren darf, die nichts sind
als feinster Staub, den schon ein schärferer Lufthauch hochtreibt - und diese
eigentümliche Erscheinung, die der Uneingeweihte stets für Sandwolken halten
wird, steigerte sich noch zu richtigem dickem Nebel, als ein paar fauchende
Sturmfanfaren über die Savanne jagten und das Heraufziehen des im Westen
drohenden Gewitters anzeigten.
Der Reiter war verschwunden...
Mein Bischarin
trabte weit ausholend in dieses treibende Gewölk des ätzenden Blütenstaubs
hinein - und ich riß das Tier nicht zurück, zu spät fiel mir ein, daß Freund
Patumengi mich vor diesen Stellen, wo die Katsa so
zahlreich vorkommt, eindringlich gewarnt hatte - erst meine tränenden Augen,
der Hustenreiz in der Kehle, das immer stärker werdende Brennen der Augen und
ein Seitensprung meines Dromedars mahnten mich an die nicht geringe Gefahr
dieser übereifrigen Hetze.
Die Tiere waren klüger als ich. Fennek-Mukki hatte längst kehrtgemacht, der arme kleine
Kerl hatte ja den verderblichen Staub am allerstärksten
schlucken müssen - ich so hoch zu Dromedar bekam den unwillkommenen Segen nur
verdünnt zu kosten aber es genügte!
Fennek, Bischarin
- beide entflohen dem ätzenden gelben Nebel, beide führten mich dorthin zurück,
wo Patumengi einem Halbblinden dann aus dem Sattel half und ihn mit Vorwürfen
überschüttete.
So endete dieses Abenteuer.
Es war zugleich der Anfang der seltsamen
Geschichte von Malmotta.
2. Kapitel
Ganze Tage in Baobabs
Und nun sitze ich, über den Augen eine
feuchte Binde, auf der Veranda des Palastes des Zwergenkönigs,
und neben mir hockt Patumengis Urenkelin, die kleine
zierliche Doko-Prinzessin, ein Püppchen in klarem
Leinen mit feuerroter Seidenschärpe, und erneuert beständig die kühlenden
Kompressen.
Wenn sie sie wechselt, wenn ich die Augen zu
öffnen wage, dann sehe ich vor mir durch die blattlosen Zweige des
Baobab-Baumes, in dessen Wipfel dieses Bambushaus hineingebaut ist, eine Anzahl
anderer Baobabs und kleinerer Hütten, sehe ich die leichten Leitern, auf denen
die Doko hinab- und hinaufsteigen zu ihren luftigen
sicheren Behausungen - und senke ich den Blick hinab zur Baumlichtung, so
gewahre ich die Ziegen, Schafe, Hunde, Dromedare des Zwergenvolkes,
bewacht von kleinen gelbbraunen Dokos mit überlangen
Bogen und vergifteten Pfeilen...
Dann ist das alles mir immer wieder aufs neue
wie ein Traum...
Wer ahnt draußen in den riesengroßen
Steinhaufen der Weltstädte mit ihrem Gestank und ihrem Lärm und ihrer Verlogenheit
einer übereifrigen habgierigen Bevölkerung etwas von diesen Doko-Siedlungen?!
Wer sah je Affenbrotbäume wie diese
hier, eine ganzen Wald - Stämme, deren Alter nachweislich mehrere tausend Jahre
beträgt - Baumriesen, bekannt vielleicht dem Namen nach aus den verschiedenen
Regionen Afrikas als Baobab, Mbuju, Mowana oder Tabaldie.
Mit einem Stammdurchmesser von mindestens
zwölf Metern - mit riesigen weißen Blüten, die sehr rasch wieder abfallen, die
dann die halbmeterlangen melonenähnlichen "Affenbrot"-Früchte
hervorbringen, deren säuerliches Fruchtmark die Doko
in tonnenförmige Tongefäße tun, gären lassen und nachher trinken - ein
Zaubersaft, erquickend, leicht berauschend...
Viele der Baobabs sind innen hohl und dienen
den Zwergen als Ställe für das Vieh. Alle aber haben die Eigentümlichkeit, daß
sich die halbkugelige gigantische Baumkrone unten bis zur Erde hinzieht, sich
auf den Boden stützt - also Säle oder Gemächer bildet, in die nur vereinzelt
ein verlorener Sonnenstrahl dringt.
Das hier ist Patumengis
Reich, dieser ferne, große unbekannte Baobab-Wald - hier hausen die kleinen
Menschlein unter Freund Patus strengem Regiment,
abgeschlossen gegen die Außenwelt durch einen öden Steppengürtel, und doch
wieder nicht abgeschlossen genug vor der Raubgier wilder, ziehender Somalihorden,
die frech über die Grenzen kommen und stehlen und morden möchten.
Patu hat das ihnen so
ziemlich abgewöhnt. Patu hat hundert Krieger, die
ganz modern bewaffnet sind - Patu besitzt Winchesterbüchsen, Pistolen, Patronen - und kennt kein
Erbarmen! Wehe dem braunschwarzen Somal, der das Doko-Gebiet betritt... Späher schützen das kleine Reich,
riesige Signaltrommeln melden jeden verdächtigen Fremden, und drüben in der
Steppe sah ich die langen Erdhügel, unter denen die Feinde der Doko den ewigen Schlaf gefunden.
Das ist Patumengis
Reich.
Als ich es zum ersten Male durchquerte, als
wir damals von dem Berge der Affen kamen und Freund Patu
mir die Überraschung nicht verderben wollte und alles nur in kargen Worten
vorher angedeutet hatte, da habe ich gestaunt, da habe ich still und tief
bewegt des Gnomenkönig Hand gedrückt und mich nicht mehr darüber gewundert, daß
gerade er der Vertraute eines abessinischen Kaisers gewesen...
Jetzt?!
Patus Urenkelin legt mir
Kompressen auf, und ihr Puppengesichtchen strahlt vor Freude, mir dienen zu können...
Blaues Leinen und feuerrote Seidenschärpe
regen sich...
Prinzessin Matugira
schiebt mir die Zigarre zwischen die Lippen und lacht und streichelt meinen
Stachelbart. Seit vier Tagen unrasiert.
...Sie lacht und kichert und reibt mein Luntenfeuerzeug
an und sagt in ihrem Urgroßvater-Kauderwelsch, ich solle nur ziehen...
Ich ziehe...
Die Zigarre brennt, und wir setzen unser
vorsichtiges Gespräch fort.
Patu und Peter Bolk sind in die Steppe hinaus - irgendwohin...
Wohin?! - Ich weiß es nicht. Keiner weiß es.
Auch die zierliche Matugira, die zwölf Jahre alt ist
und sehr bald heiraten wird, gibt stets vor, nichts zu wissen...
Sie schwindelt.
Sie schwindeln alle hier, alle, die mich
halbblinden Kranken hier besuchen kommen und mir die Zeit vertreiben wollen
und... die alle nicht ahnen, daß Olaf Karl Abelsen in diesem Falle der größte
Schwindler ist.
Es ist ja gar nicht mehr so schlimm mit
meinen Augen. Ich kann sie getrost minutenlang offenhalten - gewiß, sie tränen,
aber das rührt wohl mehr von dem Küchendunst her, der hier in der Baumkrone bei
dieser abendlichen Windstille zäh zwischen den Ästen, Zweigen und Früchten
hängenbleibt.
Es ist ein unehrliches Spiel, dessen ich mich
schämen müßte, wenn ich nicht immer an den Gefangenen dort drüben dächte - an
den Fremden, den ich verfolgte, der auch in die Katsa-Nebel
geriet, dessen armes Pferd zusammenbrach in schwerer Atemnot und den Patumengis Leibwache herbeischleppte und da unten in dem
einen hohen Baobab einsperrte...
Nur ein einziges Mal habe ich das Gesicht
dieses Fremden erblickt, und ich war betroffen von der weichen Schönheit dieses
gebräunten Antlitzes und dem hellen Glanz des blonden Haares.
Soll dieser Ärmste, blutjung, mehr Jüngling
als Mann, ewig hier im Doko-Reiche festgehalten
werden?! Was haben sie mit ihm vor?!
Ich weiß, es nicht. Patu
und Bolk reden nie über ihn, und gerade das erscheint
mir verdächtig und bedrohlich.
Die kleine Prinzessin plappert und redet, Fennek-Mukki liegt mir zu Füßen, die Abendsonne vergoldet
den riesigen Wald, die Tiere unten in den Lichtungen drängen sich zusammen -
Feuer der Hirten flackern auf, Leoparde und Wildhunde
lieben das Ziegenfleisch, und der Urwald hat Schluchten und Dornendickichte, murmelnde
Quellen, Bäche und alle Wunder dieses seltsamen Grenzlandes, das noch zum
Reiche Abessinien gehört und doch ein Reich für sich ist...
Der Abend ist da.
Die Nacht ist da.
Matugira holt mir die
Mahlzeit, es kommen zwei Unterhäuptlinge, reden, reden...
Ich wünsche anderes.
In dieser Nacht werde ich mein luftiges Gemach
des großen Bambuspalastes heimlich verlassen und den Fremden sprechen.
Matugira füttert mich mit
Hirsekuchen und Taubenfleisch und gibt mir Baobab-Wein zu trinken. Ich habe das
ekle Gefühl, daß ein Judas Ischariot hier
Gastfreundschaft in Anspruch nimmt. Andererseits: Man treibt hier auch mit mir
kein ehrliches Spiel! Ich glaube einigen Anspruch auf Patumengis
Dankbarkeit zu besitzen. Er hätte mir über Peter Bolk
längst reinen Wein einschenken können. Weshalb diese Geheimniskrämerei? Er
kennt mich doch. Ich dränge mich niemandem auf und dränge in fremde
Angelegenheiten nicht hinein. Ich verlange nur das, was man als Freund vom
Freunde fordern kann. Sollte ich nun auch durch den alten Patu
enttäuscht werden?!
Die Puppenprinzessin und die höflichen Unterhäuptlinge
reden und reden, und meine Gedanken sind in dem Baumgefängnis bei dem blonden
Gefangenen mit dem zarten feinen jungen Gesicht.
Ich antworte und gähne - und die Herren
empfehlen sich, und Matugira führt mich in mein Gemach.
Wie gesagt, das Haus ist groß, ist sehr groß,
ist zierlich gebaut, überreich geschmückt, die Türpfosten sind geschnitzt und
die Zwischenwände noch mit bunten Bastmatten behängt. Der Palast ist in der
Krone des ältesten Baobab errichtet worden. Der Stamm hat einen Durchmesser von
etwa fünfzehn Metern, der Dom der Krone ist ein Riesensaal, durch
festgestampften Lehm, durch den sich rote Tonstreifen ziehen, sauber gedielt -
er ist der Versammlungsraum der Doko-Führer, ihr Parlamentsgebäude.
Unten in dem hohlen Baumkoloß wohnt der Ober-Fetischmann des Gnomenvolkes, ein
ebenfalls uralter Knabe mit einem listig-freundlichen, zerknitterten Gesicht.
Mambi heißt er. Er ist mir
sehr gewogen, denn ich begegne ihm mit allem Respekt und ausgesuchter Höflichkeit.
Mein Gemach hat drei Meter im Quadrat, eine
Tür aus Baumrinde, eine große Fensteröffnung und einige Prunkmöbel europäischen
Ursprungs: einen Plüschsessel mit drei Beinen, einen Regulator, der nicht geht,
und einen runden Tisch mit zersprungener Glasplatte, unter der sich eine
grellbunte Stickerei befindet.
Das Bett ist ein Rahmen aus Bambusstangen,
mit Fellen bespannt - feine wollene Decken bilden das Bettzeug, und eine
Petroleumhängelampe, die sogar brennt, erhöhen den Luxus ins ungemessene.
Die Doko gehen sehr
früh zur Koje. Gegen neun Uhr ist im Hause alles still.
Nur neben mir, wo Matugiras
Großmutter jede Nacht wie ein Nashorn prustet und schnarcht, wird es nie ruhig.
Die alte Zwergendame hat sich dem heimlichen Trunk
ergeben, und ihre Nachtkonzerte werden von schrillem Traumgeschnatter und
gelegentlich angstvollen Schreien unterbrochen. Das stört.
Zum Glück hatte ich nur die eine Nachbarin.
Mein "Zimmer" liegt an der Ostecke, dicht am Haupteingang.
Matugira ist gegangen, hat
mir die Hand gedrückt, hat Fennek mitgenommen, damit
er sich draußen im Wald noch ein wenig auslüftete - und so weiter. Meine Uhr
zeigt halb zehn, als sie ihn lautlos zurückbringt - ich liege bereits und
täusche Schlaf vor, sie verschwindet, Fennek springt
wie stets auf das Bett und rollt sich an meiner Brust zusammen. Was nicht immer
angenehm, denn ich liebe allzu starken Rosenduft nicht, und Fenneks
Afterdrüse, Viole genannt, riecht tatsächlich nach Rosen wie bei allen
afrikanischen Fenneks. Die Natur liebt solche Duftscherze.
Ich liege und grübele und lausche dem fernen
Grollen eines Gewitters. Es ist die Zeit, wo sich in den Vorbergen des Tafellandes
Abessinien die Kanonaden des Himmels jeden Tag vernehmen lassen und die
ungeheuren Regenfälle sogar dem dürstenden Boden der Steppe ihr fruchtbares Naß
spenden. Es ist die Zeit, wo aus den Schluchten der nördlichen Gebirge wütende
schäumende Flüsse werden und ihre Wassermassen sogar bis nach den nubischen Wadis (Tälern) ihre
ersehnte Feuchtigkeit tragen.
Fennek schläft. Er liegt
zusammengerollt als gelblicher Haarring da, seine feinen Härchen kitzeln mein
stoppeliges Kinn, und ich erinnere mich an die dringende Notwendigkeit, meinen
Rasierapparat einmal wieder zu benutzen.
Fernher kommt das Stimmengewirr der Tiere der
Doko, verschlafenes Blöken und Meckern und heiseres
Kläffen, auch wohl ein dumpfer Krach zuweilen: ein Blitz der meilenweit
nordwärts niederfuhr und seine Schallwellen bis hierher sandte.
Dann setzte das leise feine Tröpfeln ein.
Regen klatscht auf das Rindendach des Palastes, das mit Rindenstückchen von
drei Meter im Quadrat belegt ist. Auch diese spendet der heilige Baobab, dessen
Holz so weich ist, dessen faustdicke Rinde sich lockert, wenn sie die Doko mit Holzhämmern tagelang klopfen. Dann schneiden sie
mit den schwertähnlichen Messern die losen Stücke heraus, bestreichen die große
Stammwunde mit nassem Ton und schnüren Bast darüber. Ein alter Baobab verträgt
vier bis fünf solcher "Wunden" - aber, wie gesagt - sie müssen
verbunden werden.
Rasieren...
Man kommt doch nicht los von diesem
Kulturzwang der Sauberkeit. Ich habe mich an einen Vollbart nie gewöhnen
können, und ich habe neue Rasierklingen, Seife, vieles andere mit aus dem
Zauberberg der Affenkönigen, der Herrin der Unterwelt, hierher genommen.
Ich zünde die Lampe an... Fennek
beobachtet mich sehr mißbilligend. Gestörte Nachtruhe.
Ich seife mich ein, und ich werde wieder ich
selbst. Ich prüfe meine Augen - die Entzündung ist zurückgegangen. Es wird
schon werden.
Ich schnalle den Ledergurt um, und leise
öffne ich die Tür, schleiche zur Leiter, klettere hinab. Fennek
wollte mit. Er ist gehorsam. Seine großen blanken Augen beäugten mich noch
mißbilligender.
Die Bambusleiter knarrt, aber das Grollen und
Tröpfeln übertönt die verräterischen Geräusche.
Der hohle Baumgigant, das Gefängnis des
blonden Fremden, hat eine Pforte aus Balken und Latten und Leder und drei
Riegel. Ich bin die letzte Strecke gekrochen, und das nächste Hirtenfeuer
trifft den Baobab von der anderen Seite - hier ist Schatten, Dunkelheit.
Ich öffne die Riegel und ziehe die schwere Pforte
etwas auf. Ein Glück, daß ich nie allzu vertrauensselig bin. Der Hieb mit einem
schweren Tonkrug, der für meinen Kopf bestimmt war, geht daneben.
"Lassen Sie den Unsinn!" - mein
Flüstern findet Antwort...
"Entschuldigen Sie... ich
glaubte..." - die rauhe Stimme verstummt, ich schlüpfe hinein und der
Fremde fügt hinzu: "Ich wollte fliehen..."
Ich sehe nichts von ihm. Es ist hier
stockdunkel.
"Wer sind Sie?"
Eine Weile schweigt er.
"In welcher Absicht kommen Sie, Mr.
Abelsen?!"
"In guter... Brauchen Sie Hilfe? Was hat
man mit Ihnen vor?"
Wieder eine Pause. "Man wird mich später
freilassen, Mr. Abelsen. Patumengi versprach es mir.
"Wann?"
"Gestern. - Man behandelt mich nicht
schlecht, aber der Waffenschmuggel wird schwer bestraft, und der Schuft Bolk will erst das Hafennest hinter sich haben."
Bisher hatte ich der heiseren Stimme des
Fremden keinerlei Erregung angemerkt. Jetzt, als er über Peter Bolk redete, war der Ton erfüllt von Haß und finsterer
Feindseligkeit. Noch anderes schwang in diesem schrillen Ton mit: eine eisige
Ruhe, eine kalte Entschlossenheit.
"Gehörten Sie mit zu den dreien, die den
Käpten überfielen?" fragte ich geradezu.
"Ja und nein." Die Antwort kam ohne
Zaudern. "Bolk ist ein Schurke - vielleicht
waren auch Joick und Mortison
nichts Besseres, aber der Deutsche Petersen kann nur als Verführter gelten."
Wir standen hier in der Finsternis des
Bauminnern dicht voreinander. Ich spürte den Atem des Fremden trotz der Modeluft
und der faulenden Holzwände, und dieser Atem wehte mich an wie etwas ganz
Besonderes.
"...Ich folgte den dreien - ich war
allein," fuhr der junge Mensch bitter fort. "Ich hätte früher
eingreifen sollen... Sie ahnen nicht, was ich hier gelitten habe und noch leide
- nicht durch die Zwerge, denn sie sind sanft, gut, hilfsbereit, soweit man das
von diesen Wilden verlangen kann. Aber Bolk..."
- die Stimme versagte ihm, ein Laut wie ein kurzes Aufschluchzen traf mein Ohr,
ebenso jäh kam der finstere Nachsatz: "Bolk wird
es büßen, so wahr ich Jan Terpe heiße!!"
"Jan... Terpe..."
wiederholte ich. "Ein Deutscher, junger Mann?"
Er lachte eigentümlich schrill.
"Auch das..! Aber mehr ein
Südseeinsulaner, Mr. Abelsen, einer von Malmotta... Kennen Sie die Insel?!
"Nein."
Wieder das eigentümliche kurze Auflachen.
"Glaube ich Ihnen gern..! Ich dachte, Bolk hätte
sie erwähnt."
"Das tat er wohl, aber er ist etwas wirr
im Kopf, glaube ich - aus seinen Reden wird niemand klug..."
Der Fremde schwieg.
Ich fand sein Verhalten zumindest recht
sonderbar. Ich gewann von ihm denselben Eindruck, den auch das Verhältnis
zwischen Patumengi und Bolk auf mich gemacht hatte: Geheimnisvoll!
- Bolks Beziehung zu dem Dokokönig
war ja nun geklärt: Waffenschmuggel!! Aber dieser Jan Terpe?!
Ich sagte eindringlich: "Junger Mann,
Sie kannten also Petersen genauer? Reden Sie ganz offen mir gegenüber. Ich verrate
nichts. Ich will nur Klarheit haben."
Draußen erhob sich gedämpfter Lärm. Ich
vernahm das Schnauben von Dromedaren, Patumengis
scharfe Stimme rief irgend etwas - für mich war es höchste Zeit zu verschwinden.
"Ich komme wieder," flüsterte
ich...
Schon war ich draußen, schloß die Riegel,
schlüpfte geduckt davon und erreichte atemlos mein kleines Gemach - dicht hinter
mir erklommen Patumengi und Bolk die Leiter, sie
hatten doch wohl noch gemerkt, daß jemand in den Bambuspalast schlüpfte - ich
riß mir förmlich die Kleider vom Leibe, kroch unter die Wolldecke und kehrte
das Gesicht der Wand zu.
Ich hörte Patus
hastiges Wispern, Bolks melancholischen Baß - dann
knarrten die Stämme des langen Flures, das Knarren verebbte... Die beiden
hatten offenbar Bolks Kammer betreten. Die Gefahr,
daß mein kurzer Ausflug entdeckt sei, war vorüber.
Fennek leckte mir die Hand,
beschnüffelte mich und kuschelte sich an meinen Rücken. Ich streichelte ihn,
und durch mein Hirn zogen Gedankenbilder in bunter Reihe... Namen, Menschen,
Ereignisse.
Malmotta?!
Was war es wohl mit dieser Insel?! Erst hatte
der Käpten sie erwähnt, nun hatte Jan Terpe sich als gebürtiger Malmottaner
bekannt. Joicker, Mortison,
Petersen mußten die Insel gleichfalls einst besucht haben... Einst! Wann?! Und
weshalb waren sie dann so eifrig hinter Käpten Bolk hergewesen?!
Gold etwa?!
Goldgier?!
...Mir fiel das Ledersäckchen ein...
Patumengi hatte es in das gemeinsame Grab der drei geschleudert...
Da waren überall die Enden von Fäden... Aber
es waren nur kurze Stücke, und sie ließen sich nicht aneinanderknoten...
Ich schlief ein.
Im Nebenraum schnarchte die uralte trunkfeste
Großmutter des Püppchens Matugira...
War ich über ihrem röchelnden Sägen erwacht?!
Ich fuhr hoch...
Durch die Fensteröffnung fiel das
Morgenzwielicht in die enge saubere Kammer und auf Peter Bolks
hagere gebeugte Gestalt.
"Ich nehme Sie mit, Abelsen," sagte
er kurz. "Wollen Sie?! Kennen Sie die Südsee?!"
Traumbefangen murmelte ich nur:
"Malmotta?"
"Ja!!"
Und er richtet sich straff auf.
"Ja!! - Geloben Sie mir als anständiger
Kerl hier in die Hand, daß Sie schweigen werden - - dann sehen Sie Malmotta,
nur dann! Es ist nichts Unehrenhaftes bei alledem - auch mein Wort darauf!"
Unsere Hände fanden sich in kräftigen Druck.
"Wir reiten in einer Stunde,"
erklärte der Käpten dann. "Ziehen Sie sich an...
Packen Sie ihre Sachen..."
Er ging hinaus, und jetzt erst gewahrte ich
auch Patumengi, der still in dem alten Plüschsessel kauerte.
"Freund Olaf, mein Herz wird leer
werden," meinte er klagend. "Und doch lasse ich dich gern gehen,
Freund Olaf. Peter Bolk ist ein Mann des Meeres, und
seine Seele ist rein wie die Luft an den steinigen Ufern von Batimar..."
Der plötzliche Aufbruch hatte die ganze Doko-Siedlung auf die Beine gebracht. Es gab zahlloses
Händeschütteln. Es gab blumenreiche Reden.
Und - die Pforte des Gefängnisses Jan Terpes hing schief in den Angeln.
Ich sah es und schwieg.
Das Fehlen meines Jagdmessers aus der
Lederscheide erklärte manches. Jan Terpe mußte es mir
entwendet haben, als wir im Finstern im hohlen Baobab so rasch Abschied genommen
und ich mich dabei gegen die Pforte gelehnt hatte...
Bolk, Patu
und ich trabten in die Steppe hinaus.
3. Kapitel
An den Ufern von Batimar
...Es ist für heute genug. Ich lege die Feder
weg und greife nach der erloschenen Zigarre. Gedankenvoll reibe ich das
Zündholz an und rauche still und blicke durch das kleine Fenster der Heckkajüte
auf die schlanken Palmen und zerrissenen nackten Felsen, die diese schmale
Meeresbucht, gleichzeitig Mündung eines armseligen Flüßchens, einrahmen. Sie
türmen sich hier am Nordufer hoch empor, sie schwellen an zu einem von Kugelkakteen
und anderen ungemütlichen Pflanzen dicht bedeckten Berge. Er hat keinen Namen,
und auch das Flüßchen ist namenlos. Wir befinden uns hier mit dem Schoner
"Astarte" in dem gottverlassensten Küstenstrich des südwestlichen
Roten Meeres. Das nächste Hafennest heißt Batimar.
- Nehmen wir an, es heißt so. Ich habe Käpten Bolk meine Diskretion
zugesichert, und ich will selbst in diesen Tagebuchblättern Peter Bolks Vertrauen nach Möglichkeit gerecht werden. Also... Batimar. Hafennest.
Gestern abend sind wir in diesem Versteck der
Astarte angelangt. Zwei abgehetzte müde Reiter, sechs Dromedare, ein Fennek. Es war kein Vergnügungsritt von Patumengis
fernem Reich bis hierher. Es war Erleben, Leben, Wagen, Jagen - es war doch ein
Vergnügen!
Meine Zigarre brennt, und wenn ich in die
Rauchwölkchen emporstarre, formen sie sich zu
gelbbraunen Zwergengesichtern, zu riesigen Bäumen und
Bambushütten, die wie Nester in den Kronen hängen.
Patumengis Reich...
Es war.
Auch das liegt hinter mir. Wochenlang dort
Gast, wochenlang dort die Schönheiten der weiten Steppen genossen und die
Gastfreiheit der Doko, die meine Freunde sind - noch
immer.
In all diesen Wochen hat meine Feder geruht.
Zum Schreiben gehört Tinte. Tinte war nicht da, aber... Trägheit auf meiner
Seite. Ich faulenzte voll Behagen, ich ließ mir von Patumengi alles zeigen, was
die Umgebung bot, wir ritten, jagten, redeten, und wenn ich wollte, könnte ich
hier aus des Sagenschatz des Zwergenvolkes manches so
recht Ursprünglich-Schöne berichten. Es ist erstaunlich, wie ein so kleines Völkchen
von Gnomen an seinen Märchen festhält, und wie die Fetischmänner, die Herren
Priester, den neuen Generationen diese Märchen und Sagen geradezu einhämmern,
damit nichts in Vergessenheit gerate.
Und dann kam eben Peter Bolk,
der Waffenschmuggler.
Der Punkt ist geklärt. Der kleine uralte Patumengi
als weitsichtiger Herrscher wollte seine Untertanen mit den neuesten
Erzeugnissen der Waffenindustrie versehen, lernte Bolk
in Batimar kennen und zeigte ihm heimlich einen Sack
voll tropfenförmiger Goldkörner. Auch der Käpten
brauchte Geld, und Peter wartete -- volle zwanzig Jahre.
Worauf?!
...Das hängt mit Malmotta zusammen.
Mehr weiß ich nicht. -
Wie gesagt - Ruhepause in dieser Arbeit des
Niederschreibens unvergeßlicher Erinnerungen. Hinaus ins Freie, empor auf den
Berg mit dem Fernrohr, damit ich mir Batimor auf diese
Weise anschaue.
Fennek trabt vor mir her
durch die Dornen. Auf dem Schoner lümmeln sich nur Chinesen herum - Peter und
die übrigen sind heimlich hinein nach Batimar, den
Proviant zu ergänzen. Nachts wollen sie zurück sein - - wenn alles gut geht.
Fennek-Mukki findet diese Bucht
ideal. Es ist ein Mäusequartier. Fennek stört dieses
Paradies und mordet und frißt. Datteln sind ihm ja lieber. Mäuse sind nicht
sein Hauptgericht. Er ist halb Vegetarier, halb Fleischfresser. Wie alle Wüstenfüchse
aus Ägypten.
So erreichen wir dann den Berggipfel. Wir
nehmen uns nicht weiter in acht, denn diese öde Landschaft birgt keine Gefahren.
Nur im Süden, wo sich des abessinischen Herrschers Polizei und Zöllner und
Spürnasen in Batimar breitmachten, ist windiger
Boden.
Desto erstaunter bin ich, als ich, um ein
letztes Gestrüpp biegend, durch Mukki energisch gewarnt werde.
Ich pflege nie und nirgends hart aufzutreten.
Ich bin kein Leisetreter. Aber die Wildnis, meine Heimat, fördert das Federn
des Schrittes und das stete Wachsein.
Ich luge um den Busch, ich sehe zehn Schritt
vor mir auf einem Stein im Schatten einer verkrüppelten Palme eine Frau in
Weiß, nur ihren Rücken.
Sie sitzt gebeugt, die Hände um die Knie
geschlungen, neben ihr liegen vier Dinge, die allerlei erraten lassen: eine
kleine Pistole im Futteral, eine Reitgerte und... eine Thermosflasche, deren
Becherdeckel abgeschraubt ist.
Eine rasche Ideenverbindung bringt diese Miß
mit der eleganten Privatjacht in engste Beziehung, die in Batimar
ankern soll, wie Li, der Koch der Astarte, uns gestern nacht gleich nach der
Ankunft erzählt hat.
Immerhin: Eine Kühnheit für eine Dame, sich
hier in diese Einsamkeit zu wagen. Das Küstenland von Abessinien ist keine
Luxuspromenade der Riviera.
Ich hüstele...
"Entschuldigen Sie die Störung,
Miß..."
Man bleibt doch immer noch Kulturmensch, und
der neue weiße Anzug nebst Zubehör, den ich seit heute früh trage, macht mich
zum Gentleman.
Äußerlich.
Sie dreht langsam den Kopf, greift aber sehr
flink nach der Pistole.
Unter dem hellen Strohhut mit Nackenschleier
blickt mich ein stark gepudertes, stark getuschtes, trotzdem hübsches und
vielleicht junges Wesen an und mustert mich lange und... lächelt.
Ihr Blick - die Augenbrauen sind nur
getuschte Striche - ruht auf Mukki.
"Was ist das für ein Tier, Sir?"
Die Stimme ist weich... die englische Sprache
klingt näselnd - es ist schade, daß diese wundervoll geformten Lippen so knallrot,
so aufdringlich in Herzform gefärbt sind. Noch mehr bedaure ich, daß die Miß so
außerordentlich hochmütig dreinschaut und für meinen Fennek
mehr Interesse zeigt als für mich.
Sie ist hübsch.
Sie hat einen weichen Glanz in den dunklen Augen...
"Es ist ein Fennek,
Miß..." erklärte ich ihr, und dann fügte ich, Gentleman, hinzu: Mein Name
ist Lensen, Miß..."
Namen sind billig. Mancher Name wird im
Steckbrief allerdings je nach Sachlage höher bewertet.
"Ein Fennek?"
- Ich kam nicht in Frage. "Ist er verkäuflich? Er gefällt mir, Sir."
Jetzt lachte ich. "Und wenn Sie mir
Millionen bieten würden..! Mukki ist für nichts zu haben - es sei denn, ich
stürbe..."
Sie erhob sich... Der Umriß ihrer schlanke
Figur zeichnete sich gegen den glasklaren Himmel ab..
"Wie töricht, Mr. Lensen...
Geld ist Macht. Sind sie so reich?!"
Sie spottete meiner.
