OLAF K. ABELSEN

 

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

 

Im Niemandsland der Galapagos

 

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a.d.

Schwedischen  von

M. Schraut

 

- Band 40 -

 

 

Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.

Berlin SO 16

 

 

 


 

1. Kapitel

Man würfelt um eine Frau

 

Niemandsland...

Aus dem Schoße des Meeres geboren...

Hervorgestoßen durch die glühenden Fäuste der flammenden Titanen, die unter der Erdrinde ihr enges Reich mit den Feuern vulkanischer Eruptionen zu erweitern suchen...

Niemandsland, Meeresboden, angeflickt wie eine Wüstenei an die Gestade von Santa Renata.

Santa Renata?!

...Insel... Westlichste, nördlichste der Galapagos-Gruppe... Das sei genug...

Vorläufig...

- -

Da sitzt er vor mir jenseits des Feuers, über dem ein Wildferkel röstet.

Feuer, genährt von den Resten meines Bootes.

Da sitzt der alte Kapitän des Trampdampfers, dreht den Bratenspieß und fängt das herabträufelnde Fett mit einem Kochgeschirrdeckel auf und gießt es über die braune Schwarte.

Es mag ihm ungewohnte Arbeit sein, dem greisen Maat, in dessen Gesicht die Ruinen wildbewegter Vergangenheit klaffen.

Er spricht zu mir - müde, hoffnungslos, - von allem Möglichen.

Spricht mit der starren, unelastischen Weisheit derer, die bereits in das andere Reich der Toten hinüberschauen mit dem stillen Blick der Erdenfernen.

Um uns her dunkelt die Nacht, und der zuckende Feuerschein beleuchtet die faulenden Algen und die glitzernden runden Flecken, zu denen die Meeresquallen vertrockneten.

Vom nahen Kanal her, wo der verrostete Tramp ankert, der so stolz den Namen "Vandalia" führt und der mit mir emporstieg in dieses Niemandsland, erklingen die Klänge wilder Matrosenmusik, das Johlen von Stimmen und das brüllende Gelächter über eine Zote...

Der alte Johannsen schüttelt den braunen Kopf mit dem Silberhaar und spuckt in die Glut...

"Die sind vergnügt, Herr..."

Nur das sagt er.

Viel kann man heraushören, sehr viel...

Zwischen Kapitän und Besatzung besteht ein mir noch unklares Verhältnis

Ich kenne die Herrschaften erst wenige Stunden...

Angenehm sind sie mir nicht.

- So, nun habe ich die Büchse, die Pistolen, Messer und Patronen gesäubert, eingefettet und kann den greisen Mann ablösen.

"Sie gestatten, Kapitän..."

Er murmelt etwas, macht mir Platz, und unter den Büscheln grauer Augenbrauen streift mich ein harter, fragender Blick...

Wir kennen uns erst drei Stunden...

Da entrann ich der wütenden Brandung, weil ich leben wollte...

Wollte...

Und ich lebe.

Mein Hund ist tot: Seemannstod!

Armer Monte... -

Der Greis fragt mit der seltsam brüchigen Stimme:

"Glauben Sie wirklich, Herr, daß wir mit dem Dampfer wieder offenes Meer erreichen? Werden sich die Kanäle bis zum Rande des Neulandes hinziehen?"

Achselzucken...

"Hoffentlich, Kapitän..."

Und wie sehr ich darauf hoffe!!

Niemandsland?!  - 

Das sollte ja mein Land werden...

Und ich fand es besetzt...

Die Titanen der Tiefe hatten den Dampfer mit seinen sechsunddreißig Menschen mitten hineingepflanzt in das ungeheuere Gebiet, dessen Ausdehnung sich nur vermuten läßt.

Kapitän John Johannsen streichelt zerstreut den Lauf meiner Waffe.

"Eine gute Büchse, Herr..."

"Ja, Kapitän, System Snyders, neunschüssig... Hat schon allerlei erlebt."

Das Ferkel am Spieß duftet.

Die Scheite knallen.

Ich steche zur Probe in die Lende hinein...

Wildscheinferkel von Santa Renata, selbst geschossen. Vor dem Konservendreck des Dampfers graute mir.

Meine Messerklinge zerlegt den Braten, und der Dampf steigt hoch...

"Es muß schön sein, so wie Sie zu Leben, Herr," - der Kapitän zerkleinert die Scheibe auf dem Teller...

"...Es schön!" erkläre ich munter, denn dieses Gespenst von Greisenhaftigkeit lähmt mich.

Ich schüttele das Unbehagen von mir...

Die Kerle drüben brüllen, feiern Sieg...

Sieg?!

...So wie sie ihn verstehen..."

Albern das..! haben sie denn gekämpft um ihr Leben?!

Die Titanen der Tiefe schenkten ihnen Pardon. Und nun saufen die Burschen und brüllen und treiben Unfug.

Bande!!

Gefällt mir nicht, die Sippe!

Weiß überhaupt nicht, was mit dem alten Rattenkasten von Dampfer überhaupt los ist.

Sind da ein paar Halsabschneider darunter, die über mein Erscheinen gar nicht entzückt schienen und die nicht mal dulden wollten, daß John Johannsen mir hier zwischen den Felsen Gesellschaft leistete.

...Ist da ein jüngerer Bruder, Knut Johannsen...

Miserables Gewächs... Zu ölig...

Verdammt noch mal, ich liebe das Schroffe, Klare, Ehrliche...

Verdammt noch mal, ich bin ich - noch immer!

Und die da?!

Hergelaufenes Pack, bunt gemischt, seltsames Gemengsel!

Was ist mit der "Vandalia" los?!

...Der Greis kaut und kaut...

Wolken jagen über uns... Der Oststurm fegt sie davon, zuweilen erscheint der Mond.

Und ringsum: Niemandsland!

Aus dem Meer emporgestiegen, so wie ich es schon vor Wochen erlebte...

Nun ist Neuland dazugekommen, wieder Neuland...

In den Wolkenfahnen klafft plötzlich ein ganz weißer Riß, und der Mondschein zeigt sich in strahlender Helle.

Gleichzeitig fast von dem Kanal her eine Frauenstimme...

Klar, hart, entschlossen - wie ein greller Blitz:

"Hände weg!! - - Schurken!!"

Im letzten Wort schwingt eine Verachtung, die den Abscheu, den Widerwillen, den Widerstand in sich schließt...

All das...

Im klaren, kalten Ton der hellen Stimme.

Mein Blick fliegt zu Johannsen...

Der Greis lächelt töricht...

"Wer ist  das, Käpten?"

Und mein Organ kreischt fast, peitscht auf...

Der Alte kaut hilflos...

Ein Schritt, und meine Sniders liegt im Arm, - fünfzig Meter über neuen Boden... weite Sprünge...

Der Kanal blinkt im Mondlicht... Rotbraun leuchten die die rostbedeckten Schiffswände... Das kleine Boot fliegt hinüber, das Fallreep kracht, und ich empor an Deck...

Da habe ich sie vor mir, die Banditen...

Laternen glotzen mich an, Menschenaugen, vertiert durch Trunk, glitzern tückisch... In der Mitte des Kreises steht die, die niemand vor mir erwähnte...

Niemand...

Auch der Alte nicht...

Nicht jung mehr, eine reife Frau, gekleidet in derben Sportanzug, Golfmütze schief auf den Kupferhaaren...

Meine Blicke tasten das Deck ab.

Brandylachen - Würfelbecher - Würfel...

Sich lümmelnde Gestalten, fünf Kerle aufrecht.

Und die fünf, - - das sind die Burschen, die mir den Magen umkrempeln...

Fratzen wie aus Bürostuben mit Klubmöbeln und mit niedlichen, allzeit gefälligen Tippmädels und mit sonstigem Drum und Dran...

Feine Herren...

So recht für das Neuland geschaffen..!!

Besser, man befiehlt dem Magen Ruhe und lächelt...

"Was geht hier vor?"

Die eine Frage - Schwerthieb, bringt Leben in die Bude.

Und das soll Neuland, Niemandsland sein?!

Banditennest - das ja..!

Wie die bissigen, räudigen Köter fliegen sie hoch...

Herr Klaus Johannsen, sehr prunkvoll in Weiß mit goldenen Knöpfen - erster Steuermann - nur kein Mann, schade! - - also Herr Klaus schiebt seine aalglatte Schnauze höflich vor...

"Unsere Angelegenheit, mein lieber Herr Benson..."

Ja - Benson, noch immer Benson...

Mein lieber Herr - nicht schlecht gesagt..!

Verfängt nur nicht.

"Ich schaue die Frau an. "Und Ihre Antwort?"

Sie lacht...

Aber Herr Klaus mit der Geiernase wird nervös...

"Mein lieber Herr Benson..." - er stoppt, er zieht den Rüssel zurück.

Ich habe Rückendeckung an der Reling... Und zwei Pistolen, je acht Schuß, sind etwa zehn Leichen.

Das gefällt den Herrschaften nicht...

Sie sind unbewaffnet.

Mit leisem, zweifachem metallischen Klick fährt die Sicherung zurück... die eine... die zweite...

Sagt da Klaus' Freund, der dicke zweite Offizier:

"Wir sind friedliebende Leute..."

"Alle!!" betont der dritte Offizier...

"Sämtlich!" säuselt der fette Ingenieur.

...Komische Käuze..!!

Der Deubel mag aus der Gesellschaft schlau werden! -  Kerle?! Nein, Weiber in Schiffsuniformen...

Herr Klaus hüstelt vornehm...

"Mein lieber..." - - und verstummt...

Die Frau hat ihn bei Seite gestoßen, steht neben mir, nimmt mir die Büchse ab, entsichert sie, legt halb an...

"Herr Benson, sie haben um meinen Besitz gewürfelt... Das ist es... Und der Jämmerling da gewann..."

Der Büchsenlauf schwenkte herum...

Klaus Johannsens Unterkiefer sinkt, schlottert, - - dann lächelt der Gentleman wie eine Giftschlange...

"Es war nur Scherz, Frau Land..."

Ich horche auf...

Land? Frau Land? - Niemandsland...

Seltsam...

"Wenn es nur ein Scherz war, wird Frau Land mich nun begleiten," erkläre ich so ganz von obenhin.

Der Kreis dieses Völkergemisches duckt sich zusammen...

Märzkater...

So ähnlich...

"Das darf nicht sein!" platzt Klaus heraus.

Er hat seine Klubsesselwürde wiedergefunden.

Komische Gesellschaft...

"So - darf nicht?!"

Es mag da etwas in meiner Stimme mitgeschwungen haben, das an gewisse unliebsame stärkere Töne erinnert...:

...Wenn Kugeln fliegen..! -

Der Kreis der Gentlemen - wenige Ausnahmen - flegelt sich wieder auf die Deckplanken. Nur die fünf bewußten Herren drücken die Brust heraus... Herr Klaus erhält Unterstützung...

Der zweite Offizier salbadert...

"Hilda, du hast Pflichten gegen deinen Großonkel, der dir..."

Hilda also! Hilda Land! -- Und Neuland. Niemandsland..!

Ein tolles Stückchen, das Ganze...

"Urgroßpatenonkel," korrigiert die Frau mit dem Kupferhaar... "Im übrigen habe ich Ihnen verboten, Herr Land, mich mit du anzureden..."

Und wieder schwenkt der Büchsenlauf...

Worauf Herr Land das Bedürfnis verspürt, seinem Intimus Klaus den Vortritt zu lassen...

Was Herr Klaus überflüssig fand...

...Was ich durchaus begriff, denn ich merkte, daß Hilda schießen konnte, und ein Loch im Schädel ist schwer zu flicken.

Immerhin..:

"Frau Land, sie werden doch Ihren Heimatboden, und das ist Ihnen  der Dampfer "Vandalia" geworden, nicht einfach preisgeben und..." - er verlor den dünnen Gedankenfaden, und der Rest war vornehmes Hüsteln und ein Blick ohnmächtiger Wut.

Fabelhaft komische Bande..!

Da vorn Mulatten, Mestizen, Europäer, - da waren ein paar Gesichter, die vielleicht..."

Hilda sagte schon äußerst bestimmt:

"Ich gehe! Ich werde Onkel John mitteilen, was hier in seiner Abwesenheit an unglaublicher Roheit..."

"...Verzeihung: Eine rechtsgültige Trauung durch den Kapitän..." ereiferte sich Klaus Johannsen vorsichtig und zurückhaltend...

Ein Flintenlauf, - - wie gesagt...

Er dämpft...

"Kommen Sie!" meinte die kupferhaarige Frau zu mir... "kommen Sie, - - die Kerle sind ja viel zu feige, etwas Ernstliches zu unternehmen, Herr Benson..."

Das stimmte...

Nur Herr Klaus grinste süßlich.

Unser Boot landete, schweigend schritten wir den Felsen zu, die gestern noch Meeresboden gewesen. Am Feuer saß der alte Kapitän und neben ihm ein Mulatte, ein schlanker Mensch, - - der Steward des Dampfers.

Unter den grauen Haarwülstenn des greisen Seemanns traf ein trauriger Blick die kräftige, aufrechte Frau.

"Mendey sagt mir, du willst uns verlassen?" klagte die müde Stimme. "Aber Hildegard, - du, - nein, das gestatte ich nicht... Dieser Herr ist dir fremd, und..."

"Dieser Herr, Onkel John, steht mir näher als ihr alle... So, nun weißt du es! Ich kann nur annehmen, daß mit deiner Zustimmung dieses entehrende Spiel mit meiner Person getrieben wurde..."

"Eine... Heirat..." murmelte der alte Mann hilflos...

...Komische Gesellschaft, diese Besatzung des Dampfers...

Ein halbes Wrack, der alte Rattenkasten, verliedert, verludert...

Und ich?! - Ein Blick zum Schiffe...

Der Mond verkriecht sich wieder hinter Wolken...

Dunkelheit deckt uns, - ich raune der Frau zu: "Fliehen, - - sofort!!"

...Sie versteht schon...

Und wir stürmen davon - über Sand und Steine, über faulende Algen, tote Fische...

Niemandsland...

Mein Land...

Und ich hatte noch etwas gewonnen: Hilda - Land!!

- - Das mag eine sonderbare Einleitung sein für die großen, erschütternden Dinge...

Aber vielleicht sprüht aus diesen eilig dahingeworfenen, abgehackten Zeilen eins hervor: Ich selbst!

Ich, Wanderer auf Abseitswegen, Heimatloser mit vielen Heimen, Weltentramp wie jene fanatischen Entdecker, die ins Blaue segelten und Neues, Unbekanntes, nie Geglaubtes fanden...

Auch ich fand es.


Zweites Kapitel

Ein Gespensterschiff

 

Drehen wir den Uhrzeiger zwölf Stunden zurück...

Auf der östlichen Galapagos-Insel Abingdon hatte ich einsam mit meinem Hunde gehaust, - das Spiel der Galgenbrüder war aus, verklungen... Und dann hatten die Feuer der Tiefe aufs neue rumort, dann wußte ich: Vor Wochen war drüben an Santa Renata ein Stück angeflickt worden, jetzt wieder ein Stück, - - Niemandsland, mein Land...

Und da fuhren wir mit dem Motorkutter von dannen... Mein Reich wartete auf mich.

Sonnenglanz wurde Dunkelheit, der Pacific empörte sich gegen die Besitzergreifung...

Und in dieser höllischen Finsternis, die nur von den flackernden Kerzen des Teufels, den herabprasselnden Blitzen, sekundenlang zerrissen wird, bäumt sich der Kutter ein allerletztes Mal wie ein zu Tode getroffenes, stöhnendes Tier hoch empor und versinkt dann mit immer noch rasender Schraube...

Die Wunde, die ihm das tückische, messerscharfe Riff in die Planken geschnitten hatte, war wie ein zackiges Schleusentor für die gierigen Wogen gewesen, und die Brandung mit ihrem wilden Ungestüm der schäumenden Wellenberge stieß mich mit all ihrer brutalen Unbarmherzigkeit hinaus in ihrer mordbefleckten Unersättlichkeit, - wie ein klägliches Nichts, und doch ein Bündel mit Knochen und Muskeln und mit aufgepeitschtem Hirn, und all das wehrte sich gegen den Tod, wehrte sich...

Wollte leben... wollte!!

Mein Hund, Gefährte langer Monate, trieb irgendwo in dem gurgelnden Gischt - - tot - - von Haien gefressen... vielleicht...

Aber mich fing er nicht, der grimme Pacific, - - zerschunden, blutend lag ich am Ufer...

Eine Stunde wohl...

Nachher?

Nachher traf ich das Wildschweinrudel, nachher sah ich die Lichter des Dampfers, - - und so begann meine Besitzergreifung von Niemandsland...

Und - - ich lernte Hilda kennen, Frau Hilda, schaumgeborene Göttin, - ein Preis, um den die Horde würfelte... Und dieser Kerl da, Knut, erster Offizier, weit über fünfzig hinaus, Schurke, von der schurkischen Zivilisation ausgespieen, wollte sie haben - - besitzen... heiraten...

Und daran dachte ich, wie wir nun dahineilten über das frische Neuland, hinter uns das Johlen und Keifen einer menschlichen, unmenschlichen Meute...

Hinter uns... irgendwo...

"Schritt, Frau Hilda!"

Sie atmete ganz ruhig...

Wir erreichten den Grenzstreifen, wo das neue Gebiet in das vor drei Wochen geborene überging. Wir fanden, was ich erwartet hatte: In drei Wochen hatte hier die Äquatorsonne junges Leben aus dem Boden gezaubert... Wo Schlammpfützen gewesen, sprießt es grün, - was Sand gewesen, zeigte dünne Schößlinge...

Hildegard staunte, als ich ihr andeutete, wie ich diese Erstgeburt mit durchgemacht hatte...

Aber Hildegard verstummte, als ich, an gegenseitige Aufrichtigkeit gewöhnt, nach Kapitän John und der "Vandalia" fragte. Nur danach...

"Ich... darf nicht..." - und dieser halbe Seufzer war eine Anklage gegen sich selbst.

Und wieder nach einer Weile:

"Ihnen mag es unglaubwürdig erscheinen, aber der Dampfer hat seit Jahren keinen Hafen mehr angelaufen..."

Da blieb ich stehen.

Der Mond schien ihr in das frische, kühne, stolze Frauengesicht.

"Keinen Hafen? - Und die Feuerung für die Kessel?!"

"Holz, nicht Kohlen... Holz von einsamen Inseln."

Weshalb sollte ich zweifeln?!

Diese Frau log nicht.

Denn jetzt blieb sie wirklich stumm.

Wie ich...

Und so kamen wir an den langen Felsenzug des ersten Neulandes, in dem ich die Grotte von früher her kannte. - Ich mußte ruhen. Mein Körper war zerschunden, war ein einziger Schmerz. Die Eröffnung befiel mich wie ein Betäubungsmittel, Frau Hilda merkte wohl, wie es um mich stand, sie hatte ein Feuerzeug bei sich, ein dünnes Flämmchen beleuchtete die alten Lagestätten aus Seetang, - drei Wochen war es her, daß diese flache Höhle mit den vorgelagerten Felsen und dem engen Durchschlupf mich beherbergt hatte, ich ließ mich auf die trockenen Seepflanzen fallen, ein paar Worte noch, die unsere Sicherheit betrafen, und ich schlief ein.

Bleierner Schlaf zunächst - - ohne Träume.

Und dann erst, als der Körper frischer geworden, als auch der Geist trotz Selbstbefangenheit auflebte,  - - dann erst sah ich - Traumgesichte! - die Verrostete, verliederte "Vandalia" durch die Meere schleichen, sah sie an einsamen Küsten ankern, sah diese buntscheckige Besatzung Bäume fällen, das Trinkwasser ergänzen, - - und wieder hinausdampfen in den Ozean, jede Begegnung mit ihresgleichen vermeidend, eine neue Art des Gespensterschiffes "Fliegender Holländer"...

Und weshalb das alles?

Weshalb wohl?!

... Meine Träume waren fast erschreckend logisch, meine von dem Zwang der bremsenden Vernunft befreiten Gedanken flossen wie ein dahinschießender Bach - vielleicht in manchen nutzlosen Windungen und Schleifen, - - weshalb viele Jahre Kreuzfahrt durch die Weltenmeere, ohne einen Hafen anzulaufen?!

Vollgepfropft mit Konserven waren die Laderäume der "Vandalia" - John Johannsen, der Alte, hatte dies selbst gesagt...

Verproviantiert war der Dampfer wie ein Expeditionsschiff, - - woher kam er, welcher deutsche Seehafen hatte die "Vandalia" losgelassen in die Unendlichkeit der Meereseinsamkeit zu undurchsichtigen Zwecken?!

...So träumte ich...

Und da war keine Möglichkeit, daß ein durch äußere Einflüsse umnebeltes Hirn dieses Rätsel löste, selbst mit noch so zügellosen Sprüngen der Phantasie.

Was tat Frau Hilda auf der "Vandalia"?!

Vier Jahre?!

Was wußte ich von ihr? - Den Namen: Hildegard Land, Witwe, - - John Johannsen ihr Patenonkel, - keine Blutsverwandtschaft... -

Und doch: Vier Jahre hatte sie diesen Hexentanz zwischen Farbigen und Weißen mitgemacht, ungeniert von fünfunddreißig hungrigen Augenpaaren... - Nur einer der Kerle stand ihr außer dem greisen Kapitän näher: Auch der zweite Offizier heißt Land, der hatte sie mit du angeredet, und da hatte sie es ihm verboten... -

...Aus endloser Ferne klingen Stimmen...

Ich werde munter. Der nimmermüde Argwohn derer, die das Abseits lieben und mit der Natur eng verwuchsen wie das Tier mit seinen Urinstinkten, läßt mich hochschrecken.

Die Stimmen sind nicht endlos fern. Draußen scheint die Sonne, draußen steht Frau Hilda und vor ihr ein Mann, der mir schon an Bord der "Vandalia" auffiel...

Ein blonder schlanker Riese mit einem offenen, ehrlichen Gesicht, - fast zu jung für den Spitzbart, den er trägt, sicherlich zu jung für den schwermütigen Ernst in den Augen...

Worte klingen... Sätze klingen, erreichen mein Ohr...

"Mark Olden," sagt Frau Hilda, "Sie setzen viel aufs Spiel, mein Freund... Es sind ihrer dreißig und mehr, die wir gegen uns haben..."

Der Matrose in dem blauen derben Anzug eines Heizers, um die Hüfte einen Gurt geschnallt, daran Pistole, Messer, - dieser Mark Olden lacht...

Hart, zäh, ablehnend.

"Ich bleibe!"

Frau Hilda streckt ihm die Hand hin...

"Braver Mensch!"

Das Lachen wird bitter, scharf...

"Ich - - brav?! Säße ich sonst auf diesem Satansschiff all die Jahre!" - - Sofort reut ihn seine Heftigkeit, ein Lächeln kommt... "Immerhin, Frau Land, - -  es war doch schön..! Weil Sie an Bord waren..."

Hilda wendet sich schnell ab.

Und Mark, erschrocken über die Kühnheit, hier sein Herz enthüllt zu haben, meint ablenkend:

"Außerdem sind wir nicht drei, sondern vier, vorläufig... Der vierte ist Herrn Bensons Hund. Das arme Tier ist schachmatt... Die letzte Strecke habe ich es getragen, draußen liegt es."

Wenn irgend etwas mich aufpulvern kann: Monte lebt!!

Ich springe empor, bin draußen, nicke der Frau und dem blonden Recken nur zu: Da liegt Monte im Schatten auf Seetang, - Monte, Überhund, überklug, überstark, übertreu...

"Monte!!"

Das wirkt.

Die braunen Augen öffnen sich... Er richtet sich auf...

"Monte!!"

Er steht, schwankt... Sein scheckiges Fell ist an vielen Stellen blutverklebt...

Schwankt... Strafft sich...

Bellt leise - - heiser...

"Monte!!"

Er sinkt hinten zusammen... Vorn stütze ich ihn. "Armer Kerl, du hast zu viel Seewasser geschluckt..! Das geht vorüber..."

Hilda und Mark Olden schauen zu...

"Das ist er," sage ich zu Frau Land... "Das ist Monte..! Seine Nase ist hundert andere Nasen wert, seine Augen das gleiche... - so, nun lege dich wieder, Monte, oder besser, ich trage dich in die Höhle... ins Dunkle... Schlafe dich aus..."

- Er schlief...

Ich hatte die Felsenhügel erklommen, vor mir nach Nordosten lag das jüngste Neuland, endlos, - keine Tenne, nein, - der Meeresboden ist kein Seegrund eines Binnengewässers...

Berge, Hügelketten, weite Ebenen, - - und ganz fern eine Rauchsäule, die gen Norden zog, wo das glitzernde Band des breiten Naturkanals das Niemandsland mit Wasserstraßen belebte...

Da war die "Vandalia"! Und sie fuhr davon, fuhr zurück in die Einsamkeit der Meere, zurück in den Schutz der blaugrünen leeren Wogen...

Neben mir ein Geräusch...

Mark Olden reicht mir ein kleines Fernrohr. Er keucht etwas, der Aufstieg hat ihn außer Atem gebracht.

Sofort kehrt er um. Er begreift, daß Frau Hilda nicht ohne Schutz bleiben darf... - Weiß man, ob nicht doch in diesem unübersichtlichen Gelände ein paar Gegner lauern?!

Das Fernrohr ist schlecht, hilft wenig... Es steht fest: Die "Vandalia" hat das offene Meer schon erreicht, der rostbraune Rumpf verschwindet unter der Kimmung...

Es ist jetzt elf Uhr vormittags. Der Sonnenball steht fast senkrecht über mir. Die Felsen glühen, das Neuland brütet neue Vegetation aus - nach links, wo Santa Renatas schroffe Ostgestade das Neuland begrenzen, ziehen gemächlich Wildschweinrudel dahin, traben verwilderte Pferde, Maultiere, schwärmen Vogelscharen...

Niemandsland... Land der Tierwelt, Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ahnt jemand, was die Tiefen des Ozeans bergen? Können nicht in jenen kahlen hohen Hügelketten Schätze von Erzen, Kohlen, Mineralien verborgen sein?!

Und ich klettere hinab... Der Hunger naht, der Durst... Niemandsland hat keine Süßwasserquellen, - die sollen erst gefunden werden.

Mark Olden sitzt auf dem Steinzaun der Grotte.

"Frau Hilda schläft, Herr Benson..."

Wir flüstern nur. Dann nehme ich die Büchse und schreite davon... Auch Monte schläft, ich bin allein, ich habe Olden gewarnt. Ich traue der "Vandalia" nicht, - wenn Olden den Weg zur Grotte mit Montes Hilfe fand, kann auch ein Dutzend von der Besatzung denselben Weg finden.

Bei aller Eile blieb ich behutsam, mißtrauisch... Ich gehe im Bogen nach Osten, spähe nach Fährten, wende mich nach Norden,, schwenke schließlich nach Westen ein. Mein Ziel ist jene mir bekannte Bucht, in der ich vor Wochen die Berge leerer Konservenbüchsen entdeckte. Wir haben keine Trinkgefäße, Kochgeschirre - weiter nichts. Wir vier haben nur das, was wir auf dem Leibe tragen. - Das soll anders werden...

Da ist die Bucht, da sind die verrosteten Büchsen, ganze Berge...

Da ist die Quelle im Gestrüpp, - alles mir wohlvertraut. Ich umkreise den Platz, ich will auch hier sicher gehen, nichts aufs Spiel setzen, nichts irgendwie versäumen.

Mein Blick gleitet über diese Haufen von Kulturrückständen hin, die hier einst ein Mann zurückließ, dessen Lebensweg in die Irre ging.

Und ich suche das Beste heraus. Mein Messer wird schartig, ich muß mir so etwas wie ein Traggerüst herstellen, muß die Büchsen untereinander verbinden, muß genügend Trinkwasser mitnehmen.

- Das liest sich hier vielleicht alles ganz schön... sehr einfach. Die Hände bluten... Hautfetzen gehen verloren...

Ich habe doch keine Klempnerwerkstatt bei der Hand, Aber man muß sich zu helfen wissen, man muß..!! Und das eiserne Muß ist die Schule für alles.

Ich quäle mich ab... Schnell soll es auch noch gehen. Bis da so ganz unvermutet über mir in einer Baumkrone eine Stimme einwirft:

"Verzeihen Sie, Herr Benson, aber die Frage ist wohl berechtigt: Wollen Sie nicht lieber unser Wasserfaß benutzen? Es ist allerdings von Bord der "Vandalia" gestohlen worden, und ein sehr feines Gewissen könnte daran Anstoß nehmen... - Gestatten Sie, daß wir absteigen?

Absteigen?! - Nun, das edle Paar da oben hat recht... Es sitzt im Reitsitz im Geäst, und es sind zwei von der Besatzung, die ich ebenfalls vormerkte als ehrliche Gesichter.

Gebrüder Daus, Hannes und Jochem... - Bitte, keine Handelsfirma, nur zwei betagte Jan Maate, so um die fünfzig... Keine Reckengestalten, kleine zähe Kerle mit borstigen Nasenlöchern und mit jenem gewissen stillen ruhigen Blick, der gewöhnt ist, Unendlichkeiten zu durchschweifen.

Brüder, - das betonen sie..! Und der Jochem erklärt: "Wir halten es mit Frau Land, - wir haben das Gespensterschiff satt... - Herr Bensen, seit vier Jahren wissen wir kaum, was in der Welt vorgegangen ist..."

Ich frage dann... Aber Hannes und Jochen kratzen sich den Kopf und belieben zu schweigen...

Da ist eben eine Granitwand, gegen die man anrennt, - v on der alle die Fragen nur als Echo zurückhallen. Es ist mit diesen Brüdern Daus genau dasselbe wie mit dem greisen Kapitän, wie mit Frau Hilda und dem liebenswürdigen Mark Olden. Es ist zwecklos, in dieses merkwürdige Geheimnis eindringen zu wollen, schon deshalb zwecklos, weil dieser alte, seelisch gebrochene  Kapitän ein Ehrenmann sein muß, - das sagt mir eine innere Stimme.

...Und hier stehen die beiden Jan Maate vor mir, gereifte Männer, harte Gesichter, aber immer noch um die Mundwinkel das Zucken eines überlegenen Humors. Jochem, wohl der geistig regere, sagt augenzwinkernd:

"Herr Benson, sind sie an ein Festessen mit blauen Bohnen als Vorspeise gewöhnt? Ich denke ja... Sie sehen ganz so aus... Es wird nämlich sehr bald blaue Bohnen gratis geben. Von der "Vandalia" sind unter Führung Klaus Johannsens vierzehn Kerle zurückgeblieben, alles fixe Teufel... Die Kerle fangen jetzt auf Santa Renata Pferde ein... Und dann soll es Frau Hilda, Olden  und Ihnen ans Leder gehen... mit Kavallerie, ganz netter Witz soweit... und Hannes und mir werden sie ja wohl auch eins auswischen, - - wenn sie uns kriegen...Die Nürnberger hängen immer erst einen, wenn sie ihn haben... - Was sollen wir tun?"

"Sind sie gut bewaffnet, die fünfzehn?!

"Und ob, bis an die morschen Zähne - wie wir... Da - hier unter den Jacken, Herr Benson, - ganz hübsch, je zwei Pistolen..."

Mein Blick schweifte gen Osten... Schon vor drei Wochen, als das erste Stück Niemandsland hier geboren wurde, war mir jener hohe Berg dort drüben aufgefallen, ein zerklüfteter Kegel, emporwachsend aus einer Hügelkette bis zu mindestens achthundert Meter Höhe.

Ich gab den Brüdern Daus meine Instruktionen: "Sofort Aufbruch dorthin, Mark Olden soll einen leicht zu verteidigenden Platz wählen, vielleicht findet er eine Quelle. Ich selbst werde Herrn Klaus Johannsen mit seiner Bande im Auge behalten... Beeilt euch... Nehmt das Wasserfaß mit."

Schweigend zogen sie ab, ohne viele Worte, und das war mir lieb... -

Nun war es also wieder einmal  so weit, daß die Menschenjagd begann...

Wieder einmal...

Und immer dasselbe Schauspiel, immer: Mensch gegen Mensch, schlimmer als Bestien..!

Meine Schuld?! Nein!! - Meine Pflicht?! - Es gab nur eine Pflicht: Sich auf die Seite derer zu stellen, die dem verrosteten, verliederten Gespensterdampfer aus innerem Reinlichkeitsgefühl den Rücken gekehrt hatten!!

Mithin?!

...Die Pferdejagd wollte ich den Herrschaften versalzen... Denn ich kannte auf Santa Renata jedes Fleckchen Erde... Ich hatte mir hier Wildpferde, verwilderte Pferde, zugeritten...

Ich hatte eine Pferdefenz angelegt...

Wollen sehen, ob die flinke braune Stute der Fenz die Treue bewahrt hat, wo sie mich stets freudig wiehernd begrüßte.


 

Drittes Kapitel

Der Japaner Haraki

 

Da schleicht einer durch Busch und Schlucht, über Abhänge, kleine Savannen.

Einer - ohne den braven Hund Monte, - einer, der immerhin die Wildnis kennt...

Einer...

Ich! - Verwachsen mit der Natur, seit Jahren aus der Einsamkeit der Abseitspfade wieder von dieser Schöpferin Natur die geistigen Gaben zurückerobernd, die das Leben des Alltags abstumpft.

Augen, Ohren, die blitzschnelle Beobachtungsgabe haben sich geschärft, sind trainiert... Ich sehe drüben im Süden die unruhigen Vogelschwärme, ich höre das Prasseln in den Dickungen, wo aufgescheuchte Wildschweinrudel dahintraben zu den pfadlosen Sümpfen...

Alles ist hier pfadlos. Santa Renata kennt keine Siedler... Dazu ist Santa Renata zu unruhiger Boden... Unter der Insel schwelen die ewigen Feuer, erloschene Krater mit noch heißen Wänden aus glattem Lavafluß verraten die Urgewalt der feurigen Titanen...

Weiter nun...

Dort das Tal, der Dornenfenz mit dem offenen Gatter... Ich stehe, spähe... An dem Bach, der die Fenz umfließt, weiden ein paar Pferde...

Also doch! - Meine kleine Braune ist mit darunter... Und der Fleck dort im Geröll, - das muß mein Sattel, mein Zaumzeug sein, selbstgefertigt... einst... Vielleicht verregnet, vielleicht verschimmelt inzwischen, - was tut das?! - - Nichts...

Die Augen kreisen mißtrauisch... Doch die Tiere  benehmen sich arglos, so voller Sicherheitsgefühl, daß hier nichts zu befürchten ist.

Vielleicht ein trügerischer Frieden... Sagte nicht Jochem Daus, die Gegner seien fixe Teufel?!

Vorsicht also...

Nochmals biege ich die Zweige des Strauches, der mich hier auf der Talhöhe deckt, bei Seite...

Der kreisende Blick fängt jede Kleinigkeit ein, jede... Auch den dürren Baum mit den vielen Nestkugeln, eine Spielart der Webervögel haust dort in ganzer Kolonie...

Aber nicht einer der langschwänzigen Gesellen ist sichtbar. Nur aus den Nestlöchern funkeln blanke Augen...

Da stimmt etwas nicht..!!

Ich kenne diese geschickten Nestflechter, dieses übermütige Völkchen, dieses ruhelose, kreischende Völkchen... - Und heute, jetzt?

Da stimmt etwas nicht..!!

Wenn ich Freund Monte bei mir hätte, würde die feine Hundenase mir rasch Gewißheit verschaffen. Meine Nase kann mit der Montes nicht im entferntesten konkurrieren... Meine Nase muß ich ausschalten, nur Gehör und Gesicht und langjährige Erfahrung bleiben mir...

Die Augen sind Brennpunkt des Körpers geworden, und wie ich so die Umgebung des abgestorbenen Baumes prüfe, blinkt da im Grase zwischen den Felsen etwas wie ein Stück Metall, Glas, dergleichen...

Und bewegt sich... Gleitet zurück - langsam, verharrt..: Sekunden! Und schnellt wie ein blanker Strich schräg abwärts - hinein in Dornendickicht, - und aus dem Dickicht fährt eine Gestalt hoch, läßt eine Büchse fallen - im rechten Oberarm steckt ein Pfeil...

Gleichzeitig teilt sich das Gras, eine dürftige Figur mit schmalen Schultern, schmalen Hüften erscheint, umschlottert von einem schmierigen Matrosenanzug, ohne Kopfbedeckung. Glänzend schwarzes, frei zurückgestrichenes Haar liegt über einer vorgewölbten Stirn, die kleinen Augen, die starken Backenknochen verraten den Asiaten, den Japaner.

Der kleine, gelenkige Asiate hält in der Linken einen primitiven Bogen, drei Pfeile... Er und der Mulatte starren sich an, - ich sehe nur die Gesichtszüge des kleinen Japp, ich verstehe seine Worte nicht, aber der braune Gegner mit der langen Spicknadel im Arm hebt gehorsam die Flossen gen Himmel.

Es wird Zeit für mich.

Die Situation ist eindeutig... Der Mulatte hatte es auf mich abgesehen gehabt... Der kleine Japp greift ein: Die Spicknadel!!

Und auch den Japaner habe ich mir an Bord der "Vandalia" vornotiert auf die Plusseite. Schon damals verfolgte er mit so eigentümlich gespannten Blicken mein Eingreifen. Und gerade das fiel mir auf... Wenn ein Asiate die Maske unerschütterlicher Gleichgültigkeit und Abgeklärtheit fallen läßt, muß es für ihn schon um große Dinge gehen. Und die Größe der Dinge ist hier die Parteinahme für Hilda Land.

Es wird Zeit... Des Japaners Blick ruht sekundenlang auf meinem Versteck... Ich trete vor, eile in das Tal hinab, drüben wieder empor, und der Mulatte wird versorgt... Lianentaue gibt es hier überall.

Der Bursche benimmt sich sehr verständig, nur in der Tiefe seiner Augen flackert es heimlich, und der kleine Japaner sagt in geläufigem Englisch:

"Pedro ist Klaus Johannsens bester Freund."

Das genügt ja.

Dann nennt der Japaner - fünfundzwanzig mag er sein - seinen Namen: Haraki!

Das erinnert unangenehm an Harakiri... an jene Prozedur, die in Japan nie aussterben wird: Freitod ehrenhalber! Man schlitzt sich den Leib auf mit einem besonders geweihten Schwerte, man tut es aus den verschiedensten Gründen, der letzte mir bekannte Fall war der eines Ministers, der bei den Wahlen schlecht abgeschnitten hatte... Andere Länder, andere Sitten... Immerhin gehört zum Harakiri etwas Mut, sogar etwas sehr viel, und ein Ehrgefühl, dessen Ausmaße in Europa kaum verstanden werden.

Nun, mein kleiner Haraki hätte bestimmt diesen Mut aufgebracht... Es gibt Gesichter, deren ganzes Gepräge sofort einen Rückschluß auf den Charakter zuläßt. Und in diesem Falle hatte ich mich nicht getäuscht.

"Was beginnen wir mit Pedro?" fragte der neue Verbündete in sehr knapper, fast schroffer Art. - Die Japaner sind höfliche Leute... Sehr höflich. Aber jedes zu seiner Zeit. Hier dieses Tal war kein Salon, war kein Parkett für gedrechselte Redensarten. Die Urkraft der Natur spiegelte sich in Form und Eigenart dieses Tales wieder. Da war das Liebliche: bunter Blumenflor, dicht neben eine Granitzacke gepflanzt, auf der noch die blauschwarzen Lavatropfen von einst hingen... Da war das hohe Steppengras, da waren Dorne, da waren Bäume, himmelhoch, - da war eben alles, was diese unermüdliche Schöpferin und Vernichterin und Neuschöpferin verschwenderisch aus ihrem Füllhorn ausschüttet und zurückfüllt in dieses Zaubergefäß und in anderer Form aufs neue darbietet...

Die Galapagos-Inseln sind Wildnis. In ihren grandiosen Vulkanen besitzen sie das Abwehrmittel gegen das, was man Kultur nennt. Man müßte sagen "Zivilisation", - denn diese ist die Vorbedingung des anderen, das den ganzen Riesenapparat kultureller Errungenschaften umfaßt. -

Die Galapagos sind ferne, ferne Inseln... Der ungeheure Pacific umrauscht sie, und der Pacific ist eine Mauer gegen die Invasion menschlicher Vernichter... Denn wo der Mensch hinkommt, um aus dem Urland den Mammon zu münzen, muß er vernichten, was früher war. Die unberührte Wildnis wird sauber, zweckmäßig angelegte Plantage, und dann beugt sich die Natur der menschlichen Intelligenz - scheinbar... Aber eine einzige Viertelstunde ein Taifun, eine Windhose, ein Erdbeben oder eine Springflut fegt vielleicht all das wieder hinweg, wie leichtes Kinderspielzeug - - alles...

Ich habe es miterlebt... Ich sah hier die Bergkuppen wanken, sah aus Tälern Hügel werden und sah das Niemandsland emporsteigen und den Pacific zurücktreten und neue Uferlinien sich suchen... Das alles sah ich... Und es war vielleicht das erschütterndste, erhabenste Schauspiel, das ich je erlebte... erleben durfte.

Dieses weite Tal hier legt Zeugnis ab für die Allschöpferin..: Ein Paradies ist es, gleichzeitig ein dunkles, düsteres Andenken an die ewige Ruhelosigkeit der Dame Santa Renata.

Genug, - - Haraki wartet auf Antwort... Haraki hebt Pedros Büchse auf, nimmt ihm den Ledergurt ab, die Patronen, Pistole, Messer...

Haraki kann sich den Gurt zweimal um die Hüften schlingen... Er tut es auch... er schnallt ihn zu und bückt sich nach seinem Bogen und den Pfeilen mit den Spitzen aus breitgehämmerten Nägeln. Es liegt eine wundervolle Selbstverständlichkeit in Harakis Benehmen, etwas Nervenberuhigendes, äußerst Höfliches, fast spielerisch Leichtes.

Mein Blick streift den muskelstrotzenden Mulatten. Das bläulich schimmernde Weiß seiner Augen wird von feinem rötlichen Netzwerk durchzogen, - diese Augen stieren auf den kleinen, dürftigen Japp, der unter der schmierigen Jacke ein Messer hervorgeholt hat - nein, einen wunderbar reich verzierten Dolch... Eines jener uralten japanischen Stücke, deren Klinge ohne Glanz ist, weil die Wellenlinien des gehämmerten, geschichteten Stahles kein Blinken erlaubt.

Haraki spielt mit dieser uralten Samurai-Waffe... Samurai: Der japanische Schwertadel...

Und Pedros Gesicht wird aschfarben...

Der Japaner sagt gleichgültig: "Es war vor zwei Jahren... Da trieb ich auf einem Lukendeckel, und die Haifische umspielten mich, und die Sonne trocknete mein Hirn, und die Zunge war mir im Munde wie ein Giftschwamm... Mein Schiff jagte ja der Orkan in die Tiefe, drei Tage hoffte ich... Da kam die "Vandalia" herangedampft... gerade auf mich zu... Und da wollte Pedro, daß ich bliebe, wo ich war: Auf dem Lukendeckel. Aber am Heck stand Frau Hilda Land, und sie lief zu Kapitän John Johannsen, und da erst fischten sie mich heraus und ließen mich, den Samurai, auf diese Klinge meiner ungezählten Ahnen schwören, daß ich... schweigen würde über alles, was auf dem Dampfer vorging, und nicht entfliehen würde... Und ich schwor - - um der weißen Frau willen, die ich von Schurken umgeben sah... Du, Pedro, nahmst mir den Eid ab... Du wußtest, daß dieser Dolch mir heilig und ein Schwur bindend. Du, Pedro, wirst mir nun den Eid zurückgeben... Sprich die Worte, und das Leben sei dir geschenkt, - - falls Mr. Benson nichts dagegen hat..."

Was dort weiter auf den östlichen Felsterrassen vorgefallen, weiß ich nicht. Ich habe Freund Haraki nie danach gefragt, ich hatte ihm nur zugenickt und war in die Fenz hinabgestiegen, - mochte der Japaner zusehen, wie er mit Pedro fertig würde. Jedenfalls: Pedro ist nie wieder aufgetaucht, und als ich die braune Stute gerade sattelte, tauchte Haraki neben mir auf mit einem äußerst gleichgültigen Gesicht, sprach kein Wort, fing sich ein Maultier ein, zog ihm einen Baststrick als Trense durch die Zähne und überließ mir das weitere.

Er fragte nichts... Ich fragte nichts... Ein solches Kompagniegeschäft ist noch immer am einträglichsten.

Durch Harakis Auftauchen und durch Pedros Waffen hatten wir nunmehr unser Heer auf sieben Köpfe, Monte mit eingeschlossen, verstärkt, und ich sah keinen Grund mehr, sofort gegen Klaus Johannsen etwas zu unternehmen. Außerdem sorgte ich mich um die Gefährten. Ob Mark Olden genügend Erfahrung besäße, wirklich einen passenden Schlupfwinkel zu finden, wußte ich nicht.

Wir ritten also wieder nach Norden bis zu der Bucht, wo ich die Brüder Daus getroffen hatte, und betraten hier das ältere Niemandsland. Die Bucht war Binnensee geworden, vor uns lief die Fährte der beiden Wasserfaßträger hin, wir schlugen einen flotten Trab an, und ein Seitenblick auf den ohne Sattel reitenden Haraki überzeugte mich, daß das Kerlchen einfach glänzend die immerhin unangenehme Aufgabe meisterte, nur durch Schenkeldruck die Stöße des etwas wilden Maultierhengstes abzufangen.

Und noch etwas: Haraki war ein aufmerksamer Beobachter! Vielleicht besaß er sogar schärfere Augen als ich, denn als nun die Spur der beiden Brüder an der Grotte in der Hügelkette sich mit der Mark Oldens vermischte, erklärte er ganz von selbst: "Mr. Benson, sie sind eilig aufgebrochen... Dort liegen drei Gewehrpatronen..."

Stimmte...

Drei Patronen... Und wir mußten mit Munition sparen. Das wußte Mark Olden ganz genau...

Einfache Schlußfolgerung: Übereilter Abmarsch nach Osten, nach dem hohen Bergkegel!

Und der Grund?! - Mir wurde noch unbehaglicher zu Mute... Jene Stimme aus dem Unterbewußtsein hatte sich längst gemeldet, auf die man zu hören verlernt hatte. Instinkt?! Zumindest etwas Verwandtes.

Ich hob die Patronen auf.

"Haraki, halten Sie mal meine Stute..." -

Nach Norden zu verdeckten uns die Hügel jede Aussicht auf das neue Gebiet... Ich kletterte eine Kuppe empor, spähte ringsum...

Nichts...

Neuland, Niemandsland.

Aber, wie schon betont, keine flache Tenne, dazu ein Gebiet, das mindestens dreißig Quadratmeilen umfaßte.

Eiligst wieder hinab.

"Weiter, Hariki..! Ich fand nichts Verdächtiges... Trotzdem..!"

Der kleine Japaner konnte auch Galopp reiten... Und dabei war sein Maultierhengst ein höchst widerborstiges Vieh...

Der Bergkegel kam näher... Endlich würde ich nun seine Abhänge, seine Schluchten und Zacken genau kennen lernen...

Es war ein finsterer, düsterer Gesell...

Vielleicht Baumkuchenformat - so etwa...

Nur grauschwarz mit vielen grünen Flecken, mit langen Bärten getrockneter Algen, Seetang und anderer abgestorbener Meerespflanzen...  Grauschwarz, unheimlich, drohend... Das war der Eindruck.

Er wuchs empor aus kleineren Kegeln - ein Riese..! Und an seiner Ostseite klaffte das Neuland: Ein Kanal, eine Rinne, - und die lief fünfhundert Meter weiter bis zum Meere, bis zum neuen Meeresstrand... Dort begann der Pacific wieder, dort hatte die Riesenarbeit der Giganten der Tiefe ihr Ziel gefunden.

Noch näher trabten wir... Die Tiere kletterten, keuchten... Und nichts von den Gefährten, nichts..! Es lag doch so nahe, daß Mark Olden eine Wache aufgestellt hätte - nach Santa Renata hin.

Nichts..!!

Wir umritten den Berg, mußten weite Umwege machen... Von Fährten war nichts zu sehen. Das zumeist kahle Gestein verriet nicht einmal die Richtung, wohin die anderen sich gewandt haben mochten.

Dann bogen wir um ein vorspringendes Felsmassiv, - - und was sahen wir?

Hundert Meter über uns stäubte ein Wasserfall herab, - ein breiter Schleier von Wasserperlchen  fiel in einen Talkesel: Süßwasser zweifellos!

Das Niemandsland hatte also doch seine Quelle. Das Niemandsland hatte es nicht mehr nötig, von Santa Renata sich erquickenden, salzfreien Trunk zu borgen.

Wieder glitt ich aus dem Sattel... Da war ein breiter Bach, Abfluß zum See hin. Ich schöpfte das Wasser...

Es war kühl, rein, klar... -

Das Rauschen des Staubfalles hatte uns nicht verraten, - zwanzig Meter weiter - da saßen Hildegard Land, mein Monte, und die Frau hielt den Nacken des Hundes umschlungen...

Gen Südosten schauten sie über die See...

Hildegard Lands Kupferhaar, vom Winde zerzaust, flatterte... Hildegard Land hielt den Kopf etwas vorgereckt - etwas.

Neben mir des Japaners dünne, höfliche Stimme:

"Sie sucht, Benson... Sie sucht... Und auch die "Vandalia" suchte - immer... immer... Ich darf es jetzt sagen... Mein Schwur gilt nicht mehr... Wer einen Schwur fordert, wäscht ihn von dem Samuraidolche mit seinem Blute wieder ab... - Die "Vandalia" suchte... Niemand verriet es mir, ich erriet es... Sie hatte stets hinter sich ein riesiges Schleppnetz... - aus Stahl..."

Ich schaute Haraki überrascht an.

"Dann suchten sie also ein Wrack - was sonst, Haraki?"

Er nickte, verbeugte sich.

"Ja, ein Wrack, das halb unter Wasser trieb oder noch treibt - noch immer, Benson. Der alte Kapitän Johannsen und sein Bruder hatten allerbestes Kartenmaterial aller Meeresströmungen. In den zwei Jahren, die ich an Bord halber Gefangener war, hat der Dampfer niemals sinnlos und zwecklos die Meere durchkreuzt. Sie suchten mit aller Sorgfalt nach genauen Berechnungen, sie waren im Pacific, im Indischen Ozean, in den Gewässern Australiens, zwischen den Südseeinseln... Und auch Frau Land sucht... sucht, - sehen Sie nur, sehen Sie nur, - - in dieser Stellung, in dieser Kopfhaltung liegt Hoffen, Warten, Zweifel... und Flehen. Worauf hofft sie..?!"

...Vom Meere her, wo die Brandung rauschte, kam ein Windstoß...

Heulte in den Bergzacken, prallte zurück...

Da flog Monte herum... Hatte Witterung von mir bekommen.

Bellte... sah mich... Und die Frau erhob sich, schaute zu uns hinüber, winkte...

Monte trottete herbei, war wieder leidlich bei Kräften, hob die Ohrstummel, hob den Vorderleib und legte mir die Tatzen auf die Schultern... Herr und Hund blickten sich in die Augen, und Niemandsland hatte eine erste melodische Szene: Treue des Tieres, Liebe zum Tiere..!

"Frau Hilda, wo sind die übrigen drei - - Mark Olden und die beiden Daus?"

Sie lächelte etwas hilflos.

"Ich sollte hier warten, Mr. Benson... Die drei sind mindestens eine Stunde fort, sie wollten irgendwo den Berg erklimmen..."

Haraki hielt sich mehr im Hintergrund. Erst als Frau Hilda ihn ansprach, ihm die Hand reichte und ihm dankte, daß auch er sich auf ihre Seite geschlagen hätte, verlor er seine etwas steife Würde und bewies, daß auch ihm der flüssige Phrasenschwall der großen Welt nicht fremd. - Trotzdem: Er blieb stets Haraki, der Samurai..! Er war äußerst verbindlich, nie untertänig, nie überschritt er die Grenze zwischen der Höflichkeit eines ausgesprochenen Herrenmenschen und der gekünstelten Domestikenart der Herdenmenschen.