"Allerdings... Reicher als ein
Milliardär, denn - ich bin frei, Miß, mich bindet nichts, die Welt ist meine
Heimat, die Einsamkeit mein Palast, die Wildnis mein prunkvolles Gemach... - Sie werden das nicht verstehen..."
setzte ich achselzuckend hinzu. "Ich bin eben... Abenteurer aus Neigung."
"Schade!" Ihre Blicke streiften
abermals meinen Mukki... Dann erschienen um ihren Mund, auf der Stirn ein paar
harte Falten. "Nur ein Tier - wie lächerlich. Überlegen Sie es sich...
sofort!"
Das war ein sehr merkwürdiges Gebaren. Das war
beinahe eine Drohung.
"Sofort?!" Ich bückte mich und nahm
meinen Freund in die Arme. "Gut - sofort, nämlich - - nie!!"
Zwischen den halbgesenkten Lidern traf mich
ein noch drohendes Aufblitzen dieser dunklen Rätselaugen.
Sie schaute auf ihre Armbanduhr.
"Zwei Minuten..." sagte sie kühl.
"Hundert Pfund, Mr. Lensen - das sind
zweitausend Mark. Zwei Minuten - bitte!"
Ich konnte nur den Kopf schütteln. "Miß,
Sie scheinen mich sehr wenig zu kennen, ich..."
Sie hatte sich schon wieder gesetzt, drehte
mir den Rücken zu und blickte gen Osten auf das Rote Meer hinab.
Ich war Luft.
Seltsame Dame!! Mir war doch bereits so
manches rare Exemplar des anderen Geschlechts über den Weg gelaufen... dies
hier?! Englische Lady in Reinkultur, aber Lady mit etwas Asphaltduft...
Ich hatte meinen Freund Mukki noch immer im
Arm. - Ich - mich von ihm trennen?! Das Tierchen war im Verlauf von
abenteuerlichen Jahren ein Stück meiner selbst geworden.
Ich streichelte ihn, setzte ihn auf die Erde,
nahm mein Fernrohr, lehnte mich an einen spitzen Steinblock und zog das Rohr
auseinander, stellte es auf die fernen Häuser von Batimar
ein, sah den Turm der uralten Jesuitenkirche, sah die helle Linie der
gekrümmten Mole und die ankernden arabischen Küstensegler, einen kleinen
Frachtdampfer und die weiße schöne Jacht.
Ich sah die elenden Hütten, ein paar
Steingebäude, Wellblechschuppen...
Das war das Hafennest, in dessen Kneipen
Peter Bolk sich das lohende Hirn durch Fusel betäubt
hatte...
Und dann... legte sich eine Hand auf meine
Schulter...
"Mr. Lensen,
vier Minuten - hier ist das Geld!"
Ich schnellte herum... Das war denn doch eine
Anmaßung, eine Frechheit, die...
Meine Gedanken stoppten...
Wo war Fennek?!
Und dort hinter der Frau - - zwei Kerle in
Matrosentracht, zwei stämmige Kerle... grinsend, in den Pfoten die Pistole...
Oho!! War's so gemeint?!
Die Frau wiederholte kühl: "Hier ist das
Geld!"
Sie streckte mir die Scheine hin. Und ich - -
packte zu...
Hatte ihr Handgelenk packen wollen, hatte
mich verrechnet... Aalglatt war sie, blitzschnell war sie hinter ihren Leuten...
"Mr. Lensen,"
sagte sie ohne jede Erregung, "Ihr Fennek ist
bereits unterwegs nach Batimar. Wollen Sie ihn
wiederhaben, finden Sie sich samt ihrem Gepäck sieben Uhr abends auf der
Molenspitze ein..! Sie verstehen mich: Punkt sieben Uhr - - Molenspitze. Und
sollten Sie vielleicht die Absicht haben, die Polizei zu verständigen - ich
rate Ihnen entschieden ab. Ihr Freund Bolk wird
gesucht, das wissen Sie...!
Mir war doch in all diesen Jahren, seit zwei
schwankende Drähte mich über eine Zuchthausmauer ins Freie getragen hatten,
schon so manches begegnet. Im Grunde gab es nichts, was ich nicht schon kennengelern hatte - - so glaubte ich bisher.
Dies hier: Was sollte es?! Der Frau kam es ja
gar nicht auf meinen Fennek an. Mich wollte sie
haben! Mit Gepäck - sieben Uhr -- Molenspitze!! Das war eindeutig genug. - Was
lag ihr an mir?!
Mir?!
Ich...
Olaf Karl Abelsen, Freund eines Coy Cala, Freund von Kerlen mit Eisennerven
und stählernen Seelen..!
Mich - - so fangen?!
"Ich... werde kommen, Miß,"
erklärte ich höflich. "ich nehme an, daß sie ein ganz besonderes Interesse
an meiner Person haben... Weshalb soll ich einer Dame nicht gefällig sein? -
Nur, ließe sich das nicht schon hier erledigen, Miß?!"
Ich lächelte harmlos...
Und mit diesem Lächeln schoß ich vorwärts...
Meine Fäuste können Schmiedehämmer sein.
Meine Fäuste trafen - zwei Matrosen flogen hintenüber in das dornige Gestrüpp -
meine Hände schnellten zur Seite, umkrallten die Gelenke der Frau - sie schrie
leise auf, aber der Schrei war noch nicht verhallt, als sich auch schon der
Riemen der Thermosflasche um ihre Gelenke wand...
"So, Miß..!"
Ein Blick traf mich... Flammen lohten aus
diesen Augen...
Ich...
lachte, hob die Pistolen der armen Schächer auf, befahl den Japsenden,
nach Luft Ringenden:
"Vorwärts - geht vor mir her! Und - wer
zu fliehen wagt - - ich schieße wirklich nie daneben!"
Stark zerschunden krochen sie aus den
Disteln.
Ich... lachte...
"...Ihr hättet anderswo in die Lehre
gehen müssen - - marsch - auch Sie, Miß!!"
Der kleinere der beiden flüsterte stockend:
"Mr. Lensen...
die... die Dame ist die Herzogin von Bellcastle..!!"
"...Und wenn es die Königin von
England in Person wäre: Mit mir spielt
man nicht!!"
"Bravo!" sagte da halb hinter mir
eine vergnügte Männerstimme. "Bravo, Mr. Lensen..!
Die Frau Herzogin liebt kleine Scherze mit Männern... Gestatten Sie: Alfred Eversham ist mein Name, Doktor Alfred Eversham,
bis heute mittag Schiffsarzt der Jacht "Star of London", heute mittag
fristlos entlassen mit halbem Jahresgehalt, weil ich mich weigerte, dieses Banditenstückchen
mitzumachen. Von mir haben sie nichts zu fürchten, im Gegenteil, Ihre Hoheit
die Frau Herzogin sieht mich nun auf der Gegenseite..."
Alfred Eversham war
ein Prachtkerl. Auch äußerlich. Ein Gentleman, den das Monokel im
braungebrannten Gesicht tadellos kleidete, ein überschlanker jungen Mann,
vielleicht Nähe der dreißig - überschlank, weil kein Lot Fett vorhanden.
In der Linken hielt er seine Zigarette, in
der Rechten eine kleine Momentkamera. Er hielt sie vor die Brust, visierte - es
knackte...
"Das Bild hebe ich mir auf," meinte
er belustigt. "Ihre Hoheit mit gefesselten Händen, die Stewards John und
Jack als zahme Hündchen, man wird sich in London totlachen!"
Jane Bellcastle
kniff die Lippen ganz schmal.
"Sie... Sie sind ein..."
"...ein Mitglied der schottischen Linie
der Evershams von Grandballay
- stimmt!" kam er ihr zuvor. Ein Sohn Lord Evershams,
ein Sohn Lady Evershams, geborene Lady Farferlan-Wendmore... Das ist alles amtlich abgestempelt.
Neues brauchen Sie nicht hinzufügen. Es genügt vollauf."
Jane Bellcastle
drehte ihm schroff den Rücken zu...
"Auch die Teilansicht ist schön,"
nickte er bissig. "Mr. Lensen, ich verhalte mich
hier natürlich vollkommen neutral. Was beabsichtigen Sie zu tun?"
"Meinen Fennek
zurückholen, Mr. Eversham," und ich lächelte ihn
an."Zunächst werde ich diese drei Herrschaften
auf den Schoner nötigen, das weitere findet sich schon... Kommen Sie mit?"
"Gern, sehr gern..."
"Dann - - vorwärts, John and Jack --
keine Dummheiten!! Bitte, Hoheit, schließen Sie sich freundlichst an... Es
bleibt Ihnen wirklich nichts anderes übrig. Die Partie haben Sie endgültig
verloren."
"Es scheint so," nickte Eversham todernst. "Es scheint durchaus so..."
Die beiden Stewards, sicherlich Vertraute
dieser sehr unternehmungslustigen Dame, marschierten unter dem sanften Zwange
zweier Pistolenmündungen voraus.
Jane Bellcastle
sprach kein Wort mehr.
So langten wir unten am Buchtstrande an,
schritten über die Laufplanke, und Li und Fu, Koch
und Steuermann, versorgten die Stewards mit einigen haltbaren Stricken und sperrten
diese Gäste vorn in die Segelkammer ein.
Jane durfte in die Heckkajüte, und mit einem
"Entschuldigen Sie meine Härte," nahm ich ihr den Flaschenriemen ab.
Sie war von grenzenlosem Hochmut auch jetzt
-, sie setzte sich in den einzigen Korbsessel und sagte nur: "Schicken sie
John nach Batimar zur Jacht... Unsere Pferde stehen
noch an der Südseite des Berges. John wird meinen Kammerdiener Aristide noch
einholen, hoffe ich, Aristide soll den Fennek zurückbringen..."
Ich stand so, daß ich durch die offene Tür
das Deck übersehen konnte...
"Hallo, Li!!"
Der Koch wackelte herbei.
"Li, bringe den Gefangenen herbei, der
John heißt - etwas fix, bitte!"
John kam, und die schöne eigenwillige Dame mußte
ihm ihre Wünsche vortragen. Ich fügte hinzu:
"Halt John - noch etwas... Solltet ihr
das Versteck des Schoners verraten, so seht ihr eure Hoheit nicht wieder! Merk
dir das, Bursche!"
"Sehr wohl, Sir..." Dieser John
hinkte noch immer stark.
Eversham hatte sich in die
Sofaecke gesetzt. Aber Jane Bellcastle erklärte, daß
sie unsere Gegenwart entbehren könne... "Verlassen Sie beide die Kajüte -
bitte!! Ihr Anblick langweilt mich... Wir haben uns nichts mehr zu
sagen..."
Von mir aus - ich war einverstanden, ich
winkte Eversham,
wortlos gingen wir an Deck, drückten die Tür zu und nahmen unter dem
Sonnensegel Platz. Der Schoner Astarte besaß zwei Bordstühle, und Eversham wählte bedächtig den bequemeren, hielt mir dann
sein Zigarettenetui hin und meine leise:
"Es ist das erste wirklich komische
Abenteuer, das ich erlebt habe, Mr. Lensen. - Bitte,
hier ist Feuer..."
"Danke... - Finden Sie es wirklich nur
komisch?!"
"Ja - wenn ich Sie und mich ausschalte,
das heißt, wenn die Dinge von einem Außenstehenden beurteilt werden könnten. Es
war sehr komisch, wie John und Jack in die Dornen flogen und wie Sie diese
Frau, die ungeheuer trainiert und kräftig ist, gleichfalls abfertigten. Ein
Dämpfer schadet ihr nichts..."
Alfred Eversham
betrachtete mich eingehend.
"Sie... sind ein Prachtkerl, Mr. Lensen!"
"Hm - wollen Sie mich anpumpen?"
"Nein. Aber warnen..."
"Wovor?!"
"Vor dieser Frau und..." er
zögerte... "und ihrem Haß..! Jane Bellcastle
haßt Sie aus irgendeinem Grunde."
"Da müssen Sie sich doch wohl irren,
Herr Doktor. Ich habe noch nie von ihr gehört, sie nie gesehen - bis heute.
Woher der Haß?!"
Er rauchte bedächtig, machte eine unbestimmte
Handbewegung und erwiderte: "Trotzdem kennt sie Sie sehr genau, Mr. Lensen, das ging aus der Szene von heute vormittag auf der
Jacht hervor, als sie mich bat, ihr zu helfen, Sie an Bord zu locken oder zu...
zwingen. Sie hatte einen längeren Jagdausflug unternommen, kehrte erst heute
früh nach Batimar zurück." Er zögerte
abermals... "Als ich mich weigerte, warf sie mich hinaus, verbot mir, an
Bord zu bleiben... Was sie von Gefühlen für Sie verriet, war... kalter Haß,
glauben Sie mir. Und noch eins: Kapitän Bolkund seine
Leute sitzen im Gefängnis, Jane hat sie angezeigt, Jane muß hier sehr viele
bezahlte Spione haben."
Ich setzte mich aufrecht...
"Bolk
verhaftet?"
"Es stimmt leider... Die alte
Jesuitenkirche ist jetzt Gefängnis geworden - ich wollte mir den uralten Bau
ansehen, der Herr Gefängnisdirektor zeigte mir gegen eine Fünfpfundnote seine
neuesten Pensionäre: Bolk und sechs Mann von der
Astarte! Er flüsterte mir noch zu, daß Peter Bolk
wegen Waffenschmuggels harte Strafe erhalten würde... Leider wüßte niemand, wo
der Schoner steckte..."
Ich war mit einem Male sehr nachdenklich geworden.
"Wie lange war denn Jane Bellcastle auf der Jagd?" fragte ich gespannt
"Etwa drei Wochen - mit eingeborenen
Führern - mit einer ganzen Karawane, die sie weiter im Innern in der Stadt Ali Baggo zusammengestellt hatte..."
Ich überlegte einiges, rechnete etwas,
verglich und fragte schließlich nach:
"Hat Jane Bellcastle
je die Namen Joicker, Mortison
und Petersen erwähnt?"
Eversham nickte eifrig:
"Aber natürlich... Das waren ja die Kerle, die sie hier auftrieb und die
die Jagdexpedition vorbereiten mußte..."
Ich pfiff leise durch die Zähne.
"So... so. - Und -- kennen Sie auch den
Namen Jan Terpe, Doktor?"
"Nein, Lensen,
den habe ich nie gehört"
Das war für mich eine große Enttäuschung. -
Steward John erschien am Ufer mit Fennek am Riemen.
Ihre Hoheit Jane Bellcastle
verließ gleich darauf die Astarte ohne jeden Gruß mit ihren beiden Getreuen,
nachdem sie ihr Wort verpfändet hatte, uns hier nicht weiter zu behelligen und
uns nicht zu verraten.
Ich glaubte damals, ich würde sie niemals
wiedersehen.
Es war der größte Irrtum, dem ich je
anheimgefallen war. -
Eversham blieb bei mir.
4. Kapitel
Die diebische Herzogin
...Wir schauten den dreien nach - Fennek saß auf meinem Schoße, seine Wiedersehensfreude
rührte mich, aber meine Gedanken hingen noch an Janes geschmeidiger Erscheinung.
"...Wenn sie sich nur nicht derart
schminken wollte!" sagte ich mehr für mich.
Eversham seufzte.
"Stimmt - aber sie muß es tun... Keine Heirat hat in London so viel
Sensation gemacht wie die des Herzogs mit dieser... "Farbigen" - so
schrieben die Zeitungen, obwohl Miß Jane reich genug war, sämtliche Schulden
seiner Hoheit zu bezahlen... Sie wurde dann Witwe, am Tage der Hochzeit, drei
Stunden nach der Trauung... Der Herzog, ein liebenswürdiger Nichtstuer,
verunglückte mit seinem Auto, als er seine Gattin zur Flitterwochenreise zum
Bahnhof abholen wollte - - sehr tragisch, sehr romantisch. Jane Pers, so hieß
sie vordem, soll die Tochter eines reichen Plantagenbesitzers und einer Javanerin
sein - soll - es wird bezweifelt, sogar der Name Pers soll nur erkauft sein -
niemand weiß Gewisses - Geld deckt alles zu... Sie lebte als Waise in London,
betreut von einer angeblichen Tante - sie hatte ungezählte Millionen, sie war
hübsch, sie zählte erst siebzehn, als sie den Antrag seiner Hoheit annahm - -
daß sie eine farbige Mutter gehabt, ist sicher, denn ihre Haut verrät es... Das
blonde Haar stammt von dem Vater, die
Glutaugen von der Mutter... Eine sehr schöne Frau, ohne Zweifel..."
Er seufzte abermals. "Und... das
Rätselhafte, Lensen," fuhr er dann fort,
"diese Frau reist nun seit drei Jahren andauernd mit ihrer Jacht von Hafen
zu Hafen, als ob sie irgend etwas sucht. Ich kam vor einem Jahr als Schiffsarzt
zu ihr..." Er hüstelte... "Und in diesem einen Jahr..."
Ich blickte ihn forschend an. "...haben
Sie sich verliebt, Doktor, gestehen Sie es nur!"
"Ich... hatte mich verliebt,"
erklärte er hart. "Das... war einmal, das schlug ich mir aus dem Sinn,
obgleich es mir sehr, sehr schwer wurde. Jane kann sehr liebenswürdig sein...
Ehrlich, Lensen: Diese Frau muß jeden fesseln! Sie
hat etwas unnennbar... Verwirrendes an sich..."
Meine Gedanken waren bereits wieder auf
anderen Fährten. Ich dachte an die blutigen Ereignisse im Reiche Patumengis - - das alles war nur mehr wie ein Traum - ich
schloß die Augen, und ich sah wieder die drei Toten in den Büschen liegen, sah
mich selbst, wie ich Petersens Brieftasche, Uhr, Medaillon und Seekarten zu mir
steckte...
"Eversham,"
fragte ich überstürzt, "hat Jane Bellcastle je
den Namen Malmotta vor Ihnen erwähnt, war sie mit der Jacht auch in der
Südsee?"
Der Doktor beugte sich weit vor...
"Malmotta?! Malmotta..?! Es klingt mir
so bekannt... Lassen Sie mich nachdenken. Jedenfalls - in der Südsee waren wir,
wir kamen vor zwei Monaten von den Samoa-Inseln zuerst nach dem Südriegel des
Roten Meeres, nach dem kanonengespickten Aden, dann nach Batimar
drüben. Hm - Malmotta?! Malmotta..?! - Halt, jetzt habe ich es. Jetzt steht mir
die nächtliche Szene deutlich vor Augen... Es war eine jener wundervollen
Tropennächte, windstill fast, wir befanden uns nördlich der Baker-Insel, jenes
weltfernen einsamen Eilandes, in einem Meeresteil also, den kaum je ein Schiff
besucht..."
"Schneller, Doktor, schneller..."
Ich fieberte. "Und da entdeckten sie ein in keine Seekarte eingezeichnetes
unbekanntes Inselchen?!" Ich dachte an John Friedrich Petersens, des Hamburgers,
vier Seekarten.
Alfred Eversham
blickte mich erstaun an. "Nein, davon ist keine Rede... Wir entdeckten
nichts, aber Jane stand gedankenverloren neben mir, Jane flüsterte mehrmals einen
Namen - ja, Malmotta! Nun weiß ich es, es war Malmotta! Aber woher kennen Sie
Malmotta?!"
Ich holte tief Atem. Ich war wiederum
enttäuscht worden. Ich hatte gehofft, der Lösung des Geheimnisses etwas näherzukommen.
Wieder nichts!!
Sollte ich mich Eversham
anvertrauen? - Ich kannte ihn erst
wenige Stunden, und das Leben, das ich führte, hat mich vorsichtig gemacht.
Sinnend strich ich über Fenneks
seidenweiches Rückenhaar. Er lag wieder in meinem Schoße, er ließ die Ohren spielen,
seine Augen wanderten dauernd vom Ufer zum Berge, vom Berge zum Ufer. Er war
noch erregt von der kurzen Gefangenschaft. Vielleicht hatte man ihn roh behandelt,
und dann schnappte er nach rohen Händen...
"Es soll eine Südseeinsel Malmotta
geben," warf ich scheinbar gleichgültig hin. "Ich glaube, Bolk sprach davon..." - Das war meine ganze Antwort.
Der sympathische Doktor nickte. "Mag
sein... Wer kennt alle diese Inselchen, diese Atolle, diese Ringinseln mit den
klaren Lagunen in der Mitte?!"
Meine Gedanken waren schon wieder anderswo...
Peter Bolk!! Er
durfte nicht dort in dem steinernen Kerker bleiben... Ich war ihm zu Dank
verpflichtet, ich war an seiner Seite durch die Steppe, durch Berge und öde
Sandstrecken geritten - mit ihm hatte ich den stets unsichtbaren heimtückischen
Gegnern standgehalten, mit ihm Durst und Hunger ertragen - und das kittet zusammen,
selbst wenn der Kamerad so verschlossen und schweigsam bleibt wie der Käpten.
"Bolk muß
befreit werden!" sagte ich zu Eversham. "Er
steht mir nahe, er..."
Der Doktor fiel mir ins Wort.
"Das ist lediglich eine Geldfrage, Lensen... Haben Sie Geld?"
"Nein, aber Gold."
"Noch besser," lachte er. "Der
Herr Gefängnisdirektor drüben in Batimar hat eine
offene Hand - zum Nehmen! Leider auch zum Festnehmen. Gingen Sie hin, würden
Sie Bolks Schicksal teilen. Auch sie stehen auf der
schwarzen Liste... Er deutete es an. - Ich möchte gern neutral bleiben."
Er überlegte.
",,,Ich habe mir in Batimar
einen Gaul gemietet und bin Jane Bellcastle
gefolgt," sagte er zögernd. "Der Gaul steht dort an der Ostseite der
Berge in einer Schlucht... Also - her mit dem Golde, Lensen!
Ich will! Aber meine Frage zuvor: Wohin segelt die Astarte, wenn der Käpten freikommt?"
"Nach der Südsee..!"
Sein frisches Gesicht wurde ernst.
"Genau wie die Jacht also! - Ich weiß es, die Herzogin will ebenfalls
wieder dorthin. - Holen Sie das Gold. Ich werde von mir aus noch ein paar Geldlappen
hinzufügen, denn... ich bin reich, Lensen, fast
lächerlich reich... Wir Evershams brauchen nichts zu
verdienen, mein Studium, mein Doktortitel - - Laune, halb Neigung, und meine
Stellung als Schiffsarzt bei Jane... leider nicht nur Laune, sondern Zwang des
Herzens. Mein 'Gehalt' überweise ich stets einer Armenkasse - jetzt soll Janes
Geld, das sie mir heute als Abfindung zahlte, dem Käpten
nebst Anhang die Türen öffnen.. Ich mache das Spiel mit, Lensen
- ich wittere hier Geheimnisse, und den Engländer möchte ich sehen, der nicht
schon aus Sport einem Geheimnis auf den Grund gehen will. Wir sind nicht nur
Krämer, wir waren allzeit Abenteurer, und gerade das hat uns die halbe Welt
erobern helfen. Holen Sie das Zeug!"
Ich ging in die Kajüte und zog die Tür zu.
Ich kannte Bolks Tresor seit der verflossenen Nacht.
Er hatte ihn mir gezeigt, als er mit den Seinen nach Batimar
aufbrach. "Olaf," hatte er gesagt, "es kann sein, daß man uns
dort schnappt... Sparen Sie in diesem Falle nicht. Hier ist mein Banksafe..."
Mitten durch die Heckkajüte lief der
Unterteil des Treibers, des hinteren kleinen Mastes. Der Mast war hier mit
dünnen Eisenplatten benagelt und grün gestrichen. Eine der untersten Platten
ließ sich verschieben. In dem Loche dahinter lagen Lederbeutel. All das Gold
stammte von Patumengi: Zahlung für die Waffen! Wo die Doko
ihre Goldquelle gehabt, wußte ich nicht. - Das wußte ich: In diesem tiefen
Versteck, das bis in den Laderaum hinabging, ruhte ein großes Vermögen, und
den Treiber hatte der schlaue Käpten nur einsetzen lassen, weil er eben einen
"Safe" brauchte.
Dumm war Peter Bolk
nicht.
Ich nahm einen Beutel, wog ihn in der Hand.
Er würde genügen!
Eversham verabschiedete sich.
"Ich befingere die Sache schon, Lensen... Keine
Sorge! Nachts sind die sieben Leute frei, und dann gehen wir sofort in
See. Mein Gepäck bringe ich mit."
Er drückte mir die Hand - er war ein Mann nach
meinem Geschmack. Er redete nicht viel... Er handelte.
Ich schickte den Steuermann Fu, der am Kinn einen Bart wie einen alten Besen trug, auf
den Berg. "Fu, du nimmst das Fernrohr mit... Beobachte
gen Batimar.
Er verstand mich. Seine Faulheit wurde zu überraschender
Beweglichkeit. Bolk hielt auf ihn große Stücke. Wohl
mit Recht. Alle Leute des Käptens waren sorgfältig
ausgewählt. Ich kannte sie bisher nur flüchtig, aber es mochte schon sein, daß
sie für den alten Mann durchs Feuer gingen.
Li, ein schmächtiges Kerlchen, wirtschaftet
vorn in der Kombüse herum, klappert mit Töpfen, pfeift dazu sehr falsch den
Sternenbanner-Marsch. Er wird mir wohl das Abendessen herrichten... Meine
Zigarren raucht er auch.
Nun sitze ich also wieder am Tisch in der
Kajüte vor meinen papierenen intimsten Vertrauten und überfliege die Einleitung
zu "Malmotta, das Unbekannte"...
Mein würdiger Lehrer am Göteburger
Gymnasium - Friede seiner Asche, er starb nicht am Wasser - würde krähend
gesagt haben: "Abelsen, Ihr Aufsatz über ein freies Thema ist mangelhaft...
Abelsen, es heißt Malmotta, das unbekannte - unbekannte also klein
geschrieben." Und ich würde sagen: "Es heißt 'Unbekannte', groß
geschrieben, denn hier soll 'Unbekannte' gar nicht zu Malmotta gehören, sondern
einen Begriff für sich bilden."
...Ich schreibe also wieder... Lis Sternenmarsch stört mich nicht, auch Fennek nicht, der Fliegen fängt.
Es ist sehr heiß. Sehr. Das Rote Meer und
seine Küstenstriche sind verrufen. In der prallen Sonne werden Eier allzu schnell ausgebrütet. Sie stinken
dann. Aber Li ißt sie. Käse ißt er nicht.
...Meiner Zigarre Wölklein
sind die einzigen Wolken weit und breit. Li kocht auf Spiritus. Rauch könnte
uns verraten.
Ich werde nun das nachholen, was ich bisher
überging: Bolks und meinen Ritt zur Küste.
Patumengi wurde der Abschied sehr schwer. Er
begleitete uns noch bis in jenes Felsental, wo der Käpten die Lastkamele versteckt hatte, die die Waffen
hatten tragen müssen.
Die Steppe war feucht vom nächtlichen
Regen. Die Sonne brach durch den Dunst,
und in den Gräsern funkelten nasse Diamanten... Einzelne Antilopen gingen vor
uns flüchtig hoch. Gazellen hoben nur die Köpfe, windeten...
Ich war mißtrauisch, vorsichtig. Jan Terpe konnte sehr wohl irgendwo uns auflauern.
Der uralte Patu
begann plötzlich ganz von selbst über den Flüchtling zu sprechen.
"Wenn er das Versteck deiner Lasttiere
kennt, o Sohn des Meeres, wird er ein Dromedar rauben. Sein Pferd und seine
Waffen mußte er zurücklassen - trotzdem, hüte dich vor ihm. Die Steppe ist
unsicher, meldeten unsere Späher und Posten. Sie fanden verwaschene Fährten in
steinigen Bächen, und die Vogelscharen und das Wild sollen unruhiger als sonst
sein."
Ebenso unvermittelt wandte sich der Zwergenkönig an mich: "Olaf, was sprachst du mit dem
Fremden?!" Es lag keine Schärfe in dem Ton seiner stets etwas schrillen
Stimme, es lag kein Vorwurf darin.
Er schaute mir in die Augen, und ich
erwiderte das, was ich zu sagen hatte. "Ich fürchtete, ihr würdet ihn
töten, Patumengi. Er haßt den Käpten, das merkte ich.
Dann hörte ich euch zurückkehren, er stahl mein Messer und floh."
"Wir wußten es," nickte der greise Bolk und deutete vorwärts. "Hinter jenem Waldstreifen
liegt das Tal. - Ich möchte wissen, wer der Mann wirklich war... Ich sah ihn
niemals vordem. Zu den dreien die mir auflauerten und die mit ihrem Leben zahlten, gehörte er doch wohl
kaum."
"Er nannte sich Jan Terpe,"
erklärte ich wieder. "Vielleicht hätte er mir mehr anvertraut, wenn ich
häufiger mit ihm zusammengewesen wäre. Er war sehr jung..."
Peter Bolk änderte
die Richtung. - Wer ihn so schlaff im Dromedarsattel hängen sah, hätte in ihm
nie jene zähe Kraftentwicklung und Behendigkeit vermutet, die trotz seiner
Jahre ihm eigen geblieben. "Reiten wir mehr nach Westen," sagte er
mit seiner matten Stimme. Diese Stimme verstärkte nur den Eindruck tiefster
Melancholie, die auf ihm lastete wie ein trübes beklemmendes Rätsel.
So war Peter Bolk.
Wir trabten eiliger dahin, bogen um das
Waldstück und sahen die Reihe kahler zerrissener Felshügel vor uns.
Ich war neugierig auf Bolks
Versteck. Fünf Lastkamele zu verbergen - so zu verbergen, daß sie Nahrung und
Wasser fanden und doch vor Raubwild sicher waren - - das Tal mußte seine
Besonderheiten haben!
Wir hielten vor einer glatten, hohen
Felswand. Ringsum lag Steingeröll, einzelne Blöcke - von einem Eingang war
nichts zu sehen.
Patumengi trieb sein Tier ganz dicht an die
Felswand, stellte sich im Sattel aufrecht und ergriff eine armdicke Liane, die
weiter oben Wurzel geschlagen hatte und wie ein rotes Tau mit ihren kleinen
Blüten senkrecht herabhing. An diesem Tau klomm der alte Patu
flink empor, verschwand in einer Spalte, und Peter Bolk
winkte mir...
"Mehr zurück, Abelsen... Das Tor schlägt
nach außen..."
Ein
Teil der Wand drehte sich.
Das, was der Käpten
so nichtssagend mit "Tal" bezeichnet hatte, war ein Abgrund mit
senkrechten Wänden, dessen Boden in grasreichen Terrassen nach Norden bis zu
einem kleinen Bächlein abfiel, das aus dem Gestein hervortrat und im Gestein
wieder verschwand.
Hier weideten Tiere, hier konnte selbst ein
Leopard nicht gelangen.
Die Südseite des fast viereckigen Tales lag
im Schatten, die anderen Seite lagen im grellen Sonnenlicht da. Ich bemerkte
zwei Bambushütten, daneben ein großes Schöpfrad und eine durch Balken gestützte Rinne, deren Ende über einem
Holzbottich lag. Neben diesem sah ich Haufen von grobem Sand.
"Goldwäscherei!" dachte ich. Aber
ich sagte nichts, und Patumengi hatte es auch sehr eilig, wieder ins Freie zu
kommen. Vielleicht sollte ich nicht zu viel sehen.
Wir sattelten die Tiere, banden sie
aneinander, führten sie hinaus - das Tor schloß sich, und ich habe diesen Platz
nie mehr betreten.