Wir standen hier an der Südostseite des Berges. Wir hatten ihn noch nicht völlig umrundet, ein Stück nach Süden fehlte, - - wir brachen schleunigst auf. Irgendwo mußten die drei ja stecken. -

Niemandsland hatte uns seine süße Quelle gezeigt, Niemandsland zeigte uns jetzt seine Schattenseite, sein erstes Rätsel:

Die drei waren nicht zu finden!

Sogar Montes Nase versagte hier, denn schon die ersten Versuche, die Bergzacken zu überwinden, boten tausend Schwierigkeiten.

Als wir an der Südwestseite eine passende Grotte fanden, richteten wir uns hier vorläufig häuslich ein.

Was man so einrichten nennt...

Grotten und Höhlen gab es genug...

Diese hier bot zwei Vorteile: Leicht zu verteidigen und im äußersten Winkel ein Rinnsal Trinkwasser, wahrscheinlich eine Abzweigung des großen Staubfalles drüben.

Also - häuslich einrichten...

Das hieß: Seetang zu Lagerstätten sammeln, Proviant beschaffen, Futter für die Tiere und einen Verschlag für Frau Hilda bauen - - ein eigenes Gemach...

All das mußte getan sein, bevor Herrn Johannsens Helden uns etwa anrempelten.

...Ich ritt gen Westen, Monte kam mit... Drei arglose Wildschweine büßten ihr Leben ein, und Harakis Maultier mußte die Beute schleppen.

Inzwischen hatten auch Frau Hilda und der Japaner sich fleißig geregt.

Es ist ein eigen Ding um solche Zufallskameradschaft wie hier...

Ein eigen Ding, wenn eine Frau dabei.

Nun - Hildegard Land erschwerte uns nichts, sie war kein Zierpüppchen, sie war vier Jahre auf den Planken der geheimnisvollen "Vandalia" durch die Meere geschlichen, ein Mitglied der Besatzung des fliegenden Holländers, des alten John Johannsen. Sie hatte dort die Nerven gestählt, alles Überflüssige über Bord geworfen, hatte auch jenen Grad von richtiger Einschätzung der eignen Person, des eigenen Wertes gewonnen, daß sie mir in vielen hilfreichen Handreichungen mehr nützte als Haraki. -

Der Abend kam...

Die Nacht...

Von Johannsens Gesellen keine Spur...

Von unseren drei Gefährten auch nichts... -

Und dies war meine erste Nacht auf Niemandsland, das ich als mein Reich betrachtete.

Und das war die erste Nacht der Panik, des Grauens, des Unbegreiflichen...

Auf Niemandsland...

Auf Meeresboden, vor drei Wochen dem Ozean entstiegen...

Das war es..: Meeresboden!

Und das ganze frische Neuland..? - Es lag gen Nordost.

Auch dieses Gebiet hielt für uns seine Überraschungen bereit... - -

Also..:

 


 

4. Kapitel

Die erste Nacht

 

Wir hatten die Wachen unter uns dreien verteilt. Frau Hilda sollte um Mitternacht von mir abgelöst werden. Haraki wieder würde um fünf Uhr morgens mit die kritische Zeit übernehmen.

Ich hatte meine Lagerstatt absichtlich in den äußersten Winkel der Grotte verlegt, wo das dünne Rinnsal aus dem Felsen hervortrat und mit sanftem Plätschern wieder in den Spalten und Rissen verschwand. Monte lag neben mir. Der Platz war günstig, denn ich konnte durch den Höhlenausgang auch den balkonartigen Vorsprung überblicken, auf dem Frau Hilda gut geschützt und die Büchse im Arm auf und ab wanderte. Haraki lag zehn Meter weiter rechts in einer kleinen Nebengrotte. Dicht daneben hingen die angeräucherten und gesalzenen Fleischvorräte, die wir von den Wildschweinen gewonnen hatten.

Der etwas faulige Dunst der trockenen Seetangpflanzen meiner Lagerstätte war unangenehm, weckte Erinnerungen an faulendes Heu und manches Erlebnis, das auch nicht ganz geruchfrei gewesen. Ich schlief ein...

Nur Halbschlaf...

Zweierlei Fragen quälten mich sogar im Traum, und diese Träume vermischten sich mit der Wirklichkeit, wurden buntscheckige Gedankenfetzen, trotzdem nicht minder peinvoll.

Zwei Fragen: Weshalb blieben die Gegner auf Santa Renata und griffen nicht an, und zweitens: Wo waren Mark Olden und die Brüder Daus geblieben?!

...Eine Stunde mochte vergangen sein.

Neben mir regte sich Monte. Es war stockdunkel...

Ich wurde munter. Ich sah Montes Augen rötlich schillern - zwei Punkte... Er saß aufrecht, und seine Augen hingen starr und stier an zwei anderen grünlichen Pünktchen, die sich zuweilen bewegten.

Die Galapagos sind arm an Säugetieren. Am häufigsten trifft man ein halbgroßes Nagetier an, das nur hier vorkommt, das Oryzomys, von denen es verschiedene Spielarten gibt. Es läßt sich am ehesten noch mit dem Präriehund vergleichen, ist jedoch nicht ausschließlich Pflanzenfresser, sondern vergreift sich an allem, was es irgendwie erreichen kann.

Das Oryzomys dort beschnüffelte zweifellos unser Pökelfleisch. An sich war dies sehr gleichgültig, wichtig allein blieb die Frage, wie es in die Höhle gelangt war. Durch den Eingang niemals! Die Tiere sind sehr schlau, und Frau Hilda Land als Wache wanderte beständig auf und ab.

Ich legte Monte die Hand auf die Schnauze, damit er nicht knurrte. Dann tauchte auch schon ein zweites grün-rötliches Augenpaar drüben auf, und jetzt hatte mir das Funkeln der Augen verraten, daß das zweite Tier irgendwo aus einer Felsspalte den Weg zu uns gefunden haben mußte.

Und - ein drittes erschien...

Woher kamen sie?! Durch den Berg von der anderen Seite - genau wie das Wasser? Ich hatte es gleich vermutet, daß er Bergkegel größere Hohlräume bergen mußte.

Frau Hilda hatte mir vorhin ihr Feuerzeug überlassen. Ich hatte neben mir genug trockenen Seetang, - - das Feuerzeug flammte auf, die Flammenzünglein tanzten höher, blitzschnell verschwanden die Tiere... Trotzdem sah ich, wohin sie entwichen, erhob mich, ballte eine Art Fackel zusammen und drang in die Nebengrotte ein. Monte war mir weit voraus, knurrte jetzt, sprang an der Wand hoch und ließ sich emporheben. Es gab da eine Ausbuchtung, einen breiten Höcker, und Monte war im Nu verschwunden.

Ich versuchte den Aufstieg, - es gelang, ich fand oben eine breite, waagerechte Kluft, die noch mit Pfützen von Meereswasser, Seepflanzen, Muscheln und Sand teilweise bedeckt war.

Meine Fackel erlosch.

Ich hatte keinen Ersatz, ich hätte umkehren müssen, aber die seltsamen Töne, die mein Hund in der Ferne ausstieß, verleiteten mich zu vorsichtigem Vorwärtstappen.

Schritt um Schritt tastete ich mich weiter. Der Stollen verlief zumeist waagrecht, und Montes unermüdliches, langgezogenes Jaulen verdoppelte meinen Eifer. Ich hörte genau, daß er an einer Stelle Halt gemacht hatte, wo er nicht weiter konnte. Ich näherte mich ihm, und endlich war er dicht vor mir. Ich pfiff leise, aber seine Unruhe blieb. Er mußte da irgend etwas wittern, das ihn in höchste Erregung versetzte.

Nun war ich neben ihm, fühlte mit dem Büchsenkolben den Boden ab...

Fühlte, daß der der Boden senkrecht abstürzte, daß wir am Rande eines Abgrundes standen.

Um uns her war Finsternis...

Ich vermahnte Monte, - er schwieg...

Ich horchte...

Ich hörte etwas..: Stöhnen!!

Es klang wie der Schmerzenslaut eines verwundeten Menschen, der ohne Bewußtsein seinen Schmerz durch Töne prägt.

Wenn ich nur eine Laterne gehabt hätte! - Nichts hatte ich..! Nichts!

Und da mit einem Male neben mir das zischende Flüstern des jungen, kleinen Haraki...

"Mr. Benson, - hier sind trockene Algen und Holz..!"

Ich schrak leicht zusammen, und doch war ich dem Japaner dankbar.

Ein Flämmchen blinkte, eine Flamme loderte, Holz qualmte, es war feucht, aber es brannte...

Kaum daß der Lichtschein uns umtanzte, von unten her schon, wo die Finsternis lauerte, ein Schuß... noch einer...

Ich riß Haraki zu Boden...

Das Blei klatschte gegen Gestein...

Noch ein Schuß...

Dann Stille...

Nur das Stöhnen blieb...

Der dickste Ast des Treibholzes, ein kleiner Baum, hatte nun Feuer gefangen. Lang ausgestreckt packte ich ihn... Er flog ins Leere wie eine Rakete, schlug unten zehn Meter tiefer auf und sprühte Funken, beleuchtete für Sekunden eine Felsnase, auf der drei Menschen lagen... verkrümmt, zerschlagen: Mark Olden und die Brüder Daus!

Teile des brennenden Scheites glitten tiefer, zerschellten unten irgendwo, und irgendwo dort unten erblickte ich das Gesicht des Mannes, dem ich alles Schlechte zutraute: Klaus Johannsen!

Auch nur für Sekunden...

Auch er versank wieder in Dunkelheit...

Haraki wisperte eilig: "Wie sind die Feinde in den Berg gelangt?  Soll ich schießen?"

"Nein... zwecklos!"

Ich dachte nur an die drei Gefährten, die da so kläglich auf dem schmalen Felsvorsprung umherlagen und irgendwie abgestürzt sein mußten.

Unser Feuer flackerte stärker, knisterte, knallte. Wir schoben es mehr an den Rand, wir benutzten Felsbrocken als Schilde, wir spähten hinab...

Und gerade da war es, daß ein Schrei aus der Tiefe die Stille zerriß, der unsagbares Entsetzen verriet... Der Schrei schwoll an zu einem Heulen, Kreischen... Schüsse blitzten unten im Abgrund, - - und das wahnwitzige Kreischen entfernte sich, erstarb...

Wieder Stille...

Gute Nerven?! - Die halfen hier nicht viel.

Ein Spuk, in dem sich die Todesangst einer gehetzten, entsetzten Menge verriet... -

Der Japaner neben mir sagte mit seiner dünnen Stimme:

"Oktopus!"

Nur das...

Nur das eine Wort: Oktopus!

Ich verstand ihn... Wie ein greller Blitz fuhr es mir ins Hirn. Ich kannte diese Ungeheuer der Tiefsee... Man hat ihr Vorkommen bezweifelt, obwohl kühle Wissenschaftler genug Beweise gesammelt haben, daß sie existieren, diese Giganten des Geschlechts der Tintenfische.

Nichts trifft weniger zu als die Bezeichnung Fisch.

Das sind keine Fische.

Das sind Meeresspinnen mit schleimigen Leibern, mit hornigen Schnäbeln, mit riesigen Augen, mit riesigen Fangarmen. Kein anderer als Jules Verne, der sich in seinen Naturschilderungen streng an Tatsachen hielt, hat sie der großen Menge zum ersten Male in dem besten seiner Phantasiewerke vor Augen geführt: Riesenkraken, Oktopus, Tintenfische - - alles dasselbe!

Und ich hatte sie gesehen... Ein treibendes Wrack war es, auf dem ich gegen diese Bestien kämpfte...

Einst...

[Olaf K Abelsens Abenteuer abseits vom Alltagswege,                Band 31, "Der Reiter am Himmel"]

Und jetzt  sagte der kleine schneidige Japp:

"Oktopus!!"

Das erklärte alles... Das erklärte die Panik, die entsetzlichen Schreie, - - nur eins nicht: Wie waren unsere drei Freunde dort auf die Felszunge geraten, wie waren sie  abgestürzt, wie waren sie durch die massive Höhlendecke, die über der Felsenkanzel, alle drei auf einmal hindurchgeglitten, als ob es dort ein schwer erkennbares Loch gäbe?!

Haraki war plötzlich davongeeilt. Vielleicht wollte er Frau Hilda verständigen, vielleicht wollte er neues Holz holen.

Das Feuer loderte noch höher. Ich sah nun, daß die Steilwand, an deren Rand ich lag, doch nicht so unüberwindlich für einen guten Kletterer war, wie es anfangs geschienen hatte,

Ich sah noch mehr: Linker Hand zog sich ein schmaler Grat fast bis zu jener Felsenkanzel hin!

Ich durfte nicht zögern..!

Wenn einer der drei, die dort sicherlich schwer verletzt  auf dem engen Steinbalkon lagen, zu sich kam und sich ahnungslos bewegte, konnte er in die Tiefe stürzen!

Ich mußte die drei rechtzeitig bergen, und das Feuer spendete mir immer noch genügend Licht, mich bis zu jener Felskanzel entlangzutasten.

Ein Wagnis blieb es.

Ein einziger Fehltritt, und ich sauste mindestens dreißig Meter abwärts - vielleicht gerade in die Fangarme eines Kraken, der dort lauerte...

Bei so waghalsigen Kletterpartien ist es immer noch das beste, auf Schuhwerk ganz zu verzichten. Der nur mit dem Strumpf bekleidete Fuß schmiegt sich weit leichter an jede Bodenerhebung an. - Also herunter mit den Stiefeln..! Und - wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

Man stelle sich nun einmal diese Umgebung vor, man versuche nur, sich diese Situation auszumalen! Unter mir Finsternis... Der Lichtschein des Feuers reichte kaum aus, die Stelle zu finden, die dem Fuße halt gewährt... Und dort drüben das Stöhnen eines Menschen, das zuweilen in leises Wimmern übergeht...

Im übrigen lähmende Stille...

Man beißt die Zähne aufeinander, man konzentriert alle Gedanken auf die eine Aufgabe...

Es muß gelingen...

Man klebt an der Felswand, überlegt jeden Schritt... Man schleicht vorwärts... Jede Sekunde ist der Tod dein Nachbar... Du fühlst ihn förmlich, du fühlst die Kälte des Knochenmannes, du glaubst, seine Sense zu sehen...

Und tastest dich weiter...

Immer weiter...

Und... springst, weil dort ein Zwischenraum klafft...

Springst und krallst die Hände in die Ritzen.

Keuchst...

Aber... du schaffst es...

Noch zehn Meter... Die böseste Strecke...

Der Pfad so schmal, daß beide Hände das Gestein abtasten, nur um Halt zu finden, nur um die Balance nicht zu verlieren...

Urplötzlich da an der  Höhlendecke über mir ein Geräusch...

Ein Knirschen von Gestein, ein dumpfer Krach...

Ein Körper saust wie ein Bleiklotz herab, fällt auf die Steinkanzel, fällt auf Mark Oldens stille Gestalt, schnellt empor...

Der Japaner!

...Steht da - benommen, verwirrt...

Blinzelt mich an...

Ruft etwas...

Etwas...

Was er ruft, erstickt in der Kehle...

Blitzschnell ist da aus der Dunkelheit jenseits der Kanzel ein Lasso vorgeschnellt...

Nein - nicht Lasso...

Ein schleimiges Gebilde...

Ein Fangarm...

Noch einer...

Ebenso blitzschnell zuckt Harakis Dolch auf, ebenso schnell kommt Leben in Mark Olden und den älteren Jan Maat, den Jochem Daus... Ebenso flink überschaue ich die Sachlage, sehe die leuchtenden Riesenaugen des angreifenden Oktopus und feuere...

Meine Pistole spuckt Schuß um Schuß...

Zwei andere Pistolen bellen wütend und grimmig... Der kleine schmalhüftige Japaner prellt vor, sein Dolch fährt durch den weichen Gallertkörper.

Die Hölle ist los.

Da ist noch ein zweiter Krake, ein dritter. Wie ungeheure Spinnen klettern sie aus der Finsternis nach oben, - wie ein Seiltänzer wage ich die letzten drei Sprünge... Nun sind wir vier gegen drei, vier armselige Menschlein gegen Geschöpfe der Tiefsee, die ebenfalls das Neuland ihrem Element entrissen hat und die nun in wahnwitziger Wut vernichten wollen, weil ihnen selbst Vernichtung droht.

Den einen Kraken hat Harakis Dolch erledigt. Die beiden anderen krallen die Fangarme um die Kanzel, und wo nur ein solcher Gallertschlauch erscheint, schlagen wir zu mit Steinen, Felsstücken, schlagen die Fangarme zu Brei...

Wir sind besessen von diesem Kampf, wir sind Titanen gegen Untiere des Meeres, wir sehen nicht, daß drüben Frau Hilda frisches Holz ins Feuer wirft, daß drüben mein Monte vor Aufregung einen Veittanz vollführt, wir sind nur Kämpfer, nur Besessene, wir wollen siegen - - und wir siegen...

Wir waten in den scheußlichen zerquetschten Resten der Fangarme, wir werfen unsere Steingeschosse in die glotzenden Augen, wir zerfetzen die Leiber, daß sich die schwarze Flüssigkeit aus den Riesendrüsen entleert, wir sehen Tinte fließen, - - Oktopus, Tintenfisch, Fangarme von zwölf Metern Länge...

Wir wollen...

Und wir siegen..!

Die Gallertkadaver sinken ins Nichts der Finsternis, und urplötzlich fällt der Wahnsinn von uns ab...

Urplötzlich starren wir uns an wie Gespenster, umzuckt von dem flackernden Feuerschein...

Und da sagt der junge hünenhafte Mark Olden ganz trocken, ganz sachlich, - - und es klingt wie Effekthascherei und ist es doch nicht:

"Hier fehlten nur noch ein Kameramann und die nötigen Scheinwerfer!! Das war ein Spaß!"

...Ein Spaß...?!

Und wir selbst?! - Zerrissene Kleider, blutende Hände, beschmierte Gesichter, - kaum mehr Menschen, in den Augen noch den Irrsinn toller Selbstverteidigung...

So sehen wir aus...

Uns graut vor dem Boden, auf dem wir stehen, vor dem schlüpfrigen Fels, vor dem widerlichen Gemenge, in dem wir waten...

Wir sind erwacht, der Rausch ist verflogen, aber erst etwas anderes bringt uns völlig zu uns, eine Frauenstimme - Frau Hilda..!

Ihre Kämpfer sind wir, - ihre Worte machen aus Berserkern Menschen...

"...Hallo, - ich kippe die Steinplatte herab... Ich habe die Leine aus Mr. Bensons Kutterresten zusammengeknotet..!"

Steinplatte - - kippen?!

Das ist etwas Neues... Das erfordert Aufklärung.

Haraki, der gelassen seinen Samuraidolch säubert, sagt mit ganzen ungeheueren Gleichgültigkeit seines Volkes Dingen gegenüber, die unwesentlich geworden:

"Über uns liegt eine Felsterrasse. Ein Teil des Gesteins dreht sich in zwei Zapfen aus Bronze und ist genau ausbalanciert... Auf die Weise stürzte auch ich hier hinab."

"Und wir drei," ergänzte Mark Olden genau so kühl. "Der arme Hannes Daus scheint dabei am schlechtesten weggekommen zu sein..!"

Der kleine knorrige Jochem bemühte sich bereits um seinen Bruder.

Mark Olden meinte nur noch: "Wir mußten still liegen, - der Krake war in der Nähe, und wir hatten doch genügend Püffe abbekommen..."

Dann über uns wieder das Knirschen... Ein Stück Nachthimmel wird sichtbar, Frau Hilda schiebt einen Keil zwischen Platte und festen Boden, und eine geteerte Leine schwebt herab...

Haraki klettert empor, dann Jochem Daus. Sie hissen Hannes, der noch immer schwer stöhnt, nach oben, und als letzter folgt Mark Olden. Ich habe mich mit ihm bereits verständigt. Ich will den kürzeren Weg wählen, zurück zu meinem Monte, meinen Schuhen, meiner Büchse.

Es gelingt...

Monte heult vor Freude, Frau Hilda und Olden erscheinen, und nun, wo wir genügend Holz zu Fackeln haben, wollen wir in den Abgrund hinab und auch mit Herrn Knut Johannsen reinen Tisch machen... Die Herrschaften dürften wohl nicht mehr ganz vollzählig sein, schätze ich... - -

So begann der zweite Teil dieser Nacht auf Niemandsland...


 

 

5. Kapitel

Die Stadt, die aus dem Meere kam

 

       ... Drei wandern da durch die Tiefen des Neulands, durch Höhlen, die irgendein längst erloschenes Kulturvolk kunstvoll miteinander verband und so einen heimlichen Weg schuf für die Stunde der Gefahr.

Kulturvolk: Vorgänger der großen Inkanation! Man erkennt es an den Reliefs der Felsengänge, man erkennt es an Götzenstatuen, an den Mumien, die nunmehr wieder im Trockenen in ihren Grabkammern hocken.

Wir wandern bei Fackellicht, Olden und ich, und Monte ist stets weit voraus.

Wir finden Höhlen, noch halb gefüllt mit Seewasser, das keinen Abfluß hat...

Wir meiden diese Riesentümpel. Wir wissen, was sie enthalten können... Wir haben die zerfetzten Leichen von vier Leuten Klaus Johannsens bemerkt und uns still abgewandt. Wir wissen auch, daß die Panik, durch die die Gegner verscheucht wurden, längst verflüchtigt sein wird und daß wir mit dem Rest der Feinde noch sehr ernsthaft zu rechnen haben. Aber vor uns ist Monte, und Monte schützt uns.

Wir sind nun bereits eine Stunde unterwegs, und noch immer bietet sich uns dasselbe Bild: Höhlen, Treppen, Felsengänge, Mumiengrotten, Wasserpfützen, Muscheln, tote Fische, wieder Treppen, Götzenbilder, grobe Wandreliefs, - ein Weg, ganz abseits vom Alltag.

...Ein Weg, der wohl Jahrtausende unter dem Meere wie in einer Art Dornröschenschlaf gelegen haben mochte, der dann wieder emportauchte und den Beweis erbrachte, daß das uralte Kulturreich der Inkas einen Vorgänger besessen auf einem Landgebiet Südamerikas, von dem schließlich nur noch die Galapagos-Inseln übrig blieben.

Derartige Wege wie dieser, angefüllt mit verklungenen Erinnerungen, lassen die Gegenwart fast nichtig erscheinen. Menschen und Menschenschicksale verlieren ihre Bedeutung, in der Seele wächst hier nur eins hervor: Die Erkenntnis, daß das eigene Ich kaum ein Staubkorn ist im Weltgeschehen!

Und doch verlangte die Gegenwart ihr ehernes Recht, ihre Pflichterfüllung, und die hieß: Kampf!! - Die Siegespalme war nicht die Frau, die da unter Harakis und der Brüder Daus sicherem Schutz zurückgeblieben in unserer Höhlenfestung, - die Siegespalme war das Gute, Edle, Anständige gegenüber der getarnten Gemeinheit und Unverfrorenheit. Armer alter Kapitän Johannsen!! Ich bedauerte ihn aufrichtig. Vielleicht hätte ich ihn nicht bedauert, wenn ich sein Geheimnis, und dieses war gleichbedeutend mit der "Vandalia", genau gekannt hätte. Ich war lediglich auf Vermutungen angewiesen, und auch die waren voller Lücken, die verdankte ich lediglich Haraki, der seinen Schwur des Schweigens weggewaschen hatte von der matten uralten Dolchklinge. Auch Kamerad Mark Olden, dieser sympathische junge Mensch, hielt sich streng an sein Gelöbnis. Auch hier während dieses Marsches sprach er nicht viel, - fast melancholisch bedrückt redete er in knappen Sätzen von seinem verfehlten Dasein... Seemann war er gewesen, so etwas anspruchsvoll als Erdenbürger, so etwas gewinnsüchtig...: Alkoholschmuggel. Zwei Jahre Kerker..., - und dann auf die "Vandalia" als ein Entwurzelter, der trotzdem als lebensfähiger Baum nur das neue Erdreich suchte, wo der kranke Stamm genesen könnte. Merkwürdig genug, daß dieses gesunde Erdreich sich in einer Frau verkörperte. Daß Mark Olden Hildegard Land liebte, das stand wohl außer Debatte. Wenn er nur ihren Namen erwähnte, geschah es mit einer Zartheit, die für diesen kraftstrotzenden Menschen erstaunlich war.

...Alles war seltsam hier bei dieser Wanderung durch die noch meeresfeuchte Unterwelt.

Und dann endlich, als unser Vorrat an Fackeln fast verbraucht, ein letzter Stollen, eine letzte Treppe und oben über der Treppe eine Steinplatte in primitiven Broncegelenken...

Ein Druck genügte, die Falltür klappte herab, bläuliches Mondlicht mischte sich in das Rot der Fackeln.

"Vorsicht!!"

Ich lugte hinaus...

Und da sah ich es... Da sah ich die Stadt, die unter den Fluten geschlummert hatte, sah die halb zerfallenen Häuser, sah schlammgefüllte versunkene Gassen, faulende Seepflanzen überall, armselige tote Fische aller Art, - - wir selbst standen hier auf der Vortreppe eines erhöhten, einst gewaltigen Tempels. Der Zahn der Zeit hatte ihn benagt, der Hauptbau war eingestürzt, Schlick und Schlamm, oben verkrustet, bedeckte eine Wüstenei.

Mark Olden war neben mir, Monte hielt ich am Halsband.

Milde helle der mondhellen lagerte über dieser Stätte, die einst ungezählte Tausende beherbergt haben mußte.

Olden war nicht weniger ergriffen, als ich. Minutenlang blieben wir stumm.

In einem weiten Tale lag diese Stadt, dieses wiedergeborene Vineta, - auf dem jüngsten Neulande lag sie, unweit der Meeresküste, nach Osten zu dehnte sich der Pacific, nach Osten zu war das Tal offen, waren die Randberge nur Hügel.

Wir blieben stumm...

Ein Wunder tat sich vor uns auf, wie es gigantischer nicht auszudenken war.

Ein Wunder umfing uns, und Freund und Feind waren vergessen.

Nur einer vergaß den Gegner nicht, einer, auf den dieses nächtliche Bild keinen Eindruck machte, einer, der nur seine ererbten Instinkte kannte: Mein Monte!

Windend und schnüffelnd sog er die Luft ein.

Drängte vorwärts...

Und er weckte uns aus dem Taumel des Neuen, Ungeahnten, Grandiosen, - genau wie vorhin Frau Hilda uns nach dem Kampf mit den Kraken wachgerüttelt hatte.

Mark Olden beobachtete Monte und meinte leise: "Weiß Gott, er ist vernünftiger als wir! Klaus Johannsen verfügt noch immer über mindestens neun Leute, und bevor wir die Herrschaften nicht entwaffnet haben, gibt es für uns keinen Frieden."

Er gab nur meinen Gedanken Ausdruck.

Ich ließ Monte frei, - ein leiser, scharfer Befehl, und er trabte wieder voraus. -

Ich entsicherte meine Waffe. Olden tat dasselbe. Wir wußten, daß wir hier jederzeit mit einem Überfall rechnen mußten. Wir wußten nun auch, daß Klaus Johannsen es ganz besonders schlau hatte anfangen wollen, als er über das jüngste Neuland auf weiten Umwegen uns hatte angreifen wollen, daß er dann zufällig oben auf der Tempelterrasse die Falltür offen gefunden und in die Höhlen und Stollen eingedrungen war.

Wo steckte die Bande jetzt?!

Monte verriet nur geringes Interesse für die noch frischen Spuren der Flüchtlinge. Die breite Fährte lief durch die Gassen gen Norden, kreuz und quer, planlos und ziellos scheinbar, die Schrittlänge wieder bewies, daß die Leute es sehr eilig gehabt hatten, daß ihnen also noch immer die Angst im Nacken hockte als greuliches Gespenst. Kein Wunder weiter! Wir selbst hatten ja die Oktopusse kennen gelernt, wir selbst hatten Wahnwitzigen geglichen, wir hatten wie die Teufel gekämpft, nicht wie Menschen.

Und jetzt, wo der bleiche Mondschein die verschlammten Straßen halb im Finstern ließ, wo die hellen Straßenhälften unwahrscheinlichen, phantastischen Bühnenbildern glichen, jetzt waren wir wieder Menschen, klare, kühle Köpfe, die im Bewußtsein der Gefahr ihr eigenes Handeln nach dem untrüglichen Benehmen des vierbeinigen Gefährten einrichteten, nach den feineres Instinkten des Tieres, - wir, Verfolger und Verfolgte zugleich.

Und doch: Die Fährte blieb, wie sie war, nirgends hatten sich Leute von der Truppe abgezweigt, um etwa für den Fall einer Verfolgung einen Hinterhalt zu legen. Nirgends gab es verdächtige Anzeichen...

Die aus dem Meer wieder emporgetauchte Stadt schlief in eherner Ruhe und träumte von einer fernen, fernen lebendigen Vergangenheit!

Einzelheiten schildern?! Etwa in Worten ein Gemälde entwerfen von all dem Wunderbaren, Unfaßbaren, das diese Stadt mit ihren Steingebäuden darbot?! Es genügt: Wir spürten das Wehen der Vergangenheit, der Vergänglichkeit bei jedem Schritt! Wir wagten nur zu flüstern...Wir blickten scheu in die dunklen Tor- und Tür- und Fensteröffnungen und wähnten allzeit, daß aus diesen Ruinen erstorbener Bauten lange stille Züge Verstorbener ins Freie wandeln und lautlos als Gespenster in gespenstischem Treiben sich teilen und das Tote, die tote Stadt beleben müßten.

Mark Olden war gewiß kein bleichsüchtiger Phantast, angekränkelt von des Gedankens Blässe. Nein, er war ein ganzer Kerl, er war ein junger starker Baum, auf bestem Erdreich gesundet. Auch er war befangen, überwältigt... Die erstorbene Riesenstadt hat seine Lippen versiegelt, und das Siegel war die Ehrfurcht.

So war es...

So schritten wir dahin... Bis Monte, der im Mondlicht einen verzerrten, übergroßen Schatten warf, jäh verhielt und unruhig wurde.

Wir waren bereits bis in die nördlichen Randberge des weiten Tales gelang. Gerade hier schien, um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen, das einstige "Regierungsviertel" der Riesenstadt zu liegen. Auf langen Bergterrassen erhoben sich, von breiten Verteidigungsmauern umsäumt, gewaltige Ruinen, deren praktischer schlichter Baustil noch deutlich erkennbar war. Die Mauern, ebenfalls zum Teil eingestürzt, boten uns überallhin freien Einblick in die endlosen Gärten, die dereinst diese Gebäude umgeben hatten. Die Gärten waren verschwunden, - das Meer hatte hier seine Tiefseepflanzen emporschießen lassen, und kläglich und armselig ruhten nun die halb abgestorbenen fahlgrünen oder bräunlich verfärbten Gewächse auf den verkrusteten Pflanzenschichten.

Mark Olden deutete vorwärts. "Die Fährte teilt sich," meinte er leise.

"Der Trupp wurde auseinandergesprengt," ergänzte ich. "Da - beobachten Sie Monte, - er knurrt, sein Rückenhaar sträubt sich, er wittert nach jenem Götzenbild hinüber... - Nehmen Sie Deckung, Olden... Vorsicht!"

Mark Olden kauerte hinter einem der Granitklötze der Mauer. Er heilt die Büchse schußfertig, ich selbst pirschte mich behutsam an die riesige Statue heran, die mit ihren festgewachsenen Algenbüscheln einen mehr als seltsamen Anblick darbot.

Monte blieb neben mir. Hinter dem Götzenbilde lagen zwei der Leute des Dampfers "Vandalia" - tot, erschossen ... Blitzartig mußte eine sichere Hand sie niedergemäht haben, die Kopfschüsse konnte nur ein ausgezeichneter Schütze bei dieser spärlichen Beleuchtung ausgeteilt haben. Die übrigen Leute Johannsens, im ganzen doch nur noch sieben, wie hier an den Fährten zu erkennen, hatten sich nicht einmal die Zeit gelassen, die Waffen ihrer Gefährten mitzunehmen. Mir kam dies sehr gelegen, unsere Patronenvorräte waren arg zusammengeschmolzen, wir mußten mit jeder Patrone geizen, und ich beeilte mich, den unverhofften Segen an Waffen und Munition einzusammeln. Die Frage, wer hier als rücksichtsloser Gegner die "Vandalia"-Leute angegriffen haben mochte, trat zunächst vor der Tatsache zurück, daß Olden und ich nunmehr sieben Feinde und dazu irgend einen unbekannten Verbündeten vor uns hatten.

Nach kurzer Bergwanderung wandte sich Olden, dem ich meinen Monte mitgab, nach links, - er hatte dann nur mit drei Gegnern zu rechnen, ich selbst übernahm die anderen vier, deren Spuren nach Nordosten liefen und deutlich zeigten, daß die Leute in wildem Entsetzen blindlings davongestürmt waren.

So kamen wir uns denn schnell aus den Augen, - Olden und Monte entschwanden Im Dunkel einer der Ruinen, mein Weg führte über mondhelle Flächen und Terrassen bis zu einem einzelnen Hause, das noch recht gut erhalten war und ganz einem altgriechischen Bauwerk glich.

Bisher hatte mir noch eine Mauer teilweise den Ausblick versperrt. Ich stutzte... Was ich sah, war fast Vision...

War mehr als Vision, trieb mir einen kühlen Hauch über den Rücken. Dort knabberte ein gesatteltes Reitdromedar an den vertrockneten Seepflanzen, die beinahe eine von Sonnenbrand verdorrte Steppe vortäuschten... Und dort oben auf der Treppe des Gebäudes lag zusammengeringelt eine riesige Anakonda, den Kopf halb gehoben.

Wenn schon die Anwesenheit des Reitdromedars in mir urplötzliches Staunen wachrufen mußte, wie erst mußte mich die Anakonda droben an Vorfälle erinnern, für die ich nie eine einleuchtende Erklärung gefunden hatte und nie finden würde! All das, was mit der Person des riesigen Zapara-Indianers an geheimnisvollen Begebenheiten verknüpft gewesen,  all das, was mit den Galgenbrüdern zusammenhing, konnte man ja in den einen Ausdruck zusammenfassen: Die heilige Inka-Schlange! - Gewiß, sie war tot... Sie mußte tot sein... Der Verstand wehrte sich dagegen, an übernatürliche Vorgänge zu glauben..! Und doch: Damals vor Wochen nach des Indianers traurigem Ende war die Anakonda mit dem nur angenähten Kopf, mit dem langen Schlauche der farbigen Haut verschwunden.

Und jetzt?!

War es etwa dieselbe Riesenschlange, die dort oben regungslos ruhte?! War es etwa Gascunas heilige Anakonda?

Ich zögerte am Fuße der Treppe...

Ich kannte die Gefährlichkeit dieser Reptile. Und ich bückte mich und schleuderte einen Stein, traf auch...

Die Schlange rührte sich nicht.

Nochmals versuchte ich es, sie aufzuscheuchen.

Traf abermals...

Und da erst war ich meiner Sache sicher... Langsam stieg ich die verfallenen Stufen empor, und erst dann bemerkte ich, was mir das Mondlicht bisher verborgen hatte: Es war nur eine Schlangenhaut mit angenähtem Kopf, die man sehr sauber um ein kegelförmiges Felsstück gewickelt hatte, aber es war zweifellos die heilige Inka-Schlange! Mithin stand ich hier noch vor einem schwer lösbaren Rätsel. Wie war diese Schlangenhülle von der Insel Abingdon hierher gelangt?!

Nun, - die Gegenwart stellte mir wichtigere Fragen...

Da war das Reitdromedar...

Wie kam das hierher?! Gehörte es unserem unbekannten Verbündeten, der drüben die beiden Burschen niedergestreckt hatte?!

Ich näherte mich dem Tiere. Es war ein vorzügliches, hellgraues Reitdromedar mit tadellosem Sattelzeug... Ich streichelte ihm den Hals, - es wich nicht zurück, obwohl gerade Kamele sehr mißtrauisch sind. Ich untersuchte die Satteltaschen...

Was ich fand, waren nützliche, notwendige Dinge, und as allerbeste: Eine kurze Tabakpfeife, fast neu, und eine Blechschachtel Rauchtabak!

Wer das kennt, was man Rauchhunger nennt, wird begreifen, daß ich hier ohne weiteres die Pfeife mir borgte...

Und wer die Stunden hinter sich hatte, wie ich sie zuletzt durchkostet, der wird auch verstehen, daß ich für eine Weile oben auf der Haustreppe mich niederließ und mich ganz dem lang entbehrten Genuß einer qualmenden Pfeife hingab.

Die Schlange neben mir störte mich nicht. Wir waren alte Bekannte. Ich hatte selbst mit zugesehen, wie der riesige Zapara-Indianer den Kopf an die Haut äußerst sauber angenäht hatte. Wenn mich etwas störte, dann war es lediglich die an sich unheimliche Tatsache, daß die Augen des Anakondakopfes noch immer ihren Glanz besaßen, daß sie wie flache schwarze Diamanten schimmerten und Leben vortäuschten, wo dem ehernen Naturgesetz gemäß diese Augen längst hätten vertrocknet, eingefallen sein müssen.

Und da saß ich denn in dieser geheimnisvollen Umgebung und blickte hinab über die dem Meer entstiegene Stadt...

Der Mond wurde farbloser, der Wind frischte auf, und im Osten dämmerte der neue Tag herauf.

Ich blieb.

Irgend etwas bannte mich an diesen Fleck...

Vielleicht war es die Freude an der Natur, die mich verführte, die ersten Sonnenstrahlen abzuwarten. Es mußte ein zauberhaftes Bild sein, diese weite, weite Ruinenstadt im Frühglanz des neuen Tages anzustaunen. Und noch eins: Wem auch das Reitdromedar gehören mochte, - der Reiter würde sich schon einfinden! Ich ging in meiner Annahme wohl kaum fehl, daß der Mann hinter den vier "Vandalia"-Leuten her war, und daß er auch seine triftigen Gründe haben müsse, mit ihnen so kurzhändig abzurechnen.

Ich blieb...

Ich sah mein Niemandsland aus dem Schlafe erwachen, - die Nacht enteilte, die Tageshelle kam, und im blendend klaren Zwielicht dieser Äquatorgegend wirkte die tote Stadt erschütternd und ergreifend in ihrer Leblosigkeit.

Nur eins lebte in ihr: Schildkröten!!

Wo gab es hier keine Schildkröten? - Wären die Galapagos-Inseln nicht so weltenfern, würde hier wohl schon längste ein Fabrikschornstein die vulkanischen Gestade verunzieren und über dem Fabriktor eine protzige Inschrift leuchten und Unmengen von Konservendosen zu Schiff den Weg in die Fremde nehmen... -

Mit einem Male war dann sie da.

Sie... Nicht die Sonne...

Die kam später...

Lautlos glitt der schlanke Körper um die Hausecke.

Ich flog empor, wir starrten uns an...

Und sie lächelte ein wenig...

"Hallo," meinte sie in fließendem Englisch... "So habe ich Sie also doch getroffen, Mr. Abelsen... Wissen Sie, wer ich bin? Hat Gascuna, der Zapara, nie von mir gesprochen? - Nein?! Höchst undankbar! Er hat doch eine Schwester, mit der er unweit von Guayaquil zusammenwohnte. Und diese Schwester ist meine Freundin, Mr. Abelsen, und ich selbst bin in ganz Ecuador so ziemlich die bestgehaßte junge Dame..: Blaustrumpf, Frauenrechtlerin, Revolutionärin, - - ein Wunder, daß man mich noch nicht an die Wand gestellt hat, weil ich allzu oft mit den bissigsten unserer Arbeitervertreter verkehre... Im übrigen wagt man nicht so recht, mich grob anzupacken... Denn einmal habe ich eine unheimlich flinke und sichere Hand, und zweitens hat mein lieber Papa allzu viel Geld und allzu viel gesunden Menschenverstand... Er heißt sehr zahm Benito Armada, ich heiße weniger zahm Diavola Armada, - allerdings habe ich mir den Vornamen selbst ausgesucht - Diavola - Sie wissen: Teufel!! - Oper "Fra Diavolo", - - mithin Teufelin, Teufelchen, - Das mag Sie nicht stören, Mr. Abelsen... Sie werden mit mir schon auskommen..!"

Und sie streckte mir freimütig die braune, schmale Hand hin...

"Auf gute Kameradschaft also!!"

Ihre Zähne blitzten... Ihre vollen roten Lippen waren genau so verführerisch wie ihre ganze zierliche, trotzdem kraftvolle Persönlichkeit.

Sie konnte kaum zwanzig sein, diese Diavola. Aber ein gewisser Zug um Augen und Kinn verriet die Reife eines festgeformten Charakters.

"Setzen wir uns..." fügte sie genau so frisch und unbekümmert hinzu. "Benutzen Sie meine Pfeife nur ruhig weiter. Ich habe genügend Zigaretten bei mir... - So, bitte... Und nun keine langen Erklärungen... Dafür bin ich nicht... Dort unten in der Bucht ankert seit sechs Stunden meine kleine Jacht, acht Mann an Bord, auch mein Dromedar, - ich kam her um Gascuna zu suchen... Am Strande lag eine Schlangenhaut, ich nahm sie mit, dann wollten vorhin ein paar unangenehme Leute meine Schußfertigkeit auf die Probe stellen... Drei kniffen aus, vier sind jetzt auf der Jacht in sicherem Gewahrsam, zwei liegen drüben... Nicht meine Schuld, - das wäre alles, - Und Sie?!"

Diavola strich das schwarze Haar unter dem breitkrempigen Panama zurück und erwartete meinen Bericht.

Ich schwieg zunächst. Die Sonne erschien, die tote Stadt glänzte im silbernen Lichte...

Das Mädchen neben mir hatte das Kinn in die Linke gestützt und... blieb stumm und staunte und schaute...

Ganz leise nur sagte sie mehr zu sich selbst: "Wem wird ein solcher Anblick wohl geboten?! Wie dankbar bin ich dem Geschick, das mich hierher führte..! Fernste Vergangenheit umgibt uns. Das Volks, das einst diese Stadt erbaute, muß in seiner Kultur noch die Inkas übertroffen haben, die nach ihm kamen..."

...Und das war es, was mir Diavola sofort näher brachte: Mochte sie als Mädchen so etwa den Wildwesttyp verkörpern, mochte sie auf den Hazienden ihres Vaters als Wildling aufgewachsen sein, sie besaß zwei Eigenschaften, die für sie sprachen: Naturfreude und ein Herz für die Ärmsten der Armen!

Es mochte schon stimmen, daß sie in ihrem Heimatland Ecuador die bestgehaßte Person war. Wenn sich aus der goldenen Phalanx der ewig Satten einmal ein Einzelwesen herauslöst und sich offen für die Gegenseite bekennt, hat es mit dem Gezeter kein Ende! Und nun gar Diavola Armada, des Reichsten einziges Kind. Und dieser Sprühteufel Diavola im aufrührerischen Verkehr mit den Bekämpfern der Geldsäcke!! - Arme Diavola..! Man hat sicherlich an dir kein gutes Haar gelassen!!


 

 

6. Kapitel

Der Turm von Babel

 

Sie raucht, und ich berichte... Ganz kurz. Sie fragt nichts, sagt nur zum Schluß: "Ich bin vielleicht über die wichtigsten Geschehnisse der letzten Jahre besser informiert als Sie, Abelsen, der Sie doch kaum regelmäßiger Abonnent und Leser eines Dutzend von Weltblättern gewesen sein dürften - wie ich! Auch mein gutes Gedächtnis kommt mir da zu Hilfe. - Verstehen Sie mich recht: Dieses Seemärchen von der "Vandalia", die da vier Jahre durch die Meere schleicht, jeden Hafen, jedes Schiff meidet und hinter sich her ein riesiges Drahtnetzt schleppt, muß doch eine Vorgeschichte gehabt haben, die für die Weltpresse wichtiger war als nur das Verschwinden eines Frachtdampfers, hier der "Vandalia". Wo ist diese Vorgeschichte?! Ich habe nichts darüber gehört, obwohl ich die Ohren zu spitzen verstehe! - Gut also: Ein Geheimnis!! - Mit Schlußfolgerungen ist ihm nicht beizukommen, und die Beteiligten schweigen hartnäckig wie Verschwörer oder wie Mitschuldige. - Nun ist Klaus Johannsen in meiner Gewalt... Er wird reden! Er muß!!"

Und wie sie das sagt, wie sie dabei den glimmenden Zigarettenrest zwischen die Steine schleudert, daß die Funken nur sprühen, wird ihr von lichtem Bronceton überhauchtes Gesicht starr und hart wie der Kopf einer Büste einer kampfgestählten Amazone, die dunklen Augen glühen auf in dem Feuer eines ehernen Willens, und in mir selbst vollzieht sich das Wunder der Offenbarung, hier die Gefährtin gefunden zu haben, die neben all den berückenden Reizen jungfrischen Fraulichseins die wahre Gnade einer volksfreudigen Natur besitzt: Jenen hemmungslosen Fanatismus, der Berge zu verrücken vermag!

Diavola blickt mich an. Und auch der Blick kennzeichnet sie. Halb ironisch, halb herausfordernd, - - : "Jage ich auch Ihnen einen Schreck ein, mit meiner Feuerseele, Abelsen?!"

Auch ich lächle da...

"Von der Sorte Schreck könnte ich nicht genug bekommen!!"

Sie nickt...

"Dann passen wir zusammen..! Und elastisch springt sie auf, - ein Pfiff, ihr Dromedar erhebt sich, - ich raffe die erbeuteten Waffen auf, umwickele sie mit der Schlangenhaut, und durch die goldenen Strahlen des jungen Tages wandern wir ostwärts, lassen die Stadt hinter uns und erreichen das Gebiet der Felsenwildnis, gegen die der Pacific anrennt mit seinen unerschöpflichen Reihen von Wassermassen.

Ein merkwürdiges Fluidum entströmt der straffen Gestalt Diavolas... Ein Mädchen, in Reichtum erzogen, hat sich hinabgewagt in die Kampffront derer, die die Ansammlung von Millionen in einer Hand als Raub betrachten... Ein Mädchen hat mir Ansichten entwickelt über soziale Fragen als hätte dieses junge Wesen aus dem Blutdurst der Revolutionen neue Erkenntnisse erworben... Und doch: Dieses Mädchen ist nicht Mannweib, hat nichts Abstoßendes an sich, ist Frau geblieben, wenn auch ohne jede Spur von Gefallsucht. Und gerade das ist das Gefährliche an ihr, - das Lockende, gerade dieses völlige Zurückstellen der Weiblichkeit, des Beglücken-Könnens...

Es ist ein Spiel mit - Dynamit...

Flüchtig streift mein Blick ihr Profil.

Diavola muß Indianerblut, vielleicht auch gereinigtes Negerblut in den Adern haben. Der Name Armada deutet auf spanische Urahnen. Der Name Armada ist kein glückverheißender... Die Armada, jene zahllose Flotte kanonengespickter Schiffe, zerschellte unter Englands Hammerschlägen. Aber diese Diavola Armada hier neben mir auf dem jungfräulichen Boden des Niemandslandes ist Neugeburt altspanischer Erobererzähigkeit. Dieses Mädchen fesselt mich, dieses Mädchen mit den Glutaugen ist Vulkan - wie die Vulkane der Nachbarinseln.

Sie spürt meinen Blick... Sie wendet jäh den Kopf. Einen Augenblick schauen wir uns an, und wir schauen einander auf den Grund der Seelen. Tiefe Röte flutet ihr bis zur Stirn, unwillig wirft sie den Kopf zurück...

Und gerade da geschieht es... Gerade da belfern von uns ein paar Schüsse, fliegt ein spitzer Schrei gen Himmel, taucht eine Gestalt auf, die in wilden Sprüngen zur Bucht hastet: Mark Olden!!

...Und wieder Schüsse...

Und wir rennen wie Mark Olden vorwärts, - ich sehe meinen Monte in rasenden Sprüngen dahinstürmen, - - die Felsen tun sich auf, steil senkt sich das Gestade, und die breite kurze Bucht, belebt von dem weißen Leibe einer schnittigen Jacht, gleißt im Sonnenschein...

Mittelgroß die Jacht, - ein Luxuswerk mit überstarken Motoren...

Hinter ihr ein hoher Wasserschwalch wie eine Flutwelle, neben ihr die zerschlitzen Wasser der Bucht in tänzelnden Wogen. So jagt sie davon...

[Das Wort Wasserschwalch ist kein Druckfehler. Laut Wahrig bedeutet Schwalch mundartlich "Dampf, Qualm; Gewoge."]

Und am Heck, frech, hohnvoll, die Gestalt des Urfeindes, des schlimmsten Gegners: Klaus Johannsens..!!

Mark Olden, tief unter uns im Geröll des Ufers kauernd, hat die Büchse aufgestützt, zielt, schießt...

Trifft nicht...

Kann nicht treffen, denn die Kerle da drüben sind schlau, fahren zickzack, fahren mit Vollgas, die Entfernung wächst, ich selbst, vom hastigen Laufe außer Atem, lasse die Waffe wieder sinken. Es hätte keinen Zweck, es wäre schade um die Patronen...

Diavola steigt gelassen den Uferhang hinab. Sie, Besitzerin der geraubten Jacht, nimmt die Sache am leichtesten hin, obwohl die drei reglosen Gestalten dort zwischen den Klippen ihre Leute sind, - Opfer eines kühnen Überfalls, eines frechen Handstreichs, den Mark Olden nicht mehr verhindern konnte.

Monte kommt mir entgegen - etwas bekiffen... Er weiß wohl, hier ist etwas schief gegangen, und er unterläßt alle Freudenbezeugungen des Wiedersehens.

Anders Mark Olden...

Als Diavola ihm ohne weiteres die Hand hinstreckt, meint er mit einem auflodernden Grimm, den ich ihm kaum zugetraut habe:

"Ich benahm mich wie ein Narr... Die Kerle haben mich überlistet... Ich trage die Schuld!"

Diavola hält ihm noch immer die Hand hin.

"Pech!" meint sie kühl. Pech, nicht Schuld. - - "Meine armen Matrosen..! Aber - - sie hätten eben besser aufpassen sollen, ich hatte sie gewarnt..!"

Sicher und leicht schreitet sie über die wasserumspülten Felsbrocken hin, beugt sich über die toten Farbigen, die ihr so bis zum Letzten die Treue gehalten haben, und hilft wacker mit, die drei in einem nahen Sandloche mit aller Pietät einzuscharren...

Auch jetzt wechseln wir kaum ein paar Worte. Der Raub der Motorjacht, die längst gen Norden unter der Kimmung verschwunden und die nun sicherlich die "Vandalia" herbeiholen wird, hat uns vor neue Aufgaben gestellt. Gewiß, das Niemandsland ist jetzt frei von Feinden, aber - - wie lange?

Mark Olden, der Riese und Träumer, der nur zuweilen seine Melancholie von sich wirft und aufbraust wie ein Frühlingssturm, gibt sich zwar der Hoffnung hin, die "Vandalia"-Leute würden wohl kaum lediglich Hildes wegen es nochmals auf einen Kampf ankommen lassen und dem Niemandsland und den Galapagos fernbleiben.

Als er dies äußert, erscheinen über Diavolas schmaler Nase auf der Stirn ein paar Fältchen.

"Glauben Sie das wirklich?!" sagt sie fast herrisch. "Ich nicht!! Irgendwie muß Frau Hilda Land den Führern dieses modernen Fliegenden Holländers wertvoll sein. Irgendwie!! Wenn die Frau nur sprechen wollte!"

Ich häufe gerade noch mit den Händen den Sandhügel etwas höher, und im Stillen denke ich genau wie dieses Mädchen: Sie kommen wieder!! Vielleicht noch heute, nicht morgen! Aber sie erscheinen bestimmt! Und dann?!

Nun, dann werden wir inzwischen das Niemandsland und die tote Stadt uns zu eigen gemacht haben, und der Empfang, den wir den Gegnern bereiten, wird die Lage endlich klären.