Patus Abschied von uns war
kennzeichnend für die reiche Seele des winzigen Oberhäuptlings der Doko. Wiederum sprach er die Worte, die schon einmal über
seine Lippen gekommen waren.
"...Mein Herz wird leer werden, aber ich
lasse euch gern ziehen. Möget ihr finden, wonach ihr verlangt, ein jeder das,
was ihm am wertvollsten."
Seine kleine runzlige Hand ruhte lange in der
meinen. "Olaf, du bist in vielem erfahrener als Peter Bolk...
Halte die Augen offen! Und wenn ihr auf dem großen Meere schwimmt, das ich nur
dreimal gesehen habe, dann vergeßt nicht den, der euer Freund bleibt. Solltet
ihr je eine Stätte suchen, wo ihr allzeit willkommen seid - ihr kennt
sie!"
Selbst meinen Fennek
streichelte er noch. Dann trat er mit dem Käpten
abseits, und Peter Bolks Augen wurden feucht.
Noch lange sahen wir dem grellbunten
Federkopfputz des alten Patu und seine winkende Hand.
Nicht lange mehr, und wir spürten die Feinde.
Ich mied buschreiche Strecken, aber schon nach einer Stunde pfiffen uns von
einer steinigen Kuppe urplötzlich Kugeln um die Ohren...
So fing dieser Ritt zur Küste an - ein
dauerndes Geplänkel mit einem zähen unsichtbaren Gegner, mit Leuten, die offenbar
unter einem sehr schlauen Führer standen. Nur zweimal glaubte ich bei
nächtlichen Angriffen im Mondschein Jan Terpes
schlanke Gestalt zu erkennen - glaubte! Ich hätte es nicht beschwören können.
Wir wurden gehetzt, bedrängt - und wäre ich
nicht Coys Schüler gewesen, erfahren in allen Listen
und Schlichen - unsere Gebeine bleichten sicherlich irgendwo im Sande der Wildnis.
Dreimal hatten sie uns nachts eingekreist -
aber unsere Kugeln verscheuchten sie... Einmal brannte ringsum die ausgedörrte
Steppe - nichts ließen sie unversucht - hinter alledem steckte ein unheimlicher
Vernichtungswille.
Das wollte ich nachholen in diesen Blättern.
Ich glaubte Jan Terpe zu erkennen...
Daß er's gewesen, dessen Haß vor nichts
zurückschreckte, erfuhr ich erst später.
...So kamen wir auf dem Schoner an - halbtot,
übermüdet, nachdem wir die Bande endlich abgeschüttelt hatten.
Und all das - - um Malmotta, das Unbekannte.
- -
Li bringt mir das Essen... Ich werde die
Blätter wegpacken in meinen praktischen Lederrucksack...
Ich packe sie weg...
Und da erst stutze ich...
Aus einer Ecke des Sackes sind John Friedrich
Petersens Sachen verschwunden - alles: Uhr, Brieftasche, Medaillon, die vier
Karten!
Jetzt weiß ich, weshalb Jane Bellcastle uns so hochmütig aus der Kajüte wies.
Sie stahl diese Dinge... Weshalb?!
5. Kapitel
Die Haifische kommen
...Die Nacht ist da. Ich war mit Fennek am Ufer des Flüßchens, und wir sind durch Gestrüpp
und über Felsen bis zur Mündung vorgedrungen, haben, da es Ebbezeit war und ein
breiter Steg von Korallenriffen freilag, auf diesem zackigen Pfade uns weit
hinausgewagt und allerlei Wassergetier, das in kleinen Löchern noch
umherplätscherte, beobachtet. Fennek hat Krebse und
seltsame schleimige Gebilde mißtrauisch beschnuppert und nichts davon gegessen.
Weshalb man diesen mörderisch heißen
Meeresbusen, der die Halbinsel Arabien von Afrika trennt, ausgerechnet Rotes
Meer benannt hat (die Wasserfarbe ist blaugrün), weiß so recht niemand. Man hätte
es besser Korallenmeer nennen sollen, denn die öden Ufer, über denen beständig
eine drückende trockene Hitze lastet, schicken oft meilenweit ihre gefährlich
Ausläufer der kalkerzeugenden Korallentierchen in die Flut hinein, und sich
zwischen diesen heimtückischen Kalkinseln und -Streifen hindurchzufinden,
bedarf schon der Ortskenntnisse eines eingeborenen Lotsen. Die großen
Seedampfer halten sich daher auch stets in der Mitte dieses vielbesuchten Durchgangsweges
nach Ostasien, nur Küstensegler wagen es, bei Nacht die kleineren, gleichsam
verbarrikadierten Häfen anzulaufen.
Daß das Rote Meer auch jene seltene Art von
Korallenbauten aufzuweisen hat, die bei Dunkelheit ein fahlgrünes Licht
ausstrahlen, davon konnte ich mich jetzt selbst überzeugen. Während dicht vor
meinen Füßen die auslaufenden Wellen plätscherten und Fennek,
sehr wasserscheu, ihnen tänzelnd auswich und sich ängstlich an meine Stiefeln
schmiegte, erblickte ich vor mir in den Tiefen des Wassers helle Streifen und
Zacken, die dauernd ihre Form änderten, je nachdem ein Wellenberg das Licht
stärker oder schwächer brach.
Es war ein wunderschönes Bild - noch schöner
unter diesem sternenübersäten Nachthimmel, noch eigenartiger durch das
Aufblitzen der Laternen waghalsiger Schiffer, die zwischen den Reihen der Riffe
ihre seltsamen arabischen Fahrzeuge tapfer gen Batimar
steuerten. Die Rufe der Leute erklangen wie Geisterstimmen, die Ungewißheit der
Konturen der Fahrzeuge, dazu die grünlichen Striche der leuchtenden
Unterseebänke, das verschlafene Geschrei von Wasservögeln, das Knarren von
Masten und Rahen - welch ein greller Kontrast zu der Umgebung, an die ich nun
monatelang gewöhnt gewesen - zur afrikanischen Steppe, zu den Gebirgsmassen
Abessiniens, zu dem anderen Zauber jener Savannen, in denen Löwe, Nashorn, Antilope
die Landschaft belebt hatten!
Ich wollte umkehren...
Hier von der Flut überrascht werden - das
wäre eine böse Flucht vor den steigenden Wassermassen geworden!
- Wollte... An mein Ohr drang da das
auffällige gleichmäßige Puffen eines kleinen Motors - von rechts her, und dort
lag Batimar, dort ankerte der Star of London hinter
einer dicken Riffbarriere! - Ein Motorboot?! Sollte Jane Bellcastle
ihr Wort doch nicht halten und dem verübten Diebstahl noch ein neues, schäbigeres
Verbrechen hinzufügen wollen?!
Ich horchte... Zu sehen war noch nichts.
Das Puffen kam näher, und aus der milchigen
Dämmerung löste sich ein kleiner Bootskörper, eine kleine Pinasse, hell gestrichen,
vorn gedeckt, schlank in den Linien.
Zweifellos eins der Rettungsboote der großen
Luxusjacht.
Ich kehrte um, ich lief, sprang, duckte mich,
erreichte das feste Gestade, erreichte den Schoner, wo der hagere Li faul an
der Reling lehnte und an seiner Pfeife sog.
"Li, man will uns entern!" erklärte
ich etwas atemlos...
Li fletsche die gelben Zähne im Sternenlicht.
"Wer, Mr. Abelsen?!"
"Leute der Jacht..."
Der Chinese spuckte verächtlich ins Wasser.
"Wir haben Waffen..!
"Und wir dürfen nicht schießen,"
betonte ich. "Der Wind würde den Schall bis Batimar
tragen, und der Käpten warnte uns!
Li dachte nach. Ich war neugierig, was er
verschlagen würde. Wir waren jetzt nur zwei Mann an Bord, und für den immerhin
dreißig Meter langen Schoner war das dann doch etwas wenig. -
Mein Entschluß stand bereits fest. Möglich
daß Li auf einen noch besseren Gedanken kam. Er war auf dem Wasser groß
geworden, die Sonne aller Erdteile hatte ihn ausgedörrt, und ein halbes
Menschenleben als Seefahrer häufte eine Menge Erinnerungen an, zumal wenn man
wie Li sicherlich auch auf Schmuggler- und Piratenschiffen Dienst getan hat.
Er sagte bedächtig: "Die Spritze, Mr.
Abelsen. Wir haben unten im Raum noch ein Fäßchen Farbe, die so schlecht ist,
daß sie nicht trocknet, schöne hellgrüne Ölfarbe, aber Dreck... Und die Spritze
läßt sich an den Motor anschließen, Mr. Abelsen. Das hat der Käpten so in Bombay herrichten lassen. - Wie wär es damit? Das Faß bringen wir nach oben, und wenn Sie
mir ein Zeichen geben, lasse ich den Motor an, und Sie handhaben das Stahlrohr
des Schlauches... Wer die Soße im Gesicht hat, sieht eine Stunde nichts."
Wir holten das Faß. Aber wir machten auch den
Schoner vom Ufer los und ließen ihn nur mit einer langen Leine vertäut, so daß
die Strömung ihn mitten in den Fluß drückte.
Ich stand am Heck und wartete. Ich horchte -
horchte... Kein Laut... Nur das Murmeln des Wassers und Li leises Pfeifen unten
im Maschinenraum - was sich hier so Maschinenraum nannte.
Es war dabei so hell, daß ich sogar einen
einzigen Kahn bemerkt hätte... - Wo blieb also die Pinasse?!
Ich wurde etwas nervös... Ich witterte
geradezu einen hinterlistigen Streich. Ich ließ die Augen umherschweifen, musterte
die buschreichen Uferpartien - horchte wieder..!
Es mochte jetzt zehn Uhr sein.
Die Mondsichel stieg empor, sie war klar
umrissen wie aus Silberpapier geschnitten und mitten unter die Sterne geklebt.
Auch nicht ein Lufthauch war zu spüren. Das Hemd klebte mir am Leibe, die
Trockenheit der Luft förderte noch die Schweißabsonderung, und unwillkürlich
schob ich den breiten Strohhut tiefer in den Nacken.
Auf einsamem Posten. Wie oft schon hatte ich
mich in ähnlicher Lage befunden! Zu oft, um dieser Stille ringsum zu trauen.
Fennek lag zu meinen Füßen.
Lis reichliches Abendessen hatte ihn faul gemacht. Er
schlief.
Ich stieß ihn leise an - sofort war er auf
den Beinen, ein lockendes Schnalzen mit der Zunge, und er sprang an mir empor,
mir in den Arm wie eine Feder, ich setzte ihn auf die Reling...
"Achtung, Mukki!!"
Seine Ohren spielten, sein spitzes
Schnäuzchen wandte sich hierhin, dorthin - dann starrte er mit gesenktem Kopf
in das Wasser hinab...
Also so war es gemeint!!
Ich mußte lächeln...
Der Trick war zu alt...
Kein Grasbündel schwimmt gegen die Strömung.
Hoheit, eure Kerle sind blutige Anfänger..!
Fünf Krautbüschel - fünf Köpfe---
Ich riß an der langen Schnur, die wir nach
unten bis zu Li gespannt hatten...
Aus dem Stahlrohr schoß eine klebrige Masse
heraus - der Motor ratterte - unten im Wasser spritzte die Ölfarbe sausend auf
"harmlose" Grasbüschel...
Viel Vergnügen, Hoheit!!
Die Büschel trieben plötzlich mit der Strömung
dem Meere wieder zu... So eine Spritze, auch zum Deckwaschen sehr geeignet, hat
einige Kraft, und daß die fünf Kerle verkleisterte Augen hatten, darauf hätte
ich schwören mögen.
Ich ruckte abermals an der Schnur - Li
tauchte auf, der Motor schwieg, die Spritze tropfte nur noch.
"Mr. Abelsen - waren sie hier?"
fragte der Chinese feixend.
"Mach die Leine los... Die Brüder fangen
wir... Dann an den Motor, Li - gut
aufpassen.!"
Das Programm hätte vielleicht glatt erledigt
werden können, wenn nicht vom Südufer eine Stimme uns angerufen haben würde.
"Hallo! Hier Bolk!
Schicken Sie das Boot, Olaf!"
Das kleinere Boot war am Heck vertäut. Li
kletterte geschwind hinein und ruderte hinüber. Es faßte gerade die acht Mann
und Doktor Alfred Evershams Gepäck.
Peter Bolk stand
vor mir - lang, hager weißbärtig - drückte mir die Hand... "Da sind wir
wieder!"
"Ja - und da sind auch andere, Käpten..." Ich erzählte.
Eversham schüttelte den Kopf.
"Ausgeschlossen, daß das eine Pinasse von der Jacht war - Jane hält ihr
Wort!"
"Scheint nicht so, Doktor..." aber
diese Frage war jetzt zu nebensächlich.
"Wir müssen verschwinden," meine
der Käpten achselzuckend. "Die Flut hat bereits
eingesetzt - in zehn Minuten schwimmen wir auf offenem Wasser, ich kenne
draußen jede Korallenbank. Vorwärts Boys - rum mit dem Kahn, dann halbe Kraft
voraus..."
Die Leute zerstreuten sich. Eversham und ich ruderten ans Ufer und erkletterten den
Berg, pfiffen nach Fu, eilten mit ihm zurück, waren
wieder an Bord. Der Doktor hatte nur kurz angedeutet, wie die Geschichte mit
dem Herrn Gefängnisdirektor abgelaufen war. Der Mann mit der offenen Hand hatte
sich schlau den Rücken gedeckt, und ein paar Feilen und eine betrunkene Wache
hatten dabei auch eine Rolle gespielt.
Nun, als wir beobachteten, wie Bolk seine Astarte geschickt dem Meere zusteuerte, kam Eversham doch wieder auf Jane zu sprechen. "Ich kenne
sie besser," verteidigte er sie. "Sie würde niemals eine Zusage
irgendwie umgehen, Abelsen."
"Die Tatsachen reden anders,"
meinte ich nur. "Nachher können Sie das lesen, was als Vorgeschichte
unserer Bekanntschaft zu bewerten ist, Doktor... Sie werden staunen, Ihre Hoheit
Jane Bellcastle hat ihre Jagdexpedition aus den
übelsten Strauchdieben aus Ali Baggo zusammengestellt
gehabt und hat nicht Tiere, sondern Menschen gehetzt, und ihr Hauptgehilfe
dabei war ein gewisser Terpe, nach dem ich Sie schon
fragte, und die Gehetzten waren Bolk und ich... So
liegt die Sache, Doktor. Wenn Sie dann noch hinzuaddieren, daß Ihre Hoheit Sie
wegjagte, weil Sie ein zu anständiger Kerl sind, und wenn Sie weiter zu Janes
Lasten schreiben, daß sie mir meinen Mukki stahl und so eine Art Banditenoper
aufführte und nachher hier an Bord aus meinem Rucksack verschiedene Dinge
mitgehen hieß - was kommt dann als Charakterbild heraus?! - Ich danke!"
Eversham starrte mich groß
an.
"Sie nahm etwas mit?!"
"Ja... Aber das können sie alles lesen.
Ich führe Tagebuch... so zu meiner Kurzweil. Es wird Sie interessieren, denke
ich. Sie stahl mir Andenken an einen Toten, den Bolk
etwas vorschnell mit niederknallte - Petersen hieß der Mann, und er war
Stammgast in Batimars übelsten Spelunken, vielleicht
war er nicht ganz gesunken... eine dunkle Frage neben vielen anderen..."
Der Schoner schlängelte sich bereits
vorsichtig durch die Riffe. Von der Pinasse war nichts mehr zu sehen.
Peter Bolk stand
unweit von uns am Steuer, neben ihm Fu, an der Reling vorn ein brauner schmalschultriger Kanake,
der die Fahrrinne beobachtete und Zeichen gab.
Bolk hatte das meiste mit
angehört. Er kannte den Inhalt von Petersens Brieftasche, er kannte die Karten
das Medaillon, die Uhr...
"Gut, daß das Zeug von Brod ist,"
meinte er brummig. "Hatte doch keinen Wert... Jane Bellcastle
mag es sich sauer kochen - der Henker hole alle Weiber!!"
Der Kanake vorne rief schrill: "Stopp -
- ein Mann!! Stopp!!"
Wir beugten uns weit über die Reling.
Auf einer der letzten Korallenzacken, die von
der steigenden Flut noch nicht überspült war, stand ein halbnackter Mensch...
Er stand nach vorn gelehnt und stützte sich schwer auf eine Stange, es konnte
ein Bootshaken sein... Daß er bereits mit seinen Kräften am Ende war, bewiesen
sein häufiges Schwanken, seine schlaffe Kopfhaltung, das Einknicken seiner
Beine...
Jeden Augenblick konnte er abrutschen - er
mußte verwundet sein - sank er in die Tiefe, dann war er auch verloren, denn
gerade hier in den äußeren Riffreihen hatten die Haie ihr Jagdgebiet, und aus
der vielgestaltigen Familie dieser Meereshyänen ist es hauptsächlich der bis zu
neun Meter lange Jonashai, der in alle warmen Meeren das flachere Wasser
bevorzugt und gerade deshalb Fischern und Badenden so überaus gefährlich wird.
Im allgemeinen sind gerade über die Haifische
recht irrtümliche Vorstellungen verbreitet. Ich habe noch später mit Käpten Bolk häufig über dieses
Thema gesprochen, ihm verdanke ich meine Kenntnis über diese Fischgattung, die
zu den ältesten der Erde gehört. Hier interessieren lediglich die Menschenhaie,
das heißt jene spindelförmigen Ungeheuer, die den Menschen mit äußerster
Frechheit angreifen - zu ihnen rechnet man den Blauhai und den Jonashai,
ersterer nur vier bis fünf Meter lang, jedoch im Mittelländischen Meer noch
sehr zahlreich. Weit gefürchteter ist der Jonashai - völlig harmlos ist merkwürdigerweise
die längste dieser Bestien, der im Eismeer vorkommende Riesenhai, von den
Menschenhaien schon durch die kurze Schnauze scharf getrennt.
Was sonst noch zu dieser unangenehmen Familie
zählt, sind kleinere Geschöpfe bis zu ein Meter Länge, die niemandem etwas
zuleide tun, die nur gefräßige Fischräuber und Netzplünderer sind. Aber die
anderen, die Carcharidae, die Menschenhaie - in jedem
Seeroman spielen sie eine Rolle - vielleicht mit Recht. Daß sie lebendige Junge
gebären oder Eier in Form von vierzipfligen Hornkapseln legen (sogenannte
Seemäuse), auch das war mir neu. Daß
ihre mehrfachen Reihen von Zähnen niemals im Kiefer sitzen, sondern nur am
Gaumen angewachsen sind - - dem Durchschnittgebildeten wohl auch eine Überraschung!
Mit dem schönen Märchen, daß ein Haifischkinnbacken sich als Säge benutzen
läßt, ist es also nicht weit her.
Gewiß, beim lebenden Hai können diese
Zahnreihen, oft vier nebeneinander, beim Zuschnappen entsetzliche Wunden verursachen
- aber kein Hai vermag durch einen Biß ein Glied, etwa einen menschlichen Fuß,
glatt vom Körper zu trennen. Und dann: Die Menschenhaie haben Augenlider! Sie
sind also imstande, die Augen zu schließen - schon dies gibt ihnen in der
großen Familie der Fische eine besondere Stellung. Daß ihre körnige Haut als
Handelsartikel ebenso begehrt ist wie ihre tranreichen
Lebern, daß schließlich der Hai seines tiefgelegenen Maules wegen sich beim
Zuschnappen halb drehen muß, dürfte bekannt sein.
"Jonashaie zwischen den Riffen..!"
Peter Bolk deutete
schräg in die Tiefe...
An den grünleuchtenden Korallenwänden
schossen lange dunkle Schatten dahin...
"Haifische!" brüllte der Käpten... "Runter mit dem Boot! Der Mann ist erledigt,
wenn er ins Wasser gleitet..."
Im Nu war das kleine Boot ausgeschwungen, im
Nu saßen Eversham, der Kanake Matauo
und ich auf den Bänken... Zwei Riffreihen trennten uns von dem Fremden - das
Boot schrammte über Korallen hinweg - Matauo ruderte
wie besessen - Eversham hielt eine Harpune in der
Hand, ich verließ mich mehr auf das neue Jagdmesser, das Käpten
Bolk mir gespendet hatte, ein langes, breites, arabisches
Messer mit leicht gebogener Klinge... Ich rief dem Manne aufmunternd zu... Er
hob kaum den Kopf, er schwankte immer bedenklicher...
"Aristide!" schrie Eversham da... "Es ist Aristide d'Oly,
der Kammerdiener Janes - - da - er blutet, seine Jacke ist zerfetzt - -
Aristide, wir kommen!"
Aber der Franzose Aristide hörte das nicht
mehr...
Seine Kräfte hatten versagt - er sank nach
hinten über, klatschte ins Wasser...
Mit langem Sprung schoß ich über Bord - ich
bekam ihn noch zu packen, doch einer der Haie war ebenso flink gewesen...
Ich sah das Untier, ich tauchte, ich sah den
offenen Rachen der Bestie - mein Messer fuhr blitzschnell über die Kehle hin...
dann wurde ich zurückgerissen, taumelte über den Bootsrand, neben mir sackte
Aristide zusammen, und vor uns fuhr der Schädel des Ungeheuers hoch - - wohl
zwei Meter über die Wasseroberfläche - - ein dicker Strahl Blut fegte uns in
die Gesichter - dann fiel der Hai zurück, seine wütenden Schwanzschläge warfen
unser Boot zur Seite - - in der Tiefe der Riffe kam der letzte Akt des Dramas:
das wunde Tier ward Beute der übrigen - wir beobachteten dieses Todesringen
nicht mehr, wir hatten einen Sterbenden unter uns...
Quer über Aristides dunklem Kopf klaffte eine
entsetzliche Wunde.
6. Kapitel
Am Golf von Bengalen
...Das alles liegt nun acht Tage zurück, aber
Aristide d'Oly ist noch immer nicht erwacht, kämpft
noch immer mit dem Sensenmann, wird gehegt und gepflegt, Eversham
weicht kaum von seinem Lager. Nachts wachen wir abwechselnd. Aristide darf
nicht sterben, nur Aristide kann uns das erklären, was sich zwei Tage nach
jener Nacht ereignete - was uns drei Leute kostete. Li ist tot, auch tot. Armer
Li. Der neue Koch leistet nichts...
Es ist Nacht - nachts halb eins... Der
Schoner nähert sich dem Bengalischen Meerbusen - wir haben guten Wind gehabt,
schnelle Fahrt gemacht. Ceylon liegt hinter uns, in der PalckStreet
überraschte uns ein Orkan, und der Treiber ging über Bord. Wir haben ihn wieder
aufgefischt, ausgeflickt und verkürzt.
Es ist die Nacht meiner Wache bei Aristide.
Er liegt in der Kammer neben der Heckkajüte, ein schmaler Tisch steht an der
Wand, davor sitze ich bei halbverhüllter Lampe und habe all das in diesen
Blättern nachgetragen, was erwähnenswert war. Auf dem Stuhl neben mir ruht ein
gelbliches Fellbündel - aufgerollt heißt es Mukki und ist ein Fennek.
Armer Li. Armer Fennek.
Li büßte bei dem nächtlichen Kampf das Leben
ein, Mukki ein Stück seines linken Ohres. Aber Li leidet nicht mehr, nie mehr
an Seekrankheit, während Mukki sich bei starker Brise verkriecht und jede
Nahrung verweigert. Ich glaube, er wird sich mit dem Meere nie aussöhnen, er
leidet an Heimweh nach den Sandwüsten seiner Heimat, er ist mürrisch und träge,
und er wird, fürchte ich, Malmotta niemals sehen... er wird an Sehnsucht
sterben, und dann werde ich wieder ganz arm und einsam sein.
Ich sitze und rauche kalt. Ich sauge an der
Zigarre, die nicht brennt, und ich spüre den vielen Fragen nach, die immer noch
ungelöst sind.
Malmotta?!
Insel?! - Ja. - aber sonst?!..: Das
Unbekannte!!
Peter Bolk schweigt
nach wie vor. Wenn er einmal seine Anfälle bekommt, dann redet er in genau so
unklaren Andeutungen wie damals im Reiche Patumengis.
Zuweilen hier an Bord habe ich ihn allen Ernstes für geistesgestört gehalten.
Einmal, als es um Aristide d'Oly am schlechtesten
stand und der Arme wild phantasierte und dabei flehend urplötzlich das Wort
"Tubana" gellend mehrmals hervorstieß,
wurde der Kapitän, der uns half den Tobenden festzuhalten, kreidebleich,
taumelte zurück und rannte wie ein Verrückter aus der Kammer.
Nachher fand ich ihn weinend an der Reling.
Er schluchzte wie ein Kind, aber all meine zarten Ermahnungen, mir doch endlich
die Wahrheit anzuvertrauen, blieben ergebnislos, er wies mich fast grob ab,
entschuldigte sich freilich am nächsten Tage bei mir und redete verlegen von
seinen angegriffenen Nerven.
Und noch etwas: Peter Bolk
ist weit jünger, als ich es je ahnte! Seinem Äußeren nach könnte er siebzig
sein. Aber in seinen Papieren, die mir zufällig in die Hände gerieten, auch in
seinem Kapitänspatent, steht als Geburtsdatum der 1.7.1878 angegeben.
[Die Erstauflage dieses Buches erschien 1930
in Berlin].
Er ist noch nicht fünfzig.
Ich habe ihn dieserhalb nie befragt, nie ausgeforscht.
...Meine Gedanken eilen sprunghaft, und die
Feder folgt ihnen getreulich. Ich hätte diese Dinge besser der Reihe nach anführen
sollen.
Hinter mir atmet Aristide auf seinem
Schmerzenslager schwer und keuchend. Sein Gesicht ist voller Bartstoppeln, eingefallen,
fahl, gelb. Die Schläfen sind eingesunken, aber Eversham
hofft ihn durchzubringen.
Der Schoner Astarte gleitet still durch die
langen Wogen des Ozeans, dem man hier den unpassenden Namen eines Meerbusens
von Bengalen gegeben hat. Ein Meerbusen zwischen Vorder- und Hinterindien?!
Nein - ein Meer für sich, vielleicht ein Teil des Indischen Ozeans! Wozu
verkleinern die Geographen das Große in so unsinniger Art?! Weshalb reden sie
anderswo von dem "Stillen Ozean?"! Als ob dieses Weltenmeer besonders
friedlich wäre?!
...Wir hatten also damals Aristide an Bord
gebracht, der Doktor hatte ihn verbunden, wie segelten eilends davon - zwei
Tage geschah nichts...
Dann kam jene andere Nacht.
Es war weit jenseits Adens, jenseits aller
Küstenstriche Asiens oder Afrikas auf offener See. Es war elf Uhr. Eversham wachte bei Aristide, und ich war mit dem Käpten an Deck, wir lehnten an der Kajütwand, wir
beobachteten die Positionslichter eines
Dampfers, der denselben Kurs hielt.
"...Er rückt auf," sagte Peter Bolk dumpf. "Damit Sie es wissen, Olaf - - es ist der
Star of London!"
Mir fiel die Zigarre aus dem Munde.
"Die Jacht?!"
"Ja, sie ist nachts stets dicht hinter
uns gewesen, Olaf... Am Tage blieb sie zurück... Mir gefällt das nicht."
Ich hob meine Zigarre auf. "Glauben Sie,
daß Jane Bellcastle uns etwa... angreifen will?"
"Sie wird es tun. Bisher war das Meer
ihr noch zu belebt. Wir hätten Raketen abschießen können, es hätte uns ein
Dampfer zu Hilfe eilen können. Sie ist vorsichtig, Olaf. Sie will ganze Arbeit
tun - ich fürchte wir alle werden wohl ihrem unsinnigen Haß zum Opfer fallen,
und - das bedrückt mich, denn dieser Haß gilt wohl nur mir allein. Das Weib ist
ein Teufel - Sie sehen's an Aristide, auch der muß
ihr Gefolgschaft verweigert haben, und die Quittung war ein Hieb mit einem
eisenbeschlagenen Bootshaken, denke ich. So lege ich mir wenigstens die Dinge
aus. Wenn Aristide sprechen könnte, wüßten wir vielleicht zu viel..."
Ich konnte hierauf nichts erwidern. Auch ich
hatte mir längst, was Aristide d'Oly betraf, dasselbe
zusammengereimt. Wir hatten auch mit Eversham das
Thema erörtert, aber der Doktor war dabei fuchsteufelswild geworden und hatte
Jane wortreich verteidigt.
Der Käpten blickte
wieder nach den drei fernen Lichtern hinüber: Grün, rot weiß... -
"Wir werden Ihnen die Zähne zeigen,
Olaf, wir sind nicht wehrlos, meine Leute haben Waffen, und unten im Kühlraum
zwischen den Ballastsäcken ruht so ein verrostetes Ding von kleinem
Gebirgsgeschütz, das ich mal früher einhandelte... Ruhte!! Jetzt ist es in
Ordnung, gereinigt, geölt, und Sie werden staunen, wie gut unser Matauo mit dem Granatenspucker umzugehen weiß. Das Schlimme
ist nur, daß wir abwarten müssen. Ich möchte meinerseits den Kampf nicht
eröffnen... Und das hat seine Nachteile. Die Jacht läuft sechzehn Knoten
mindestens, wir vielleicht vierzehn, und die Jacht wird uns zu rammen
versuchen... Er kaute an dem Mundstück seiner Pfeife und blinzelte abermals zum
Gegner hinüber. Seine Stimme war hart und erbarmungslos, sein Gesicht noch
faltiger, noch düsterer.
"Da - unsere Leute schleppen schon die
Sandsäcke nach oben. Aber wir werden uns mit zwei Schutzwehren an der Reling begnügen müssen... Nehmen wir dem
Schoner zuviel Ballast, dann schlingert er wie ein besoffener Maurer... Sagen
Sie nur Eversham Bescheid... Mich würde er angrobsen,
wenn ich diese Vermutung ausspräche. Verliebte Leute sind nicht gescheit -
Narrheit all das Getue mit den Unterröcken, aber im Grunde sind wir nicht
anders, Olaf... Wir alle haben einmal gefühlt, was einem eine Frau bedeuten
kann... ich wahrhaftig, ich will daher nicht mit Steinen werfen, wo ich selbst
doch mal im Glashaus saß... und glücklich war, vielleicht zu glücklich...
Malmotta war der Glaskasten...Alles ist vergänglich, und man darf nur hoffen...
hoffen... Es muß eine periodische Wiederkehr geben, und das Schicksal wird
gütig sein..." Er murmelte noch irgend etwas - ich verstand es nicht, ich
sah nur seine feuchten Augen, er wandte sich ab und schritt nach vorn, wo der
kleine Ladekran kreischend die Sandsäcke durch die Luke hißte.
Alfred Eversham saß
neben Aristides Bett und las in einem uralten Kalender. Als ich leise eintrat,
blickte er auf. Aristide röchelte wie ein Sterbender. Es ging mir an die
Nerven...
Eversham flüsterte:
"Hätte er nicht eine Natur wie ein Nigger, wäre er längst hinüber, Olaf...
Ein halber Nigger ist er ja - zum Glück.