Das sind so die Gedanken, mit denen wir drei und Monte uns wieder gen Westen wenden, um in "unserer" Stadt uns häuslich einzurichten, die Freunde vom Kegelberg herbeizuholen und eine Schicksalsgemeinschaft zu bilden, die fester geschmiedet ist als ein Stahlklotz, aus dem man ein Geschützrohr drechselt. Seltsam genug mag es scheinen, daß lediglich dieses dunkle Rätsel eines Gespensterschiffes - und das ist die "Vandalia" vorläufig - eine kleine Schar von Menschen so eng verbindet. Es muß da noch andere Einflüsse geben, von denen der einzelne nichts spürt und die doch vorhanden sind: Ich ahne sie, und meine Ahnung trügt nicht! Es ist etwas rein Gefühlsmäßiges, aber doch etwas so überwältigend Mächtiges, daß es alles Fremde überbrückt und das starke Bewußtsein dieser Schicksalsgemeinschaft hervorruft:

Das Niemandsland!

Die klare Erkenntnis, hier auf jungfräulichem Erdboden zu wandeln, kann niemand von sich weisen, sie drängen sich jedem auf Schritt und Tritt wieder auf, sie berauscht und überträgt den Rausch auf jeden einzelnen..

Das ist das große an diesem Erleben! -

Und dann haben wir die Uferhügel hinter uns, dann breitet sich im warmen Sonnenschein unten im endlosen Tale die tote Stadt aus, - und wie genießen aufs neue den überwältigenden Anblick, und wir stehen auf derselben Treppe des einsamen Hauses am Talrand, wo ich Diavolas Reittier, die Schlangenhaut und die Tabakpfeife fand.

Aus den leeren, schlammigen Gassen ertönt der schrille Ruf einer menschlichen Stimme, - um eine Ecke biegt ein kleiner Zug, ein Pferd, ein Maultier, vier Menschen...

Wir winken uns zu... Und Hilda Land, die meine braune Stute reitet, setzt zu flottem Trab an, ist im Nu bei uns, verhält, reißt das blanke, flinke Roß in jähem Erschrecken zurück, und ihr Antlitz verliert die Farbe, ihre Augen Hängen an Diavola Armadas Zügen, - zwei Frauen starren sich an in plötzlichem Erkennen, und das Mädchen öffnet die Lippen und ruft ein einziges Wort - - nur eins, und doch so ungeheurer vielsagend, daß selbst der rasch sich nähernde Japaner auf dem Flecke stehen bleibt und das eine Wort in sich einzusaugen scheint...

Das... Wort.

Nur eines, - nur ein maßlos erstauntes:

"...Du?!" Und als Nachsatz dann: "Du bist es, Hilda van Geeren - - du?!"

Mit dem Ausspruch sinkt ein winziger Teil der Schleier der großen Tragödie des Schiffes, das vier Jahre einsam die Ozeane durchpflügte mit seiner bunten Besatzung.

Also: Hilda von Geeren!! - So hieß Frau Land als Mädchen...

Van Geeren..!

Das prägt sich ein in das Hirn, das vergißt man nie...

Schon deshalb nicht, weil hier am Rande der Stadt, die aus dem Meere kam, noch weiteres geschieht...

Weil zwei Frauen sich nun wortlos in die Arme sinken, weil Diavola Armada aufschluchzend rief:

"Und ich hielt dich für tot, Hilda!!"

Sie halten sich umschlungen,  Hildegard Land weint, und Diavola kämpft mit den Tränen. Zum Weinen ist dieses Mädchen wohl zu sehr gehärtet in dem Spiel und Gegenspiel zwischen anerzogenen Anschauungen und selbst erkämpften Überzeugungen. Sie, die Bestgehaßte unter den Reichen ihrer Heimat, ist wohl sie selbst geblieben, nur anders als die Freundin.

Freundin von einst... Woher wohl?! - Die Antwort ist nicht schwer. Es ist moderner Brauch südamerikanischer Millionäre, auch ihre Töchter in die internationalen Pensionen der Schweiz zu schicken, es gehörte zum guten Ton, - und es gehört ja nur Geld dazu, und das besitzt Benito Armada scheffelweise.

Wir Männer ziehen uns diskret zurück.... Für uns gibt es Pflichten. Da sich auch der kleine Hannes Daus inzwischen genügend erholt hat, beraten wir kurz, man folgt meinem Vorschlag, und eine Stunde darauf haben wir den östlichsten und besterhaltenen der Türme der toten Stadt, der in die Befestigungsmauer am Talrand eingefügt ist, für uns auserkoren. Dicht dabei ragt kahles Gestein aus dem Boden, und dem Gestein entspringt eine Quelle, die in dem Turmkeller versickert. Von der Höhe des quadratischen Steingefüges aber überschaut man das ganze Niemandsland, die ganze tote Stadt und das nahe endlose Meer...

Dies ist der Turm von Babylon, so habe ich ihn getauft, denn wie im Alten Testament der Turmbau zu Babel eines der tiefsinnigsten Märchen darstellt, genau so offenbart uns dieses uralte Bauwerk in der kommenden Nacht die Fülle seiner Geheimnisse und Unwahrscheinlichkeiten... -

Kommende Nacht...

Es ist die, in der ich einsam in meinem hohen Gemach auf die Seiten von Diavolas dickem Notizbuch mit spitzem Bleistift beim Schein einer uralten Öllampe all das niederschreibe, was nur als erster Akt des großen Schauspiels vom Niemandsland anzusprechen ist.


 

7. Kapitel

Der Heerbann der Urvettern

 

Die biblische Erzählung von dem Riesenbauwerk, das infolge der Übermenge der dazu nötigen Arbeiter und infolge der "babylonischen Sprachverwirrung" (die Arbeiter konnten sich untereinander nicht verständigen) nie fertig wurde, kann sich nur auf den von König Nebukadnezar schließlich doch vollendeten Turm von Barsippa, der Nachbarstadt Babylons, heute Birs Nimrud, beziehen. Nach Herodot besaß er acht Stockwerke, die sich nach oben zu stark verjüngten. - Nicht anders war es hier  mit diesem einzigen Festungsturm, dessen Gesamthöhe etwa sechzig Meter betrug. Als Baumaterial waren ausschließlich vulkanische Felsblöcke (Lava) benutzt worden, das Innere mit zahllosen Treppen und Gemächern enthielt nirgends Holz, die Fensteröffnungen glichen mehr Schießscharten, und der einzige Eingang besaß noch seine massive Steintür in ungeheuren Bronzegelenken, die wir freilich erst wie alles übrige gründlich säubern mußten, damit sie sich in den Angeln drehte.

Wir hatten den Tag über wahrlich genügend zu tun, um unser Heim, das ja viel zu umfangreich war, wenigstens etwas behaglich zu gestalten. Alles andere blieb vorläufig Nebensache. Was machte es aus, daß meine Vermutung zutraf, daß Hilda van Geeren und Diavola tatsächlich ein volles Jahr in Genf in einem der besten Pensionate innigste Freundinnen gewesen?! Was tat es, daß Hilda über ihr ferneres Schicksal auch Diavola gegenüber stumm blieb?! Wir wußten nur eins - und das war wichtig: Der nach Bremen ausgewanderte Pieter van Geeren, Hildas Großvater, hatte den Grundstock für jener Reederei gelegt, die vor dem Kriege über zwanzig Dampfer besaß, nach dem Kriege nur noch zwei...

Es war wichtig. Aber es nutzte uns alles nichts, denn sehr bald kam es nun an den Tag, daß auch Mark Olden und die Brüder Daus, diese alten zähen Seeratten, im Grunde auch nichts zu verraten hatten. Sie waren Gescheiterte, sie hatten sich selbst verloren gehabt, in aller Heimlichkeit hatte Klaus Johannsen sie angeworben gehabt und ihnen den Eid abgenommen gehabt, nichts zu verraten und nie von Bord zu fliehen.

Mithin was das Geheimnis der "Vandalia" dunkel wie zuvor. Es erschien ja höchst unwahrscheinlich, daß der Dampfer all die Jahre mit seinem Schleppnetz ein Wrack gesucht haben könnte, - das wäre dasselbe gewesen, wie wenn eine Stecknadel aus einem Heuschober hervorgeklaubt werden sollte, - nein, noch schlimmer, noch aussichtsloser! - Man stelle sich vor: Die Ozeane, endlos, grenzenlos, - - und ein einzelnes Schiff unternimmt es, in den Strömungen der Weltmeere nach einem Wrack zu fischen!

Wahnwitz, das, könnte man sagen.

Und doch hatte die "Vandalia" "gesucht"...

Nur was sie suchte, wußte vielleicht nur Hilda Land, - und die schwieg. -

...So ist es denn Nacht geworden nach diesem ereignisreichen, arbeitsreichen Tage, eine helle, mondklare Tropennacht.

...So sitze ich denn allein, neben mir den schlafenden Monte auf dem Steine, der hier in meinem Gemache den Sitz darstellt, - ein Lavablock ist der Tisch... Die uralte Bronzelampe, gefüllt mit Robbentran und versehen mit einem Docht aus einem Wollfetzen, stinkt mehr, als daß sie leuchtet. Immerhin, sie brennt... - Draußen, wo von zwanzig Metern Höhe an eine Art Serpentinenpfad um die Turmstockwerke läuft, schreitet Haraki auf und ab. Er hat die erste Wache bis Mitternacht.

So sitze ich denn hier hoch über der toten Stadt im letzten Stockwerk und komme endlich zur Besinnung. Abseitspfade haben keine großen Atempausen... Haben nur eins: Das Ungewöhnliche, Abenteuerliche, - das Berauschende ungewollter Sensationen.

Monte atmet laut und ruhig.

Es ist das einzige regelmäßige Geräusch außer dem Toben der Brandung drüben. Meine beiden Fensteröffnungen liegen nach dem Tale, nach der Stadt zu. Die tote Stadt im Mondenglanz wirkt märchenhaft...

Gibt Stimmung... Und so beginne ich denn mit meinem Zusammentreffen mit dem alten Kapitän des Fliegenden  Holländers, reihe Zeile an Zeile, eng gekritzelt... so eng, damit das Büchlein ausreicht... - Zuweilen vernehme ich Harakis Schritte... Sie wirken beruhigend... Genau so wie das Ticken von Diavolas Armbanduhr, die vor mir auf dem Lavatisch liegt und ganz leise wie ein Kinderherz schlägt... ganz leide...

Die Zeiger schieben sich vor, und im Umsehen ist es Mitternacht...

"Monte - - aufgewacht!!"

Der alte treue Kamerad erhebt sich, wedelt, folgt mir die Treppe empor, und wir stehen im Freien.

Haraki lehnt an der obersten Turmbrüstung, an der noch die Algenbärte wehen, die längst im Sonnenglast des Äquators versengt sind zu braunem Zunder.

Ein Händedruck mit dem kleinen, schmächtigen Japp... Er verschwindet lautlos... Um seinen dünnen Hals zieht sich noch die dicke Geschwulst, die der Fangarm eines der Oktopusse zurückgelassen hat. Haraki hat sich nicht geschont bei diesem tollen Kampf... Er wird sich nie schonen. Sein Volk versteht zu sterben.

Vor mir dehnt sich das Küstenland des Niemandsreiches, dahinter die glitzernde See... Hinter mir die tote Stadt, die Straßen, Gasse, Plätze.

Und wie ich mich umschaue, steht da, umflossen vom Schimmer des Nachtgestirns, Diavola Armada...

"Habe ich Sie erschreckt, Abelsen?!

Ihre schlanke Gestalt dehnt sich empor, reckt die Arme.

"Ich konnte nicht länger schlafen, Abelsen... Hilda Land ist wohl weniger trainiert. Ich habe mich nie geschont..."

Ihre Glutaugen irren in die Ferne... "Außerdem, Abelsen, - ich habe so ein eigentümliches Vorgefühl, als ob diese Nacht nicht so ganz friedlich verlaufen dürfte."

...Was seit langem in mir geschwiegen, meldete sich wieder: Der Mann!

Diavola ist kein Geschöpf, dem unsereiner unbestraft begegnet.

"Was fürchten Sie, Diavola?! - Ich möchte den sehen, der diesen Turm erstürmte..." - es ist eine Antwort und keine Antwort, es ist das Bemühen, nicht ganz stumm zu bleiben gegenüber so viel holdem Zauber ihrer Nähe.

Wir lehnen nun nebeneinander... Diavola hebt ungewiß die Schultern. "Ich weiß nicht recht, - mehr Gefühlssache, Abelsen..."

Unsere Gesichter sind dem Monde und der Stadt zugekehrt...

Und dann drängt das Mädchen sich jäh an mich mit hellem Entsetzen...

"Dort... dort... - - was ist das?!"

Ihre Stimme vibriert...

Ich schaue der Richtung ihres ausgestreckten Armes nach...

Dem schwarzen Schatten einer engen Gasse, deren Abschluß ein verfallener Tempel bildet, entquillt eine endlose, vielfache Reihe von merkwürdigen Gestalten. Die Entfernung ist zu groß, um Einzelheiten unterscheiden zu können.

In seltsam schwerfälliger Gangart naht dieses unheimliche Heer, das sich vorwärtsschiebt wie eine geschlossene Masse.

Und doch: In den Bewegungen dieser gebückten, schlurfenden, sich wiegenden zweibeinigen Sonderlinge der Tiefe liegt eine schwer zu deutende Unsicherheit.

So - als ob sie, des Tageslichtes oder der Mondbeleuchtung ungewohnt, sich nur mit Mühe zurechtfänden in dieser ihnen fremden Umgebung.

Diavola hat sich noch näher an mich gedrängt.

"Abelsen, - was ist das?!"

Leises Grauen klingt durch ihre heiser gewordene Stimme.

"Affenmenschen!" erwidere ich ebenso scheu. Denn jetzt rückt der schweigende Heerbann so nahe, daß ein Irrtum unmöglich ist. "Sie wissen wohl, Diavola, daß die Wissenschaft in den Knochenresten des sogenannten Neandertal-Menschen die Übergangsstufe vom Menschenaffen zum Menschen zu finden geglaubt hat. Die Gelehrten haben auch nie geleugnet, daß wir Erdenbewohner nichts davon ahnen, was sich in den endlosen Hohlräumen der harten, erstarrten, abgekühlten Kruste unseres Planeten verbergen könnte. Weshalb wohl sollte nicht ein Teil jener Affenmenschen durch ungeahnt gewaltige Umgestaltungen der Erdform vor undenklichen Zeiten in eine Riesengrotte eingesperrt worden sein und dort unter besonderen Lebensbedingungen fortexistiert haben?! Ich hätte diese Sätze vielleicht noch ergänzt, ich besaß ja meine eigenen Erfahrungen gerade auf diesem Gebiet, - ich kam nicht dazu, auch nur noch ein einziges Wort hinzuzufügen, - - aus den Tiefen des Turmes erscholl plötzlich das häßliche, überlaute Kreischen des Reitdromedars, Diavola lief zur Treppe, ich vernahm Mark Oldens Donnerstimme, dann ein paar Schüsse - - eine ganze Salve fast, und Diavola stürmte die Stufen hinab und verschwand.

In das schrille Kreischen des Dromedars mengten sich auch andere Töne: Brüllende, keifende Stimmen von eigenartigem Tonfall, - die Fensteröffnungen des Turmes ließen diese satanische Sinfonie mit ihren abgehackten Schallwellen ins Freie, und ein Blick nach unten zeigte mir, daß der ganze Zug stutzte, verhielt, in Unordnung geriet und als führerlose Menge sich auf dem Platze vor dem Turme zerstiebend ausbreitete.

Jules Verne'sche Phantasien erhielten hier blutfrisches Leben. Genau wie der phantasievolle Franzose, dessen Erfindungsgeist vor nichts noch so Unwahrscheinlichem abstoppte und die Urgeschöpfe der Saurier, jener Tierarten von Riesenmaß, in seine Abenteuer eingeführt hat, das Unglaubliche wissenschaftlich belegte und glaubwürdig machte, - ähnlich war es hier - nur ähnlich, denn hier befanden wir uns auf Neuland, auf Niemandsland, und genau so wie die Feuerfäuste der pacifischen Titanen dieses endlose Gebiet dem Pacific entrissen hatten, nicht anders war auch dieses Heer unserer Naturahnen, dieser Bewohner der Tiefe, jetzt durch die Erdstöße und Erdumwälzungen frei geworden aus unterirdischem Riesenkäfig, hatte seine Existenzbedingungen eingebüßt und suchte daher neue auf der Oberwelt, auf Neuland, auf Niemandsland.

Ich sah diese Geschöpfe - jetzt waren sie keine zweihundert Meter mehr entfernt, un ich erkannte, daß ihre vornübergebeugten Gestalten überlange Arme hatten, daß sie unbekleidet waren, daß ihre Leiber dicht behaart waren, das Haar hellbraun bis grau, ähnlich dem einiger Zwergenvölker, die auf tiefster Kulturstufe stehen. Die Gesichter zeigten Negertyp mit vorgebauten Kiefern, waren jedoch haarlos, bartlos, schienen auch keine Augenbrauen zu besitzen, nur vorgewölbte Augenwülste. Weibliche Geschöpfe, junge Geschöpfe hielten sich mehr im Hintergrund. Die ganze enggedrängte, durcheinanderflutende Masse schätzte ich auf etwa tausend...

Inzwischen war es unten im Turm, dessen Treppenschächte jeden Ton verstärkt nach oben warfen, still geworden. Aber mochte dort im Erdgeschoß unserer babylonischen Festung auch ein Angriff der behaarten Gegner abgeschlagen worden sein: Die Gefahr für uns war nur zu groß von diesen Sendlingen unbekannter Tiefen überrannt zu werden! Was sollten wir wenigen gegen dieses Tausend ausrichten, - ganz abgesehen davon, daß es mir persönlich widerstrebte, mit Hilfe unserer Büchsen diese wohl rein instinktmäßig handelnden Halbvettern abzuwehren!

Es waren ja keine Affen, es waren Menschen, halbe Menschen, Übergangserscheinungen der Entwicklungsstadien der Erdbewohner.

Sicherlich verfügten sie - das sah man den breitschultrigen Gestalten an - über ungeheure Kräfte. Sie würden den Turm stürmen, sie würden mit Felsblöcken die Steintür einschlagen wie Pappe, sie würden uns zerfetzen in bestialischer Wut, - denn sie waren noch immer Grenzgeschöpfe, und das Tierische in ihnen würde alles andere überwältigen, zumal es keine Möglichkeit gab, sich mit ihnen zu verständigen.

Der Herzschlag stockte mir, als ich merkte, daß wieder Ordnung da unten in die Massen kam.

Da waren doch ein paar besonders hell behaarte "Neanderkater", die offenbar ihr Volk in strenger Zucht hielten.

Ich gewahrte, wie die Weibchen und Kinder sich zurückzogen auf die Schattenseite des Platzes, ich ahnte, daß ein Kampf bevorstand, gegen den die trunkene Vernichtung  der Riesenspinnen nur ein Kinderspiel gewesen. Wenn etwas geschehen konnte, diese Gegner zu verscheuchen, so blieb auch nicht eine Sekunde übrig: Es gab nur eins: Sofort!!

Doch - wie hier helfen?!

...Die Gedanken hast bei solcher Gelegenheit wie die Kolben einer Maschine unter überhitztem Dampfdruck.

Helfen!!

Wie?!

Und dann ein tollkühne, halb wahnwitziger Entschluß...

Auch außen um den Turm läuft eine Treppe von Stockwerk zu Stockwerk... im Kreise, als freiliegende Wendeltreppe...

Ich jage hinab... Ich werde bemerkt.

Hunderte von kleinen, tiefliegenden Augen glotzen zu mir empor, warten auf mein Wiedererscheinen, auf den Fremdling, den die Windungen der Treppe gleichzeitig den Blicken entziehen.

Schon hierdurch, durch die erwachte Neugier, ist etwas gewonnen.

Der Troß der Weibchen und Kinder rückt weder näher, dieselbe Unruhe wie vorhin kommt in den Heerbann der behaarten Vettern, und als ich das unterste Stockwerk, - zwanzig Meter über dem Boden - erreicht habe, schrillt mir aus einer Fensteröffnung Harakis Stimme entgegen...

"Hallo, Abelsen... Es befindet sich ein Weißer unter den Affenmenschen..!"

Was mir aus der Höhe von sechzig Metern entgangen war, hat der Japaner von hier aus festgestellt: Da steht tatsächlich in der vordersten Reihe neben den hellhaarigen Führern ein blondbärtiger schlanker Riese in völlig zerfetzter Hose, mit nacktem Oberleib, nackten Füßen...

Ein Waldmensch, könnte man sagen, - ein abgerissener Stromer, der jahrelang weder Schere für sein Haupthaar noch ein Rasiermesser kannte.

Das glatt zurückgestrichene, überlange Kopfhaar ist durch ein paar Bänder mehrfach abgebunden. Die Gesichtszüge verraten eine fast blöde Gleichgültigkeit. Er schaut mich an, aber der Blick verrät nichts... Dabei ist die Tropennacht fast taghell.

Trotzdem: Es ist ein Weißer, ein Europäer, und daß er unter dieses seinen Urvätern da eine gewisse Bedeutung erreicht hat, daß er nicht etwa nur Gefangener sein kann, verrät schon sein Platz in der vordersten Linie.

"Haraki, - den langen Kamelstrick, her, mache schnell!!"

Ich bleibe bei meinem Vorhaben...

Ich muß hinab...

Jetzt erst recht! Die Tür zu öffnen wäre zu gewagt... Der Weidestrick muß helfen.

Inzwischen tuschelt mir der zungenfertige Jochem Daus durch das Fenster zu: "In den Kellern war eine Falltür... Die Bestien drangen ein, und wollten Diavolas Dromedar erwürgen, Olden und Haraki verjagten sie, drei sind tot, die Falltür trägt nun Zentnersteine oben. - Abelsen, lassen Sie das Wagnis!! Rufen Sie doch den Mann an!"

...Das brauchte er mir nicht vorzuschlagen, das tue ich schon selbst...

Ich rufe:

"Hallo, - Sie da, ich möchte mit Ihnen sprechen, Mister..!!"

Die englische Sprache ist in solchen Fällen noch immer am lohnendsten, am sichersten... Ein Mann, der hier irgendwie in die Gesellschaft der Urvettern geriet, ist sicherlich Seemann, Jan Maat...

Er antwortet wirklich..., auch englisch.

Sein Organ klingt fremd, kreischend, und doch dumpf. Tiefe Kehllaute mischen sich in das seltsam verstümmelte Englisch.

"Wir hungern, Mister... Unsere Höhlenwelt ist überschwemmt... Sagen Sie, wo wir Nahrung finden..."

Ein Gedanke - ein glücklicher Gedanke...

Er fliegt mir zu, wie ein freundlicher Leuchtkäfer in finsterer, drohender Nacht.

Ich deute dorthin, wo Santa Renata liegt...

"In zwei Stunden könnt ihr alle satt sein... Dort, - ersteigt die Talhöhe... Ihr seht dann die bewaldete Insel... Dort findet ihr alles! Hier findet ihr nichts, nur Steine, faulende Meerespflanzen, faulende Fischreste! Beeilt euch!! Die Insel dort gewährt euch Nahrung... Dieser Meeresboden gibt euch nichts!"

Der Mann spricht zu den Führern der Schar.

Und aus dem Heerbann lösen sich einzelne, eilen davon zu den Randbergen, - - endlose, bange Minuten  folgen, dann setzt sich der gesamte Trupp gen Westen in Marsch, mitten durch die tote Stadt, entschwindet, wird  zum langgestreckten Heereswurm.

Ich bin längste wieder auf der Plattform... Diavola lehnt  neben mir. Wir haben nur wenige Worte gewechselt... Uns beiden preßt noch das Entsetzen die Kehle zu, was wohl geschehen wäre, wenn diese halb verhungerte Schar über uns hergefallen sein würde... -

...Wie ein Spuk ist das alles...

Wie ein wüster Traum... Wenn nicht dort gen Renata der Heerwurm der Urvettern sich verlöre, würde ich annehmen, ich hätte wirklich nur geträumt.

Und -  wenn ich nicht die drei toten Geschöpfe unten im Keller vor mir hätte..! Menschen, - -  Affen..?! Nein, nicht mehr Affen... doch mehr unseresgleichen als nur Tiere. - Sie werden schnell begraben... Dann nehme ich Monte an die Leine.

"Wohin?" fragt Diavola.

"Dorthin, woher die Urvettern kamen, in jene dunkle Gasse, in die Tempelruinen!"

"Ich begleite Sie!"

Wenn dieses Mädchen in dem Ton spricht, schweigt man besser.

So wandern wir zu dreien in den neuen schmalen Abseitspfad, um festzustellen, wo der Heerbann aus dem Erdinnern hervorquoll.

 


 

8. Kapitel

Die Tragödie der grünen Insel

 

Die tote, dem Meer entstiegene Stadt ist wieder tot... Soeben noch war diese östliche Ecke erfüllt von fremden Gestalten. Jetzt wandern nur wir drei über die Schlammkrusten an den öden Ruinen vorüber. - Monte, dessen ungestümes Vorwärtsdrängen die Leine zügelt, knurrt mißmutig. Er wittert wohl doch in den enteilenden Urvettern noch immer die hochentwickelten Affen, und die Unmenge frischer Fährten von nackten Sohlen macht ihn halb toll.

Hunger packte diesen Heerbann als Todesgespenst im Nacken. Jetzt sehen wir, wie hungrig diese Heimatlosen gewesen sein müssen, jetzt erst sehen wir die zerkauten Reste von Seetang und Algen, die faulenden Fische, die dieser oder jener trotz des Gestanks aufhob und wieder wegwarf. Vielleicht nur die Muscheln, deren zertrümmerte Schalen leer sind, mögen noch genießbar gewesen sein.

Die Straße, die dieser aus den Tiefen der Erde vertriebene Trupp genommen hat, ist im Mondlicht mit bloßem Auge zu erkennen. Am Ende der engen Gasse, die einen steilen Hügel sich emporwindet, steht der Tempel, ein Komplex von Gebäuden mit zwei noch gut erhaltenen Türmen, die unserem Festungsturm an Höhe nichts nachgeben. Die Spur läuft in dieses Ruinenfeld hinein und hinab in ein ungeheures Erdloch, das einst der Hofraum gewesen sein muß. In diesem zackigen Becken erhebt sich, unberührt von der Verwüstung ringsum, einer der Türme auf dunklem Urgesteinfundament wie auf einem abgestumpftem Bergkegel. Und am Westfuße dieses Postaments klafft eine Spalte, breiter als ein Scheunentor, doppelt so hoch dazu, - ein Abgrund, der sanft geneigt im Erdinnern sich verliert.