Der Mann war mir schon auf der Jacht ein Rätsel und Studienobjekt - ein sehr
verschlossener Mensch, dabei gebildet... Über seine Beziehung zu Jane war ich
mir nie recht klar. - Was haben Sie - Sie sehen so ernst aus?!" Er rückte
die Lampe anders, ihr Schein fiel mir ins Gesicht... "Was gibt's?! Reden
Sie!"
"Kampf. Die Jacht ist hinter uns
her."
Zu meinem Erstaunen nickte er nur. "Ich
ahnte es... Heute früh putzte Mutauo im Laderaum an
einem kleinen Geschütz herum, und vorige Nacht sah ich die Lichter... Jane Bellcastle muß wahnsinnig sein. Aber auch Peter Bolk verdient es, gehörig angeschnauzt zu werden. Ist das
eine Art, uns so im Dunkeln herumtappen zu lassen?! Ich las ja Ihre
Niederschrift, ich bin kein Grübler und Rätselrater. Es gibt keine Insel Malmotta...
Wir waren doch mit der Jacht auch bei den Gilbert-Inseln, wir waren bei der
einsamen Baker-Insel weit ostwärts, wir kreuzten acht Tage im Norden der Baker
Insel - - alles Unsinn, Olaf! Keine Spur von
Malmotta, keine Seekarte kennt sie..."
"Nur Petersens vier Karten hatten
achtzig Meilen nordwärts ein Kreuz mit Tintenstift, Doktor. Das bleibt bestehen.
- Lassen wir das jetzt... Ob wir den Kranken nicht besser hinab in den Laderaum
schaffen? Diese Bretterbude von Kajüte ist nicht kugelfest."
Erversham nickte.
"Vielleicht ist's besser... Packen Sie mit an... Tragen wir ihn samt der
Matratze hinab."
Eine halbe Stunde später ging der Tanz los.
Die Jacht war dicht hinter uns... Der Doktor, ich, Li und der Japaner Hiruto, unser Maschinist (klingt sehr großzügig für einen
ausgeleierten Vierzylinder!) lagen am Heck hinter der Sackbarrikade. Rechts von
uns hockte Matauo an dem Gebirgsspucker. Die handlangen
Zylinder der Granatpatronen lagen griffbereit. Peter Bolk
stand am Steuer - ohne jeden Schutz.
Plötzlich ließ er den Schoner scharf wenden,
das Großsegel klatschte - und für drüben war's wie ein Signal zum Feuern...
Schüsse blitzten auf. Bolk warf sich nieder, eine
Kugelsaat fegte über uns hin - - neben mir hörte ich ein dumpfes Klatschen, ein
Stöhnen und Li kullerte zur Seite.
Der Kanke feuerte.
Der scharfe grelle Klang des kleinen
Geschützes übertönte das klägliche Heulen meines Mukki...
Drüben gerade mittschiffs funkte ein kurzes
Aufleuchten...
Die Granate saß - die zweite auch, und
atemlos beobachteten wir, wie die Jacht in kurzem Bogen davonjagte.
Sie hatte genug. Mehr als zwei dieser Pillen
wollte Ihre Hoheit nicht schlucken.
Li lebte noch. Aber die Kugel war ihm durch
den Hals gegangen, er verblutete, er starb bei vollem Bewußtsein, während der Käpten neben ihm kniete und seine Hand hielt.
Zwei weitere von uns hatten tödliche
Kopfschüsse erhalten. Fenneks linkes Ohr hatte die
Spitze verloren - wie wegrasiert, und als Eversham
die Blutung durch Eisenchlorid zu stillen suchte, schnappte Mukki und verriet
seine Raubtiernatur durch böses Fauchen.
Das war jene Nacht, in der Jane Bellcastle der Appetit auf weitere Angriffe verging - jene
Nacht, in der drei eingenähte Tote in die See glitten und Käpten
Bolk das wenig christliche Gebet sprach: "Ihr
wart treu - ihr sollte gerächt werden - das Weib und der Schuft, der sich Jan Terpe nennt, werden baumeln! Amen!"
Es waren nicht diese rachsüchtigen Worte -
der Ton war's! Noch nie hatte ich Peter Bolk ein paar
Sätze derart zischen gehört... Es klang wie das Zischen eines Reptils, und sein
Gesicht war steinern und ohne Erbarmen, die drohend erhobene Faust paßte gut zu
alledem.
Mich fröstelte, und auch Eversham
sagte nachher zu mir: "Dieses Abenteuer nimmt Formen an, die mich
erschüttern, Olaf... Und ich bin bei Gott kein Waschlappen."
...Ich sitze mit dem Rücken nach Aristides
Lager hin und sauge wieder nachdenklich an der kalten Zigarre.
Der Kranke atmet stoßweise, wirft sich hin
und her, stöhnt...
Man kann in solcher Nachbarschaft schwer die
Gedanken ordnen. Und ich möchte es, ich will endlich irgendwie ein paar der
dunklen Hüllen von diesem ganzen Geheimnis herunterreißen. Es muß gehen. Es ist
doch schließlich Stoff genug vorhanden...
Was ich weiß - was weiß ich bestimmt:
Zunächst: Peter Bolk
ist nicht verrückt, auch seine "Anfälle" sind nur wie jähes Öffnen
des Ventils eines überhitzten Kessels - seines nie zur Ruhe kommenden Hirns! - Bolk ist Kapitän, Bolk hat
zuletzt für eine Bremer Reederei einen Frachtdampfer geführt - - vor
einundzwanzig Jahren. Das ersah ich aus seinen Papieren. Von diesem Zeitpunkt
aus klaffte eine Lücke in seinem Lebenspfad. Den Schoner Astarte besitzt er
erst seit fünf Jahren, fünf Jahre trieb er sich im Roten Meer umher, schmuggelte,
soff in Batimars Kneipen elenden Fusel... und blieb
doch ein ganzer Kerl. Über seinem ganzen widerspruchsvollen Charakter liegt ein
Mantel von Melancholie und Zerfahrenheit, ein dicker
Mantel, schon mehr Panzer. Streift er ihn ab, wird er überraschend jung und
bedrohlich energisch.
Das ist Bolk.
Dann die Mitspieler, Gegenspieler...
Von der Besatzung des Schoners weiß niemand
etwas über diese Lücke in Bolks Leben. Einer
vielleicht: Matauo, der Kanake - - vielleicht. Aber
der schmalbrüstige, kultivierte Insulaner hütet seine Zunge.
Wußte Patumengi etwas?
Ich bezweifle es.
Doch drei Personen könnten diese Lücke
zweifellos ausfüllen: Jane Pers, verheiratete und verwitwete Herzogin von Bellcastle.
Dann jener Terpe,
Gefangener der Doko - ein junger Mensch zweifelhafter
Natur.
Drittens: Aristide d'Oly,
Franzose, aber mit farbigem Blut in den Adern wie Jane
...Viel ist hiermit nicht anzufangen.
Weiter also:
Malmotta!
Das Unbekannte...
Eine Insel?! Wirklich eine Insel?!
...Ein anderer Gedanke kommt mir plötzlich.
Es kann auch ein Schiff sein!
Merkwürdig, daß ich nie daran gedacht habe!
Ein gesunkenes Schiff, das irgendwelche Geheimnise mit in die Tiefe nahm!
Bolk besitzt ein älteres
Schiffsverzeichnis, herausgegeben von Lloyds, London. - Ich gehe leise in die
Kajüte nebenan, wo der Käpten und Eversham
fest schlafen, und hole mir den dicken zerschlissenen Band, blättere leise
darin... Der Buchstabe M nimmt nur fünf Seiten in Anspruch. Fahrzeuge unter tausend
Tonnen sind nicht aufgeführt. Mein Finger gleitet über die wunderlichsten Namen
hinweg und stoppt...
Wahrhaftig: Malmotta!!
Ich fühle drei, vier raschere Herzschläge.
Die Erregung verebbt...
M a l m o t t a,
Brigg, 1800 Tonnen, Privateigentum, Besitzer und Kapitän Peter Bolk, geb. 1.7.78 zu Bremen. - Südseefrachter, Tour
Honolulu - Hebriden, Samoa-Inseln.
Also doch!! -
Ich trage das Buch zurück, aber - was habe
ich im Grunde durch diese Feststellung gewonnen?!
Nichts!
Ich bleibe neben Aristides Bett stehen.
Denke: "Wenn du sprechen wolltest, könntest! - Du weißt etwas!"
Der Kranke scheint meine Nähe zu spüren. Er
wird unruhiger...
Plötzlich öffnet er die Augen, immer weiter,
größer, starrt geradeaus...
Ich beuge mich über ihn, und der matte Blick
trifft mein Gesicht. Seine welken, verfallenen Züge bekommen einen gespannten
Ausdruck - kein Zweifel: er ist bei vollem Bewußtsein, er erkennt mich!
Seine Lippen bewegen sich...
Ich lausche...
Nur ein Hauch: "Trinken... bitte!"
Auf dem Tischchen, das wir in einer
Pendelvorrichtung am Kopfende des Bettes angebracht haben, stehen in Vertiefungen,
mit Watte umhüllt, damit sie nicht klirren, Fläschchen und Gläser: Medikamente,
auch kalter Tee und ganz wenig Whisky.
Ich hebe Aristides Kopf behutsam empor und
führe ihm das Glas an die Lippen. Er trinkt gierig, sinkt zurück, schließ die
Augen und atmet regelmäßiger.
Alfred Eversham hat
uns darauf vorbereitet. "Kommt er durch, wird er vielleicht die Erinnerung
verloren haben - vielleicht..."
Ich fürchte mich, hierauf die Probe zu
machen.
Ich warte.
Aristide regt sich wieder. Er schaut mich an.
"Mr. Abelsen, was..." - dann versagt ihm die Stimme.
Er lächelt gequält, verzweifelt.
"Liegen Sie ganz still," flüstere
ich...
Sein Blick irrt umher... Er sucht zu
erkennen, wo er sich befindet.
"Sie sind in Sicherheit, Aristide - auf
dem Schoner Astarte... Wir haben Sie gesund gepflegt, Sie waren sehr krank, als
wir Sie von den Korallenklippen bargen..."
"Jane?" hauchte er fragend.
"Jane Bellcastle
wollte Sie beseitigen lassen, das wissen Sie..."
"Das... ist... nicht... wahr!" Und
die bleichen Wangen röten sich. "Jane - - niemals! Wie... kommen Sie... darauf,
darauf?!"
In seine Züge tritt ein hilfloser, unsicherer
Ausdruck...
"Das... kann nicht... sein, Mr.
Abelsen..!"
Und dann:
"Tubana -- oh Tubana -- niemals!" seine Stimme bebt in seltsamer Sehnsucht!
Nochmals - noch klarer:
"Oh - - Tubana
- - niemals! Es... waren ja Schwestern..!"
Hinter mir ein Geräusch.
Hinter mir steht Käpten
Bolk in derbem blauem Leinenhemd...
Geisterbleich...
Mehr Gespenst als Mann.
Seine Hand krallt sich in meine Schulter...
"Hinaus, Olaf..! Hinaus!!"
Einem Wahnsinnigen gleicht er... Aber seine
eisernen Muskeln leben - - er drängt mich zur Tür...
"Hinaus!"
Ich sehe noch, wie er vor dem Bett in die
Knie sinkt.
Dann schließe ich die Tür, nachdem auch Mukki
mit hinausgeschlüpft ist.
Ich bin benommen wie nach wüstem
Fiebertraum... Was bedeutet das?!
Tubana?!
Wieder Tubana!!
Ich taste mich bis zum Schranke der Kajüte...
trinke aus der Flasche, meine Nerven brauchen ein Anregungsmittel.
Von Evershams Koje
ein Hüsteln:
"Teufel nochmal,
Käpten, - Sie sollten nicht soviel saufen!"
"Der Säufer bin ich, Eversham...
Tubana spukt wieder, und der Käpten
kniet neben Aristides Bett und weint."
7. Kapitel
Überfall im Andamanischen
Meer
Doktor Evershams
Antwort auf diese meine Andeutungen ist in Worten schwer wiederzugeben. Obwohl Eversham sonst untadeliger Gentleman ist, der von der
schmalen Linie zwanglos-vornehmen Kavaliertums selten
abweicht, hat er doch Momente, wo seine schottische Herkunft und die Derbheit
heimischer Berge sich irgendwie Luft machen.
Nachdem er mich also derart abgefertigt
hatte, stürmte er ins seinem untadeligen Nachthabit in die Kammer und...
...ja, und blieb dicht hinter der Tür wie
angewurzelt stehen und drehte sich langsam nach mir um.
"Wo sind die beiden, Olaf?! Wolltest du
einen dummen Witz machen?!"
Ich mache selten Witze. An Bord der Astarte
schon gar nicht. Hier ist niemandem nach Witzen zumute, es sei denn Hiruto, dem kleinen Japaner, dem Herrn des Vierzylinders, eines
altehrwürden Motors mit sämtlichen Heimtücken solch einer
alten Kaffeemühle.
Das Bett und die Kammer waren leer, wie ich
nun ebenfalls mit eigenen Augen sah. Da die Kammer nur ein Fenster und die eine
Tür besitzt, da ferner keinerlei raffinierte Doppelwände, klug verkleidete
Falltüren oder Dachluken vorhanden sind, sondern der ganze Heckaufbau harmlos
und schlicht wie ein Kaninchenstall wirkt, blieb des Rätsels Lösung ebenso
schlicht und einfach: Aristide und der Käpten waren
aus unbekannten Gründen durch das offene Fenster auf das Deck geschlüpft.
So hätte man urteilen können, wenn Aristide
gesund gewesen und wenn beide sich sich darüber einig
gewesen, die Kammer lautlos zu verlassen...
Aus unbekannten Gründen - gut!
Aber Aristide war ein Genesender im
allerersten Stadium, und Käpten Peter Bolk wieder war ein stiller, schlichter Mann, dem derlei
Kletterpartien durchaus fernlagen.
Eversham trat an das offene
Fenster. Dieses ging nach Backbord hinaus, und zwischen Kajütaufbau und Reling
war noch ein schmaler freier Durchgang - genau wie auf Steuerbordseite.
Alfred Eversham
faßte in die Tasche seiner hellen Pyjamajacke, klemmte das Monokel ein und
stieg auf den Bettrand. So konnte er den Oberkörper ohne Mühe durch das Fenster
schieben.
Ich selbst wartete seine weiteren etwas
umständlichen Untersuchungsmethoden nicht ab, sondern ging mit Fennek an Deck und sah hier sofort, daß die Dinge doch weit
ernster lagen, als es anfänglich geschienen hatte.
Steuermann Fu lag
am Steuerrad zusammengekrümmt da und hielt zwar noch die Radspeichen in ehernem
Pflichtgefühl umklammert, aber - er war tot.
Mit einem Schlage erwachte ich. Ich war
munter gewesen, aber mir hatte doch noch jener letzte Anstoß gefehlt, der all unsere
Kräfte ursprünglich einschaltet, geistige wie körperliche.
Ein Blick über die See zeigte mir
verschwommene Nebelfetzen - hier eine Seltenheit. Der Himmel war bewölkt, die
Dunkelheit lastete schwer über den träge rauschenden Wogen und über unserem
kleinen Schoner.
Ein merkwürdig ekler
Geruch stieg mir in die Nase - nach brennenden Lappen - dergleichen. Ich kannte
ihn. Das war eine Lunte. Ich ahnte auch bereits die Zusammenhänge.
Ich brüllte der Deckwache zu, die vorn hin
und her schlenkerte: "Hallo - flink zwei Laternen!!"
Dann schob ich Fus
Körper etwas beiseite und brachte den Schoner wieder in den Wind.
Eversham tauchte auf...
"Die Jacht," sagte ich nur...
"Hier, nehmen Sie meinen Posten ein... Fragen Sie nicht."
Die Deckwache kam angelaufen. Es war Matauo, der Kanake.
Wir leuchteten umher. Außenbords hing an
einer Schnur eine große Blechbüchse. Ihr entstieg der Qualm. Ich schnit die Schnur durch und schleuderte die Bombe nach
hinten in den Gischt. Dicht über dem Wasser explodierte sie mit fürchterlichem
Getöse und verscheuchte drei Haifische, die uns seit gestern das Ehrengeleit
gaben. Weiteren Schaden richtete sie nicht an, und eine zweite Bombe fanden wir
nicht.
Fu hatte einen Stich
durch den Rücken ins Herz und eine Hanfschlinge um den Hals. Nur die Dunkelheit
und der Nebel hatten es ermöglicht, daß ein Boot sich dem Schoner nähern
konnte. Zunächst hatte man Fu beseitigt, und dann war
Peter Bolk in der Kammer ebenfalls irgendwie stumm
gemacht und von Bord gebracht worden, zusammen mit Aristide.
Daß Eversham
abermals seine Würde vergaß und anerkennenswert fluchte, änderte nichts an der
Tatsache, daß wir nunmehr hier bis auf vier Mann zusammengeschmolzen waren: Eversham, Hiruto, Matauo und ich - fünfter vielleicht noch Mukki, aber er war
nicht gut zur Besatzung zu rechnen.
Wir vier beratschlagten am Heck. Matauo redete nicht viel. Er betonte nur, daß er nichts
Verdächtiges bemerkt habe, es seien allerdings gerade in der kritischen Zeit
sehr dichte Nebelmassen über den Schoner hinweggezogen.
Hier, im Andamanischen
Meer, das möchte ich noch erwähnen, gehört Nebelbildung zu den größten Seltenheiten.
Dieser Nebel war mir sofort aufgefallen.
"Es war kein echter Nebel,"
erklärte ich. "Soweit ich mich erinnere, sollen gerade hier, wo wir im
Süden die uralten Erdbebengebiete der Sunda-Inseln
Sumatra und Java in der Nähe haben, sehr häufig unterseeische Beben und
Vulkanausbrüche flüchtige Dampfwolkenbildungen hervorrufen. - Prüfe mal mit der
Nase den Geruch - Eversham!"
Der Doktor schnupperte. "Ich möchte
sagen, es riecht nach Schwefel."
Es roch auch nach Schwefel. Und kaum zehn
Minuten später war die See wieder klar, auch das Gewölk verlor sich.
Als wir den braven Fu
nach Seemannsart bestatteten, hielt ich diesmal die Ansprache. Mir waren Peter Bolks Worte noch gut im Gedächtnis, die er vor fünf Tagen
den anderen drei Opfern Jane Bellcastles mit auf den
nassen letzten Weg gegeben hatte. Ich benutzte dieselben Worte, und meine
Stimme war genau so erbarmungslos wie die unseres Käpten:
"Du warst treu, du sollst gerächt werden
- das Weib und der Schuft, der sich Jan Terpe nennt,
werden baumeln! Amen!"
Neben mir seufzte Eversham
unterdrückt, Mukki winselte leise, Hiruto murmelte in
seiner Sprache noch ein Gebet, und der Körper klatschte in die See.
Nun war ich Kapitän der Astarte, Eversham übernahm die Kombüse, Matauo
avancierte zum Steuermann, und Hiruto erheilt andere
Ämter: Steward, Martrose, Maschinist, Segelmeister -
alles in einem.
Wie es mit unserer Stimmung an dem Morgen
bestellt war - - leicht auszumalen! Wenn wir die Jacht damals vor unser Geschützrohr
bekommen hätten, würde der Ozean ein Wrack mehr mit Mann und Maus verschlungen
haben!!
Aber der Star of London blieb unsichtbar. Die
Sonne stieg über den dunstigen Horizont empor, das Meer beglückte uns mit
seiner einsamen Schönheit, und unsere Herzen wurden wieder freier. - -
Es sind abermals Tage verflossen.
Wir fünf (Fennek
eingerechnet) sind jetzt mißtrauisch wie Mantelpaviane.
Ja - Mantelpaviane. Denn diese Affenart hat
das System des Selbstschutzes bis zur höchsten Vollkommenheit ausgearbeitet.
Das weiß ich am besten. Eine Herde Paviane zu beschleichen, das glückt nicht
einmal dem gerissensten Leopard.
Wir haben bereits Lehrgeld bezahlt, wir
hätten diesen nächtlichen Zwischenfall vermeiden können - wer trägt die
Verantwortung dafür?!
Ich!
Ich bin zwar kein Seemann, aber ich bin in
meiner Vaterstadt Göteborg doch so halb auf dem Wasser aufgewachsen, ich habe
die Erde so ziemlich in allen Winkel kennengelernt, ich habe dort, wo die
Stürme das Kap Hoorn umkreisen, mit Coy und Chubur und Chico auf winzigem
Nachen die Kanäle durchkreuzt,
[Olaf K. Abelsens
Abenteuer abseits vom Alltagswege,
Band
1: "Das tote Hirn",
Band
2: "Das Geheimnis des Meeres",
Band
3: "Mein Freund Coy",
alle
im Verlag moderner Lektüre, Berlin 1929.]
...habe mit einer Insel aus Stahl mich bis
Australien treiben lassen -
[Band 4: "Das Paradies der
Enterbten", Berlin 1929.]
- das Meer ist meine Heimat geworden wie die
ganze Welt - - wie jene Welt, die nicht "Welt" ist, sondern
Einsamkeit und Urwüchsigkeit und Ehrlichkeit und Schlichtheit...
Ich hätte daran denken müssen, daß Kapitän Bolk mit seinen melancholischen Gedanken sich nicht recht
dazu eignete, dieser Niedertracht und Hinterlist zu begegnen. Ich hätte mich um
unsere Sicherheit kümmern sollen - ich - nur ich.
Alfred Eversham ist
gewiß ein ganzer Kerl. Aber ihm haftet noch zu viel Kulturlack an. Das macht
die Sinne stumpf.
Und die anderen?!
...Sie waren "Besatzung" - sie
gehorchten, taten ihre Pflicht - nicht mehr als das, denn dieses
"Mehr" lag ihnen nicht. Auch das will gelernt sein: Selbständig zu
handeln!! -
Die Jacht hat sich nicht wieder gemeldet.
Hatte Jane mit der Entführung Peter Bolks und
Aristides ihre Ziele erreicht?!
Wir schwimmen jetzt auf den blauen Fluten des
Stillen Ozeans... Nicht immer sind sie blau, blaugrün, grün oder fahl wie
graues Tuch... Wenn der Orkan sie hochpeitscht, sind
sie hellgrünes Glas mit weißen Spitzen, das Abgründe und Berge gebiert und
unsere Nußschale tanzen läßt...
Stiller Ozen, Pazifik, Großer Ozean, Südsee -
alles dasselbe!
Ein Ozean, der so gewaltige Ausdehnung hat,
daß er größer an Flächenraum ist als die fünf Kontinente zusammen - inselreicher
als jedes andere Meer.
...Es ist eine friedliche Abendstunde, in der
ich diese Zeilen in der Kajüte schreibe. Neben mir liegt ein Buch aus Peter Bolks spärlicher Bibliothek:
"Die geschichtliche Bedeutung des
Stillen Ozeans" von Graf Wilczek und Weule (Leipig 1899). Ihm verdanke
ich, was ich hier an Wissenswertem festhalte, ihm und den Angaben des Kanaken Matauo.
Für den Europäer brachte als erster Vasco Nunez de Bilbao 1515 eingehende Kunde über das "Mar del Zur", die Südsee. So nannte dieser Forscher
den Pazifik - also "Südsee".
Die spätere Bezeichnung Stiller Ozean,
Pazifik, rührte von Magalhaes her, nach dem die
stürmische Straße bei Kap Hoorn benannt ist. Er durchsegelte den Pazifik in
drei Monaten von Osten nach Westen zu, und da er dabei nicht einen einzigen
Sturm erlebte, kam er zu dem trügerischen Schluß, es mit einem sehr friedlichen
Gewässer zu tun zu haben. Später, weit später, als erst die gierige Hand der
Europäer den Frieden der zahllosen Inselgruppen zu stören begann, bezeichnete
man mit "Südsee" lediglich noch einen Teil des Pazifik, und nur
dieser Teil interessiert mich jetzt, da mitten darin der Kern des Geheimnisses
von Malmotta liegt.
Ich habe mir aus Peter Bolks
Kartenmaterial eine kleine übersichtliche Skizze zusammengestellt, die mir zur
Orientierung dienen soll.
Mit den Bezeichnungen Mikronesien,
Melanesien, Polynesien weiß der Durchschnittsmensch nichts anzufangen. Und in
dem Gewirr von Inselgruppen weiß erst recht niemand Bescheid - die Fachleute
ausgenommen. Und doch läßt sich alles unschwer überblicken:
CHINA
Mikronesien
Karolinen-I. Marschall-I. Hawaii-I.
Melanesien
Neu-Guinea
Bismarck-I. Salomon-I. Gilbert-I. Baker-I.
+
Polynesien
Phönix-I
Samoa-I. Paumoto-I.
Fidschi-I.
Tonga
AUSTRALIEN
Bei der Baker-Insel (nördlich davon noch die Howland-Insel) habe ich ein Kreuz eingezeichnet. Diese
beiden Inseln, Baker und Howland, liegen so fern von
jedem Verkehr, so abseits der anderen Gruppen, daß niemand an ihnen ein rechtes
Interesse hat. Sie sind besiedelt gewesen, wurden wieder verlassen, Insulaner
von der südlichen Phönix-Gruppe wagten zuweilen die Überfahrt, immerhin an
hundert deutsche Meilen, flüchtige Verbrecher benutzten sie als Schlupfwinkel -
man weiß nicht viel von ihnen...
Und doch waren gerade sie unser Ziel. Gerade
sie, denn im Norden klafft dort ein riesiger leerer Fleck in der Südsee, unbekannter
als die Eiswüsten an den Polen, eine Wassereinöde, die nie ein Segel, nie den
Rauch eines Dampfers sieht... Selbst die längst veralteten Schriften bekannter
Reiseautoren haben dieses Meeresteiles nie gedacht - ein Stevenson, ein Jack London
begnügten sich mit der Schilderung von Menschen, Dingen, Verhältnissen, die am
Rande der breiten Heerstraße der Sportbummler lagen...
Abseits vom Alltagswege sind auch sie nicht
gewandelt. Was sie vor dreißig, vierzig Jahren schrieben, ist längst Märchen
geworden. Die Insulaner haben vom Europäer viel gelernt, selten Gutes - die
"Kultur" brachte ihnen lediglich den schärferen Schnaps, die
Feuerwaffen, die moderne Kleidung, die Profitgier und... Krankheiten.
Das merkten wir, als wir - wieder nach Tagen
- in eine der Laguneninseln des Gilbert-Archipels einliefen, um Trinkwasser und
Benzin einzuhandeln.
Der Name der Insel tut hier nichts zur Sache.
Sie hatte eine "Hauptstadt" mit drei Kneipen, in denen das staunende
Auge alles fand, was auch in einer "Bar" in Bombay, Kairo, Schanghai
oder sonstwo zu sehen ist...
Neben der Einfahrt in die Lagune standen
riesige Wellblechschuppen, sauber gemauerte Kais, unsaubere freche Polizisten,
faulendes Gesindel, Lärm, Gestank - - nichts fehlte, jede Illusion zu
zerstören.
Dreitausend Einwohner sollte die Ringinsel
haben...
Mag sein.
Wir waren froh, als wir abends wieder mit der
Ebbe die Lagune verlassen konnten.
Was halfen da die wundervollen Palmen, die
dichten Büsche, die Taubenschwärme, der helle Korallenstrand?!
Ich hatte mir diese einst so seligen Inseln
vorgestellt mit halbnackten, frohen, harmlosen Menschen, mit graziösen Mädchen,
Blumen im Haar - - all das war einmal!
Vielleicht wohnte die Romantik anderswo...
Eversham, der schon hier
gewesen war, lachte mich gründlich aus. "Wenn du die Urwüchsigkeit
kennenlernen willst, wirst du wohl die entlegensten
Inseln aufsuchen müssen. Männer wie köstliche Bronzestatuen mit freiem Blick,
ungezwungener Haltung, behängt mit Muschelketten, Armspangen und billigem und
doch dekorativem Tand - - die Kultur fraß das alles! Du sahst ja die
Gilbert-Damen mit europäischen Hüten vorvorletzter Mode, mit Seidenfähnchen,
mit Talmischmuck aus Fabriken in Birmingham, mit grellen Sonnenschirmen - das
natürliche Selbstgefühl dieser Insulanerinnen kapitulierte vor dem
allgewaltigen fremden Gelde -, das Mannsvolk klettert nicht mehr die
Palmenbäume empor, um Palmensaft abzuzapfen und Palmenwein daraus zu bereiten,
Brandy und Gin und Teufelsgesöff dunkelster Art versengen ihnen Hirn und Seele
- die meisten verdingen sich bei den reichen Pflanzern, sind entnervte Kulis
geworden - - es war einmal ein Paradies, heute ist's trauriger Niedergang, denn
zu einem geistigen Aufstieg reicht's nicht, soll's
auch nicht reichen - der Europäer ist der Nutznießer, mild ausgedrückt..."
In meinem Herzen war etwas erstorben: ein
Traum aus Jugendtagen..! Die Gefilde der Seligen hatte ich hier erhofft, und
ich hatte die traurige Fratze einer europäisch übertünchten Unnatur gefunden!
Das Gedudel der Bars, das anmaßende Schachern mischblütiger Händler, die
frechen Blicke der Hafenmädchen ließen sich nicht vergessen.
Vergoldet im Abendglanz lag auch die Kirche
der "Hauptstadt" da - einer Glocke Gebimmel erreichte mein Ohr, vielleicht
strömten jetzt die Bekehrten in das Haus Gottes, vielleicht war ihnen tief
innere Sehnsucht nach etwas Besserem - - nur - ich glaubte nicht daran.
Langsam versank die Insel unter dem Horizont
- jäh kam die Nacht, die Sterne erschienen, und um uns her war wieder die
freie, große Welt des Ozeans...
Ich atmete auf.
...Und sitze nun wieder über meinen Blättern,
lese hier und dort ein Stück, grüble und prüfe, vergleiche und spüre dem Rätsel
von Malmotta nach.
Wie immer.
Der Kanake Matauo,
von dem ich Aufschluß über so manches zu erhalten hoffte, war in dieser
Hinsicht eine Niete. Sein lichtbraunes, ehrliches Gesicht von fast europäischem
Schnitt, seine dunklen klaren Augen hatten nur Staunen ausgedrückt. - Malmotta?!
- Er weiß nichts... Der Käpten hätte wohl hin und
wieder eigentümliche Reden geführt, aber im übrigen - - er machte eine
verneinende Handbewegung...
Auch auf dem Atoll bei den gerissenen
Händlern hatte ich mich erkundigt - ganz vorsichtig... Ob vielleicht dort im
Norden von der Baker-Insel einmal eine Brigg gesunken sei... vor langen
Jahren... mit wertvoller Ladung.
"Eine Brigg - was soll die dort?! Der
Guano, den die Seevögel auf Baker- und Howland-Insel
angehäuft hatten, ist längst geplündert... Und um Palmholz zu holen - dazu
fährt man nicht Hunderte von Meilen, das bekommt man anderswo
schneller..."
Wieder also nichts, wieder nur der Griff ins
Dunkle..!
Und doch, niemand wird es mir ausreden, gibt
es dort irgend etwas, das inmitten des leeren Ozeangebiets östlich des
Gilbert-Archipels, das andauernd Käpten Bolks greisen Kopf beschäftigt haben muß und das auch Jane Bellcastle, dem jugendlichen Terpe
und Aristide d'Oly das Hirn fast verwirrte... Jane Bellcastle wurde zur Verbrecherin, Terpe
war ein Spion, Aristide wurde Jane als Mitwisser unbequem - und Peter Bolk sollte sterben, damit er niemals jene Stelle im Ozean
erreichte, wo -- etwas zu finden war - -
was?!
Ja - - was?!
Alfred Eversham hat
das Rätselraten längst aufgegeben. Ich ahne, was ihn lediglich noch an dieser
Fahrt in Ungewisse interessiert: Jane!! Wir werden der Jacht begegnen, davon
bin auch ich überzeugt, wir werden mit Jane Bellcastle
abrechnen, und Eversham wird dabei nicht müßig zusehen...
Nur: Er hält sie für schuldlos! Er nimmt an,
sie habe ein Recht so zu handeln. Wie sie's tat - das Recht auf Vergeltung! Der
Käpten, dabei bleibt er, ist kein harmloser
Phantast... - Und wenn Eversham mir dies vorhält,
erinnert er stets an die drei Ereignisse in Patumengis
Reich, an die drei Erschossenen.
Wir streiten dieserhalb nicht miteinander,
jeder bleibt bei seiner Meinung, obwohl, um ehrlich zu sein, die Verteidigung
meiner Ansicht ohne innere Überzeugung geschieht. Ich spüre das, es ist das
mehr Gefühlssache, aber nicht wegzuleugnen. Jane Bellcastles
Persönlichkeit hat auf mich doch einen nachhaltigeren Eindruck gemacht, als die
Umstände dies bedingten, und die Zweifel, die sich in mir regen, melden sich
immer stärker und bestätigen beinahe Alfred Evershams
anderen Motiven entspringendes Eintreten für eine Frau, die es dort an der
Küste des Roten Meeres wohl lediglich auf Petersens Papiere abgesehen hatte.
Was später geschah: der Angriff durch die Jacht, Aristides und Bolks Entführung - das sind Punkte, für die es vielleicht
eine bessere, Jane nicht belastende Erklärung gäbe.
Wir vier hier an Bord, nein fünf, halten
tadellose Kameradschaft. Hiruto und Matauo sind Gefährten, wie man sie sich nicht besser
wünschen kann. Der Japaner ist lebhaft, energisch, schlau, dennoch nie
voreilig. In seiner kleinen Gestalt steckt jener ungeheure Lebensimpuls, der
sein Volk zur Großmacht erhob. Matauo der Kanake, ist
echter Polynesier, seine Heimat ist die Tonga-Insel, von Kindesbeinen an lebte
er auf dem Meere, war Schiffsjunge, Matrose, Steward, Händler, Aufkäufer von
Kopra für eine amerikanische Firma, wurde wieder Seemann, kam vor vier Jahren
bis Bombay, traf dort Käpten Bolk
und blieb bei ihm. Er ist mit dem Schoner so eng verwachsen, daß er ihn
geradezu wie eine Gottheit liebt - er betreut unser Schiff, er ist nie untätig,
flickt das Tauwerk, teert es, pinselt, putzt, wäscht und hat trotzdem jenen
melancholischen Einschlag, der mich immer wieder vermuten läßt, er müßte mehr
wissen - mehr als er zugibt... Aber über Malmotta, nein - da lügt er nicht...
Er weiß nichts.
Kanaken..!
Man liest die Bezeichnung so oft. Kanaken
bedeutet lediglich "Menschen" und bezieht sich in engerem Sinne auf
die Bevölkerung der Hawaii-Insel, bedeutet jedoch auch soviel wie Polynesier
überhaupt. - Und noch etwas: Kopra! - Eversham
schnitt einmal dieses Thema an, als wir dicht vor der Laguneninsel einem mit
Kopra beladenen Segler begegneten und dies schon von weitem rochen. Kopra ist
nichts anderes als die in der Sonne oder in Dörrapparaten getrockneten
Hohlkerne der Kokosnüsse, die bis zu achtzig Prozent Fett enthalten und in
Fabriken zu Bratfett, Cognac und... Viehfutter verarbeitet werden. Dieser Cognak ist natürlich nur Cognakersatz,
aber die Tatsache bleibt bestehen: Kognak! - Das Kokosnußfleisch (von reifen
Früchten) dient den Konditoreien als Mandelersatz - wie bekannt. - Das so
nebenbei... Auch vielleicht nicht so nebenbei, denn es kam eine Zeit, in der
ich ohne die Kokosnüsse verhungert wäre...
Die Sonne ist längst verschwunden, in klarer
Sternennacht bei günstigem Winde segeln wir ostwärts.
Wir segeln auf einem Strich, den ein jeder
kennt: auf dem Äquator entlang, der mitten durch die Gilbert-Inseln läuft, der
südlich der Baker-Insel weiter durch die Gruppe der Sporaden
den Globus umkreist.
Aber wir denken nicht an Äquatortaufe und
ähnliche Scherze - wir denken nur an unsere eigene Sicherheit, wir haben das Geschütz
wieder an Deck gebracht, das wir in der Lagunen-Insel verstecken mußten vor den
Schnüfflerblicken der Zollbeamten und Polizisten, die uns ohnedies nicht recht
zu trauen schienen. Ein Schoner ohne Fracht, nur bemannt mit vier Leuten - ein
Kapitän der sich Peter Bolk nannte (und Abelsen hieß)
- - es gab da kitzlige Minuten, und lediglich Evershams
vollwertige Pfundnoten beschwichtigten die Neugier der hohen Behörden... Geld
wirkt überall bestechend. - Sogar die Sandsackbarrieren haben wir wieder aufgetürmt. Eversham hat recht: Vorsicht ist besser als Nachsicht, und
wenn es nötig wird, werden wir drauflosknallen, daß
die Planken fliegen, aber nicht unsere eigenen.
Eversham und Hiruto schlafen schon. Der Kanake lehnt am Steuer - ich
schreibe... Der Fennek streicht ruhelos in der Kajüte
umher... Was hat er nur?! - - "Mukki, hinlegen!!" - Mukki denkt nicht
daran. Er kommt zu mir, reibt sich an meinen Schenkeln... läuft zur Tür, läuft an Deck... kehrt zurück. -
Auch Eversham wälzt sich auf seinem Bett, stöhnt, erwacht...
"Die Hitze!!"
Es stimmt schon. Es ist heiß...
"Geh schlafen, Olaf!" fügt er hinzu.
Ich sage nichts, ich blicke nur auf das
plumpe Holztintenfaß... Die Ränder erscheinen mir seltsam hell... - als ob sie
leuchteten... Und mein Auge hebt sich... An der Wand hängt das Barometer - der
lange schwarze Zeiger steht ganz tief... Vorhin, das weiß ich, stand er zwei
Daumenbreiten höher...
Also das ist's.
Sturm droht...
Im Nu habe ich meine Blätter weggepackt. Eversham schlüpft schon in die Kleider.
"Runter mit den Sandsäcken! Rufe ich dem
Doktor zu und laufe zu Matauo.
Ich überschaue den Horizont... Der Wind ist
flauer geworden - hinter uns im Westen liegt ein schwarzer Strich über dem
Ozean. - Der Kanake, der zumeist Pfeife raucht, sagt gleichgültig:
"Ein Taifun, Herr..."
Urplötzlich sehe ich, wie übermäßig die Luft
mit Elektrizität geladen ist: die Reling, die Taue, die Mastspitzen - - alles
leuchtet in gelblichem Feuer, St.-Elms-Feuer nennt's der Seemann... Auch das Tintenfaß hatte dieselbe Lichterscheinung gezeigt.
Noch ist der Himmel über uns sternenklar.
Aber dort hinten der pechschwarze Strich, ganz deutlich erkennbar, wölbt sich
an den Enden mit einem Male nach oben, und diese Enden schillern immer
intensiver in einem unnatürlich wirkenden, gelbroten Feuer - wie Riesenfackeln,
die ruhig brennen - oder wie Wolkenfetzen, hinter denen die Abendsonne die
ganze Pracht ihres Farbenspieles entfaltet.
Sind's nur Minuten - wirklich nur Minuten! --
die beiden Fackeln haben sich vereint, spitzen sich zu, ragen immer höher in
den Himmel hinein, erlöschen - - was nun dort hinten lauert, ist ein schwarzer Keil,
die gelbliche Spitze nach oben, und von dieser Spitze ziehen sich gelbliche
Streifen langsam abwärts, etwa wie breite Seidenbänder der phantastischen
Dekoration eines Riesenschaufensters...
Und das sind die Luftwirbel, das sind die
Unheilstifter, die ungeheuren Saugpumpen, die den Ozean aufwühlen, kochen
lassen, Wellenberge zu Schaum zerwühlen...
Ich starrte wie gebannt auf das unheimliche
Phänomen. Ich kenne Wirbelstürme, ich kenne die Tornados der Pampas, ich kenne
die kleinen, bescheidenen Zyklone, die vielleicht mal eine Wasserhose gebären
und doch nur Kinderspiel sind gegenüber dem Sturmgiganten, der dort
anmarschiert kommt - lautlos, immer mehr anwachsend, immer mehr in den Konturen
verschwimmend, immer rasender in seiner Schnelligkeit...
Mit einem Schlage ist das ganze Firmament pechschwarz...
Kein Luftzug...
Meer und Äther erwarten den Angreifer...
Er kommt...
Eversham brüllt mir etwas zu.
Ich erwache...
Wir werfen die Sandsäcke über Bord, wir
bergen die Segel, lassen nur den Motor laufen...
Wir schnüren uns die Korkwesten um, Fennek bekommt ebenfalls so ein plumpes Ding - wir zurren
Taue über Deck...
Der Schweiß rinnt mir aus allen Poren... Ich
spüre in allen Nerven das Gespenst, das herbeischleicht, geboren aus dem
Nichts...
Und noch immer kein Laut... Nur Finsternis,
Trübe glotzen die Laternen durch das Dunkel.
An den Masten, Tauen, allen Vorsprüngen glüht
das warnende Feuer von St. Elms. Unser Schoner ist ein Gespensterschiff geworden...
Dann hoch aus den Lüften hinter uns - nicht
von einer Stelle, von links und rechts, während die Mitte schweigt, ein tiefes
Orgeln, Heulen, Brausen - jäh ansteigend zu schrillem Kreischen einer ganzen
Höllenbrut von Teufeln...
Irgend etwas packt mich... schlägt mich - wie
ein Brett, das man mir gegen den Leib haut... Ich falle...
Ich greife noch nach Mukki, kralle die Finger
in sein Nackenhaar...
Irgend etwas saust über das Deck hin...
Der geflickte Treiber knickt um - im Nu ist
er verschwunden...
Ein Wasserberg folgt...
Ein Berg stürzt auf die Deckplanken, quetscht
mich zusammen... Wasser... Wasser...
Ich ringe nach Atem...
Schlucke Wasser...
Und der Berg entflieht... ein zweiter folgt.
Dann wird unser Schifflein
vorwärtsgerissen.
Es schwebt fast, es gleitet, fliegt...
Neue Wassermassen folgen...
Wir stürmen durch Nacht und infernalisches
Getöse, durch Wogen und sausende Wirbel, durch Wände von weißem Gischt...
Die Gedanken stocken, das Hirn streikt - die
Kläglichkeit dessen, was Menschenhand schuf, diesen Schoner - die Kläglichkeit
dessen, was wir Menschlein selbst darstellen, hämmert uns der Taifun ein...
Wir fliegen... mit dem Sturm...
Vielleicht ist es unsere Rettung, daß der
Schoner so wenig Ballast führt...
Wir sind wie ein Strohhalm, mit dem der
Herbstwind über staubige, düstere Felder rast...
Man liegt da... klammert sich fest...
Alles ist tot in uns...
Man hat lediglich das Empfinden einer
ungeheuren Spannung, als ob man unter einem Dynamitfaß läge, das jeden Moment
explodieren muß.
Jedes Schätzungsvermögen für Zeit und
Entfernung hört auf... In den Ohren rauschen die sprudelnden Wasser, rauscht
das Blut noch stärker, das Herz hämmert, die Lunge keucht - - Augenblicke
halber Ohnmacht folgen, Augenblicke, in denen man fürchtet, der eigene Leib
würde in Atome zerstieben...
Dann - - ein Stoß - - kein Stoß - ein Hieb
von der Faust eines nie gekannten Titanen.
Holz splittert, Taue spannen sich, klingen
hell wie Bogensaiten - - reißen...
Irgend etwas schlägt mir über den Hinterkopf
- - unter mir öffnet sich das berstende Deck - der Schoner sinkt - ich sacke
mit, die Sinne schwinden mir...
Totenstille.
Nichts mehr.
Der Tod?!
- Das war mein Taifun...
Achtes Kapitel
Nach dem Sturm
...Genau acht Tage sind vergangen, seit Jane Bellcastle mich aus der Brandung zog und - meinen Mukki.
Da waren wir noch so gut wie tot, der Fennek und ich... Da waren wir vollgepumpt mit Seewasser,
zerkratzt, blutend, verschunden...
Am Morgen nach dem Taifun fand Jane uns, als
die Sonne friedlich lachte und die Palmen rauschten und knisterten und die
schwache Brandung ein zahmes Lied sang.
Da fand sie, die Einsame, uns.
Ich erwachte.
Sie saß neben mir am Fuße der Palme, und
unsere Blicke ruhten lange ineinander.
"Das hatten Sie wohl nicht erwartet, Mr.
Abelsen," sagte sie mit müdem Lächeln...
Irgend etwas, das noch sehr schwach auf den
Beinen war, schob sich näher und kroch auf meinen Schoß: Fennek
mit dem Schlappohr!!
Er hatte ein Schlappohr seit jener
Schießerei, die ihm einen Teil seines Ohres kostete, und er sieht jetzt ein
wenig komisch aus, der treue Mukki.
Mukki ist ein schamloser Egoist. Nur er will
beachtet sein. Jetzt mehr denn je. Seine Freudenbezeugungen lenken meine
Gedanken ab, bis er sich beruhigt hat und ich Jane fragen kann: Wie kommen Sie
hierher. Wo sind wir?"
Auf ihrem Antlitz ist keine Spur von Schminke
mehr, ihr Leinenkleid, die Schuhe, die Seidenstrümpfe - - Lumpen nur noch!
Die Herzogin von Bellcastle
erwidert mit demselben müden Lächeln: "Ich kam zwölf Stunden vor Ihnen
hierher - ich schwamm, Sie und Ihren Fennek trieb
eine freundliche Strömung an diesen Strand, an diese leere Insel... Wir sind
allein hier, wir drei..."
Mein wirres Hirn klärte sich allmählich.
"Hier - trinken Sie, Mr.
Abelsen..." - und sie hielt mir eine halbe Kokosnuß hin, in der noch das
weiße Fleisch schimmerte. "Es ist Whisky mit Quellwasser... Der Whisky
stammt aus der Kajüte, die nach Ihnen samt anderen Wrackteilen angesegelt kam.
Der Taifun zog südwärts vorüber, ich spürte hier wenig davon."
Ich trank, und dann... kippte mein Magen um.
Nachher
fühlte ich mich weit kräftiger und trank nochmals. Das behielt ich bei mir.
"Entschuldigen Sie..." meinte ich
doch etwas verlegen...
"Oh, es war ja nur Seewasser, und wir
beide werden wohl das Schamgefühl etwas herabmindern müssen, Mr. Abelsen:
Robinson und Frau Robinson - ich bitte Sie!" In ihren dunklen Augen
zwinkerten kleine Teufelchen harmloser Schelmerei.
Ich gab ihr die Hand. "Sie haben mir und
Mukki das Leben gerettet, Jane," sagte ich zwanglos-herzlich. Ich danke
ihnen. Wir wollen alles Geschehene vergessen, wir sind hier aufeinander
angewiesen, wir wollen gute Kameraden sein..."
"Vielleicht," - und sie schaute zur
Seite.
Zwischen den Gräsern und dem Korallengeröll
lag der Zinkkasten, der mein Tagebuch stets verschloß. Er war offen...
Eine peinliche Pause...
"Sie haben gelesen, Jane?"
"Ja - alles. Aber das ist ja so
gleichgültig... Was bedeutet uns noch die Vergangenheit?! Nichts! Wir sind
abgeriegelt von aller Welt - ich war dort oben auf dem Berge, ringsum nichts
als Wasser - Meer - Himmel - Einsamkeit. Diese Insel gehört zu keinem
Archipel... Sie liegt völlig abseits. Es kann die Baker-Insel sein - kann...
Zwei Menschen, die wenig Aussicht haben, je wieder mit anderen in Berührung zu
kommen, sollten unter das Einst einen Strich ziehen und ein neues Blatt ihres Lebensbuches
beginnen - - und schreiben: "Zwei Menschen, durch das Geschick
aneinandergeschmiedet, sprechen nie mehr über Vergangenes!" - Wollen Sie
das tun, Olaf?" - Es klänge lächerlich, wollte ich Sie noch fernerhin Mr.
Abelsen anreden,"
Ich zauderte, überlegte: "Nur eine
Frage," bat ich. "Woher schwammen Sie an dieses Gestade? Ist ihre
Jacht untergegangen?"
Sie krauste etwas die Stirn.
"Wäre sie untergegangen!! Wäre sie
gesunken, Olaf!!" Ihre Stimme war hart und bitter. Dann beherrschte sie
sich wieder. "Es muß Ihnen genügen: ich schwamm von der Jacht hierher, die
noch ein wenig den Taifun zu kosten bekam - zu wenig! - Und damit ist's
genug... Haben Sie Hunger?"
Ich aß das Fleisch einer Kokosnuß...
So begann der erste Tag.
Unsere Hütte aus Blättern und Zweigen und dem
Dach der Kajüte der Astarte steht im Grünen auf dem flachen Gipfel des Berges.
Nach Osten zu schließt sich an diesen Berg, der seinen vulkanischen Ursprung
durch allerlei klare Zeichen verrät, die Laguneninsel unmittelbar an. Die
fleißigen Korallentierchen haben an diesen Berg ein Atoll, eine Ringinsel mit
einer einzigen Durchfahrt angeklebt - in Jahrtausenden...
Grün der ganze zerklüftete Berg mit den tiefen Lavarillen, mit den schroffen Ufern - vielleicht fünfzig
Meter hoch, vielleicht zweihundert unten im Durchmesser - grün der Ringstrand
des Korallenteils dieser Insel, deren Namen ich nicht kenne, auch nicht kennen
will.
"Name" ist schon Entweihung.
Es ist die Insel, unsere Insel...
Grün der Ringstrand, Palme an Palme, Busch an
Busch, Blume an Blume...
Paradies - nicht das Paradies der Enterbten,
sondern das Paradies der Geläuterten.
["Das Paradies der Enterbten" war
der vierte Titel in Walter Kabels
fünfzigbändiger Taschenbuchreihe "Olaf K. Abelsen: "Abenteuer abseits
vom Alltagswege", Berlin, Verlag moderner Lektüre, 1929 - 1933.]
Die Lagune, der Binnensee, mag fünfhundert
Meter Durchmesser haben, der Korallenstrand ist nirgends breiter als fünfzig
Meter, an manchen Stellen sogar nur zehn Meter, und dort ist er kahl, dort fegt
der Sturm in die Lagune hinein und hat all den fruchtbaren Guano und den
verwitterten Kalk, die Erde längst weggespült, spült ihn immer wieder weg.
Bisher hatten wir hier keinen Sturm. In den
acht Tagen, die wir hier sind, hat sich vieles geändert. Ich habe mit Jane die
Wrackteile geborgen, wir haben diese Hütte gebaut, die in der Mitte eine
Scheidewand hat - jeder hat sein Gemach. Eine Küche brauchen wir nicht, denn
wir haben weder Kochtöpfe noch Fleisch. Wenn wir in der Lagune Fische fangen,
rösten wir sie gleich am Korallenstrand am offenen Feuer. Aber wir fangen
selten etwas... Die Lagune ist zum Teil sehr flach, dann wieder abgrundtief,
und wenn wir ins Wasser waten, fliehen die Fische... Wir haben kein Boot, kein
Floß - noch nicht. Wir sind Vegetarier... Für Seevogelbraten danken wir. Und
auf unserer Insel gibt es leider keine Tauben, die doch sonst auf allen Atollen
anzutreffen sind. Fennek frißt mit Behagen Kokosnuß -
Fennek liebt Jane, und zuweilen verschwindet er
nachts von meinem Graslager und besucht Jane. Dann schlafe ich stets sehr unruhig.
Es ist ein wunderbares Leben auf unserer
Insel. Jane und ich begreifen jetzt so recht, wie paradiesisch das Dasein der
Südseeinsulaner gewesen sein muß, bevor die Europäer dieses sonnige Nichtstun,
dieses köstliche urwüchsige Charakterbild harmloser Naturkinder gründlich und
für immer vernichteten. Arbeit gab es nicht... Die wenige Arbeit war mehr
Spiel, Zeitvertreib. Lebensmittel wuchsen diesen Glücklichen buchstäblich in
den Mund. Daß sie zum Teil Menschenfresser waren, daß blutige Kämpfe, Piratenfahrten,
gelegentlich auch ein Mord jähe, krasse Abwechslung brachten: es wurde schnell
vergessen! In sauberen Pfahlbauten, in sauberen Hütten, in reichgeschnitzten
Booten, unter strahlendem Himmel, in reiner Luft, in strenger Ehrbarkeit,
Keuschheit und primitiver Aufrichtigkeit flossen ihre Tage dahin... Die
Häuptlinge der einzelnen Inseln führten ein strenges, gerechtes Regiment. Wuchs
aus ihrer Zahl einmal ein besonders befähigter Kopf hervor, dann unterwarf er
sich die Nachbarinseln, gründete ein größeres Reich, hielt sich eine stattliche
Truppe von Kriegern... Trotzdem blieb das Verhältnis zwischen Herrschenden und
Beherrschten stets ein durchaus Patriarchalisches. War der "König"
bei Laune, ordnete er ein allgemeines tagelanges Gelage von Palmwein an - man
tanzte mit Blumen im Haar, man bezechte sich - - alldem blieb immer der
kindlich naive Anstrich.
Ja - wir begriffen nun, was man diesen
Glücklichen gestohlen hatte, als man ihnen "die Kultur" schenkte..!
Man bestahl sie um ihr Bestes: um die Herzensreinheit, die auch der Mörder
besitzen kann, dem der Mord nicht als Verbrechen gilt!
Wir lebten ebenfalls wie Kinder... Wir
badeten, schwammen in der Lagune, wir schliefen, fischten, suchten Kokosnüsse,
wir berührten nie die Vergangenheit, unsere Gespräche drehten sich um Dinge,
die uns allein angingen, unsere Insel, den Fennek,
die Seevögel und... die Stechmücken.
Leider gab es hier nur zu viele davon. Sobald
der Abend anbrach, überfielen sie uns in ganzen Schwärmen. Da half nur Feuer
und Rauch. Da halfen nachts nur die von uns selbst geflochtenen Decken, die wir
auf Pfählen um unsere Lagerstätten schnürten. Jane lernte das Flechten überraschend
schnell. Sie war geschickt, eifrig, fast künstlerisch... Sie färbte diese Palmfasermatten
mit Blattgrün und Schneckenrot - eines Tages erschien sie selbst in einer Art
Kittel, unter dem sie nur noch einen Lendenschurz trug. Wir näherten uns sehr
schnell echt paradiesischen Zuständen.
Und doch...
Diese acht Tage zeigten mir, daß zwei
Menschen vielleicht unter dem Einfluß einer ungewohnten Umgebung und völlig
veränderter Lebensbedingungen für eine Woche Vergangenes ausschalten können.
Vielleicht so lange...
Schon gestern gab es zuweilen in unserem
müßigen Geplauder beklemmende Pausen, wenn das Gespräch doch einmal Dinge zu
streifen drohte, die für uns tot sein sollten.
Heute entschlüpfte mir unbewußt der Name
Aristide. Das war für Jane und mich wie ein lähmender Blitz. Wir starrten uns
fast entsetzt an, und - dann trennten wir uns - - angeblich um notwendige
Arbeiten zu verrichten.
Jetzt, wo Stunden darüber verstrichen sind,
wo ich allein hier in meinem Hüttengemach an dem Tisch aus Peter Bolks Koje sitze, haben wir noch nicht wieder zueinander
gefunden.
Es war Unnatur, ein derartiges Bündnis zu
schließen - und ich will mit Jane noch heute allen Ernstes dieses Uninnige erörtern
und den Widersinn aus der Welt schaffen...
Schon deshalb, weil ich es nicht länger
ertrage, meine toten Gefährten angeblich nicht zu betrauern - es ist unwahrhaftig,
eine Lüge gegen mich selbst. Ich denke so oft an den munteren geschwätzigen Hiruto, so oft an den stillen Matauo,
noch häufiger an Alfred Eversham, der doch Jane
geliebt hat, der sie verteidigte, der tausend Entschuldigungsgründe für sie
fand.
Und Jane weiß dies. Jane hat mein Tagebuch
gelesen. Sie weiß, was ich ihr zu Last lege, sie weiß alles...
Und - - wir sollen schweigen!!
Ich werde mit ihr reden... Es soll keine
Schranke zwischen uns aufwachsen... Aber wie sollten wir beide dann in dieser
Einsamkeit, jeder innerlich noch vereinsamter, weitervegetieren?!
...Ich höre draußen ihren Schritt...
Sie geht eiliger als sonst...
"Olaf!!"
"Ja - und?!" - Sie hat die Türmatte
gehoben... Trotz des Abendglanzes erscheint ihr Gesicht verfärbt...
"Olaf - - die Jacht!!" stößt sie
hervor und taumelt mir in die Arme... Zitternd, von Sinnen...
"Olaf -
- es... es gab ja schon damals in Batimar
Meuterei an Bord... Die Meuterer töteten den Kapitän, suchten Aristide zu
töten."
Ihr Kopf ruhte an meiner Schulter...
"Olaf - mich hatten sie
eingeschlossen... Die ganze Zeit... Hier erst, als der Taifun die Jacht
streifte und allen der Untergang drohte, ließen sie mich frei - - und ich
sprang über Bord..! So war's..!"
Ein Vorhang zerriß. Eversham
hatte doch recht gehabt. Jane war schuldlos!
"Ich glaube dir..." - und ich bog
ihren Kopf zurück... Wir blickten uns an... "Jane, mußte wirklich erst das
Meuterschiff erscheinen, um dich zu einer so wichtigen Erklärung zu zwingen?! -
Verzeih mir..."
In ihren Augen glühte die Angst...
"Sie werden dich töten... Rizzard, der Erste Offizier, ist ihr Anführer... Er muß
irgendwie erfahren haben, daß mein Riesenvermögen von Malmotta stammte - er
wollte Malmotta finden, er gewann die Besatzung für sich, er..."
"Was... ist Malmotta?" fragte ich
atemlos.
"Du... weißt es nicht?! Ich glaubte, du
wärest von Bolk eingeweiht worden... Malmotta ist
zweierlei, Olaf..: eine Insel und eine Brigg..!"
"Und - wo liegt die Insel?"
"Irgendwo nördlich der
Baker-Insel..."
"Und die Brigg?!"
Ein hilfloses Lächeln irrte um ihre Lippen.
"Da fragst du mich zuviel... Ich kenne
von alledem nur Bruchstücke - wie du! Aber dich - dich kenne ich bereits von
dem hohlen Boabab-Baum her, der mein Gefängnis war...
- Olaf, Jan Terpe und ich sind eins - ich war Jan Terpe, und John Friedrich Petersen, den Bolk
erschoß, war mein Vater..."
Sie war totenbleich geworden...
"Ja - mein... Vater," wiederholte
sie... "Hier..." sie riß das Medaillon von ihrer Brust, das ich einst
dem Toten abgenommen hatte, " - hier - - dies gab mir die Gewißheit, Olaf,
dieses winzige Bild eines Säuglings..! Hättest du je das Bild aus dem Medaillon
genommen, würdest du auf der Rückseite
gelesen haben:
Johanna Petersen - Malmotta, 2. 3.
1905."
Ich starrte sie wortlos an... All das kam zu
plötzlich, zu überraschend. Ich brauchte Zeit, Ordnung in meine Gedanken zu bringen.
Zeit?!
Und dort draußen auf See die Jacht mit den
Meuterern?!
"Komm, Jane, beobachten wir da Schiff...
Ein Glück, daß die Dunkelheit naht... Rasch, packen wir zusammen, was uns wertvoll..."
Es war bereits finster, als der Star of
London vorsichtig durch die schmale Einfahrt in die Lagune einlief, Anker warf
und ein Boot aussetzte...
Neuntes Kapitel
Die Rückkehr der weißen Jacht
Als das Boot knirschend auf den
Korallenstrand auflief, lagen Jane und ich keine zehn Schritt entfernt in den
Büschen. Wir kannten hier jeden Baum und Strauch, jede Bodenfalte, jede Kluft
des Berges. Das hatten wir den Feinden voraus. Das wollte ich vorsichtig ausnutzen,
denn so, wie die Dinge sich nun einmal sich zugespitzt hatten, gab es für uns
nur eine Rettungsmöglichkeit: mit demselben Boote zu fliehen, das soeben hier
fünf Bewaffnete gelandet hatte. Der sechste war als Wache in dem Kutter
verblieben und saß auf der Ruderbank, eine Büchse über den Knien, das Gesicht
dem Ufer zugekehrt. Er war ein älterer Mann, klein von Gestalt, aber
breitschultrig, mit einem verwilderten grauen Vollbart und gewaltigen Pranken.
Die durchaus geeignet schienen, sehr unsanft zuzuschlagen.
Die fünf blieben zunächst auf dem hellen
Streifen des Lagunensandes stehen und äugten mißtrauisch umher. Sie alle trugen
weiße Leinenanzüge und Strohhüte mit Bändern und Nackenschleiern. Der hagerste
und längste von ihnen, sehr patent in eine doppelreihige Jacke eingeknöpft, war
Malcom Rizzard, der Erste
Offizier, jetzt Piratenkapitän - Jane flüsterte es mir leise zu.
Ich sah das scharfe Profil des Mannes gegen
den hellen Himmel - ein Gesicht von verwegenen Linien, mit dünnen grausamen
Lippen und einer kühnen Adlernase.
"Ich erkannte sie sie genau mit dem
Glase - sie war's!" sagte Rizzard gedämpft.
"Wir müssen sie fangen... Sie wird uns mitteilen müssen, was wir noch
nicht wissen... Es hätte keinen Zweck, blindlings weiter nach der Insel zu
suchen. - Vorwärts, trennen wir uns... Waffen hat sie nicht, und..."
Das weitere entging uns - die fünf schritten
nach rechts davon, der eine kehrte dann zurück, zwei schienen den Berg zu
erklimmen, zwei verteilten sich nach Osten zu. Derjenige, der wieder an uns vorüberkam,
nahm es mit seiner Aufgabe sehr ernst. Er durchsuchte jeden Busch, er behielt
dabei die Umgebung im Auge - die sternenklare Nach half ihm ganz wesentlich, er
hatte auch eine große Schiffslaterne bei sich, und als er in einer Höhe mit dem
Boote saß, rief er der darin sitzenden Wache zu, ihm doch eine Schachtel
Zündhölzer zuzuwerfen. Der alte Graubart tat's, und den Moment benutzten Jane
und ich, unser gefährdetes Versteck zu verlassen und näher dem Berghang ein
neues zu wählen.