Von hier kam das Heer der Hungernden.

Wir steigen hinab, rutschen hinab - wir haben bisher nur wenige Worte gewechselt, hauptsächlich über den Europäer, der so hartnäckig und gleichgültig weiter bei denen blieb, die ihm ferner stehen müssen als wir, die doch seine Art und Rasse sind...

Ich habe unterwegs einen ganzen Arm voll Treibholz gesammelt, das Mädchen desgleichen, wir brauchen ja Fackeln, um die unbekannte Tiefe zu erkunden.

Wir stehen nun in dem Felsenriß, das Feuerzeug knistert, ein Flämmchen flackert empor wird zur Flamme, frißt weiter, und der rötliche Glanz des künstlichen Lichtes macht die Finsternis zum Halbdunkel.

Monte knurrt nicht mehr. Ihm scheint diese Expedition bedeutungslos, nur seine Ohrstummeln spielen. Und sein Rückenhaar hebt sich zuweilen zur Bürste. All das sind Anzeichen ohne Wert.

Es geht plötzlich rechts steil hinab, und als ich emporschaue, weil ich einen scharfen Luftstrom verspüre, bemerke ich über mir Sternenschein in schmalem Streifen, weiter rechts einen ähnlichen Streifen Hierfür gibt es nur eine einzige Erklärung: Das Postament von Urgestein ist hohl, und der Turm darüber hat keinerlei Stockwerke, ist nur eine Röhre, in der ganz tief ein großer Gegenstand eingeklemmt ist.

Diavola, die ebenfalls nach unten blickte, ist derselben Meinung.

Sie hält ihre Fackeln ganz hoch, hält sie schräg, damit die Leuchtkraft sich verstärkt.

Und da sehen wir es denn: Es ist ein Fremdkörper hineingeraten, in diesen Riesenschlot, ein quadratisches Gebilde, das mit einer Kante nach unten hängt.

Um was es sich handelt, läßt sich nicht sagen.

Es kann ein vulkanischer Block sein, der die Turmstockwerke zerschlug und erst ganz unten Halt gefunden hat.

Es kann... -

Diavola nimmt die Sache sehr leicht.

"Abelsen, weiter..! Was geht uns dies da an..?"

Was ich denke, verschweige ich besser.

Wir steigen tiefer.

Wir steigen über die Reste der herabgestürzten Turmstockwerke, der Treppen, der Inneneinrichtung...

Wir finden einen kahlen glatten Felsenschacht, der mit mäßiger Steigung uns rasch vorwärtsbringt. Hundert Meter, - dann verharren wir mit verhaltenem Atem am selben Flecke...

Unter uns gleißt das grüne Licht einer von Leuchtpilzen überwucherten Höhlendecke.

Nein - Höhle ist zu wenig gesagt...

Riesenhöhle besagt nichts...

Dieser Hohlraum im Erdinnern scheint keine Grenzen zu haben.

Und unter seiner zackigen, unregelmäßigen Decke spiegelt sich trübe Flut: Meerwasser, - der Pacific hat einen Weg gefunden in diese Tiefen, der Pacific hat die Bewohner dieser Welt verdrängt, auf der Wasseroberfläche treiben Leichen, losgerissene Pflanzen, primitive Geräte...

Eine unheimliche Stickluft umgibt uns. Die Wärme ist atembeklemmend, die Wärme ist vermischt mit faden Dünsten.

Diavolas empfindsame Natur streikt.

"Mir... wird übel...", haucht sie matt.

Ich packe zu, helfe ihr wieder nach oben, aber auch in mir ist das Entsetzen lebendig über diese gequollenen  Leiber der schwimmenden Urvettern.

Als uns draußen der Mondschein und das schimmernde Firmament wieder grüßen, lehnen wir uns aufatmend an die Felswand des Fundaments und verharren regungslos, bis das Grauen sich wieder verloren hat.

Diavola sagt leise: "Wovon leben sie, Abelsen? Kann denn in einer solchen Unterwelt bei diesem spärlichen Lichte von Leuchtpilzen irgend etwas gedeihen?!"

Leise fragt sie, doch die Stimme hat bereits wieder Festigkeit und jenen stählernen Unterton, der nun einmal mit zu dieser gewiß nicht alltäglichen Persönlichkeit gehört.

Ich könnte ihr im einzelnen antworten, ich könnte ihr einen Vortrag halten, der sich auf eigene Erfahrungen aufbaut. Ich begnüge mich mit kappen Andeutungen über Selbsterlebtes, ich bin mit meinen Gedanken anderswo, ganz in der Nähe, in dem Turme über uns, dessen Spitze genau wie unsere Festung dickste Behänge von Seetang, Algen und Seegras trägt. Ich bin überzeugt, daß gerade diese Turmspitze hier genau wie unser hohler Schlupfwinkel all die Jahre, nein, all die Jahrtausende als unbeachtete Kippe über die Wogen des Pacific hinausragte und für die Unterwelt dort den Luftschacht bildete, bis eben die vulkanischen Kräfte das Niemandsland emporhoben und die tote Stadt wieder der Sonne zurückschenkten. Ich bin auch ebenso fest davon überzeugt, daß die Bewohner dieser Stadt von der Existenz ihrer Urvettern Kenntnis hatten und daß sie diese Urvettern mit allen Machtmitteln dort drunten in der Tiefe ihr eigenes Leben sich gestalten ließen.

Auch dies deute ich Diavola gegenüber an, sie nickt zustimmend, sie ist jedoch zerstreut, und urplötzlich überfällt sie mich mit der Frage:

"Abelsen, woran denken Sie eigentlich?"

Wir stehen im Mondlicht... Ich blicke das Mädchen an...

"Haben Sie das Schleppnetz vergessen, das die "Vandalia" durch die Meere zog - - jahrelang?! Die Annahme, der alte brave John Johannsen suche damit ein halb unter Wasser treibendes Wrack, wies ich sehr bald von mir... Von einem Wrack, das etwa auf seiner Ladung - Holz - schwimmt, bleibt stets ein Teil über Wasser... stets! - Nein, es muß sich um etwas anderes handeln... Und da ich selbst nun oft genug die Erfahrung gemacht habe, wie seltsam das Schicksal spielt, möchte ich beinahe behaupten, daß..."

"Abelsen!!"

Ein Schrei kommt über Diavolas Lippen, - gleichzeitig stößt auch Monte ein langgezogenes Warnungsgeheul aus...

Und wie Gehetzte stolpern wir den Abhang des Tempelhofes empor, denn durch das Granitfundament geht ein Knirschen und Knistern, - der Turm pendelt, Stücke lösen sich, fallen herab...

Ich reiße das Mädchen die steilsten Stellen hinan, nun sind wir oben zwischen den Ruinen, auf dem Ruinenhügel, und durch die Lücken eingestürzter altehrwürdiger Bauwerke gewahren wir die Vorgänge, die uns das Blut aus den Gesichtern treiben.

Mit schauerlicher Lautlosigkeit vollzieht sich eine Tragödie, die gerade wegen dieses völligen Fehlens alarmierender Kanonaden der Nachbarinsel Abingdon, wegen dieses Mangels verräterischer Erdstöße und unterirdischen Rollens und Grollens doppelt grausig und beklemmend sich auswirkt.

Ich sah einst eine Insel verschwinden, - es war ein Korallenatoll...

Ich sah hier die Geburt des Niemandslandes, sie vollzog sich unter Donner und Blitz und gehörlähmendem Getöse...

Ich sehe nun den Teiltod dieses neuen Gebietes, und ich sehe noch weit mehr: Wie ganz Renata verschwindet...

Lautlos verschluckt es der Pacific, - dort, wo soeben noch die Ostgestade der bewaldeten Insel sich hinzogen, bleibt ein dünner Streifen zurück, einige Bergkuppen, und auch sie tauchen in die Tiefe - - lautlos, samt dem Neuland, das ich entstehen sah... vor drei Wochen...

Die Wellen des Pacific haben nun im Westen wieder freie Bahn, Santa Renate existiert nicht mehr, und das siegreiche Vordringen des Ozeans scheint keinen Widerstand zu finden, der Ozean schleicht näher und näher, und vor sich her treibt er all das Getier, das dieser Katastrophe infolge feineren Instinktes bisher entging: Wildpferde, verwilderte Maultiere, Wildschweine, Nagetiere - - eine ganze Armee von Vierfüßlern sucht sich auf das Niemandland zu retten...

Diavola und ich, behext durch dieses Schauen, vergessen vollkommen, den Blick nach rückwärts zu wenden...

Unsere Augen sind geradeaus gerichtet, wir sehen die Westseite des Tales verschwinden, das Meer ergießt sich in die Straßen, und die Armee der gehetzten Tierwelt bricht nach Norden durch, wo das Niemandsland bisher keine Veränderung zeigt.

Nur ein Geschöpf, das auf einem ungesattelten Maultier hockt, jagt näher, während unter den eilenden Hufen des Tieres bereits die Wasser gurgeln...

Ein Mann sitzt ohne Sattel da und treibt sein Tier vorwärts - - vorwärts, - - es ist der verwilderte Europäer, vielleicht der letzte Überlebende des hungernden Trupps...

Wieder schreit Diavola laut auf:

"Der Mann..!! Dort..!"

Und da packt es uns beide, die wir bisher nur für Santa Renatas schnelles Sterben Anteilnahme zeigten, - da wird endlich die Erinnerung wach an die unvergeßliche Szene, wie dieser verwilderte Mann mit mir die kurze Rücksprache hielt.

Da wenden wir uns um...

Endlich...

Endlich - - und zu spät...

Zu spät, denn, mag hier der Ostteil der toten Stadt auch höher liegen als das übrige Tal: Die Randberge drüben, wo unser Festungsturm stand, wo die uralte Mauer sich hinzog, - - der Turm von Babylon ist nicht mehr: Der Ozean flutet durch die Gassen, und auf dem mondhellen gefräßigen Ozean schwimmt ein verrosteter, verliederter Dampfer: Die "Vandalia"!

...Diavola Armada, Millionärstochter, Feuergeist revolutionärer Ideen, umkrallt meinen Arm.

"Abelsen, - - versunken!!"

Ihre Stimme ist ein Schluchzen...

"Abelsen, - - sie sind tot... ertrunken, - entsetzlich!!"

Wie ein bleiches triefendes Gespenst klettert da über die Mauertrümmer ein einzelner Mann: Mark Olden!

Geisterblaß, den Wahnwitz in den Augen...

"Abelsen!!"

Seine Stimme schrillt...

"Abelsen..!!"

Er steht vor uns...

Zittert... findet keine Worte...

"Abelsen, - - die Schufte von der "Vandalia" haben Frau Hilda wieder geraubt,  auch Haraki und die beiden Brüder Daus... Die Kerle hatten den Dampfer mit alten Segeln bedeckt. - Die Backbordseite. - Schlaues Gesindel... zu schlau für uns... Dort fliehen sie mit ihrem alten Rattenkasten!!"

Er knirscht vor Grimm mit den Zähnen... Er ist außer sich vor Wut... Aus seinem linken Ärmel tropft Blut. Er schüttelt die Fäuste, er hört und sieht nichts, er kennt nur seine flammende Erregung, die ihn zerfrißt.

Und dann hält neben uns, von Monte mit dumpfem Blaffen begrüßt, der Fremde auf seinem Maultier...

Hält, starrt gen Osten, wo die "Vandalia" davondampft...

Nun sehen wir ihn in allernächster Nähe, den Fremden...

Ein Gesicht wie versteinert, Augen wie tot...

Nur Mark Olden sieht ihn nicht...

"Abelsen, - - der Satan hole die "Vandalia," - - ich wünschte..."

Schweigt jäh...

Weil eine andere Stimme sich meldet.

"Wie heißt der Dampfer?" fragt der Fremde hart und antwortheischend.

Olden dreht sich um.

"Ah, - Sie sind es..! Was geht Sie die "Vandalia" an, Mister?!"

Was sie ihn angeht?!

Das fahle, bärtige Gesicht wird noch farbloser... Die Augen treten hervor, schließen sich. Und ich springe zu und fange einen Ohnmächtigen auf...

...Als ob dieser Moment, wo der Fremde schwer in meine Arme sinkt, besonders unterstrichen werden sollte von den unterirdischen Gewalten:

Hinter uns kracht der Turm zusammen, hinter uns füllt sich das weite Loch des eingesunkenen Hofraumes mit den Lavablöcken des Riesenschlotes, - - das Getöse läßt uns alles andere vergessen, wieder verharren wir wie gelähmt, wieder kommen wir zu uns...

Und da - - ist alles vorüber...

Der Pacific macht Halt, das Niemandsland, ein teil der toten Stadt bleiben unberührt von dem allgemeinen Untergang, ruhig flutet der Ozean gegen die neue Uferlinie, - - die Katastrophe ist vorüber...

 


 

9. Kapitel

Was die einsame Nacht mir erzählte

 

Über alledem ist nun ein halber Tag verstrichen...

Glühend heiß brennt die Sonne vom wolkenlosen Himmel auf die Insel, die uns beherbergt, auf das Niemandsland herab. Glühend heiß ist diese windlose Nachmittagsstunde, in der wir in unserem neuen Heim, in den Räumen des alten, besterhaltenen Tempelgebäudes, nach reichlicher Mahlzeit den erquickenden Segen erwarten, den uns das von Süden heraufziehende Gewölk verheißt...

Matt, aber ausgeruht schauen wir durch die Fensteröffnung auf den von Lavablöcken gefüllten Hofraum hinaus, wo unsere geretteten Reittiere weiden... Sogar Diavolas Reittier hat sich eingefunden, meine braune Reitstute ist frischer denn je, und zwei Maultiere fressen mit dem selben Unbehagen die verdorrten Algen von den Steinresten. Es wird ihnen nichts helfen, sie werden sich an diese Kost gewöhnen müssen, genau wie wir, die wir doch nicht ausschließlich Wildschweinbraten vertragen dürften.

Das, was man so im allgemeinen Robinsoneiland nennt, ist unsere Insel wahrlich nicht.

Einöde... Wüstenei...

Doch wir vier und Monte sind guten Mutes, wir werden treue Kameradschaft halten, obwohl der bärtige Fremde, von dem wir so gern Näheres über seine Schicksale gehört hätten, bisher kaum ein paar Sätze gesprochen hat, aus denen nicht viel zu entnehmen war: Christian Jensen, Steuermann, Deutscher, seit etwa fünf Jahren halber Gefangener der nun elend ertrunkenen Urvettern, der Neandertaler... -

Damit müssen wir uns vorerst begnügen. Der Mann ist wohl nicht ganz wieder beisammen, die letzten Erlebnisse (oder früheren?!) scheinen da bei ihm irgend etwas in Unordnung gebracht zu haben, sein Blick bleibt stier und leer, und lediglich für Diavolas Schere zeigt er begreifliches Interesse und säbelte all sein Waldmenschentum bis auf geringe Reste herunter.

Trotzdem: Ein stattlicher Mann, ein kluges, verschlossenes Gesicht, nicht mehr ganz jung, Mitte dreißig schätze ich.

So sitzen wir denn beieinander, und jeder führt nach Belieben die eigenen Gedanken spazieren. Der Hüne -Mark Olden mag vielleicht Frau Hilda nachtrauern - in anderer Art als wir... Hildegard Land bedeutete lediglich für Land die große Sehnsucht. Aber er ist jung, und ich finde, daß die Blicke, mit denen er jetzt heimlich Diavola streift, beinahe Treuebruch sein könnten.

Unweigerlich fühlt sich mein Monte hier am wohlsten. Zunächst hat er mittags mit mir ein Bad genommen und ist nun für einige Zeit selbst die wenigen noch vorhandenen Hüpferlinge los. Dann aber stellt Niemandsland für ihn eine einzige große reich gedeckte Tafel dar. All das Getier, was vor dem angreifenden Pacific hier geflüchtet ist, betrachtet er als Freiwild, hauptsächlich die quiekenden Ferkel. Vollgefuttert bis oben liegt er nun da und läßt sich von Diavola den Kopf kraulen.

Wie gesagt: Das Gespräch ist eingeschlafen. Es hat wenig Sinn, die Möglichkeit zu erörtern, ob die "Vandalia" nochmals zurückkehren und was auf ihren Planken sich ereignen wird. Besser, man denkt gar nicht daran. Helfen können wir ja doch nicht...

Mark Olden, dem ich vorhin den Oberarmfleischschuß wieder frisch verbunden habe, schnitzt sich eine Pfeife aus angeschwemmtem Holz und beäugt immer wieder heimlich Diavolas graziöse Gestalt und kühnes Profil. Christian Jensen liegt mit halb geschlossenen Augen auf dem Seetangdivan und sinnt vor sich hin. So allgemach fällt mir diese Gesellschaft auf die Nerven. -

Was heißt da groß: Hitze!!

...Ich habe schon andere Temperaturen kennen gelernt.

Ich bin zum Stillsitzen nicht geschaffen.

Gedanke und Entschluß sind hier eins.

Ich erhebe mich, greife nach der frisch gefetteten Büchse...

"Wiedersehen, ich reite über die Insel bis zum Nordrand... Dort war ich noch nicht..."

Ich reite - - abgemacht! Und die braune Stute und Monte haben nichts dagegen.

Als ich das Pferd sattele, ist die Wolkenbank bereits über den halben Horizont verteilt, und die gelben Ränder und das schwache Aufleuchten auf den schwärzesten Stellen künden ein tropisches Gewitter an.

Die tote Stadt ist nun Hafenort geworden. Im Süden, Osten und Westen klatschen die Wellen gegen die uralten Häuser... Nur gen Norden gewinnt Niemandsland an Breite und Länge.

Ich trabe durch die Straßen... Ein paar Wildschweine verduften eiligst in den Ruinen... Dann habe ich freie Bahn, freies Land, Neuland, belebt von Gruppen von Tieren, Hügeln, Bergen, Kanälen, Tälern, Felsen, ganzen Schichten hellen Sandes, heller Muscheln und grünbrauner Tennen verhärteten Schlicks...

Im Sattel werde ich wieder ich selbst...

Der Braune greift flott aus, Monte bellt vor Freude, und sehr bald ist all das vergessen, was hinter mir liegt...

"Vandalia" - - Schleppnetz - - alles übrige.

Ich freue mich der Freiheit, des Pferdedunstes, freue mich über jede Kleinigkeit, die mir aufstößt...

In einem steinigen Tale, in dem noch das Meerwasser einen See bildet und die Tiefseepflanzen Gebüsche vortäuschen, finde ich ein völlig überwachsenes Wrack eines Segelschiffes, - einer Brigg...

Dies ist goldeswert..!

Holz fehlt uns. Hier haben wir es...

Ich springe aus dem Sattel, will den Braunen an den geknickten Hauptmast festbinden, - aus alter Tramgewohnheit spähe ich erst noch einmal umher...

Hallo, - da sind ja Spuren... Das sind derbe Stiefel gewesen, und Stiefel gehen nicht allein spazieren.

Im Nu schwindet die etwas leichtfertige Naturfreude, und ein Pfiff und ein Wink schicken Monte auf die Suche.

Den Kerlen von der "Vandalia" traue ich nicht. Gewiß, diese einzelne Fußspur das am Seeufer ist mindestens zwei Stunden alt. Ich besitze ja einige Erfahrungen in diesen Dingen. Immerhin, es bleibt eine fremde menschliche Fährte, denn keiner von uns trägt Stiefel von dieser Größe. Das Wrack, der Holzvorrat ist vergessen. Monte spürt vorsichtig wie ein Fuchs dem äußersten Winkel des kleinen Binnengewässers zu, in dem sich wie in jedem der vom Meere zurückgelassenen Tümpel die aufs Trockene gesetzten Bewohner der Tiefe zu Hunderten, ja zu Tausenden drängen, nur um ihr bißchen Leben zu retten.

In dem Becken des Sees ist es ein Gequirl und ein eilfertiges Durcheinander, als ob all dieses Getier wüßte, daß seine Tage gezählt seien.

Mag der See auch gen Osten durch ein schmales Rinnsal mit dem Kanal drüben verbunden sein, der seinerseits wieder mit dem offenen Meere in Verbindung steht: Der See wird durch die Sonnenhitze seinen Spiegel senken, und dann ist die Verbindung unterbrochen, dann kommt das große Sterben, und dieses Sterben mit seinen Folgeerscheinungen ist nun wieder Dünger für das Neuland, - - die Allschöpferin und Allvernichterin Natur will es so, Verwesung gebiert neues Leben, aus den Düngerstoffen der Verwesung wird die Natur ihre andersgearteten Kinder, die Pflanzenwelt, hervorzaubern.

Wir sind an dem breiten Kanal angelangt. Hier hört die Spur auf, im Sande des Ufers zeichnen sich die Eindrücke eines Bootskieles ab, es mag von der "Vandalia" gestammt haben, es mag mit der "Vandalia" längst wieder auf hoher See sein.

Trotzdem erklettere ich den nächsten Hügel, ich bemerke nichts Verdächtiges, steige wieder in den Sattel und wende mich dem Wrack der hölzernen Brigg zu, binde die braune Stute an den Maststumpf und erklimme das schräg liegende Deck. Meiner Schätzung nach mag das Schiff etwa zehn Jahre auf dem Meeresboden geruht haben. Seine Backbordwand ist mittschiffs gespalten, dort klafft ein Riß von der Reling bis zum Kielraum, der nur von dem Rammstoß eines eisernen Dampfers herrühren kann.

Unschwer gelange ich in die Innenräume. Was mich am meisten fesselt, ist die sorgsam verstaute Ladung, große Holzkisten, noch naß, zum teil verfault, - ein Fußtritt läßt eine der Kistenwände auseinanderfallen: Der Inhalt sind Maschinenteile, verrostet, dennoch nach Entfernung der Rostschicht vielleicht brauchbar: Große Motoren!

Dann droben die Kajüträume...

Ein Fernrohr ist schnell blank geputzt... Und was sonst noch hier mitnehmenswert, könnte ein paar Wagen füllen.

Eins ist sicher: Abends werden wir unser Tempelhaus weit wohnlicher ausgestattet haben!

Zunächst einmal: Weiter!!

Ich brauche Bewegung, ich fühle durch den scharfen Ritt das Blut frischer durch die Adern rinnen, wer je stundenlang im Sattel saß, weiß, daß die geringen Müdigkeitserscheinungen nur neue Kraftquellen sind.

So erreiche ich den Nordstrand der Insel Niemandsland. Vor mir dehnt sich der Pacific. Das erbeutete Fernrohr hilft mir den Horizont abzusuchen...

Leer...

Und drüben im Osten lagern hoch am Himmel die Dunstmassen der Vulkane von Abingdon.

Derweil ist das Unwetter noch näher gerückt. Ich höre das Rollen des Donners, sehe die Blitze, der Braune galoppiert, - was bedeutet da eine Strecke von knapp zwei Meilen?!

Die Reste der toten Stadt tauchen auf, es wird finster, und gerade als der erste Regenguß herniedergeht, lenke ich in den Hof de Tempelruine ein. Ich bin daheim. Was so ein Weltentramp wie ich "Daheim" nennt.

Die Gefährten, die inzwischen das beschädigte Dach mit Steinplatten ausgefüllt haben, überfallen mich mit Fragen. Ich erzähle... Und erkläre zum Schluß: "Das Unwetter wird eine Stunde dauern. Ich kenne dieses Äquatorgewitter... Nachher plündern wir das Wrack... Es ist eine beinahe phantastische Vorstellung, daß wir hier richtige Bettmatratzen, Stühle, Schemel, Tische, einen Kochherd, einen Schreibtisch und anderes aufstellen werden! Unser Insulanerleben erhält eine neue Note - eine bessere!"

Über uns tobt der Orkan, brüllt das Gewitter, knattern die Blitze, klatscht der Regen... Um uns her, an den Grenzen der des hochliegenden Teils der toten Stadt rauscht die Brandung. Wir haben auch die Tiere hereingeholt, wir schweigen wieder, wir haben zu viel erlebt, als das wir Zeit hätten, Lust hätten zu nüchternen Gesprächen.

Diavola steht neben mir im überwölbten Eingang unseres Hauses. Die Regenschnüre fallen so dicht, daß man nicht einmal die Lavablöcke des eingestürzten Turmes erkennt.

Das Mädchen mit dem schwarzen Haar, den kühnen Zügen und den Feueraugen atmet tief die kühlere Luft ein. Zwischen uns - wie spüren es beide - besteht bereits mehr als nur Kameradschaft. Aber dieses "Mehr", das sich da in unsere Beziehung eingeschlichen hat, darf nicht wachsen, muß niedergehalten werden. Auch diese Erkenntnis verdanke ich dem einsamen Ritt über das Niemandsland. Diavola muß einen jüngeren Partner finden, - das, was sie zur Zeit fühlen mag, ist Selbsttäuschung...

Und dann spricht sie ganz von selbst in ihrer offenen, unbekümmerten, großzügigen Art über diese Dinge. "Würden Sie sich je einem seßhaften Leben anpassen können, Abelsen? Mein Vater und ich brauchen einen Mann, der völlig in unseren, in meinen Bestrebungen aufgeht."

Ich verstehe... Und ich bin ebenso ehrlich, obwohl mir der Verzicht nicht leicht wird. Ich schiebe meinen Arm in den des Mädchens und neige mich ihr zu. - Gerade weil wir hier auf Inselland uns befinden, das jede Stunde wieder verschwinden kann wie vorhin ganz Santa Renata verschwand, - gerade deshalb ist mir das große Glück von einst gewärtiger denn je: Malmotta, die Insel, die alle zwanzig Jahre erschien, kurze Zeit an der Oberfläche verblieb, und wieder hinabtauchte. Und mit dem Namen Malmotta ist der Name jener Frau, die mein war, so innigst verknüpft, daß Janes Bild in meiner Seele nun alles verdrängt...