Diesen Mann mit der Laterne mußte ich
unbedingt haben. Ich brauchte seinen Anzug, seinen Hut - mein Plan war fertig,
es hieß rasch handeln.
Jane war verständig genug, mich nicht etwa
durch irgendwelche Bedenken zurückzuhalten. Im Gegenteil, von einer Frau ihres
besonderen Zuschnitts konnte ich mir nützliche Hilfe und tatkräftiges
Einspringen versprechen. Wer wie sie damals an der Küste Afrikas und an der
abessinischen Grenze in Männerkleidung so überraschend energisch und klug vorgegangen
war, wer wie sie damals sich von der Jagdexpedition getrennt und auf eigene
Faust Petersen, Joicker und Mortison
gefolgt war, um endlich irgendwie gerade über Petersens Persönlichkeit sich
Gewißheit zu verschaffen, wer wie sie hier auf unserer Insel täglich und
stündlich ebensoviel praktischen Sinn wie Einfühlungsvermögen gezeigt hatte -
einer solchen Frau durfte ich schon getrost in dem abenteuerlichen Vabanquespiel,
das uns letzte Rettung verhieß, auch eine schwierigere Rolle zuweisen.
Wir waren denn auch in wenigen Minuten
gegenseitig im klaren, ein paar hastige Sätze genügten, diese Rollen zu verteilen.
Mit dem seligen Frieden unseres Eilandes war
es vorüber...
Es ging hier jetzt hart auf hart. Und wie
immer, wenn die Umstände von mir fast Übermenschliches verlangten und die
Aussicht auf Erfolg geradezu winzig erschien, befiel mich jene beinahe
beglückende Ruhe und Zuversicht, die alle hemmenden Erwägungen zurückdrängt und
Geist und Körper zu einer gehorsamen Maschine macht.
Jane erhob sich aus dieser zusammengeduckten
Haltung und ließ ihr selbstgeflochtenes Indianergewand herabgleiten. Was sie
darunter trug, war wenig und behinderte sie beim Schwimmen nicht. Ich hörte
noch, wie sie zwei Äste leise abknickte... Dann war ich, meinen Fennek neben mir, schon hinter dem Laternenmann her. -
Mukki paßte sich jeder Situation an. Mukki hat sehr viel hinzugelernt. Es ist
erstaunlich, wie rasch dieser wilde Wüstenfuchs, den ich einst halb erwürgt aus
einer Schlinge befreite, ohne Dressur aus eignem Instinkt sein Verhalten den
Umständen nach einzurichten weiß. Ein ganz sanftes Schnalzen mit der Zunge
genügt, ihn dicht hinter mir wie angekettet zu haben - er merkt es meinen
Bewegungen an, wenn es gilt, jedes Geräusch zu vermeiden, er schleicht, wenn
ich schleiche - er macht halt, bevor noch mein Fuß völlig stockt, dabei wird er
niemals lediglich gehorsamen, behutsamer Automat werden - was mir entgeht,
spürt er mit seinen feineren Sinnen unweigerlich, dann stupst er sanft mit
seiner Nase gegen mein Bein, und das Warnungssignal genügt. Damals, als wir mit
Vincent Turst, dem geheimnisvollen Doktor "mit
Fett", die Felsenburg der Affenkönigin beschlichen und ringsum menschliche
und vierbeinige Bestien lauerten, hat er mehr als einmal im letzten Augenblick
eine Unvorsichtigkeit verhütet...
Damals...
Ja - wundervolle Tage, Wochen waren es, als
wir von Gefahr zu Gefahr eilten und schließlich doch siegten... Wenigstens Turst siegte, er eroberte sich zurück, was er verloren
hatte, er zog nordwärts in kultivierte Gegenden mit der Frau seines Herzens und
ich - - ritt ostwärts mit Patumengi...
...Du hast ganz recht, Mukki, daß du mich mit
deiner Nase ganz sanft stupst. Zehn Uhr etwa war es auf unserer Insel, als wir
dem Laternenmann nachschlichen. Wie Gespenster waren wir hinter ihm drein. Du
mit deinen weichen Pfötchen, ich mit nackten Füßen, denn unsere Insel ist nun
einmal ein Korallenatoll, und die kahlen Stellen des Bodens würden unter einer
Stiefelsohle knistern und knirschen... Ich hatte einmal einen Freund, der hieß Coy Cala, der lehrte mich alle
Schliche und Kniffe der Pampas-Indianer von der Gallegos Bucht. An ihn mußte ich jetzt denken. Und er war
unsichtbar neben mir, als es galt, dem strammen Matrosen mit der Laterne,
diesem Meuterer von der Star of London, so eins zu versetzen, daß er nicht
einen Laut von sich gab und auch nicht die Laterne fallen ließ.
Der Kerl vor uns war ein gerissener Kunde -
der gab sich keine Blöße, der hielt in der Linken die mir so lästige Laterne in
der Rechten eine kleine schwarze Pistole...
Und doch ereilte ihn sein Schicksal. Ahnungslos
brachte er einen breiten dichten Buschstreifen zwischen sich und die Lagune und
die ankernde Jacht - ahnungslos watete er durch die hohen Gräser, in die seine
Leuchte ohne Klirren versinken würde.
Zwei flüchtige Sprünge, ein schneller Hieb
mit dem knorrigen Knüttel, ein ebenso rascher gegen seine rechte Hand... dann
Hände um seine Kehle - - ein dumpfes Gurgeln, ein paar Zuckungen... Als er
gebunden und geknebelt im Dickicht lag, als ich in seinem weißen Tropenanzug
prunkte und in seinem Tropenhut, kehrte ich mit der
Laterne und der Pistole und einem malaiischen Dolch schleunigst um und näherte
mich dem Kutter, in dem der Graubart jetzt seine Pfeife in Brand gesetzt und
die Büchse abseits gelegt hatte.
Die Herren Meuterer, die das scheue Reh Jane
einkreisen wollten, hatten sich's bequem gemacht, hatten gleich den Kutter, der
die Jacht so behutsam durch die schmale Einfahrt in die Lagune geschleppt und
zum Ausbooten der Jäger benutzt.
Dank euch, ihr Herren! Den Kutter kann ich
brauchen.
Der Graubart sieht mich nahen, ich halte die
Laterne halb empor, er kann von meinem Gesicht nichts erkennen. Fennek ist dort an die Palmen gebunden - vorläufig - - Jane
muß längst die Lagune durchschwommen haben...
Und - es klappt...
Ich habe die Zeit richtig abgeschätzt....
Drüben über dem stillen Binnensee jetzt ein
schriller Schrei...
Eine Feuersäule schießt hoch...
Ein völlig verdorrter Palmestamm, dessen
gerupfte Rinde wie Zunder brennt, wird zur Fackel.
Was nur irgend Augen im Kopf hat, starrt
dorthin, wo die Lohe hochflackert...
Auch mein Gaubart...
Ich springe in den Kutter - über die Bänke.
...Armer alter Schuft - - du störst nicht
mehr...
Zurück zu Mukki, mit Mukki zurück zum Boot -
- abstoßen - - Motor anwerfen... Steuer herum - - Kurs: Einfahrt!!
Das Schifflein -
Allah segne den Erbauer - läuft wie ein Windhund... Der Motor knattert, knallt
- - dann haben die Kerle doch Argwohn geschöpft...
Bienchen summen...
Bleierne Bienen...
Schüsse...
Brüllen...
Neue Kugeln...
Mukki, der Dumme, schnappt nach den singenden
Dingern...
Sind das Sauschützen!!
Ich flitze durch die Einfahrt...
Korallenfelsen flankieren sie... Treibholz
bedeckt sie...
Ich werfe den Graubart ans Ufer... Möglich,
daß er sich ein paar Rippen brach... Die Laterne fliegt hinterdrein...
Zerbricht... Petroleum fließ aus... Das
Treibholz brennt, qualmt - mein Kutter schießt durch die Brandung, wendet, rast
weiter...
Stehend steuere ich ihn, überblicke die
See...
Eine Hand reckt sich empor...
"Olaf - - hier!!"
Ich ziehe Jane ins Boot, sie ist erschöpft -
sie lacht, lacht und sagt stolz:
"Das Tau schlang ich achtmal um die
Schraube, Olaf... Die Büsche verdeckten meinen Kopf... Viermal tauchte
ich..."
Die auf dem Star of London werden sich
verdammt gewundert haben, weshalb die Schraube der Jacht plötzlich unklar geworden
und der weiße Luxuskahn sich nicht rührte...
So entkamen wir...
1o. Kapitel
Verfolgungsjagd auf See
Das Letzte, was wir von unserer Insel sahen,
waren die von unten rot beleuchteten Qualmwolken des brennenden Treibholzes...
Qualm, den der neckische Wind flüchtig zu
einem riesigen Fragezeichen formte.
"Olaf, wir haben hier im Kutter in
Zinkkästen stets so alles Mögliche in weiser Voraussicht verstaut gehabt... Ein
anständiges Rettungsboot einer Millionärsjacht ist für alles gerüstet... Ich
werde mal die Seitenkästen öffnen."
Sie kauerte am Boden und suchte mit dem
Bootshaken die lackierten Zinkkästen zu meistern. "Olaf! Ich bekomme das
Schloß nicht auf!"
Ich nahm ihren Platz ein und schlug die
Zinkbehälter auf. Ich fand all das, was weise Voraussicht in diesen Kästen verstaut
hatte, und als ich Jane die Kleidungsstücke zuwarf, die sie sich wünschte,
begriff ich mit einem Male, daß ich hier im Kutter den weißen Tropenzug trug,
den ich dem Laternenmann abgenommen hatte, und Jane noch von ihrem
Schwimmausflug zur Jacht her halbnackt war. Ich schämte mich dieses Kontrastes.
Auf unserer Insel waren wir Kinder gewesen - Brüderlein, Schwesterlein - beide
in Lumpen, die kaum unsere Blöße verdeckten - wir hatten im Wasser geplanscht,
wir hatten uns in paradiesischer Unschuld von der prallen Sonne uns trocknen
lassen...
Und jetzt brachte uns dieser Kutter mit
seinem Benzingestank wieder zurück in die Zivilisation, wo sie die Herzogin war
und ich der steckbrieflich gesuchte Flüchtling...
Der Wasserbehälter ganz vorn im Kutter war
gut gefüllt. Ich untersuchte die Kästen
- mit Dauerproviant - gefüllt! - Ich sah mir die Segelausrüstung an, ich
fügte die Teile des Mastes zusammen, befestigte die Taue, Leinen, Segel - - ich
arbeitete, arbeitete, warf keinen Blick zum Heck, wo Jane Bellcastle
wohl längst in einem hellen Leinenrock, in heller Bluse, Hut, Schuhen,
Strümpfen am Steuer saß und... dem verlorenen Paradies nachtrauerte.
Dann ging ich zu ihr.
"Wenn das Segeltuch ausreicht, errichte
mir vorn ein Zelt, Olaf. Ich... bin... müde..."
So fuhren wir diese Nacht gen Norden...
Ziellos - gen Norden, irgendwohin über schäumende Wellentäler... wir drei - -
Jane, die im Zelt schlief, ich am Heck und Fennek der
eingerollt neben mir lag und auch schlief.
Die Nacht war heiß und windig. Ein böiger
Passat ließ das Segel knallen und klatschen, aber der Kutter machte auch ohne
die Schraube gute Fahrt und spottete der weißen Wogenkämme, die hoch an seinem
Bord emporleckten und mir nur selten feine Spritzer
in das Gesicht stäubten.
Auch ein Kompaß mit einem Deckel war links in
die Ruderbank eingelassen. Ich sah, daß die Nadel immer wieder scheinbar zu
sehr nach Osten abwich, denn ich hatte mich zunächst lediglich nach den
Gestirnen gerichtet. Zum Innehalten eines Kurses genügen sie ja. Es mußte also
eine sehr starke Strömung uns abtreiben, eine jener vielen Strömungen, die das
Fahrwasser in den Südseegruppen so gefährlich machen.
Der Wind schlief immer mehr ein. Wir
gelangten in fast völlig stilles Wasser. Nur lange flache Wogen zogen dahin in
die Unendlichkeit, ohne weiße Greisenköpfe - - wie Peter Bolk
einen gehabt hatte.
Ich ließ den Motor wieder laufen und beschlug
die Segel. Nun sah ich das Leinwandzelt vorn ganz deutlich. Dort ruhte Jane.
Sie hatte nichts dazu beigetragen, die beginnende Entfremdung zwischen uns zu
beseitigen, sie war mit freundlichem "Gute Nacht" hinter dem Leinen
verschwunden, aber der Ton ihrer Stimme hatte müde geklungen.
"Müde" - hatte sie selbst gesagt.
In halbwachem Dahindämmern, das doch auch
wieder ein beschwingtes sich Vertiefen in vergangene Tage war, gedachte ich der
Gefährten, die mir der Taifun entrissen hatte. Der Aufprall des Schoners auf
irgendein Riff war mit so ungeheurer Gewalt erfolgt, daß die Astarte
buchstäblich in der Mitte zerbrochen wurde wie eine armselige Schachtel durch
einen Beilhieb. Ich hatte dabei das Bewußtsein verloren - daß meine Hand weiter
in Fenneks Nackenfell verkrampft blieb, war ein
Zufall. Wir beide waren mit dem Leben davongekommen - die Gefährten aber?!
Gewiß, es bestand eine geringe Möglichkeit, daß die Wrackteile, nach dem die
Ballaststücke aus dem Kühlraum herausgerutscht waren, weiter vom Sturm
davongetragen wurden, denn die Astarte war ein hölzernes Schiff aus bestem
Fichtenholz, und die beiden Hälften des Wracks mußten sich an der Oberfläche
des Meeres gehalten haben, konnten sogar vereint davongetrieben
sein, da die Taue, die wir über das Deck gezurrt hatten, neu und gut geteert
und unzerreißbar waren.
Sollten die drei - Eversham,
Hiruto und der Kanake - noch leben, so würden sie
vielleicht - immer vielleicht - irgendein Gestade erreicht haben, und dann
würde Evershams verbissene Energie nicht ruhen und
nicht rasten und trotz allem abermals nach Malmotta suchen...
Es ist unerträglich heiß in dieser Flaute.
Ich habe die weiße Jacke längst abgelegt. Die Luft muß wieder mit Elektrizität
übersättigt sein, ich sehe zwar keine St.-Elms-Feuer,
keine Leuchterscheinungen, aber ich spüre in den
Nerven eine unerträgliche Spannung. Kein Vogel, kein Fisch ist sichtbar, die
Wasserwüste ist leer, und das Gefühl der Einsamkeit bedrückt mich. Wer so viel
in engster Verbundenheit mit der Natur gelebt hat wie ich, empfindet am
deutlichsten, daß in unserer Seele ein unbekanntes, angezweifeltes, dunkles
Gebiet verborgen liegt, das mit dem Hirn in innigstem Kontakt steht: das Unterbewußtsein.
Ich fühle eine neue Katastrophe, neue
Aufregungen - - und irgend etwas, das stärker ist als mein halbes Wachsein und
mein auf anderes Dinge gerichtetes überwaches Grübeln, zwingt meinen Kopf zur
Seite und meinen Körper zu einer halben Drehung. Im selben Moment geschieht
zweierlei. Ich vernehme mit dem Gehör aus unbekannter Ferne ein Grollen und
Brausen, das sofort wieder erstickt, und ich sehe mit sich weitenden Augen
hinter uns eine langsam über das Meer gleitende Lichtbahn - einen leuchtenden
suchenden Kegel, einen Scheinwerfer.
Die Jacht hat die Schraube doch wieder klar
bekommen, und Malcolm Rizzard, der Meutererkapitän,
will uns um jeden Preis erwischen, damit Jane ihm verrate, wo die erhofften
Schätze zu finden seien.
Dabei weiß noch nicht einmal ich etwas über
diese Schätze...
Nichts weiß ich.
Jane und ich haben keine Zeit gefunden, diese
Frage zu erörtern. Ich kenne von dem ganzen Geheimnis wie bisher nur Stücke.
Der bunte Gobelin ist unfertig geblieben.
...Sie wollen uns fangen, die da hinten, und
sie werden uns fangen. Noch liegt die Jacht weit zurück, aber ihre Geschwindigkeit
gestattet ihr, zu kreuzen und zu suchen...
Unser Kutter ist nur eine Schnecke mit seinem
Hilfsmotor, und der Wind streikt.
Sie werden uns fangen. Sie haben den Kapitän
damals ermordet, sie wollten Aristide morden, sie haben ihn nachher vom Schoner
heimlich geholt, ihn und Peter Bolk... Sie hätten Eversham ermordet, aber den hatte Jane bereits von der
Jacht verwiesen, weil er den "Diebstahl" nicht mitmachen wollte. Jane
lag es an John Petersens geringer Hinterlassenschaft, und John war ihr Vater.
Sie werden uns fangen. Das bedeutet für mich
und Mukki den sicheren Tod, für Jane neue Demütigungen...
Und doch werden sie uns nicht fangen. Ich
werde Jane nicht wecken, ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, ihnen
zu entkommen. Ich werde bis zum letzten Augenblick die Entscheidung
hinausschieben und Jane dann fragen, ob sie mit mir sterben oder lebend in die
Hände der Meuterer fallen will. Wir haben Waffen... Als erstes würde ich Fennek erschießen... Ich würde ihn noch ein letztes Mal
streicheln und sein Köpfchen an meine Wange drücken und - ihn erlösen...
Ich würde Jane vorher noch sagen, daß ich sie
liebe - nicht als Schwester - so liebe, wie ich keine einzige der Frauen geliebt
habe, die meinen Weg kreuzten und die mir sonnige Tage und heiße Nächte
schenkten und dann doch wieder - zum Glück - von mir gingen, angelockt von dem
starken verlogenen Magnet, der da heißt Zivilisation!
Ich bin ganz ruhig bei alledem. Gewiß, ich
hätte gewünscht, daß meine Pfade abseits des Alltags ein anderes Ende fänden. -
Selbstmord?! - Er hat den bitteren Beigeschmack der Feigheit, sagen die
Superschlauen hinter dem Schreibtisch und empören sich dagegen. - Narren. - Ich
hatte einen Freund, einen Arzt, der aus einer erblich belasteten Familie
stammte. Er fühlte den Wahnsinn nahen - als wir ihn tot im Walde fanden, waren
die Sohlen seiner Stiefel poliert von den Tannenadeln des Bodens - so oft war
er vor der Bank hin und her gegangen und hatte mit sich gerungen und - nicht
feige sein wollen.
Versetzt euch einmal in den Seelenzustand
eines solchen Unglücklichen, der keinen anderen Ausweg mehr findet, ihr kaltherzigen
Pharisäer! - Feigheit?! Nie las ich etwas Dümmeres als das.
Ich werde sterben. Fennek
auch.
[Der Autor selber, Walther Kabel, tötete
sich, von den Nazis gehetzt, am 6. Mai 1935 mit einem Schuß aus seiner alten
Dienstpistole, die er als Offizier im Ersten Weltkrieg getragen hatte.]
Nicht ohne Gegenwehr werden wir scheiden. Ich
habe hier zwei Repetierbüchsen im Kutter, zwei Pistolen. Es werden verschiedene
von dem Gesindel, das sich da auf fremdem Eigentum jetzt die Herrschaft anmaßt
und nur die eigenen Taschen füllen will, ins Gras beißen müssen. Meines
Schusses war ich stets sicher. Und die da - Sauschützen. Ich weiß es. Es wird einige
Kopflöcher geben, die nie mehr zuheilen, und...
Meine Gedankenkette zerreißt.
Wieder das Grollen, Brausen - noch stärker!
Ein Gewitter? Ein Orkan?!
Der Nachthimmel ist klar, nur der Horizont
schwimmt in milchigem Dunst.
Dann - seltsam - kommt eine einzelne Woge
dahergerollt - eine, die gegen den Wind, gegen die anderen anrennt... Wie ein
Wasserberg, durch einen Stoß aus den Tiefen des Ozeans geboren,
vorwärtsgetrieben durch ebenso geheime Gewalten.
Der dunkelgrüne Berg rast uns entgegen, gegen
seine Brüder. Schaumstreifen kennzeichnen seinen Weg, er überrennt alles, aber
die Brüder, die sich ihm entgegenstemmen, hemmen seine Kraft - der Kutter
schwebt empor - - die Woge ist vorüber...
Ich blicke ihr nach.
Die Jacht und der Scheinwerfer sind
aufgerückt. Vielleicht noch zehn Minuten, dann...
...soeben schwenkte ein Lichtstrahl herum.
Ich spüre bereits seine Helle...
Ob sie uns aufgespürt haben?!
Der gleißende Finger kehr zurück, bleibt in
derselben Richtung - liegt auf dem Kutter mit seiner breiten Strahlenspitze...
Ein dumpfer Krach da... Der Kutter zittert.
Dicht an der Bordwand schrammt ein Balken vorüber, ein Maststumpf - ein ganzes
Wrack.
Jetzt muß der Wasserberg die Jacht erreicht
haben... Er schüttelt sie... Der Scheinwerfer läßt von uns ab, und ich - ich
schlage den Bootshaken in das Wrack...
"Jane..!!"
Sie kommt.
Worte stolpern über die Zunge...
Jane begreift...
Jane schnürt das Bündel...
Ich binde das Ruder fest - ein Brett mit
Jacke und Hut täuscht den Steuermann vor - mich...
Hinein ins Wasser...
Hin zum Maststumpf... Taue halten uns fest...
Mukki heult...
Der Kutter eilt mit seinem falschen
Steuermann weiter.
Uns treibt die Strömung abseits...
Der leuchtende Kegel ruht wieder auf dem
Kutter...
Wir?!
...Wir... treiben...
Minuten darauf jagt der Star of London in der
Ferne vorüber...
Wir?!
...Ich sage zu Jane mit bewegter Stimme:
"Jane, es ist das Wrack der Astarte! Da
- schau hin, es sind zwei Wrackteile, durch Taue verbunden."
Ich bin wieder auf dem Schoner.
Das Schicksal hat nicht gewollt, daß wir
sterben.
Elftes Kapitel
Das
Seebeben
"Unser Floß ist denn doch zu
unbequem," sage ich zu Jane. "Ich werde versuchen, ein paar Planken
loszuwuchten und um den Mast einen Balkon zu bauen. Wir sitzen halb im Wasser,
und auch unsere Proviantkästen und der Wasserbehälter müssen besser geschützt
werden."
Mukki ist am empörtesten,
daß er mit einer Leine um die Brust und dem Leib auf Janes Schoß kauern muß -
auch im Wasser.
Ich seile mich an und beginne die Arbeit. Ich
wate über zertrümmerte Balken, ich arbeite für Jane, und ich freue mich dessen.
Ich reiche ihr Bretter zu, Tauenden, Segelfetzen...
Mit einem Male dröhnt wieder das Grollen über
das Meer, und wieder kommt solch ein
widerborstiger Wasserberg anmarschiert - diesmal noch höher, braust über uns
hinweg und taucht uns tief ein.
Wir schnappen nach Luft, als er vorübergeeilt
ist - nasser, als wir es schon waren, konnten wir nicht mehr werden.
Mukki wimmert. Jane tröstet ihn. Er hat
Salzwasser geschluckt und gibt es wieder von sich. Jane lacht...
Ich baue den Balkon... Ich bin in die Kombüse
hinabgetaucht und habe wirklich den Kasten mit den Werkzeugen gefunden und nach
oben befördert. Jane schwingt den Hammer, wir nageln, hämmern, klopfen - und
dann gerade unter uns ein neues Grollen, Dröhnen...
Ein Stoß---
Ich rutsche ab - ich müßte nun in tiefem
Wasser zappeln, aber es ist nicht so: meine Füße finden festen Halt - keine
Planken, rauhes Gestein... Das fühle ich...
Ein neuer Stoß...
Und kaum dreihundert Meter vor uns steigt aus
dem Ozean ein dampfender ungeheurer Wasserstrahl hoch...
Schwefeldunst füllt die Luft...
Unheimliche Kräfte sind am Werk, heben das
Wrack, plötzlich rund um uns heller Korallenboden, Meeresboden...
Der gigantische Geyssr
sinkt lärmend in sich zusammen - aber das Gestein, das wir sehen, wächst an
Ausdehnung - langsam tritt der Ozean zurück, besiegt von den unterirdischen
vulkanischen Kräften, die hier in kurzem eine Insel erstehen lassen.
Wortlos, reglos beobachten wir...
Ich fühle, daß ich blaß bin...
Jane lehnt zitternd an meiner Schulter...
Das Wrack liegt längst auf dem Trockenen -
Baumstümpfe erscheinen, Reste von Palmen - Felsen, verfaulte Sträucher, Hügel,
neue tote Palmen...
Immer höher steigt der Meeresboden - wir
liegen im Tale, das Wasser läuft ab, nur Tümpel stehen noch hier und dort und
spiegeln die Sterne wieder...
Jane flüstert beklommene Fragen. Ich gebe ihr
Aufschluß. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß ein Seebeben Neuland, neue Inseln
schafft. Aber diese Insel, die hier vor unseren Augen entsteht, ist nicht
Neuland - diese Insel hat schon einmal existiert, Büsche und Sträucher haben
auf ihr geblüht, Gräser wuchsen, Palmen trugen Früchte...
Eine tote Insel ist zu neuem Leben erweckt -
der Ozean, der sie verschlang, gab sie wieder her - der Ozean war gnädig und
schuf uns eine feste Zufluchtsstätte.
Noch ein letztes Grollen in den Tiefen - dann
scheint der Prozeß der Wiedergeburt beendet zu sein.
Wind erhebt sich, der Schwefeldunst
schwindet.
Zwei Menschen und ein Fennek
betreten den Wunderboden der toten, wiedererweckten Insel. Mukki rennt umher,
schüttelt den nassen Pelz, schnuppert...
Zwei Menschen lehnen Hand in Hand aneinander
und blicken sich an und fühlen noch den Schauer des großen Geheimnisses dieser
neuesten und doch uralten Schöpfungsgeschichte.
Also steht es verzeichnet im I. Buch Moses:
Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, und die sei ein Unterschied
zwischen den Wassern. Es sammele sich das Wasser unter dem Himmel an besondere
Örter, so daß man das Trockene sehe. Und es geschah also. Und Gott nannte das
Trockene Erde, und die Sammlung des Wassers nannte er das Meer.
Also geschah es auch hier. Und die Menschen,
die zu Zeugen dieses Geschehens wurden, fanden sich zueinander. Ich zog Jane in
einem Übermaß des Bewußtseins, mit ihr zusammen dem Tode entronnen zu sein,
ganz sanft an mich.. Und ich sprach Worte, die aus der Tiefe eines dankbaren,
freudigen Gemütes kamen. Ich sagte alte, uralte Sprüchlein reinen Begehrens,
bei dem die Seele die Melodie angibt: "Ich liebe dich!"
Sie lächelte dankbar, sie bot mir dankbar die
Lippen dar, und die Scheidewand, das Fremdsein schwand mit einem Schlage dahin.
"Olaf - wieder unsere Insel, und allein
geschenkt," lächelte sie versonnen, und dann schritten wir, getrieben von
einer Neugierde, die das Wunder in einem vollen Umfang zu schauen trachtete,
Hand in Hand dem Berge zu, der sich hier in der Mitte der Koralleninsel zu
erheben schien...
Die Morgendämmerung brach gerade an... Wir
staunten, als wir die dunklen feuchten Felsen rauchen sahen: Sie waren heiß,
das Wasser verdampfte, sie waren noch durchhitzt von
den Feuergluten der Tiefe, die vorhin den gigantischen Geiser hochgeschleudert
hatten.
Vorsichtig klommen wir höher und höher - ich
hatte Mukki in den Arm genommen, ich rechnete mit glühenden Lavaströmen, mit
irgendwelchen gefährlichen Überraschungen.
Aber nichts gefährdete uns. Um uns her
standen die toten, unter Wasser abgestorbenen Palmen wie graue Pfähle, Muscheln
und schleimige Tiere klebten daran, traurig hingen die verfaulten Kronen herab,
traurig watete der Fuß über Reste von Sträuchern, über Wasserpfützen, in denen
noch allerlei Meeresbewohner herumkrabbelten - in wilder Angst über den engen
Käfig, in den all dieses Getier der Tiefe plötzlich zusammengepfercht worden
war.
Dann überblickten wir die Insel.
Und das, was uns stutzen ließ, waren zwei
Schiffsrümpfe - der eine im Norden in einer schmalen Bucht halb auf dem
Trockenen, der andere auch nordwärts am Fuße des Berges -, zwei Wracke. Das in
der Bucht ein eiserner Schoner, leuchtend in rotem Rost mit zwei Masten. Das
andere ein plumpes, kurzes, breites Fahrzeug mit hohen Aufbauten, wie es
vielleicht zu Zeiten des Kolumbus modern gewesen sein mochte.
Und weiter glitt der Blick - - auch diese
Insel, halb Fels, halb Korallenbau, hatte ihre Lagune, ihren Ring, ihren Ringstrand
- nach Süden zu.
Klein war diese Schöpfung, diese
wiedererstandene Insel nicht. Sie war größer als unser grünes freundliches
Paradies, aber - - sie war tot...
Sie hatte einst gelebt.
Das bewiesen die Palmen...
Das Leben auf ihr war erloschen, als sie
hinabsank in die Schlünde des Meeres und das Getier der Tiefe Besitz ergriff
von ihren noch grünenden Hainen und
Fische durch Palmenkronen ruderten und vielleicht gierige Haie die
Leichen zerfleischten, die bei der großen Katastrophe des Untergangs unter
rollenden Felsmassen begraben wurden.
Es muß so gewesen sein.
Schaudernd deutete Jane auf Skeletteile, Totenschädel...
Aber die Sonne kam, urplötzlich durchbrach
sie die dunstigen Schleier im Osten und streute Wärme und Licht und Hoffnung
über das Abgeschiedene.
Das Meer war frei, das Meer war blank und
leer. Kein Segel, keine Rauchfahne am Horizont, kein Anzeichen, daß die Jacht
noch in der Nähe sein könnte.
Mich trieb es hinab zu den Schiffen... Eine
innere Stimme sagte mir, daß diese Insel Malmotta war - - daß das Unbekannte
nun eine halbe Lösung gefunden hatte. Ich erinnere mich an Peter Bolks scheinbar widersinnige Bemerkungen, als ich ihn kaum
erst kennengelernt hatte...
Glauben Sie an die periodische Wiederkehr
gewisser Erdumwälzungen? Sie sind doch ein Studierter..!"
So hatte er mich gefragt, und ich hatte
nichts zu erwidern gewußt, hatte ihn für geistesgestört gehalten!
Jetzt begriff ich die Bedeutung dieser Frage,
begriff auch seine feindseligen Reden über die drei, die er erschossen hatte.
"Das sind sie..! vor zwanzig Jahren
waren sie jung... Sie wußten viel, und sie klebten sich an meine Fährte, bis
sie mich fanden... Narren!! Als ob es auf Malmotta Gold gegeben hätte!"
Vor zwanzig Jahren!
Das war der Kern des ganzen.
Vor zwanzig Jahren mußte diese Insel jäh
versunken sein... Vor zwanzig Jahren mußten hier Peter Bolk,
Joicker, Mortison und John
gelebt haben!