Jane war ein Glückstraum, war das eine große heilige innere Erleben, das zuweilen einem Sterblichem in solchem Ausmaß beschieden wird.

Ich erzähle von Jane...

Und es ist mir, als hörte ich wieder die Kokospalmen rauschen, unter denen Jane und ich selig wie die Kinder auf weißem Korallenstrand umhertollten.

Diavola lauscht...

Und - was entgegnet sie?

"Ich beneide Sie, mein Freund... Und - ich begreife Sie!"

Wir stehen Arm in Arm, Freunde, nur mehr Freunde, Kameraden.

Das Unwetter entflieht... Die Sonne bricht wieder durch das Gewölk, und neben uns erscheint Mark Olden...

"Störe ich?!

Diavola lacht... Ihre Zähne blitzen...

"Nein, Olden... Ich bedauere nur, daß Sie nicht mit angehört haben, wie Abelsen mir die Geschichte seiner großen einzigen Liebe erzählte... seiner einzigen!"

Mark Olden, dieser Prachtkerl, errötet jäh... Stottert etwas vom Ritt zum Wrack... -

Genug: Das Wrack wird geplündert. Wagen haben wir nicht... Aber wir fertigen Ersatz an. Und die Tiere müssen ziehen, wir helfen, fünfmal machen wir den Weg hin und her, dann kommt die Nacht, dann haben wir andere Pflichten. Zunächst fordert der Körper sein Recht, wir essen, wir genießen bei Laternenschein die einfache Mahlzeit, wir verteilen die Wachen, wir strecken uns nieder, - - Christian Jensen hat die erste Wache bis Mitternacht, und für alle Fälle gebe ich ihm Monte mit.

Keiner von uns traut den Leuten der "Vandalia"... Wir rechnen mit ihrem Erscheinen... Sie wissen ihr dunkles Geheimnis zum Teil verraten... Knut Johannsen wird auch uns fangen wollen..!


 

10. Kapitel

Der Mann, der mich mit sich nahm

 

Nicht ohne Grund habe ich meine Bettmatratze im ersten Raum unweit der Tür aufgebaut. Ich verlasse mich in so kitzligen Situationen immer am liebsten auf mich selbst. Ich bin müde, ich will schlafen, aber ich weiß auch, daß mir anderthalb Stunden vorerst genügen. Dann kommt die kritische Zeit, und dann will ich munter und bereit sein...

Kurz vor elf Uhr ist es, als ich mich leise erhebe und mit der Büchse im Arm hinausschleiche. Ich bemerke nichts von Christian Jensen, - möglich, daß er die Runde um die tote Stadt macht, möglich, daß er am Oststrande weilt. Ich habe das Fernrohr bei mir, die Nacht ist wieder sternenklar und mondhell, und meine erste Sorge gilt der Frage, ob etwa die "Vandalia" oder eins ihrer Boote, zu denen nun ja auch Diavolas kleine weiße Motorjacht zu rechnen ist, in der Nähe sein könnten. Gewiß, der Inselstrand bietet übergenug Verstecke für kleinere Fahrzeuge, aber in so hellen Nächten vermag ein kundiges Auge an den verschiedensten Anzeichen zumindest vermuten, sobald irgend etwas Ungewöhnliches vor sich geht. Niemandsland ist ja in seinen Uferstrecken das Paradies unzähliger Seevögel geworden, die immer reichlich verendete oder in flachen Tümpeln zappelnde Fische vorfinden, und die nachts die Strandfelsen mit weißen oder grauen Leibern dicht bei dicht bedecken. Wehe dem Boot, das eine solche schlafende Kolonie stört! Das Gekreisch und ruhelose Geflatter nimmt kein Ende, und diese in der Luft kreisenden Schwärme erschienen im Mondlicht wie ziellos treibende Wölkchen...

Ich verharre auf dem höchsten Punkte der Ruinen, auf dem halb eingestürzten Dache eines Nebentempels, und das gute, nun vollends gesäuberte Fernrohr verrät mir sehr bald, daß diese warnenden Anzeichen fehlen. Nein, es kann kein fremdes Fahrzeug irgendwo ankern, nur - und das gibt mir trotzdem einen förmlichen Schlag! - dort gen Norden neben ein paar Felsen bewegt sich ein Etwas in kaum fünfhundert Meter Entfernung, das bestimmt mein Monte ist, angebunden an einen Stein, und offenbar höchst ungehalten darüber, daß man ihn derart zum Nichtstun verurteilt hat. Er läuft hin und her, - er bellt nicht, sein Bellen würde ich hören, und gerade dieser schweigende Protest gegen diese Degradierung zum Kettenhund läßt nur den einen Schluß zu, daß Christian Jensen, der Schweigsame, in allernächster Nähe sei.

Nun, ich habe gegen Jensen, den Gefangenen der Urvettern, stets ein gewisses Mißtrauen gehegt. Daß Jensen von der "Vandalia" mehr weiß, als er es sich anmerken läßt, bewies schon sein jäher Ohnmachtsanfall. Meine Gefährten mögen dies seiner Erschöpfung zugeschrieben haben, - ich weiß es besser...

Ich will nur noch nicht mit alledem hervortreten, was ich mir da zusammengereimt habe, ich will schweigen wie er, bis die richtige Stunde gekommen ist.

Vielleicht ist sie näher, als ich es selbst glaube.

Jedenfalls gibt es gegenüber dem einfachen Tatbestand, den mir das Fernrohr zeigt, nur eins: Hinüber zu den Felsen, selbst sehen, was da geschieht..!

Ich beeile mich, durchquere die tote Stadt, laufe gen Westen, schlage einen weiten Bogen, und kaum zehn Minuten weiter darauf habe ich, von Norden heranschleichend, die Felsgruppe vor mir.

Etwas stößt mir sofort auf: Die vereinzelte Masse von Felsen liegt neben einem der Steinkanäle des Kanalnetzes von Niemandsland, und am Ufer schaukelt da träge in der geringen Strömung an einem Tau ein kleines Boot!

Immerhin: Ein Boot! Und dieses Boot erinnert an die Fußspuren unweit des hölzernen Wrackes, das uns so nützlich geworden ist!

Die Arbeit, die mir hier obliegt, ist langgewohntes Tun. Die, die ich beschleichen will, sind keine Künstler des Abseits, sonst hätten sie nicht Monte so unklug angebunden. Die Felsen und Steine bieten überall Deckung, und ich nutze sie aus mit jeder nur möglichen Vorsicht, ich weiß, daß Jensen hier ein Stelldichein mit irgend jemandem hat, daß er also das Rätsel der "Vandalia" und deren Vorgeschichte zu verteidigen sucht...

Endlich höre ich Stimmen. Aber diese Felsgruppe ist ein zu sorgfältig ausgesuchtes Versteck, um ganz dicht an die Leute heranzukommen.

Ich vernehme nur noch die Schlußworte der Unterredung. Jensen stößt sie höchster Erregung aus, der stille, schweigsame, verschlossene Mann scheint vor Ingrimm zu flattern, die Stimme überschlägt sich, und das, was er spricht verrät im Grunde nichts.

"...Ich glaube dir nicht! Es gibt keine Gemeinschaft mehr zwischen uns! Wie könntest du redlichen Herzens mit der "Vandalia" die Meere durchkreuzt haben, wenn nicht die gleiche Schuld deine Seele belastet..!"

Das spricht er...

Und keine Antwort erfolgt, nur etwas, das ein eigenartiger Nachklang ist: Christian Jensens Grimm scheint sich in Verzweiflung zu wandeln, und was ich vernehme als allerletztes, ist ein hartes, trockenes Schluchzen. Dann andere Geräusche...

Schritte, Poltern von Steinen... Der Felsen, auf dem ich flach hingestreckt liege, verbirgt mich nicht, - ich rutsche in eine enge dunkle Kluft, in die kein Mondstrahl hinabdringt, - zum Glück tue ich es...

Ganz nahe ertönt das Geräusch der Schritte des sich Entfernenden, ich muß warten, ich will nicht bemerkt werden, und als ich mich hervorwage, ist das kleine Boot längst verschwunden, und Jensen mit Monte an der Leine schreitet der toten Stadt zu...

Eins bleibt mir: Ich suche am Kanalufer nach Fußspuren!

Doch die Steine dort verraten nichts, und mein Spähergang hierher bliebe zwecklos, wenn ich nicht doch innerhalb der Felsen etwas finde.

Ich dränge mich hinein in das Gewirr algenumwucherter Blöcke, in der Mitte ist da ein freier Platz, doch auch hier vermag ich nur zu erkennen, daß meine anfängliche Annahme irrig gewesen.

Es waren zwei Leute, mit denen Jensen sich hier getroffen hat, bestimmt zwei, - alles übrige bietet lediglich der Phantasie weitesten Spielraum. Deshalb: Jensen muß mir Rede und Antwort stehen - muß! - Obwohl ich bereits ahne, daß der eine der Leute nur der alte, seelisch so bedrückte, hilflose Kapitän John Johannsen gewesen sein kann, der ebenfalls von der "Vandalia" entfloh, weil ihn das Treiben dort anwiderte.

Und der zweite?!

...Spielraum für die Phantasie..!

Weshalb darüber nachgrübeln, wenn man die Möglichkeit hat, mit einem Male die Wahrheit zu erfahren! Und abermals schlage ich den weiten Bogen nach Westen, abermals nähere ich mich der toten Stadt...

Jensen, der stämmige Recke, ist längst verschunden. Jensen ist nicht mehr Waldmensch, Höhlenmensch,  Diavolas Schere nahm ihm all das Bärenhaft-Allzu-Urwüchsige...

Lautlos tappe ich über den verkrusteten Meeresschlick der Straßen... Es bleibt doch ein eigentümliches Gefühl, hier zwischen vieltausendjährigen Ruinen zu wandeln, es bleibt ein Märchen fast, - aber das Märchenhafte schwindet angesichts des toten Schwertfischs dort, dessen heller Bauch dick aufgequollen ist...

...Denn der Fisch, wohl drei Meter lang, ist Beweis allerjüngsten Geschehens, Beweis für die Geburt von Niemandsland, genau wie die zahlreichen Trupps von Wildscheinen, Pferden, Maultieren  den Untergang der grünen, waldreichen Santa Renate bekunden.

Ich halte mich auf den Schattenseiten der Straßen, ich will nicht, daß Christian Jensen Verdacht schöpft und sich etwa seine Antworten vorher zurechtlegt. Ich will ihn überrumpeln mit der Frage, wie er dieses Stelldichein vereinbarte, wer die beiden gewesen, mit denen er sich so heimlich getroffen hat.

Die Stille in der toten Hafenstadt, die von drei Seiten vom Pacific umrauscht wird, schwindet nur zuweilen, wenn eine der zahllosen Schildkröten - und es gibt da Burschen mit Rückenschildern von einem Meter Länge - gemächlich watschelnd daherkommt und in den Regenpfützen nach Muscheln wühlt. Diese Schritte klingen von Ferne wie die eines Greises, der etwa schlappende Lederpantoffeln trägt.

Die Stille weckt aber auch Bilder der Phantasie... Immer wieder muß ich daran denken, wie es einst wohl vor Jahrtausenden in dieser Stadt zugegangen sein mag, wie die Bewohner Handel, Wandel, Handwerk trieben, wie alles hier Leben und Bewegung war.

Und dann... - so jäh geschieht es, daß meine Geistesgegenwart mich im Stiche läßt, daß ich den würgenden Griff des heimtückischen Angreifers nicht mehr abwehren kann, daß ich ihn nicht einmal zu Gesicht bekomme, daß ich nur ahne: Christian Jensen..!!

Er schont mich nicht... Er will nicht morden, er will nur den ausschalten, der ihm zum Verräter werden kann. Er besitzt Bärenkräfte, und er spart nicht damit, - - ich tue am klügsten, diesen ehernen Druck auf die Schlagadern dadurch vorzeitig zu bremsen, daß ich scheinbar bewußtlos zusammensacke.

Halb bin ich es ja... Das trügerische Spiel wird mir nicht schwer. Ich lasse mir die Hände binden, einen Fetzen Segel um das Gesicht knoten, - - es ist Jensen, das sehe ich doch noch, er wirft mich wie einen Sack über die Schulter und eilt davon...

Die Reittiere, die wir nach dem Unwetter wieder ins Freie geschafft haben, erleichtern es ihm, mich fortzuschaffen. Er bindet mich auf meine Stute, und nachher geht es im Galopp nach Norden.

Dann Felsboden, Felsen, Stimmen...

Ein heller, entsetzter Ruf:

"Christian, - - sie werden ihn finden - auch hier!! Wie konntest du nur!!"

Und das ist Frau Hildegards Stimme...

Ich habe doch das richtige vermutet!!

...Man trägt mich auf ein Lager von Seepflanzen...

Hilde Land kniet neben mir.

Draußen irgendwo entfernen sich die Hufschläge...

 


 

11. Kapitel

Der Mann, der Hilda suchte

 

Hilda Land flüstert, und die brüchige Stimme des alten John Johannsen fällt ein. Dann eine schrillere, härtere...

Ich horche erstaunt...

Haraki ebenfalls hier?!

Der Japaner fühlt nach meinem Puls, nimmt mir den Lappen, die Fesseln ab.

Unwillig erklärt er in den zischenden Lauten seines verstümmelten Englisch:

"Kapitän, - das geht zu weit. Das ist wider die Vereinbarung. Abelsen so zu behandeln, da mache ich nicht mit!"

Immer noch halte ich die Augen geschlossen, obwohl ich den Laternenschein spüre. Ich rieche auch Tabakdunst, und etwas weiter entfernt murmelt Jochem Daus sehr gereizt in schönstem Platt:

"Dat is ne grote Schwienerie, - wat segst du denn datau, Hannes?!"

Und Hannes, der weniger beredte, murmelte beifällig:

"Ne Mordsschwienerie, - - und wotau dat allens?! Nur wejen die verflixte schwarte Marjell?!"

...Ich bin ganz wach, ganz Ohr. Es hat schon sein Gutes ein wenig zu schauspielern, ich bin nun wieder einen Schritt vorwärtsgedrungen auf dem dunklen Pfade des Geheimnisses des "Vandalia", das ja doch nur das Nachspiel darstellt zu irgend einem Begebnis, dessen Folgen noch immer spürbar sind.

Haraki knetet meine Schlagadern, ein anderer - es ist Jochem Daus - hebt und senkt meine Arme wie bei einem Ertrunkenen.

Die zitterige Stimme des greisen Kapitäns wagt eine vorsichtige Verteidigung:

"Ihr müßt doch bedenken, es ging nicht anders... Wir wollen doch nur verhüten, daß..."

Hilda Land mag sich bisher beherrscht haben.

Nun bricht es aus ihr hervor wie ein entfesselter Strom, ihre Worte überstürzen sich, vieles bleibt mir unverständlich, nur ein Wort bohrt sich in mein Hirn ein:

"Ich habe wohl am meisten verloren, gerade ich!! Was bedeutet denn all der klägliche Kram, -- was bedeutet mein Verlust - - mein Verlust!"

Und da versagt ihr die Stimme, da merke ich, daß es bittere Tränen sind, die ihr die Kehle zu wehen Worten reizen, und da bin ich selbst nicht mehr fähig, diese Komödie fortzusetzen...

Mit einem Ruck richte ich mich auf, meine Augen sind für Sekunden geblendet, dann überschaue ich diesen Schlupfwinkel, diese Wassergrotte an einem Berge hart am Ufer eines breiten Kanals, sehe die weiße schmucke Jacht, sehe das Blinken des Wassers, sehe die erstaunten Gesichter...

Halb vor mir sitzt der alte Johannsen auf einem Schiffsklappstuhl, die gefalteten Hände hängen zwischen den gespreizten Beinen, der hagere Kopf mit dem weißen Haar und den blanken Augen liegt etwas schief, - das uralte faltige Gesicht hat etwas Eulenartiges, aber um die Mundpartien lagert die gramvolle trostlose Verzweiflung einer zerbrochenen Seele.

"Gott sei Dank, - - Sie leben..." sagt er mit einem Versuch, Freude zu heucheln.

Daß er sich freut, bezweifle ich nicht... Daß er nicht mehr im Stande ist, wahre Freude zu äußern, merke ich.

Die anderen sind etwas zurückgewichen, ich bemerke in ihren Zügen ein gewisses Schuldbewußtsein, nur Hilda Land drückt kräftig meine Finger und sagt entschlossen:

"Abelsen, Sie sollen jetzt alles erfahren... Diese Heimlichkeiten müssen ein Ende haben.. - - Onkel John, willst du sprechen?"

Der alte Kapitän nickt schwerfällig.

"Ja,  ich will..! Ich will es schon deshalb, weil die Schuld vielleicht sehr schwer auf mir allein lastet..."

"Auf dir?!" fällt Hilda heißblütig ein und schüttelt die kleine Faust gegen einen unbekannten Gegner... "Auf dir allein, Onkel John?! Das glaubst du ja selbst nicht! Bitte schone den nicht, der es nicht verdient!! Dein Bruder und mein Schwager waren die Anstifter, die Rädelsführer! Die Wahrheit muß enthüllt werden! Ohne jede Rücksicht. Was tut es, daß die Tochter des Mannes nun mit in unseren Kreis geraten ist, der... betrog und betrogen wurde! - Wir wollen doch die Dinge beim rechten Namen nennen - auch später Diavola Armada gegenüber! So weit ich das Mädchen kenne, wird sie sich stets ohne Bedenken auf die Seite des Rechtes stellen, - - und hier ist leider von "Recht" nicht viel zu sagen, nur von schändlichem Unrecht..!"

Harakis sphinxartige Ruhe glättet die hochgehenden Wogen der Erregung durch eine bescheidene Geste.

"Der Kapitän mag sprechen," erklärt er.

Ich hüstele, ich huste, und doch bringe ich ein paar Worte über die Lippen, trotz der verschwollenen Kehle.

"Frau Hilde, Christian Jensen ist ihr Gatte und heißt mit vollem Namen Christian Jensen Land... Sie waren mit dem Kapitän vorhin in der Felsgruppe unweit der Stadt, wo ich Sie belauschen wollte... Nur wollte. Ich hörte nur noch Ihres Mannes letzte Sätze - - und Ihr Schluchzen... - So viel weiß ich nun doch bereits: Ihr Gatte lebt, es ist Christian Jensen, der all die Jahre ein Gefangener der Urvettern war, von denen der Pacific nichts übrigließ - vielleicht zum Glück für diese Geschöpfe, die als Bindeglied zwischen Affe und Mensch auf Erden nur trostlos vegetiert hätten, - Halbmenschen, Halbtiere, - wohl ihnen, daß der Ozean sie wieder zu sich nahm..."

Die Frau mit dem frischen Gesicht, dem Kupferhaar und den ehrlichen Augen wiederholt nur leise:

"Wohl ihnen..!" Und fügt hinzu: "Christian ist mein Gatte... - Mag Onkel Johns gereifte Lebenserfahrung die Geschehnisse unparteiisch schildern."

Haraki, der sich mit untergeschlagenen Beinen niedergekauert hatte, deutete mit derselben, ruhevollen Handbewegung wie vorhin auf das groß, leise hin und her wehende Segel, das man vor den Ausgang der Wassergrotte gespannt hatte, damit der Lichtschein nur gedämpft nach draußen falle.

"Die "Vandalia" wird kommen," sagt der Japaner ohne besondere Betonung. Und doch klingt der Satz wie eine bereits bewiesene Behauptung. "Ich erlaube mir nur, daran zu erinnern, daß Klaus Johannsein leider erfahren hatte, daß Christian Land am Leben ist und gerade hier wieder auftauchte." Er spricht das mit vollendeter Höflichkeit, und er behält denselben streng sachlichen Ton auch fernerhin bei. "Es war ein Glückszufall, daß wir von Bord der "Vandalia" mit Kapitän Johns Hilfe entfliehen konnten. Es war ein Unheil, daß Frau Hilda ihren Gatten erkannt hatte und dies in der Erregung Klaus gegenüber zugab. Vielleicht wäre es angebracht, unter diesen Umständen andere Entschlüsse zu fassen und nicht mit Worten kostbare Zeit zu verlieren."

Seine stillen Augen suchten dabei meinen Blick, und meine Antwort beschränkte sich auf ein eiliges, durchaus gerechtfertigtes Emporschnellen von meinem Lager.

Selbst der alte Kapitän erkannte nun wohl die Bedeutung des so überaus vernünftigen Vorschlages, und alle Gleichgültigkeit und Bedrücktheit fiel von ihm ab, die sich aufrichtende hagere Gestalt straffte sich, und klar und kurz klang sein Befehl:

"Löscht die Laternen bis auf das Buglicht der Jacht! - Weg mit dem Segel! Wir müssen versuchen, den Weg durch die Kanäle zu finden, und die tote Stadt zu erreichen. Haraki hat wahr gesprochen!"

Wenn das greise Alter sich zu solcher Entschlossenheit aufschwingt, wird auch der lässigste mitgerissen, - das erlebte ich hier bei en Brüdern Daus, die als alte Teerjacken mehr für ein gemäßigtes Tempo waren.

In wenigen Minuten konnten wir die Jacht, deren Planken ich nun zum ersten Male betrat, in den gut hundert Meter breiten Kanal hinausbugsieren.

Die Jacht, etwa fünfunddreißig Meter lang, führte den Familiennamen der Armadas, hieß also "Armada". - Hoffentlich war das keine schlechte Vorbedeutung, denn wie ich bereits einmal erwähnte: die berühmte spanische Armada fand ein sehr unrühmliches Ende.

Ich sträubte mich daher auch nicht im geringsten gegen Kapitän Johns Bitte, nun meinerseits einen Plan zu entwerfen, um jedem Hinterhalt zu entgehen.

"Die "Vandalia" verfügt über eine große Dampfpinasse und zwei Revolverkanonen und reichlich Munition," betonte der Greis wiederholt. "Sie, Abelsen, kennen hier die Kanäle am besten...Was wollen Sie tun?"

Wir standen vorn am Bug neben dem unter Öltuch sorgfältig verwahrten Signalgeschütz der Jacht. Ich antwortete nicht, riß viel mehr den Überzug von dem kleinen Hinterladergeschütz und öffnete den daneben festgeschraubten Kasten. Die obere Schicht Munition hatte harmlose Holzpfropfen, aber die tiefere waren regelrechte Granaten mit Aufschlagzünder, Kaliber 10,8 - also ganz nette Nüsse, die schon allerhand Schaden anrichten konnten.

"Nach Norden in die offene See - - volle Fahrt!" kommandierte ich ohne weiteres.

Die beiden Daus waren im Maschinenraum, Haraki hinter dem Steuer... Ich hörte den Maschinentelegraph rasseln, am Heck sprang eine hohe Welle auf, die Jacht schwenkte herum und jagte mit etwa sechzehn Knoten Geschwindigkeit durch das nicht ungefährliche Fahrwasser. Frau Hilda und ich blieben am Bug und beobachteten das Vorgelände. Zum Glück hatte gerade die Flut mit voller Kraft eingesetzt, so daß durch den Kanal eine sehr starke Strömung zog, die uns jedes Hindernis, jede flache Stelle oder Felsen durch die bekannte Kreiselbildung angezeigt hätte. Verschiedentlich winkte ich auch Haraki zu, den Kurs zu ändern, - ein einziges Mal gerieten wir auf eine Schlammbank, aber die überstarken Motoren der Jacht rissen den Kiel noch gerade durch die gefährliche Schlickmasse hindurch.

Der alte John suchte derweil mit dem Fernglas die Ufer und besonders den Ozean ab. Waren wir erst einmal im Pacific, hatten wir nichts mehr zu fürchten, da die "Vandalia" nur noch knapp neun Knoten lief. Der Hauptkanal  machte kurz vor der Einmündung in die See einen scharfen Knick. An dieser Stelle verengerte er sich bis zu fünfzig Meter, Felsenhügel traten bis hart an seine Ufer hinan, und das Gelände war äußerst unübersichtlich.

Wiederum winkte ich Haraki zu... Wir hatten sehr einfache Signale vereinbart, und die Sache klappte tadellos, die Jacht lief nur noch halbe Kraft, ich überließ Frau Hilda den Beobachtungsposten und lud das Geschütz und legte Munition bereit. Wir wußten nicht, was hinter der Biegung lauerte, - in Ordnung war die Sache dort auf keinen Fall, das bewiesen schon die Möwenschwärme, die am blauen Nachthimmel ruhelos kreisten.

Die Strömung wurde immer kräftiger. Der Gezeitenwechsel veranlaßte förmliche Wogenberge, die uns entgegenkamen und über die Kanalufer brandeten.

Ich war mit ganzer Seele bei der Sache... Ich mußte es sein... Ich allein, ahnte ich, konnte das Unrecht, das dieser alte greise Mann einst aus Schwachheit auf sich geladen hatte, wieder gutmachen, ich allein glaubte bereits jetzt zu wissen, was das Stahlnetz der "Vandalia" in den Meeresströmungen gesucht hatte.

Und nicht allein darum ging es...

Es ging hier um Menschenschicksale...

Christian Land, vielleicht der einzige, der sich seinerzeit gegen der raffinierten Betrug, den ich nun durchschaut hatte, gewehrt haben mochte, mußte sich mit seiner Frau aussöhnen. Seine Stellungnahme zu den Dingen war unbedingt falsch. Er hatte es Hilda verargt, daß sie an dieser abenteuerlichen jahrelangen Kreuzfahrt teilgenommen hatte, er hatte übersehen oder nicht begriffen, daß im Herzen seiner Frau die Hoffnung nie erstorben war, ihn doch noch lebend irgendwo an einsamer Küste vorzufinden.

Und John Johannsen, Mark Olden, die beiden Daus?!

Waren nicht auch sie es wert, diese Last von ihrer Seele entfernt zu sehen?! Sie alle hatten mit Einsatz ihres Lebens für Hilda Partei ergriffen... Mehr als einmal hatte ihnen der Tod gedroht, - und das eine Mal war dieser Tod in seiner furchtbarsten Form ihnen ganz nahe gewesen: Als die Unterwelt die halb verhungerten Halbmenschen ausgespien hatte und nur Christian Land fähig war, den Urvettern die nahe fruchtbare Insel als Rettung anzuzpreisen!

Menschenschicksale, - - auch hier wieder...