Dort am Buchtrand unweit des verrosteten
Schoners sah man noch die Reste von Hütten und Blockhäusern...
Die Insel war bewohnt gewesen, und daß die
Insel Janes Heimat war, erschien mir gewiß. Aber ich schwieg zunächst. Die Frau
neben mir war noch zu sehr erschüttert von dem soeben Erlebten, als daß ich sie
hätte mit Fragen bestürmen können,
Ein flüchtiger Blick in ihr von irgendeiner
neuen Erinnerung zerwühltes Antlitz zeigte mir ohnedies, daß sie vielleicht
doch bereits demselben Gedanken nachging, der auch mich beschäftigte. Sie
stützte sich schwer auf meinen Arm, und das einzige, was sie auf dem Wege bis
zu dem Wrack des altertümlichen Schiffes sagte, waren die mehr zu sich selbst
gesprochenen Worte:
"Es ist mir alles so fremd und doch so
seltsam bekannt - - ich fürchte mich!"
Je mehr wir uns dem schiefliegenden ersten
Wracke näherten, desto mehr zögerte sie. Ihr Körper lehnte sich schwerer an
mich, in ihren Augen brannte ein fiebriges Glänzen, aber ihre Wangen waren ohne
Farbe und tief eingefallen.
Unter unseren Füßen krochen Krebstiere
eiligst davon - dem neuen Strande, dem Meere zu, getrieben von jenem Instinkt,
der sie die Heimat, den Ozean, mit Sicherheit wiederfinden ließ. Unten an der
Nordseite des Berges kämpfte zwischen Geröll ein riesiger Hai, der mit auf das
Trockene geraten war, einen vergeblichen Kampf gegen die heiße, reine Luft des
Meeres, die ihm den Tod bringen mußte, da das Meer selbst ihm fehlte. Er
schnellte sich mit grimmigen Schwanzschlägen immer wieder in die Luft, in
seinen Augen lag ein fast menschlicher Ausdruck der Qual - ein Pistolenschuß erlöste
ihn.
Nun standen wir neben dem, was einmal in
früheren Zeiten Schiff gewesen...
Gewesen: Nichts mehr von Planken, Balken,
Deck, Einzelteilen - nur noch ein unheimliches mit Kraut und Muscheln
bewachsenes, halbverfaultes, halbzerstörtes Gebilde.
Man erkannte noch das plumpe Steuer - dicht
daneben klaffte ein Loch in der Bordwand... ein riesiges Loch, das uns einen
Blick ins Innere erlaubte.
Finsternis da drinnen - Muscheln, Algen.
Zappelndes Getier... Fauliger Gestank dringt heraus...
"Nur fort, Olaf!" fleht Jane
zitternd.
Und nach wenigen Schritten flüstert sie wie
vorhin:
"All das... so fremd - und so bekannt -
so als hätte ich es wiederholt in meinen Träumen geschaut, und das - ist doch
nicht möglich, Olaf."
Sie atmet laut, sie ringt förmlich nach Luft.
Wir gehen durch eine Allee toter Palmen... Baumleichen - im Sonnenschein.
Dann, als wir das rote Wrack am Ostufer der tief
einschneidenden Bucht schon klarer erkennen:
"Olaf, wenn das hier... Malmotta
wäre?!"
Sie wagt es kaum über die Lippen zu quälen.
"Dann, Olaf - dann... wäre dies meine
Heimat, meine Geburtsstätte - hier müßten dann mein Vater und meine Mutter
gelebt, geliebt haben." Sie schluchzt bitter auf... "Ich... kenne ja
so wenig von meiner frühesten Kindheit... Im treibenden Boot fischte ein
englischer Dampfer hier in der Südsee bei der Baker-Insel zwei Kinder auf,
Säuglinge...einen Knaben, ein Mädchen.. beide dem Verscheiden nahe, beide in
Segeltuch gewickelt... Und in die Hülle des Mädchens waren mit
eingehüllt..." - sie zögerte wieder - "Diamanten, wasserklare,
wundervolle, übergroße Steine, die nachher von dem Vormundschaftsgericht
versteigert wurden und Millionen einbrachten... Dieses Kind war ich, Olaf...
Außer den Edelsteinen fanden die englischen Seeleute nur noch einige Fetzen von
Papieren - man glaubte aus diesen zu entnehmen, daß ich Jane Pers hieße. - Alle
Nachforschungen, woher das treibende Boot - es war ein großer Insulanernachen -
stammte und wer mein Vater gewesen sein könnte, waren ergebnislos. In Hamburg
wurde ich zuerst einer Frau in Pflege gegeben, die zufällig auch Pers hieß -
man vermutete zunächst, ich sei mit ihr verwandt. Nachher zog diese Witwe nach
London, da die englischen Gerichte die Vormundschaft führten..."
Sie war stehengeblieben.
"Olaf - und noch eins: Jene Papierfetzen
- es waren Teile von Briefen, Ausweispapieren und Schiffsdokumenten - und enthielten
such den Namen Malmotta an mehreren Stellen, ebenso 'Baker-Insel' und 'Sporaden' und 'Phoenix-Inseln'. Und all das wurde mir
später ausgehändigt als ich erwachsen war---Wie oft habe ich diese Fetzen
aneinanderzufügen gesucht, gesichtet - habe darüber gegrübelt und schließlich
in einer Stunde der Erkenntnis nur das eine annehmen zu können geglaubt: daß
meine Heimat eine unbekannte Insel in der Nähe der Baker-Insel sein müsse, die
im Mai des Jahres 1906, dann da wurden wir Kinder von dem Dampfer aufgefischt,
infolge eines Seebebens versank. Der Kapitän des Dampfers hatte ja zu Protokoll
gegeben, daß in der Nacht vor unserer Auffindung ein schlimmer Orkan gewütet
habe, begleitet von allen Anzeichen eines sehr starken Seebebens. - Olaf,
deshalb kaufte ich die Jacht, deshalb ließ ich durch Männer, die in der Südsee Bescheid wußten, alle möglichen
Nachfragen halten, die wenigstens etwas Licht in die Dunkelheit brachten:
sowohl auf den Phönix-Inseln als auch im Gilbert-Archipel ging unter den Eingeborenen
die Sage, daß nördlich von der Baker-Insel irgendwo ein Eiland vorhanden sei,
das freilich stets nur für kurze Zeit dem Meer entsteige und nach wenigen
Jahren wieder versinke, um nach abermals etwa zwanzig Jahren von neuem zu erscheinen...
- Deshalb, Olaf, besuchte ich mit dem Star of London diese Inselgruppen auch
persönlich - ein Maschinenschaden zwang uns nachher im Roten Meer den kleinen
Hafen Batimar anzulaufen - und dort begegnete ich
jenem Petersen, Olaf, er kam auf die Jacht und sprach mit mir und fragte immer
wieder nach diesem und jenem, als ob auch er an Malmotta ein bestimmtes
Interesse hätte... So entwickelten sich die Dinge weiter, Olaf - ich brauche
dir nicht alles zu erzählen, du kannst dir vieles ergänzen, das meiste hast du
miterlebt... Bis - ja, bis mir der Gedanke aufstieg, Petersen könnte mein Vater
sein - - und bis mir das Medaillon Gewißheit gab."
"Und - - der Knabe aus dem
Insulanerboot, Jane - was wurde aus dem Knaben?"
Sie trocknete die Tränen.
"Olaf, der Knabe wurde von dem Steward
jenes Dampfers an Kindes statt angenommen... Von dem Knaben wußte man nichts,
aber er war etwas älter als ich, er soll bereits einige Worte haben lallen
können. Der Steward hieß Aristide d'Oly, so wurde
auch der Knabe genannt. Er wuchs in Marseille auf, von ihm hörte ich erst
später, als ich meine geheimnisvolle Lebensgeschichte erfuhr, wieder Jahre
nachher schrieb ich ihm und sorgte für ihn... Er wurde mein Kammerdiener und
Sekretär..."
Sie starrte durch die muschelbewachsenenen
Pfähle wie gebannt auf das rote verrostete Wrack.
"...Olaf, ich war vielleicht ein Jahr
alt, als der Dampfer mich und Aristide rettete... uns beide allein... von der
Sonne halb gebraten, halbtot... Vielleicht, Olaf, hat meine Mutter mich hier
auf dieser Insel in ihren Armen umhergetragen, vielleicht habe ich damals das
alte Wrack gesehen..." Sie drehte langsam den Kopf und deutete auf das
uralte Holzschiff am Bergabhang... "Vielleicht vergißt selbst ein Säugling
solche Bilder nie mehr, vielleicht prägen sie sich auch dem unentwickelten Hirn
so tief ein, daß sie... wieder aufleben - - wie jetzt! Eine innere Stimme sagt
mir, daß ich gerade jenes Ungetüm mit seinen Behängen von fahlen
Tiefseepflanzen bereits gesehen haben muß... Es sieht wie ein gräßliches
Ungeheuer aus - das Loch dort am Heck ist wie ein Rachen - - schon möglich, daß
ich als ganz kleines Kind Furcht empfand vor diesem Rachen und deshalb mein
Hirn diesen Eindruck festhielt... - wie
denkst du darüber? - sprich doch, du brauchst mich nicht zu schonen, ich bin
stark und will stark sein, denn ich muß den Schleier meiner Vergangenheit
vollständig lüften. Daß ich farbiges Blut in den Adern habe, sieht mir jeder
an... Meine Mutter wird eine Insulanerin gewesen sein. Es ist schon so. - Und
du?!"
"Komm," sagte ich nur und stützte
sie und zog sie dem roten Wrack näher. "Wir werden Gewißheit erhalten...
Wenn jener verrostete Schoner dort den Namen Malmotta trägt, dann wissen wir
nicht alles, aber das meiste, dann bist du jedenfalls ein Kind dieser Insel,
dann haben Peter Bolk und deine Eltern hier gewohnt -
hier in der Verborgenheit, denn Bolk besaß vor
zwanzig Jahren etwa einen Schoner, der Malmotta hieß und der verschollen ist.
Komm, ich werde den Rost am Bug vorsichtig wegkratzen..."
Ich habe den Rost weggekratzt, und die
festgenieteten Messingbuchstaben zu beiden Seiten zeigten denselben Namen:
Malmotta.
12. Kapitel
Das rote Wrack
Das rote Wrack lag in der Bucht nur zum Teil
auf dem steinigen Strand. Wir konnten es bequem in Augenschein nehmen, denn vom
Bug hingen noch zwei Ankerketten herab, und ich half Jane beim Emporklettern.
Mukki war empört, daß er am Strande bleiben
mußte. Noch empörter war er über die Krebse, die zuweilen mit ihren Scheren
nach seinen Beinen schnappten und sich unverschämt festklammerten...
Das Wasser aus dem Wrack war längst
ausgeflossen... Einige Eisenplanken hatten sich gelöst - es gab unter dem Rumpf
genug Abflußlöcher.
Das schlüpfrige Deck stellte eine förmliche
Muschelbank dar. Auch hier Seepflanzen, schleimige Riesenquallen, einzelne
Fische - - armes Getier! Wenn die Äquatorsonne erst niederbrennt, ist euch
allen der Tod sicher. So viel wir von ihnen wieder ins Wasser werfen können,
werden wir retten, schon um den Verwesungsgestank zu vermeiden, der uns den
Aufenthalt auf Malmotta sehr unangenehm machen könnte.
Jane will nicht mit hinein in die Kajüte...
Sie fürchtet sich. Ihr gutes Herz erbarmt sich lieber der Fische und Krebse und
Muscheln, die sie am Heck so bequem in das Wasser der Bucht schleudern kann.
Ich mühe mich mit der verquollenen Tür der
Kajüte ab. Ich könnte ja durch das zerbrochene Oberlichtfenster einsteigen,
aber mir erscheint es doch nicht ratsam. Der Stille Ozean birgt auch giftige
Geschöpfe, große und kleine Fische mit Stacheln, die böse Wunden hervorrufen,
dazu giftige Seeschlangen, Riesenwürmer von zwei Meter Länge mit Beißzangen und
eine Art Aale, die elektrisch geladen sind.
Ich nehme einen schmierigen, nassen
Bootshaken und breche die Tür endlich auf. Ein Schwall Wasser schießt mir entgegen,
ich springe zurück - in dem Wasser tummelt sich wieder allerlei Ozeangetier,
und... ein blanker Totenschädel rollt mir vor die
Füße - ein scheußlicher Anblick, da in den Augenhöhlen und zwischen den Kiefern
krabbelnde Krebse sich eingenistet haben.
Dann trete ich ein... Was hier an Möbeln
vorhanden gewesen, ist zum Teil verfault, durcheinandergeworfen - hinter der
Tür Skeletteile, ein sich windender Riesenwurm, den ich rasch totschlage - nur
an der Wand erkenne ich noch eine Uhr, das Barometer, Bilderrahmen...
Alles bedeckt mit kleinen Muscheln, Schleim
und Schlick.
Bilderrahmen - ohne Bilder...
Nur einer scheint noch ein Bild zu enthalten,
ist gefüllt - vielleicht ein Ölgemälde, das zwei Jahrzehnte der Fäulnis widerstand.
Ich reibe es mit einem Lappen behutsam ab,
und ich erkenne das Brustbild eines Seemannes mit Mütze und blauer Jacke... Die
Farbe ist zum Teil abgeplatzt, trotzdem sehe ich blondes Haar, große helle Augen...
Es kann Peter Bolk
darstellen, als er noch jung war.
Hier ist im übrigen nichts festzustellen, und
ich trete wieder auf das Deck hinaus. Muscheln knirschen - ich blinzle in das
grelle Sonnenlicht...
"Hallo -- Jane?!"
Keine Antwort. Nur die Brandung rauscht
fernab an der Küste der wiedergeborenen Insel, und am Buchtrand läßt Mukki
sehnsüchtig sein eigentümliches Bellen vernehmen, das wie ein rasches Kak-Kak-Kak-Kak klingt.
"Hallo!!"
Ich lausche, blicke umher, und jäh packt mich
die Angst... Ich laufe zum Heck - es ist mehr ein Gleiten auf den schlüpfrigen
Deckplanken - ich überblicke die kaum dreißig Meter breite Bucht. Drüben gibt
es nur einen schmalen Sandstreifen, dann steigen die Felsen haushoch an, zum
Teil nacktes Gestein, zum Teil überkrustet von frischen Korallenbauten, zum
Teil überwuchert von Tiefseepflanzen.
Jetzt sehe ich meine Jane. Sie steht vor den
Felsen, sie hat eine große Muschelschale in der Hand und kratzt damit das
Gestein sauber.
Rechts neben ihr sehe ich anderes: ein
Steinkreuz, freistehend, offenbar plump behauen - weiter rechts ein zweites...
Janes Kleider triefen. Und waren doch längst
trocken geworden in diesem heißen Äquatorwind. Sie muß hinübergeschwommen sein,
angelockt durch irgend etwas, das in ihrer Erinnerung wieder wach geworden ist
- wie das Bild des uralten Holzwracks, das einem ruhenden Ungetüm gleicht.
"Hallo, Jane..!!"
Sie winkt nur, arbeitet weiter, und ich
klettere an den Ketten herab, der Fennek hüpft um
mich herum, als hätte er mich ein ganzes Jahr nicht gesehen, und wir traben um
den äußeren Buchtwinkel herum und langen neben Frauchen an.
Frauchen ruft nur mit sonderbar schriller
Stimme:
"Olaf - hier - - eine eingemeißelte
Inschrift..!!"
"Und was führte dich her, Jane?"
"Das Gefühl, daß hier meine Mutter
begraben liegt..!"
Ich helfe ihr... Das Gestein gibt seine
Kerben allmählich preis, wir entziffern bereits einzelne lateinische
Buchstaben... Kein Künstler war es, der hier dem Felsen sein Leid um eine Tote
eingrub. Die Buchstaben stehen schief, in unregelmäßigen Abständen, dehnen sich
nach rechts weit über das erste Steinkreuz hinweg, gehören zu diesem Kreuz, das
in einer Felsspalte festgekeilt ist.
Buchstaben werden Worte, aus Worten klingt
das Lied der Trauer...
Jane, Johanna, geborene Petersen, ist in die
Knie gesunken. Sie weint, und ihr Schluchzen erschüttert mich...
Der Ozean, der dieses Grab mitverschlang, hat
es wieder dem Lichte zurückgegeben und hat Licht gebracht in die Seele einer
jungen Frau, die vielleicht den Vater bisher für einen Verworfenen hielt und
das nun Klarheit erhält über die große Liebe, die ihn mit dem braunen Mädchen
einer Südseeinsel verband.
Hier ruht Giwana, vor Gott
Mein Weib, Mutter
Meines Kindes
Johanna
Gest. 8. 3.1905 auf
Malmotta
Du warst die Liebe
und die Treue
John Petersen
- Wie viele, viele Tage mochte wohl John
Petersen an dieser Inschrift mit unzulänglichen Werkzeugen gearbeitet haben!
Ganz tief waren die Buchstaben in das Gestein
eingemeißelt, und gerade das Kunstlose, Verzerrte dieser Buchstaben und Worte
war so rührend in seiner liebevollen Unbeholfenheit.
Jane erhob sich, ich half ihr, nahm sie in
die Arme, und ihre Tränen, ihre letzten Tränen weinte sie an meiner Brust.
"Ich bin... glücklich," sagte sie
dann leise und machte sich aus meinen Armen frei. "Verstehst du das, Olaf,
daß ich jetzt glücklich sein darf? - Vater hat sie geliebt, Vater muß ein guter
Mensch gewesen sein... Wer weiß, ob nicht Peter Bolk
ihn irgendwie geschädigt hat... Denke an die Diamanten, Olaf... Diese Steine
können doch nur hier von Malmotta stammen... Und Vater und Bolk
und Joicker und Mortison
waren Gefährten, lebten hier, liebten hier..."
Ihr Blick war nach innen gerichtet - sie
horchte vielleicht auf die ganz zarten Stimmen, die aus ihrer Seele Tiefen erklangen
als Erbteil ihrer Eltern...
"...Die Diamanten, Olaf, die mich reich
gemacht haben, die haben hier wohl Unheil gestiftet..." fügte sie sinnend
hinzu.
Ich wollte sie ablenken. Mich lockte auch das
zweite Grab. Außerdem hatte ich längst bemerkt, daß wir hier auf einer
Steinplatte standen, unter der Giwanas sterbliche
Reste ruhten. Es war besser, daß Jane nicht etwa bat, ich solle diese Platte lüften.
"Sehen wir, wer dort begraben liegt,
Jane."
Und wir kratzten auch dort das Gestein sauber
- wir fanden ebenfalls eine Inschrift, und abermals ward so der bunte Gobelin,
dem noch das Mittelstück fehlte, ergänzt:
Tubana
Tochter des Königs
von Atauo
Schwester Giwanas
Mutter meines Sohnes
Peter Tuban Erich Bolk
Gest. 11. 9. 1904
Mein Weib
Du warst die Sonne
von
Malmotta
Peter Bolk
Vielleicht kennzeichneten diese beiden
Grabinschriften auch die beiden Männer, von deren Hand sie herrührten, in
treffender Art. Aus John Petersens Nachruf ließ sich unschwer auf einen etwas
weichlichen Charakter schließen, auf eine leicht zu beeinflussende Natur, auf
einen Durchschnittsmenschen.
Anders Peter Bolk.
In dieser Knappheit ohne viel Sentimentalität lag Kraft, Zielbewußtsein und
eine gewisse Rücksichtslosigkeit.
Doch das alles hatte hier nichts zu bedeuten
gegenüber der Feststellung, daß Aristide d'Oly Peter Bolks Sohn war. Ich entsann mich nur zu gut noch der
Fieberträume und Fieberschreie des kranken Aristide in der Kammer der Astarte -
mir stand Bolk noch deutlich vor Augen, wie er mich
damals aus der Kammer hinausgeschickt hatte, nachdem Aristide das Wort Tubana überlaut hervorgestoßen hatte. Erst in dem Augenblick
war es wohl dem Käpten zur Gewißheit geworden, daß
Aristide sein Sohn sein müsse - und gleich darauf hatten sich die Meuterer an
Bord geschlichen und Vater und Sohn mit sich genommen.
Lebten sie noch?
Jane wußte nichts von ihnen, Jane hatte
während ihrer Gefangenschaft auf der Star of London die beiden nie zu Gesicht
bekommen.
Hierüber sprachen wir, als wir nun langsam
zurückkehrten zu den Wrackteilen der Astarte, die jetzt gerade dort auf dem
Trockenen lagen, wo der felsige Nordteil der Insel in den Lagunenteil überging.
Die Heckhälfte des Schoners lag ziemlich
wagrecht zwischen bröckligen Korallensteinen. Es kostete nicht viel Mühe,
gerade am Heck ein Zelt zu errichten und den Laderaum unten in ein Schlafgemach
zu verwandeln.
Jane und ich nahmen dann hier auf Malmotta
unsere erste Mahlzeit ein - kalt, Konserven -, denn wir waren beide bis zum
äußersten erschöpft und bedurften des Schlafes.
Jane zog sich nach unten zurück, ich streckte
mich im Zelte aus und schlief auch sofort ein. - Ich habe nie viel Schlaf gebraucht.
Fünf Stunden genügten auch nach diesen Strapazen und Aufregungen. Ich erwachte
ganz von selbst, erhob mich leise und wanderte erst einmal mit Fennek zum Berge, um nach der Jacht Ausschau zu halten.
Dieser Spaziergang war eine Qual.
Eine unerträgliche Hitze brütete über der
Insel - Muscheln, Fische, Quallen waren bereits halb verwest und verbreiteten
unerträglichen Gestank. Am schlimmsten war es am Fuße des Berges, wo die vielen
Wassertümpel dem armen Getier zunächst eine trügerische Zuflucht geboten
hatten. Sie waren verdunstet, sie waren zu Pestlöchern geworden. Ich war froh,
als mich oben auf dem Berge der Seewind umspielte. Ich setzte mich hinter einen
Palmenstamm, nahm Fennek auf den Schoß und überdachte
unsere Lage.
Der Horizont war leer. Und doch ahnte ich,
daß die Jacht mit den Meuterern diesen Meeresteil niemals unverrichteter Dinge
verlassen würde. Die Besatzung des Star of London wußte nur zu gut, was ihnen
im Falle der Aufdeckung ihrer Schandtaten drohte. Die Engländer machen in
solchen Fällen sehr kurzen Prozeß. Meuterei, Mordversuch - der ganzen Bande war
der Strang sicher. Fanden sie nun nicht die Insel und nicht die erhofften
Schätze, so waren sie, solange sie auf der Jacht blieben, beständig in Gefahr,
von irgendeinem Kriegsschiff angehalten und... aufgeknüpft zu werden. Gaben sie
die Jacht preis und zerstreuten sie sich nach allen Windrichtungen, so zogen
sie als arme Teufel, ärmer als vorher, ins Ungewisse hinein - und die Gefahr
einer Verhaftung blieb doch für jeden einzelnen in demselben Grade bestehen.
Sie würden also ohne Zweifel zunächst hier in dieser einsamen Meeresgegend
bleiben und... suchen, immer wieder suchen... Sie waren ja hier mit am sichersten.
Jane und ich konnten also unmöglich in dem
Wrack der Astarte bleiben. Wir wären dort keine Minute sicher gewesen. Wir
konnten doch unmöglich abwechselnd hier auf dem Berge wachen. - Es galt also
einen Platz zu finden, der uns auch im Falle eines Angriffes genügend schützte.
Ein Fennek ist ein
sehr unruhiger Geist, und mein Fennek leistet auch
hierin Besonderes. Er ließ mich getrost über die Maßnahmen zu unserer
Sicherheit nachgrübeln - er selbst ging auf Entdeckungsfahrten aus, er hatte so
lange auf einem engen Schiff gelebt, daß er die acht Tage auf der grünen Insel
nur als ungenügende Zeit, sich Bewegung zu verschaffen, betrachtete. Leider gab
es hier keine Mäuse, der er jagen konnte - die Krebse waren längst tot, und
deshalb kletterte er an den Steilwänden des Berges umher, kehrte zuweilen zu
mir zurück, verschwand aufs neue - - bis mich plötzlich sein jämmerliches
Heulen und Kreischen aufschreckte und ich voller Angst ihn zu suchen begann.
Nach mühseligem Klettern gelangte ich an der Westseite des Berges - höher als
vierzig Meter ist er nicht - auf eine vorgebaute, steil abfallende und von
einer Felsnase überdachte Terrasse, deren Hintergrund sich als breite Grotte in
den Berg verlor.
Dorther erklang Mukkis
Jammergeheul. Ich rannte blindlings in die Dunkelheit hinein, ein böser
Leichtsinn, denn ich erhielt einen Schlag gegen den Oberschenkel, der mich
sofort hintenüber warf. Trotzdem hatte ich noch erkannt, mit welcher Art Gegner
ich es hier zu tun hatte...
Es war ein Haifisch, den die neue
Schöpfungsgeschichte Malmottas ausgerechnet in dieser
Höhle aufs Trockene gesetzt hatte. Meine Augen gewöhnten sich schnell an das
Zwielicht, die Pistole hatte ich bei mir, und zwei Kugel erledigten den Hai
sehr rasch, konnten jedoch dem armen Mukki den Rest seines linken Ohres nicht
wiedergeben, denn gerade dieses hatte die bereits rechts schlappe Meeresbestie
zwischen den Zähnen - immerhin, mein Fennek war noch
glimpflich weggekommen - auch ich, denn ein Schlag eines Haifischschwanzes kann
einem sämtliche Knochen brechen.
Mukkis Ohr aus dem Mauke
des Hais freizumachen war unmöglich. Ein rascher Schnitt mit dem Messer - der Fennek heulte, blutete, biß um sich, und ich rannte und
kletterte mit ihm schleunigst zum Strande hinab, um die Wunde gründlich zu
spülen und die bei jedem Haifischbiß so gefürchtete Eiterung zu verhindern.
Nun, der Ohrstumpf eiterte nicht, Mukki hatte
nur noch ein Ohr, und Jane und ich hausen jetzt seit gestern in der gründlich
gesäuberten Höhle, in die wir alles hineingeschleppt haben, was wir von der
Astarte irgend brauchen konnten: Bretter, Balken, Nägel, Eisenteile, Kochtöpfe,
Konservenproviant - vieles andere noch.
Und heute früh (es ist der dritte Tag auf
Malmotta) habe ich auch Peter Bolks Safe in dem
hinteren Mast gründlich geleert, habe die Goldsäckchen anderswo verstaut und...
ganz unten einen kleinen flachen Zinkkasten gefunden, dessen Schloß ich einfach
aufsprengte. Er hat Gummileisten, der Kasten, und die Papiere sind tadellos erhalten.
Jane und ich haben sie mittags gelesen...
Wir wissen nun fast alles von den
Geheimnissen Malmottas...
Mit dem Lesen kamen wir, auf unserer Terrasse
im Schatten liegend, freilich nicht so recht vorwärts, denn Jane hält es für
weit wichtiger, daß ich hier jede Minute irgendwie beweise, daß ich sie - und
nur sie liebe...
Fennek ist deshalb auch
hinten in der Höhle festgebunden worden.
Er stört, sagt Jane - und sie hat recht.
13. Kapitel
Das Geheimnis von Malmotta
Wenn Handschriften wirklich Rückschlüsse auf
den Charakter des Schreibenden zuließen (ich glaube noch heute nicht daran, denn
jede psychische oder rein nervöse Störung gibt einer Schrift sofort ein
verändertes Gepräge), so müßte Peter Bolk
wahrscheinlich ein übler Schurke gewesen sein - oder sein - ich weiß nicht, ob
er noch lebt. Es ist eine sehr unausgeglichene Schrift. Sobald Bolk Dinge der Feder anvertraut, die beim Niederschreiben
an sein Herz griffen, sobald er in seinem trockenen Stil Aufregendes schildert,
ist die Schrift eine ganz andere.
Ich kenne ihn, und er ist kein Schurke. Er
ist nur ein Mensch. Und das heißt: behaftet mit Fehlern und Schwächen. - Wir
alle haben sie.
"Malmotta, 13. 1. 1904. - Ich werde
meine Erlebnisse doch besser zu Papier bringen. Es könnte geschehen, daß ich
eines Tages gegen meinen Willen gen Himmel fahre. Ich traue so recht niemandem
mehr. - Als ich vor einem Jahr soeben erst, freilich noch sehr jung, Kapitän
geworden, von dem unselig im Alkohol verkommenen James Brady (Brandy hätte er
heißen sollen) den eisernen Schoner kaufte und damit auf eigene Rechnung
Frachtfahrten in den Archipelen unternahm, ahnte ich nicht, was mir bevorstand.
Ich hatte drei junge Europäer und sechs Kanaken an Bord. Joicker
und Mortison sind fragwürdige Wichte, Petersen - ja,
ich weiß nicht recht, ob er eine große Probe bestehen würde. Die Kanaken
rechnen nicht mit. Ich halte eisernes Regiment auf meinem Schiffe, und ich
trage die Pistolen nicht zum Spaß unter der Jacke.
Der aufgeschwemmte König Missili
von Autauo war der erste, der mir von Malmotta
erzählte.
Ich hielt es für Insulanergeschwätz, und Missili ist meist betrunken. Als er mir einmal aber auch in
nüchternem Zustande die Geschichte wiederholte und bei allen Götzen schwor, er
sei selbst auf der Insel gewesen, aber schleunigst wieder ausgerückt, da
spitzte ich doch die Ohren.
Malmotta heißt sie in den uralten Sagen der
Leute von den Phönix-Inseln, und Gilbert-Insulaner haben mir das bestätigt.
Malmotta soll soviel bedeuten wie "die Unantastbare" - also im Grunde
dasselbe wie "tabu". Wenn etwas für "tabu" erklärt ist,
darf sich niemand daran vergreifen.
Nun schön, ich spitzte die Ohren, Missili wurde nach einer achten Flasche Brandy noch
mitteilsamer und erzählte unter anderem, er hätte auf der Insel dort irgendwo
im Norden der Baker-Insel auch ein uraltes Wrack gesehen. Mag sein. Der Kerl
riß sofort wieder aus und ruderte mit den Seinen davon. Malmotta ist eben
"tabu" und bringt Unglück. - Blech natürlich!
Was er sonst noch zusammenschwafelte klang
mir noch fragwürdiger.
Auf der Insel sollen Puwi,
der böse Geist, und Puala, seine Gattin, so etwas wie
des Teufels Großmutter, wohnen. Und weil diese angenehmen Herrschaften dort
hausen, soll Nimiala, der gute Gott, so was wie
"Sonnenkönig", die Insel regelmäßig nach einigen Jahren in den Ozean
versenken und erst nach etwa zwanzig Jahren - wohl mit einem großen Korkenzieher
- wieder herausholen, damit Puwi und Puala nicht ganz ersaufen.
Wie gesagt, dieses Geschwätz Missilis wäre für mich hohler Wind geblieben, wenn nicht
ein paar Gilbert-Leute, alte Knaben mit ebenfalls größter Vorliebe für Brandy,
alles haargenau bestätigt hätten. Sie reden nicht gern darüber. Sie haben eine
scheußliche Angst vor Puwi, und wenn ich nicht so
großzügig ihre Ängste eingeschläfert hätte, würde ich kein Wort erfahren haben.
Als wir mit dem "Lincoln" nach
einem Monat wieder zu König Missili nach Atauo kamen, war gerade allgemeines Volksfest und alles war
seit Tagen "blau". Eine Schande, daß wir Europäer die Kerle durch den
Fusel degenerieren. Wer da jedoch nicht mitmacht, kommt zu kurz, zum Geschäft
gehört Schnaps.
Das Dorf war toll, verrückt - und Missilis Töchter sowie ein paar andere Mädchen waren so
ziemlich die einzig Nüchternen.
Zwischen seiner Tochter Tubana
und mir bestand bereits ein ziemlich inniges Verhältnis, und die andere Tochter
Giwana war in Petersen ehrlich verliebt. Die Mädels
sollten ein paar Kerle von der Nachbarinsel heiraten - wollten nicht - und als
wir mit dem "Lincoln" nachts wieder Atauo
verließen, da mit Missili in dem Zustande ja doch
keine Geschäfte zu machen waren, hatten sich Tubana, Giwana und noch drei junge Dinger, die auch an irgendeinen
braunen Haremsinhaber verschachert werden sollten, heimlich an Bord geschlichen
- wir entdeckten sie erst nach zwölf Stunden. Und da waren wir bereits so
ziemlich in Sicht der Baker-Inseln, und ans Umkehren dachten wir nicht.
Joicker ist mal irgendwo bei
einer Sekte Prediger gewesen. Mag sein. Er war auch Viehdieb, Cowboy, Polizist
- alles war er.
Damit der Spaß seine Richtigkeit hätte,
traute Joicker uns in aller Form. Es wurden auch
Heiratsurkunden aufgesetzt, und wir waren nun bis auf zwei Kanakenjungen
regelrecht Eheleute.
Wir suchten also des Oberteufels Puwi Inselresidenz: Malmotta.
Wir kreuzten, kreuzten, suchten, fluchten -
und in der Nacht vom dritten zum vierten Juni 1902 gab's ein Unwetter und ein
Seebeben, daß wir nahe am Wegsacken waren. Gegen Morgen taucht da mit einem
Male dicht vor uns aus dem Meere eine Bergspitze empor - eine ganze Insel
folgt, der Orkan flaut ab, wir steuern in die Nordbucht hinein, und - wir
finden das uralte Wrack, von dem Missili geschwafelt
hatte.
Die Tabu-Insel war da. - Sie gefiel uns.
Mochten auch Baum und Strauch gestorben sein - ich wußte, wie rasch hier alles
wächst. Und es stimmte. Nach zwei Monaten war die Insel grün, seltsamerweise
erholten sich auch die abgestorbenen Palmen wieder, und jetzt, wo ich dies
schreibe, können wir sehr bald die ersten Nüsse ernten.
Inzwischen habe ich meine Tubana
als treue Gefährtin und fleißige Hausfrau noch mehr lieben gelernt. Wir haben
mit dem Schoner wieder Frachtfahrten unternommen, ich werde ihn vielleicht
unter dem Namen "Malmotta" registrieren lassen. Wir halten unser
Inselgeheimnis streng geheim. - -
Seit Monaten habe ich nichts mehr
aufgezeichnet. Wir leben wie bisher, sind glücklich, sparen Geld, handeln,
kaufen, verkaufen. Mich interessiert das alte Wrack. Aber es ist im Innern so
versandet, daß man kaum hineinkann. Es muß aus der Zeit um 1530 stammen,
schätze ich, als die Spanier bereits den Stillen Ozean überquerten. -
Wieder sind Monate verflossen. Gestern ist
der Schoner unter Petersens Führung nach Honolulu mit Kopra in See gegangen.
Ich habe mir heimlich vier Dynamitpatronen besorgt und werde nachts das Wrack
sprengen. Man kann nie wissen, was unter den Sandmassen lagert. Die Spanier
haben in Peru ungeheure Schätze seinerzeit zusammengestohlen und weggeschafft.
Ich bin hier mit den Frauen allein auf
Malmotta. In dieser Nacht fliegt das Wrack in die Luft. - -
Die Dynamitpatronen haben nur halbe Arbeit
geleistet. Das Wrack hat ein Riesenloch am Heck, das ist alles. Aber ich kann
den Sand jetzt doch leichter herausschaufeln. - -
Verdammt - mir zittern die Hände, mir ist's
im Kopf ganz wirr. - Ich habe doch recht gehabt. Die beiden eisernen Kisten, so
klein sie waren, haben es in sich: nur Edelsteine! So viel verstehe ich von dem
Zeug doch, um Glas von Diamanten unterscheiden zu können. Aber - das alles ist
jetzt gleichgültig: ich bin Vater geworden, meine Tubana
hat mir einen prächtigen Jungen geschenkt. Ich bin so glücklich, daß ich eine
halbe Flasche Brandy trank. Der Diamentendreck muß
verschwinden. Petersen und die anderen würden bei dem Anblick verrückt werden.
Nur Tubana wird wissen, wo ich sie verberge. Den Sand
habe ich wieder hineingeschaufelt, und ich werde lügen, sonst gibt es Mord und
Totschlag. - -
Das Schicksal hat mich hart gestraft. Tubana ist tot, das Kind lebt. Sie starb in meinen Armen an
11. 9. 1904. Vielleicht werde ich bestraft, weil ich die Edelsteine beiseite
schaffte. Ich habe jetzt für nichts mehr Interesse, nur für mein Kind. Wie sehr
ich meine Frau liebte und was sie mir war, weiß ich jetzt erst so recht. Ich
bin ein geschlagener Mann. Giwana nimmt sich nimmt
sich des Kleinen in innigster Zärtlichkeit an, auch sie ist guter Hoffnung, und
John Petersen behandelt sie wie eine zarte Blume.
Ich werde nun doch auch Giwana
einweihen. Sie ist Tubanas Schwester, und sie wird
begreifen, daß es ratsamer ist, den Edelsteinschatz dort zu belassen, wo er
jetzt ruht. Weiß man, ob Petersen fest genug bliebe, hier dieses einsame Leben
fortzusetzen, wenn er von den Millionenwerten Kenntnis erhielte?! - -
Giwana ist eingeweiht. Auch
sie geht nun ihrer schweren Stunde entgegen. - Petersen, Joicker
und Mortison haben offenbar doch Verdacht geschöpft
und umlauern mich beständig. Unser gegenseitiges Verhältnis ist sehr gespannt,
ich leugne, in dem Wrack etwas gefunden zu haben, sie glauben mir nicht... Es
liegt ein Fluch über all diesen Schätzen, die dort in Amerika von den
habgierigen Spaniern unter Grausamkeiten zusammengestohlen wurden. Ich
wünschte, ich hätte das Wrack nicht angerührt. Mein Trost ist mein Kind. - -
Nun ist auch Giwana
nicht mehr. Sie ruht neben meiner lieben Frau am Westufer der Bucht. Petersen
ist völlig verzweifelt. Mortison und Joicker suchen heimlich nachts nach den Diamanten, ich habe
sie mehrmals beobachtet.
Unser Leben hat wieder die frühere angenehme
Art angenommen - wir ernten Kopra, handeln, schachern, bleiben dann wieder
wochenlang auf unserer Insel, und Petersen und ich freuen uns über das Gedeihen
unserer Kinder.
Die drei reden nicht mehr über das Wrack. Und
doch - zumindest Joicker und Mortison
mögen noch immer den Verdacht hegen, dem sie nie offen Ausdruck geben. Es sind
hinterlistige Kerle, und wenn sie mich nicht fürchteten, würde wohl vieles
anders sein. - -
Ich rede nicht darüber: ich denke jetzt
tagtäglich an Missilis Erzählungen... Malmotta soll
stets nur wenige Jahre über der Oberfläche bleiben. Ich befürchte eine
Katastrophe. Gestern nacht spürte ich ein paar Erdstöße... Die unterirdischen
Kräfte melden sich. Für alle Fälle werde ich einen Teil der Steine in ein Stück
Segelleinen einnähen.
10. Juli 1906. - Malmotta existiert nicht
mehr. Genau vor vier Wochen versank es. Das Unheil überraschte uns vollkommen.
Ich habe die Kinder gerade noch in das Kanu schleppen können. Der Schoner war
schon vorher durch die Erdstöße leck
gesprungen. Ich rette mich im letzten Augenblick. Alles war Nacht, Finsternis,
Orkan, Schwefeldämpfe...
Ein Wunder, daß mich der Orkan mit seiner
rasenden Geschwindigkeit in meiner Korkweste südwärts trieb und ich die
Baker-Inseln halbtot erreichte.
Nun bin ich in Honolulu, nachdem ich vier
Jahre auf der Baker-Insel allein gehaust habe. Nach den Kindern zu forschen,
wäre zwecklos. Sie sind tot - auch die anderen - ich bin ganz allein, ich bin
der einzige Überlebende von Malmotta.
Ich werde mein Dasein von neuem beginnen. Ich
bin ein Greis geworden, die Spuren jener Schreckensnacht trage ich auf dem
Haupte: weißes Haar! - Diese Aufzeichnungen halte ich heilig. Und wenn ich bis
dahin am Leben bleibe, werde ich nach zwanzig Jahren Malmotta vielleicht
wiedersehen.
Peter Bolk, Kapitän"
14.
Kapitel
Willkommener und unwillkommener Besuch
...Wieder sind zwei Tage dahin. Jane und ich
und Mukki leben hier auf Malmotta abermals als Robinsone,
und vorläufig vermissen wir nichts, freuen uns der sonnigen Tage und der ebenso
heißen Nächte und staunen das große Wunder an, das sich vor unseren Augen
vollzieht: die tote Insel erwacht, die Palmen, die wir für halb verfault hielten,
setzen grüne Blatt-Triebe in den Kronen an, die Sträucher bekommen Knospen, das
Gras wächst zusehends... In diesem Boden muß eine rätselhafte Fruchtbarkeit
verborgen sein, denn all das ist ein Wunder, Bolk hat
es ebenfalls beobachtet, und wir sehen mit eigenen Augen, was niemand glauben
würde: der ganze Pflanzenwuchs, soweit er nicht völlig abgestorben war, keimt,
erholt sich, nimmt frische Farben an. Wir baden in der Lagune, wir arbeiten
dies und jenes, wir sind längst wieder zu den paradiesischen, gesünderen,
leichtesten Kleidungsstücken bekehrt - sogar Freund Fennek
scheint die Wasserscheu überwunden zu haben.
Malmotta hatte all seine Geheimnisse
preisgegeben - vielleicht das eine nicht, wo Peter Bolk
seine Edelsteine verborgen hatte. - Was scherten uns die Edelsteine?! Wir waren
glücklich! Und das eine Wort, das oft so leichtfertig ohne innere Berechtigung
hingesprochen wird, dieses "Glücklich" war hier bis auf den tiefsten
Grund seiner Bedeutung ausgeschöpft. Zum "Glück" gehörten auch
ernste, besinnliche Stunden. Und das waren die, wenn wir an den beiden Gräbern
zumeist im rötlichen Abendglanz saßen und den Toten innige Worte weihten. Janes
Mutter schlief hier den ewigen Schlaf, Janes Vater lag in einem Sandloch der
Steppe fern in Afrika. Ihm hatte niemand ein Denkmal gesetzt wie hier der Frau,
die er auf Händen getragen - er war eingescharrt worden wie ein Verbrecher, und
doch war nur ein Verführter gewesen, Kamerad zweier habgieriger Teufel, die um
jeden Preis Peter Bolk zwingen wollten, den Schatz
des uralten Wracks preiszugeben. - Oft sprach Jane tieftraurig über dieses
ferne Grab, das kein Grab war... Und einmal nahm sie meine Hand, blickte trübe
in den Glanz der Abendröte und bat mich, daß ich, falls ihr etwas zustieße,
dafür sorgen solle, John Petersen eine bessere Ruhestätte zu verschaffen.
Und so, wie sie das sagte, lag's über ihrem ganzen Wesen und im Ton ihrer Stimme wie
die Vorahnung eines nahen Endes. - Ich erschrak fast. - Ich hielt diese stille
Melancholie für Augenblicksstimmung und vergaß auch mein Erschrecken.
Nicht ganz... Ein kleiner Stachel blieb in
meiner Seele zurück, und selbst das frohe Ereignis der Ankunft der großen
buntgeschmückten Kanuflotille am nächsten Tag konnte
den gelinden Schmerz einer ungewissen Furcht nicht bannen.
Es war kurz nach Sonnenaufgang, als wir beide
und Mukki, wir Frühaufsteher, unsere wohnliche Grotte verließen und wie immer
zuerst den Berg erklommen und Ausschau hielten.
Ich habe doch schärfere Augen als Jane. Und
ich erkannte die fernen Striche am südlichen Horizont zuerst als eine Anzahl
langer breiter Insulanerkähne mit Bastmattensegeln - ganz vorn aber einen
kleinen Schoner mit blanken weißen Segeln.
Freund oder Feind?!
Stundenlang blieben wir darüber im unklaren,
bis der kleine Schoner als erster in die Lagune einlief und ich vorn am Bug
Peter Bolks hagere Gestalt mit weißem Patriarchenbart
erkannte - hinter ihm Doktor Alfred Eversham...
Da erst wagten wir uns von unserem Berge
herab, nachdem wir noch schnell unsere recht spärliche Toilette ergänzt hatten,
denn den Herren dort im weißen Tropendreß mit Tropenhelm und Kragen und
Krawatten und dem letzten Schick der Äquatormode konnten wir unmöglich so vor
die Augen treten, wie wir uns nur Fennek und uns
selbst gezeigt hatten.
- - Es
ist sehr spät geworden... Es ist zwei Uhr morgens. So lange haben wir
Wiedersehen gefeiert... mit Palmwein, Brandy, Gin, Whisky, Tänzen, Reden, neuen
Reden, fabelhafter Fackelbeleuchtung - - es war ein echtes Insulanerfest, denn
Peter Bolk und sein Sohn Aristide, der ja eigentlich
Peter Tuban Erich Bolk
heißt, hatten den Großpapa Missili von Atauo samt fünfzig Phönix-Leuten und Frauen mitgebracht,
und Eversham und Hiruto und
Matauo waren auch mit dabei, und was es da alles so
zu fragen und zu beantworten gab - was diese Atauo-Leute,
die Gott sei Dank erst spärliche Tropfen Zivilisationsmedizin genossen haben,
trinken, brüllen, hopsen und singen können - es ist fabelhaft!
Nun aber ist es still geworden auf Malmotta,
still auch auf dem kleinen Schoner, der auch Malmotta heißt und den Bolk, der bei Missili-Großpapa
Kredit hatte, sofort nach seiner Flucht von der Jacht käuflich erwarb und neu
ausrüstete und bewaffnete zur Fahrt gen Norden.
Das Wiedersehen zwischen Peter Bolk und Jane verlief genau so "programmwidrig",
könnte man sagen, wie die ganze Ankunft der lieben Gäste.
Ich habe sie mit einem weinenden und einem
lachenden Auge begrüßt - Fennek wedelte mit der Rute und wackelte mit dem einen Ohr, das ihm
noch geblieben, und Jane... nun Jane hatte wie immer das Herz auf dem rechten
Fleck und fiel Peter Bolk einfach um den Hals und
stammelte so allerlei, daß sie ihm ihres Vaters Tod nicht nachtrüge und daß ihr
Reichtum doch in Wahrheit für Aristide bestimmt gewesen sei... und vieles andere.
Peter Bolk hatte
auch Tränen herabgewürgt und dann den dicken, fetten, ausnahmsweise nüchternen
Großpapa Missili mit der Hand nähergezogen...
Worauf Jane zunächst stutzte und den
königlichen Großpapa, der immerhin in seiner Phantasieuniform mit vielen
Schnüren und Tressen und blanken Knöpfen und Kotillonorden
und Kavalleriesäbel und elfenbeinernem Marschallstab mit Goldbeschlägen
(wahrscheinlich der Prunktaktstock eines pleitegegangenen großen
Kapellmeisters, vermute ich) unweigerlich komisch wirkte - diesen buntschillernden
fetten Pfau von einem Großpapa zögernd musterte, dann sich doch überwand und
auch ihm einen Kuß gab.
Aber der Kuß für Aristide fiel herzlicher
aus, nicht minder die Händedrücke für die anderen...
Man weiß ja, wie's bei solch einer
Massenbegrüßung zugeht - jeder redet gerade das, was das Unwichtigste ist - ich
mußte mir nachher jeden einzelnen vornehmen und ausfragen, aber bei Eversham kam ich damit zu spät, er hatte sich bereits aus
Liebeskummer (er ahnte wohl, wie Jane und ich standen!) so sehr voll Whisky
gesogen, daß er dem heulenden Elend nahe war, und Matauo
wieder schäkerte intensiv mit einer braunen Maid, nur Hiruto
hatte noch Haltung bewahrt und berichtete, wie die drei sich im Taifun nach dem
Schiffbruch der Astarte auf das eine Rettungsboot geborgen hätten und sehr bald
in das völlig windstille Zentrum gelangt seien - nachher landeten sie auf einer
der Phönix-Inseln, trafen dann auf Atauo mit Bolk und Aristide zusammen, die in derselben Orkannacht von
der Jacht entflohen waren und von einem Insulanernachen aufgefischt wurden...
Hiruto erzählte all das mit
einem ungeheuren Wortschwall... Abends bei Fackelschein erlag auch er dem
allgemeinen Taumel der Fröhlichkeit... Und da saßen Peter Bolk,
Aristide, Jane und ich einsam unterm Sternenzelt an der Nordbucht bei den
Gräbern und vernahmen aus Bolks ehrlichem Munde nun
auch das letzte: die Edelsteine, die Hauptmenge der Diamanten, hatte er in
einer tiefen Felsspalte im Hintergrund unserer Grotte in Säckchen versteckt
gehabt...
Er machte eine Pause... "Ich war in der
Grotte... Hier sind die Säckchen... leer..!!"
Er zeigte sie uns, stülpte sie um, und was
herausfiel waren nur Krümchen grauer Asche.
"...Meine Kinder - der Schatz, die
Steine, die die Urkräfte der Natur einst schufen, ist durch dieselben Urkräfte
dort unten im Ozean über den ewig wütenden Feuern der Tiefe wieder... zu Gas
geworden... Die Gelehrten wissen es längst, daß Edelsteine sich wieder in den
gasförmigen Zustand zurückführen lassen... Es gibt keinen Schatz von Malmotta
mehr, es gibt nur die Schätze, die wir in uns selber bergen, die das Geschick
uns bescherte durch Glück und Leid: Läuterung des Herzens! Und - das gilt
mehr."
Jane und ich hatten uns so vollkommen daran
gewöhnt, nur aufeinander und auf Mukki-Fennek
angewiesen zu sein, daß wir uns nach Alleinsein sehnten und in dieser seltenen
Nachtstunde, wo fernher der Lärm der Feiernden und der dumpfe Ton ihrer
Tanztrommeln wie Zeichen einer fremden Welt herüberschallten, mehr denn je
empfanden, wie eng wir zueinander gehörten.
Aber meine Jane war still und in sich
gekehrt. Meine Fragen, was sie bedrückte, beantwortete sie nicht. Sie ruhte an
meiner Brust, ich hielt sie umschlungen, und ihre Augen hatten einen Ausdruck
völligen Entrücktseins. Wir sprachen nichts. Menschen
wie wir beide hatten das tönende Wort nicht nötig, sich zu verstehen und sich
hineinzuversenken in die Seele des anderen. Ich fühlte mit jähem Schmerz, daß
ihr Gemüt wiederum von denselben Todesahnungen durchschauert wurde wie schon
einmal. Ich wollte diese Gedanken verscheuchen.
"Gehen wir, Jane - schließlich sind wir
doch hier so ein wenig die Hausherren und haben Pflichten den Gästnen gegenüber."
Wir gingen, eng umschlungen - aber vor dem
uralten Wrack blieb Jane stehen, küßte mich lange und heiß und zog mich dann
weiter.
Wir schauten dem Tanz zu, wir nahmen nachher Bolks dringende Einladung an, die Kajüte des Schoners zu
beziehen, die auch zwei Nebenkammern hätte, widerwillig an, nicht wissend, daß
es die schlimmste Fehlentscheidung unseres ganzen Lebens war.
"Ihr sollt doch einmal wieder in
richtigen Betten schlafen, ihr halben Wilden..." hatte Bolk
aus gutem Herzen gesagt.
So sitze ich denn nun hier an einem
"richtigen" Tische, schreibe bei blendweißem Karbidlicht, habe wohl
so alles nachgeholt, was es für diese Blätternachzuholen gab.
Alles schläft. Auch Jane und bei ihr Mukki.
Aber in mir wächst die seltsame Unruhe, die
meine Hand unsicher macht und meine Gedanken zerflattern läßt.
Ich erhebe mich lautlos, greife nach der
Büchse. Die Pistole habe ich umgeschnallt - ich nehme das Fernglas mit...
Ich denke an die Jacht...
Ich trete leise an Deck... Keine Laterne
brennt...
Mein Blick gleitet die Lagune entlang... Ein
heller Schiffskörper schiebt sich gerade durch die südliche Einfahrt...
Pistole heraus... Und meine Alarmschüsse
knattern durch die Luft... Ich renne zur Schiffsglocke... läute Sturm...
Stimmen gellen - - Schüsse knattern.
Daß Unglück wollte es, daß Jane gleich nach
den ersten Schüssen mit Mukki im Arm an Deck eilte.
Von der Jacht fegte eine Kugelsaat herüber, und
drei... drei Kugeln trafen - - Jane und das Tier, mein Tier, meinen treuen
Gefährten so vieler Monate...
Ich sprang zu, fing Jane auf - und zwei
Sterbende trug ich in die Kajüte...
Ich sah die Frau, die mir alles war, und
meinen Mukki mit verglasten Augen vor mir, und - - der Blutrausch verdrängte
den Schmerz - - wir haben die Jacht geentert, und ich bin ohne Waffen auf den
Schuft Malcolm Rizzard zugeschritten, und mein
totenbleiches verzerrtes Gesicht hatte ihm die Hand schlottern gemacht...
Er schoß vorbei...
Ich packte ihn, halb erwürgt flog er über die
Reling, und ein heller langer Schatten im Wasser schnappte zu und zog ihn in
die Tiefe.
In dieser Nacht - - als Abschluß des Festes
des guten Sonnenkönigs - - ist mein Glück verblutet...
Puwi und Puala, Teufel und Teufels-Urmama,
waren noch als späte Gäste erschienen.
15.
Kapitel
Drei Kreuze in der Bucht
...Ich habe allein, ganz allein oben auf dem
Berge gestanden, als die Freunde davonfuhren.
Ganz allein...
Sie haben mich mitnehmen wollen nach Atauo - Eversham wollte bei mir
bleiben... Ich habe alles abgelehnt.
Dann sind sie im Süden am Horizont
verschwunden, der Schoner und die langen breiten Kanus mit den geschnitzten
Schnäbeln und den dunklen Segeln. Ich habe das Band zwischen mir und der Welt
zerschnitten... Ich muß erst mich selbst wiederfinden, um die Gegenwart von
Menschen ertragen zu können - wer so viel verloren hat wie ich, der muß sich
selbst erst wieder suchen...
Ich bin ganz allein...
...Am Westrand der Bucht gibt es nun drei
Gräber. Wir haben Jane neben ihrer Mutter bestattet, wir haben ihr Fennek-Freund mit ins Grab gegeben, denn auch sie hat ihn
geliebt.
Drei Kreuze, drei Inschriften an der
Steilwand.
Jane...
Vielleicht wäre ich durch dich wieder zu dem
geworden, was ich schon einmal war: ein Mensch, der unter seinesgleichen lebt,
der innerhalb der menschlichen Gesellschaft seinen Platz einnimmt und seiner
Arbeit nachgeht...
Vielleicht!
Vielleicht hätte ich mich auch irgendwo einem
irdischen Richter freiwillig gestellt und den Makel, der seit Jahren auf mir
lastet, von Rechts wegen löschen lassen..!
Was hätte es mir ausgemacht, wenn man mich,
den Außenseiter der Gesellschaft, für ein paar Jährchen eingesperrt hätte? Diese wären so schnell vergangen wie ein Tag,
denn draußen hättest ja du auf mich gewartet. Und aller Schmerz und der ganze
Gram über die Tage der Gefangenschaft wären in deinen Armen zerschmolzen...
Du hättest auf mich gewartet, - Ich weiß es.
Aber - es hat nicht sein sollen..!
Kurz waren die Tage unseres gemeinsamen
Glücks. Sie zählen nicht in der Ewigkeit in der wir zu leben gezwungen sind.
Jawohl - unser Leben währet eine Ewigkeit,
überhaupt dann, wenn man es, so wie ich abseits vom Alltagswege verbringen muß!
Es ist noch gar nicht so lange her, daß ich
selbst an mir diese Erfahrung gemacht habe. - Gar nicht so lange..!
Doch was hat es für einen Sinn, Olaf, wenn du
heute hier auf deiner Insel sitzt und über solche Dinge nachgrübelst?
Es hat keinen Sinn. - Wie oft im Leben hast
du schon festgestellt, daß alles Schicksal ist.
Kismet, sagen die Mohammedaner.
Ein einfaches kurzes Wort. Und doch ist es so
gewaltig.
Wie beneide ich in diesem Moment meine
braunen Freunde, die in der Lage sind, alle Schicksalsschläge mit verschränkten
Armen und dem leise gemurmelten Wort "Kismet" abzutun...
Ich habe lange unter ihnen gelebt und vieles
von ihnen angenommen. Meine weißen Freunde, ich meine die Europäer, und andere,
die ich auf meinen wechselvollen Pfaden kennenlernte, bewunderten mich, weil
mich so leicht nichts aus der Ruhe bringen konnte. - Die Armen - was wissen sie
von dem, was in mir ist, wenn ich so wie jetzt wieder zurückbleiben muß, um
allem, was auch mir einst und jetzt noch lieb und wert ist, zu entsagen?
Ja - glaubt ihr denn, ich hätte nicht oft
Sehnsucht nach den großen Städten, nach allem, was wir heute so Kultur nennen?
- Was nützt es mir, wenn ich mich innerlich nach diesen Dingen vor Sehnsucht
verzehre! - Der Weg zurück ist mir versperrt. - Für alle Zeiten.
Ich habe damals in Schweden einen Menschen
erschlagen. - Gewiß, es war kein Raubmord, es war auch kein Mord aus niederen
Beweggründen, es war eine Tat, die ein zur Verzweiflung getriebener Mann
verübte. - Aber - vor den Schranken des Gerichts bleibt es ein Mord und nichts
anderes.
Daß es eine Frau war, die mich zu dieser Tat
trieb, habe ich ihr lange verziehen. - Nicht sie hat es wieder gutgemacht, im
Gegenteil, aber viele ihrer Geschlechtsgenossinnen haben die Wunde, die sie mir
riß, geflickt. - Heute ist sie vernarbt. - Besser ist es, wenn ich nicht daran
denke.
Da, an der Steilwand unter dem primitiven
Kreuz, welches ich aus einer Deckplanke zurechtzimmerte, liegt Jane, meine
Frau. - Nicht vor dem Gesetz, aber vor Gott war sie es. - Und das zählt mehr...
Die Einsamkeit an sich wäre leicht zu
ertragen - die Gedanken aber, die sind es, die mir das Leben schwer machen.
Immer wieder drängen sie sich aus den engen
Windungen meines Gehirns nach oben und rauben mir die Ruhe, die ich so nötig
brauche.
Wenn ich des Abends bei Sonnenuntergang
droben auf der Klippe sitze und mein Eiland überblicke, dann kommen sie und
rauben mir die Freude an der Einsamkeit und meiner Trauer.
Jawohl - ich freue mich darüber, daß ich
traurig sein kann - traurig darüber, daß meine Jane mich wieder verlassen hat.
- Was nützt mir der schönste Sonnenuntergang, wenn ich dabei nicht in Wehmut an
Jane denken kann?
Immer wieder befällt mich die Schwermut, wenn
die feurigen Strahlen der Sonne vor dem Eintauchen in den Ozean mir ihre
feurigen Abschiedgrüße in lohendem Farbenspiel zusenden. - Ist es die
Einsamkeit die mich drückt, oder ist es doch der heimliche Wunsch nach
menschlicher Gesellschaft..?
Wünsche ich mir doch wieder einen Kameraden
von der Art und Eigenschaft, wie mir das Geschick so viele schenkte und wieder
nahm?
Vielleicht..!
Seit vorgestern tobt ein Sturm, ein Orkan,
der mir selbst nachts keine Ruhe läßt. - Meine nicht sehr komfortabel eingerichtete
Behausung ist erfüllt von dem Dröhnen und Brausen der Brandung und dem Heulen
und Jaulen er Sturmstöße. - Die Klippe scheint unter dem Anprall der
Wellenberge, die wir hüpfende Rosse über die Riffe springen, zu zittern und zu
wanken. - Von Südost kommt der Orkan - mit ungebrochener Kraft, Gewitter toben,
nichts ist mehr zu erkennen. - Alles hier ist nur Gischt, kämpfende
Wassermassen und Wogenkämme.
Trotzdem bin ich gegen Morgen eingeschlafen.
Ich erwache... Und die Stille ringsum wirkt
fast beängstigend.
Als ich heraustrete, leuchtet die Sonne. -
Ich erklimme die Plattform und spähe ringsum. - Leer der Horizont - ein wolkenloser
Himmel, eine sanfte Brise...
Nach einem kräftigen Essen liege ich in der
warmen Mittagssonne und lasse mich von ihren Strahlen bescheinen. - Die Wärme
tut mir gut. Ich genieße sie.
Ich genieße den Frieden um mich herum, der
nur unterbrochen wird vom eintönigen Rauschen der Wellen, die leicht gluckernd
und klatschend an den Riffen zerschellen.
Es ist eine göttliche Ruhe um mich.
Ganz allein bin ich auf Malmotta...
In der Lagune ankert die Jacht, die ich
hasse. Der Star of London. Leer - ohne jede Besatzung.
Ich habe sie nicht wieder betreten, obwohl
ich mich danach sehne, mir die Räume anzuschauen, die Jane einst bewohnt hat...
Aber sind nicht auch viele grausame Bilder
mit diesen Räumen verknüpft?
Die Räume sind noch erfüllt von dem Duft der
holden Weiblichkeit Janes... und von dem Geruch der Gauner, die sich der Jacht
bemächtigt hatten.
Wieder sind einige Tage vergangen...
Heute früh bin ich nun doch auf der Jacht
gewesen.
Die Sehnsucht trieb mich.
Und als ich zum Heck schritt, stutzte ich...
Irgendwoher kam ein schrilles qualvolles
Wimmern - wie von einem kranken Kinde...
Ich fand kein Kind.
Ich fand Men Huleb,
einen jungen Mantelpavian.
Und nun bis ich nicht mehr allein auf meiner
Insel.
Ich habe jetzt wieder ein Lebewesen um mich
herum. - Wenn es auch kein Mensch ist - es ist eine arme Kreatur...
Ich bin froh darüber.
Wenigstens bin ich nun nicht mehr so ganz
allein hier, auf meinem von einer Wasserwüste umgebenen Eiland...
Das Leben auf Malmotta geht weiter...
Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Es ist die Geschichte Malmottas,
die noch lange nicht beendet ist.
[Siehe: Band 14: "Die Löwenfarm",
Berlin 1930]