Und als Verführerin - - was wohl?!

Ich wußte es nicht...

Ich hatte an das elende Gold gedacht...

Die Annahme war irrig.

Goldbarren mögen ihren Wert haben, nehmen jedoch zu viel Platz ein, wiegen zu schwer.

Goldbarren kann man nicht in einem wasserdichten Stahlwürfel in solcher  Menge bergen, daß sich deshalb ein Verbrechen und ein so geheimnisvolles Unternehmen verlohnt...

Dort vor uns die Biegung des Kanals...

Dort vor uns vielleicht die Entscheidung.

Das Signalgeschütz - sehr harmlose Bezeichnung für diese Art Waffe von solchem Kaliber - hatte eine moderne Lafette. Ich schraubte es empor, bis das Rohr hoch über der Reling lag. Ich rief Frau Hilda zu, bei Seite zu treten.

Die Jacht lief jetzt sehr langsam...

Haraki (später gab er zu, japanischer Marineoffizier zu sein), war ein vorzüglicher Steuermann.

Die Jacht wendete etwas...

Ich bekam freie Aussicht...

Mitten im Kanal, zweihundert Meter vor uns, lag die Dampfpinasse der "Vandali".

Also doch..!!

"Scheinwerfer!!"

Meine Stimme genügte. Der alte John ließ den Scheinwerfer aufflammen, der Lichtkegel drehte, haftete auf dem Gegner, tauchte ihn in blendende Helle.

Ich sah, was ich sehen wollte.

Die Burschen hatten achtern das eine Revolvergeschütz aufgebaut... Zwei Kerle knieten dahinter.

Ich bin nie Kanonier gewesen... Aber das Leben, mein Leben hat mich gezwungen, auch diese Kunst zu lernen: Richtkanonier!

Ich wußte genau: Hier kam es darauf an, wessen Granate zuerst saß.

Das Geschütz war leicht zu bedienen... Ich brauchte keine drei Sekunden...

Dann spuckte unser Signalböller sein Stahlnüßchen, gefüllt mit Pulver, hinüber.

Kaum war die Granate aus dem Rohr, als drüben vorn auf der Pinasse eine Flamme zerstiebte...

Der Schuß hatte gesessen, - und die Herren dort verloren den Mut, wollten auskneifen, sausten der Kanalmündung zu, und - - die zweite Nummer traf besser...

Was da noch an Bord des Gegners an Land schwimmen konnte, tat es mit einigem Glück, soweit die Haifische nicht protestierten, - die Pinasse selbst sackte weg, der Kessel explodierte, und Herrn Knut Johannsens Armee mußte die Verlustliste ergänzen.

Wir fuhren nun wieder mit Vollgas... Die vor der Kanalmündung stehende Brandung störte uns nicht. Wir erreichten die offene See, - und weit draußen lag im Dunst des Horizonts die armselige, verrostete, verliederte "Vandalia".

Wäre es nach mir gegangen, hätten wir den alten Kahn wrack geschossen, aber der greise John, der wohl sehr an seinem Schiffe hing, bat uns flehentlich, die Angelegenheit nunmehr friedlich zu Ende zu führen, da so mancher auf der "Vandalia" wirklich Schonung verdiene.

Man beugt sich den Vorstellungen eines vielgeprüften Greises, - oft gegen die eigene bessere Überzeugung.

"Die "Armada" steuerte gen Osten immer angesichts der Küste von Niemandsland, und eine Stunde darauf lotste uns das Beiboot der Jacht in die Bucht hinein, die bis dicht an die ehemaligen Stadtmauern reichte und etwa an derselben Stelle endete, wo der Riesenturm, der Turm von Babylon, sich erhoben hatte und versunken war.

Ich selbst war mit in das Beiboot gestiegen, ich selbst handhabte die Lotleine, und nichts sprach mehr für die Willkür der unterirdischen Gewalten als die einfache Tatsache, daß im äußersten Buchtwinkel vierzig Meter Tiefe gemessen wurden.

Das hieß also: die neue Insel Niemandsland verlief hier mit ihren Ostgestaden nicht allgemach in den Pacific, sondern bildete zumindest an dieser Stelle eine jähe Aufbauchung des Meeresbodens.

Die Anker der Jacht rasselten in die Tiefe,

Am Strande erschienen die Freunde... Mein Monte als erster... Nur einer fehlte: Christian Land.

Als Hilda Land Mark Olden gegenüberstand, fragte sie beklommen: "Wo ist mein Mann? - Um Gotteswillen - wo ist Christian? - Was ist geschehen?"

Mark Olden blickte verlegen auf Diavola.

"Verschwunden!" erklärte diese ohne Scheu und mit offener Feindseligkeit. "Verschwunden, als er mit den Reittieren und ohne Abelsen zurückkehrte und ich auf ihn feuerte... Er entfloh zu Fuß... Selbst Monte fand die Fährte nicht... Ihr Gatte, Frau Land, entwich als Verräter über die Dächer..."

Hilda hatte sich höher aufgerichtet und die Hände gegen die Brust gepreßt.

"Er ist kein Verräter," sagte sie traurig... "Wir werden ihn finden... Und dann werden Sie einsehen, Diavola, daß gerade er für die Interessen Ihres Vaters energischer eintrat, als sie es ahnen..."

Das Mädchen mit dem kühnen Kreolengesicht und dem noch kühneren Feuergeist starrte Frau Hilda sprachlos an.

"Mein Vater?! - Was hat mein Vater mit alledem zu schaffen?!"

"Später!" schnitt ich den beiden kurz das Wort ab. "Zunächst gibt es für uns noch eilige dringende Arbeit... Wir dürfen nichts versäumen... Kapitän John, wie viel war denn der Stahlkasten wert?"

Der greise Seemann flüsterte scheu:

Etwa fünf Millionen Pfund Sterling..."

Die Antwort verschlug uns allen die Rede.

Das waren hundert Millionen Mark..!

Was in aller Welt mochte der Stahlkasten enthalten?!


 

12. Kapitel

Das Stahlgehäuse

 

...Über alledem sind Tage verstrichen.

Genau sechs Tage... - Was bedeuten sechs Tage im Weltgeschehen? Nichts! Was könne sie im Schicksalsbereich eines oder einer Gruppe Menschen bedeuten? Unendlich viel!

Die Jacht "Armada" steuerte gen Nordost... In meine kleine Kabine blinzelt die Vormittagssonne durch das runde, offene Fenster, die Wogen gleiten klatschend an der Bordwand entlang, und Freund Monte zwinkert mit den Augen und hebt ein wenig den Kopf und scheint zu fragen: "Schreibst du noch immer?!"

Ich muß schreiben... Es ist der große Genuß des Auffrischens blutvoller Erinnerungen, der mich an den Tisch bannt... Diese Erinnerungen sprühen Leben und Temperament, diese Erinnerungen sind Trost für das, was verloren ging.

..."Fünf Millionen Pfund Sterling," hatte der greise Kapitän mit seiner zerbrochenen Stimme erklärt...

Uns allen verschlug es die Rede. Mir am meisten.

Da war es also wieder emporgestiegen, dieses grauenvolle Gespenst des Goldes, mochte es nun reines Gold oder Geldeswert sein... Es war da, es umnebelte unsere Hirne, ich bemerkte den grüblerischen Ausdruck in den erstaunten Augen, ich spürte, wie diese Köpfe die englischen Pfunde umrechneten in ihre Währung...

Es schien unfaßbarer Reichtum!! - Das stand in den Blicken zu lesen. Und dieses Gespenst, dieser Spuk mußte getötet werden... Wir hatten an Besseres zu denken.

Willst du die Menschen ablenken von diesem teuflischen Magnet, führe ihnen etwas anderes hart und grob und eindeutig vor Augen: Die Gefahr für ihr Leben, die Aussicht auf Kampf um Fortexistenz! - Dann bricht der gesunde Egoismus wieder durch, schwemmt das Ungesunde fort und macht den Menschen wieder zum primitiven Urgeschöpf, das nur an seine Verteidigung denkt.

Ich segnete in dem Augenblick die drohende Nähe der "Vandalia". Klaus Johannsen verfügte immer noch über mindestens fünfzehn Leute und über Waffen, die uns überlegen waren.

Das hämmerte ich denen ein, die hier der Suggestion des Goldes unterlegen waren.

Und ich erlebte die Freude, daß dieser Spuk ebenso schnell zerstob, wie er emporgetaucht war, zumal weder Frau Hilda noch Diavola oder etwa Mark Olden sich selbst in den Rausch von Goldträumen völlig verloren hatten.

"Schützen wir die Stadt, die Bucht!" - das war das Fanfarensignal zu eifrigstem Tun.

Jeder packte mit an.

Was soeben noch sein Hirn lediglich auf den Gedanken traumhafter Reichtümer eingestellt gehabt hatte, wurde zum Gliede einer arbeitsfrohen Gemeinschaft. Selbst Hildegard Land stellte die Sorge um den Verlust des Gatten zurück, kein Wort verlor sie mehr über diese Geschehnisse, sie war nur Glied der ehernen Kette, die zusammenhalten wollte auf Gedeih und Verderb.

 Das Signalgeschütz. Die Schiffslafette, wurde in die Tempelruine in unser Heim geschafft.

Schwere Arbeit...

Noch schwerer, es so hoch auf dem Dache aufzustellen, daß es nicht nur die Bucht bestrich, sondern auch zuverlässig verbarrikadiert werden konnte.

Winden kreischten, hoben Felsblöcke empor.

Das Dach wurde zur Festung, wurde unten abgesteift...

Und über alledem verblich der Mond, der neue Tag kam, und wir sahen unsere schweißfeuchten, übermüdeten Gesichter, die hohlen Augen, in denen dennoch das Feuer fanatischen  Betätigungsdranges glänzte.

Aus der "Armada" war alles ausgeräumt worden, was nicht niet- und nagelfest. Die Jacht selbst lotsten wir in einen engen, kurzen Seitenkanal mit hohen Felsufern. Dort war sie genügend geschützt...

So wurde es sieben Uhr früh.

John Johannsen, der mit dem Fernrohr Wache hielt, hatte bisher von der "Vandalia" nichts erspähen können - - nichts!

Wir trauten den Burschen trotzdem nicht, ich am allerwenigsten. Aber wir brauchten Schlaf, Erholung, Frische für später, für die Stunde der Entscheidung.

Die meisten von uns waren ausgepumpt bis zum äußersten.

Also: Schlafen!! - Fünf Gemächer enthielt das Bauwerk, in dem letzten standen nur die Steinbockstützen für die Dachfestung, lag die Munition für unseren Böller, lagen Eisenleitern von der Jacht, um schnell nach oben zu gelangen. Im vorletzten hinter einem Vorhang hausten Hilda und Diavola.

Ich hatte freiwillig die erste Wache übernommen. Ich wanderte über die Ruinenhöfe, die Büchse umgehängt, das Fernrohr im Arm. Der müde Monte trottete neben mir her.

Und ich wartete...

Sie sollten schlafen, die Gefährten...

Ich wollte allein sein.

Ich allein wußte, wo Christian Jensen Land sich verborgen hielt.

Während des übereifrigen Hin und Her's der Arbeit hatte ich eine Entdeckung gemacht, die ich im vollsten Sinn des Wortes verwischte.

Wir brauchten kleine Lavaklötze für die Dachstützen, und ich war hinabgestiegen in den von den Trümmern des Turmes ausgefüllten, ausgehöhlten weiten Hohlraum.

Da fand ich - ein Zufall - ein bereits braun verfärbtes Tröpfchen Blut, fuhr mit dem Finger darüber hin: Es war Blut.

Diavola hatte auf den fliehenden Christian Land geschossen...

Und getroffen, das war nun erwiesen.

...Ich wartete...

Was ich im Sinne hatte, brauchte keine Zeugen. Ich wollte Christian Land allein sprechen.

Seine Verletzung konnte nur leichter Natur sein. Er würde antworten, - den heimtückischen Angriff hatte ich ihm längst verziehen, ich kenne ja die Beweggründe: Er hatte mich gefürchtet, und die Aufdeckung der Wahrheit gefürchtet, denn auch er war nicht ohne Schuld.

Frei von Schuld war nur eine einzige des modernen "Fliegenden Holländers", "Vandalia" genannt: Hilda, Christians Frau! Und gerade ihr hatte der eigene Gatte ganz unberechtigte Vorwürfe gemacht - gerade ihr!!

Die Sonne stieg höher und höher... Noch ein Blick über das Meer vom erhöhten Platze, - ich ließ das Fernrohr herumschwenken...

Leer...

Keine "Vandalia"..!

Es wurde Zeit. In unserem Hause drüben regte sich nichts. Oben auf dem Dache hinter dem Lavablockwall mit den schmalen Schießscharten schliefen die Freunde den Schlaf der Erschöpfung, in ihre Träume mochten sich Erinnerungsfetzen an die letzten Vorgänge hineinweben... Ihr Schlaf würde unruhig sein, denn jeder einzelne spürte im Unterbewußtsein die drohende Gefahr. Sie würde nicht ausbleiben, sie konnte nicht ausbleiben, denn Klaus Johannsens Gier galt den fünf Millionen Pfund Sterling. Schon um geringere Summen sind abenteuerliche Pläne verwirklicht worden.

Es war Zeit...

Ich kletterte den riesigen Schlund des Hofes hinab, und Monte hatte es nicht leicht, mir über diese Gesteinsmasse zu folgen.

Da ist der verwischte Fleck...

"Monte - - vorwärts!"

Ich drücke seine Nase auf den braunen Fleck, und er jault leise, er kennt seine Pflicht.

Ein Abseitspfad, - - nur Steinklötze, nur Schutt, - - ein Turm brach hier in sich zusammen, der einst als Klippe über die Wogen des Pacific hinausragte, algenbewachsen, muschelbedeckt, unbeachtet, - nur eine Klippe...

Und doch..:

Dieses feste Gefüge aus Steinquadern, das die Jahrtausende überdauerte und das Zeugnis ablegte für die Baukunst des Volkes, das vor der Inkakultur hier eine andere Kultur errungen hatte, sollte - Schicksalswalten - gerade das heimliche Gehäuse verschlingen, in dem die Millionen lagerten...

Ich reimte mir die Vorgänge, die doch viele Jahre zurücklagen, unschwer zusammen.

Ich sah ein Schiff, einen Dampfer, vielleicht die heutige "Vandalia" mit anderem Namen, schwerfällig durch den Pacific schleichen, ein Schmugglerschiff, ein Fahrzeug, nur gechartert für geheime betrügerische Mission.

Ich sah den Orkan nahen, ich sah die Wellenberge die Turmklippe umtasten, ich sah den Dampfer dahintaumeln - hilflos, gefesselt an die schwere Last die er schleppte, die heimlich unter Wasser schwamm.

Und dann geschah es...

Die Strahltrosse riß...

Der Dampfer war frei...

Er hatte sein wertvolles Anhängsel verloren.

So war es... so muß es gewesen sein, und die grollenden Wogen des Pacific, empört über den frechen Schwindel, schleuderten in die Tiefen der Erde hinab, was ihnen widerwärtig.

So war es. -

Monte kriecht, klettert, springt... Er hat die Spur gefunden, verliert sie nicht, und endlich stehen wir dort, wo sogar jeder Abseitspfad aufhört...

Jeder...

Steinblöcke bilden eine Barrikade, die kaum eine Eidechse durchläßt...

Eidechsen sonnen sich auf den Blöcken mit blanken Perlenaugen und enteilen vor Montes Knurren.

Des Hundes Krallen kratzen ungestüm an einem schwarzen Steinstück. Ich hebe Monte aus dem Loche, krieche hinein, packe den Felsbrocken, der unverrückbar festgekeilt scheint.

Ich packe zu, - - das Hindernis gibt nach, und vor mir gähnt ein Zufallsgewölbe, durchschnitten von grellen Sonnenstrahlen.

Als der Turm einstürzte, wollte es das Schicksal, daß sich über dem Urgesteinfundament die Blöcke zur Höhle gruppierten...

Zu einer Schatzkammer...

Mitten in dem grellen Spiel der einfallenden Sonnnenstriche ruht der Gegenstand, den Diavola und ich erblickten, als wir zum Reiche der Urvettern hinabstiegen.

Es ist ein Stahlgehäuse, ein Stahlkasten, blaugrün lackiert, vielfach zerkratzt, zerbeult...

Größe: Vier mal vier Meter, - vielleicht etwas mehr, vielleicht nicht ganz quadratisch.

Schräg liegt der Tresor, einsam liegt er hier, überwölbt von den Resten des Tunnels, der den Urvettern in der Tiefe Sauerstoff, Luft spendete...

Monte drängt sich an mir vorüber, schnüffelt, schnuppert, umkreist das Stahlgehäuse, heult jaulend, lockt mich auf die andere Seite, kratz wie toll an dem Lacküberzug des zerschrammten Stahles, und ein verlorener Sonnenstrahl zeigt die Umrisse einer Tür, etwas ein Meter im Geviert, dazu ein enges, langes Schlüsselloch...

Jäh rinnt mir eine heiße Welle über den Leib.

Sollte Christian Land sich zu den Millionen geflüchtet haben?! Besaß er den Schlüssel zu diesem Gehäuse, hat er es geöffnet und sich darin verborgen?!

Oder..?!

Suchte er den Tod in diesem Stahlkasten als Sühne dafür, daß er sich einst dazu hergegeben, Benito Armadas unklare Millionenspekulationen zu unterstützen?

Meines klugen Hundes Benehmen läßt nur die eine Schlußfolgerung zu: Christian Land steckt in dem Kasten!!

Ich haue mit der Faust gegen die Tür... Horche... Nichts - - kein Ton...

Nur das dumpfe Dröhnen der Fausthiebe findet in dem Gewölbe sein höhnisches, noch dumpferes Echo.

Ich, dereinst Ingenieur, weiß genau, daß die Wandungen dieses Tresors nicht allzu dick sein können, daß diesen Tresor einst eine schwimmfähige Masse von Korkplatten umgeben haben muß, die längst zerrissen, zerfetzt und verschwunden sind. Ich weiß ebenso gut, daß dieses Gehäuse innen besonders gut konstruiert sein muß, daß dort Gasbehälter vorhanden, die ihm gleichfalls Auftrieb geben.

Wie hätte er sonst wohl sich schwimmend halten können, ohne wegzusacken?!

Sinkt doch auch ein luftgefülltes U-Boot in die Tiefe, - - freilich, seine Innenbelastung ist größer.

Monte winselt, kratzt...

Ich starre das Schlüsselloch an...

Schmal, lang, - für einen Patentschlüssel, der vielleicht nur in zwei Exemplaren vorhanden war.

Der einen besaß Christian Land.

Den anderen?!

...Und da - - hinter mir leichte Schritte: Diavola und Freund Olden!

Das Mädchen ist farblos wie nach schwerer Krankheit.

Aber der junge Mund hat steinharte Linien. Sie blickt mich flüchtig an... Ihre Stimme schwankt... Olden stützt sie.

"Meines Vaters Werk!" sagt sie bitter... "Ich weiß jetzt alles - alles... Hilde konnte nicht einschlafen, weil meine Seele sich entrüstete gegen das, was meines eigenen Vaters Geldhunger angerichtet hat... Ich schlich Ihnen nach, Abelsen, und Olden folgte mir, Olden ist treu wie Sie und menschenkundig wie Sie... - Glauben Sie, daß Christan Land hierher flüchtete?"

Ich kann nur nicken...

Diavolas schmerzvolle Augen versiegeln mir die Lippen.

"Haben Sie... geklopft?!" fragt Olden leise.

"Ja... Er meldete sich nicht..."

Diavola lehnt an dem zerkratzten, zerbeulten Stahl...

"Er...ist... erstickt, Abelsen... Er wollte ersticken... - - und auch das kommt auf meines Vaters Haupt..."

Ich ziehe Monte gewaltsam zurück...

Das Geräusch der kratzenden Krallen macht die Nerven zittern...

So wird es still in dem Gewölbe der Geldgier...

Nur unsere hastigen Atemzüge und das Donnern des Pacific rauschen in unseren Ohren...

 

 

13. Kapitel

Diavola und ihre Schützlinge

 

Mark Olden beobachtete nur die verzweifelte, von widerstreitenden Gefühlen hin und her gerissene Diavola. Der Seelenzustand des Mädchens, dessen ganzes großmütiges Herz den Ärmsten der Armen gehört, mag gerade als einziges Kind, frühzeitig der Mutter beraubt, den Vater in ihrer Art geehrt und in ihrem Sinne beeinflußt haben. Sie sprach nie darüber. Ich fühle es nur.

Jetzt hat man ihr auch den Halt genommen. Was ihr als Familienband, als Blutzusammengehörigkeit noch heilig, ist zertrümmert. Sie, die Kämpferin für das Heer der schlecht bezahlten Sklaven der Arbeit, hat den eignen Vater als nach ihrem Begriffe ehrlos entlarvt.

Ihr Antlitz ist der Spiegel dieser Gedanken, die unmöglich zur Ruhe kommen können.

Olden, fast genau so blaß wie sie, stiert wie hypnotisiert auf das Schüsselloch des seltsamen Stahlgefüges. Auch ich tat es vorhin, aber ich habe mich bereits mit dem Gedanken abgefunden, daß dieser Tresor etwa jener Messingflasche aus den Märchen aus Tausend und Einer Nacht gleicht, in die der widerwärtige Dämon durch das Siegel Salomonis eingesperrt war, die der Fischer fand und öffnete.

Der Dämon ist hier das "Gold", das Goldeswerte, die Millionen...

Mögen sie für ewig eingeschlossen bleiben!! Christian Land, der bei ihnen weilt, ist tot.

Mark Olden hebt die Büchse, und der Kolben dröhnt gegen die Tür...

Drei Schläge...

Dann lauscht er mit schiefem Kopf, halb geschlossenen Augen...

Wie wir...

Diavola hat sich vorgebeugt, ihr Mund öffnet sich... - nur ein Flüstern wagt sich hervor...

"Da... hören Sie!! - - Hörten Sie?!

Mir weicht das Blut aus den Wangen.

Das war nicht Echo, - - das war Antwort aus dem Innern...

"Mein Gott, - - er lebt..!" Diavola zittert... "Abelsen, - helfen Sie..! Helfen Sie!!"

Poch - - poch... poch poch..." - wie aus endlosen Fernen.

Man muß ganz genau hinhören, muß das Ohr anstrengen.

Viele der Klopftöne bleiben leerer Schall...

Aber Christian Land lebt, und er muß gerettet werden! Ich bin überzeugt: Er nahm den Schlüssel mit hinein in das Stahlgehäuse, er hoffte, sich allein wieder befreien zu können, er wollte als Verwundeter nur einen sicheren Unterschlupf finden...

Retten, helfen?!

Diesem Ungetüm ist nur mit einem Sprengstoff beizukommen. Wir besitzen nichts dergleichen, und besäßen wir es, - was hülfe es uns?!

Nichts!

Eine Sprengladung würde auch Christian Land töten.

Abermals fleht Diavola: "Es muß Ihnen ein Mittel einfallen, - wir haben doch Äxte und Beile von der Jacht, dazu Meißel, schwere Hämmer..!"

Armes Kind, - - bevor wir mit so unzureichenden Werkzeugen die Tür aufstemmen könnten, würde ein Tag vergehen!

Derweil ist der Eingesperrte stumm geworden.

Das Pochen hat aufgehört...

Dafür kriecht der runde Sonnenfleck, der bisher das Gehäuse unten hell betupfte, noch tiefer, wird kleiner, breitet sich über den Steinboden aus, da der Sonneball auf seiner vorgeschriebenen Bahn von Osten nach Süden sich erhebt - immer höher.

Und dieser Fleck, dem ich bisher keine Bedeutung zugemessen habe, gewinnt nun Bedeutung. Da muß in dem Schatzgewölbe ein Loch sein, durch das die Sonne sich eindrängt in diese Höhle, ein Loch von beträchtlicher Größe.

Wortlos, gefangen von einem jäh aufblitzenden Gedanken, trete ich vor die Tresortür, bücke mich, um die Bahn des Sonnenfleckes festzustellen und bemerke genau gen Osten eine Öffnung in den übereinandergestürzten Felswürfeln und Mauerresten.

Ich erkenne an den spitzen Ruinenresten der Tempelwände, deren oberste Teile nur sichtbar sind, daß der Tresor, unser Haus und die Bucht in einer Linie liegen.

Meine jagenden Gedanken erwägen bereits phantastische Möglichkeiten, die doch realen Hintergrund haben.

Ich will diese Gedanken eiligst zu Worten formen, aber eiliger noch läuft die Uhr der Zeit, der Ereignisse...

Draußen zerreißt ein brüllender Knall die Stille...

Das war die Stunde unseres Böllers, der die harten Nüsse spuckt.

"Nach oben!!"

Olden reißt Diavola mit sich, wir kriechen, stolpern, fallen, bluten, laufen, springen...

Wir sehen die Gefährten droben auf der Dachfestung, wir sehen den kleinen geschmeidigen Haraki das Geschütz bedienen, neben ihm kniet der greise John, - - und eine zweite Granate fährt aus dem Rohr.

Wir hasten durch die Räume, die Eisenleitern hinan...

Da heult schon der erste eherne Gruß von drüben - Revolverkanone, - geht zu hoch, fliegt über unsere Verschanzung...

Und von drüben, wo sie vier der schnellen Pulverschlucker zur Verfügung haben, kommt Schuß auf Schuß...

Alle zu hoch...

Die Granaten krepieren hinter uns im Tempelhof...

Ich dränge mich vor eine Scharte...

In die Bucht laufen zwei Schiffe ein, zuerst die "Vandalia", dann ein kleinerer Frachtdampfer mit der Flagge Ecuadors und einer zweiten darunter: Die Hausflagge der Reederei!

Also hat Knut Johannsen Verbündete gefunden für den Angriff auf Niemandsland, - Leute, denen er das Hirn erhitzte mit seinen Millionenträumen, brave Seeleute bisher, die sicherlich nur der Verführung und dem Wortschwall unterlagen...

Millionen...

Fünf Millionen Sterling...

Herrenlos - auf Niemandsland zu finden, nur zu pflücken wie reife Früchte, denn auf Niemandsland tauchte Christian Land wieder auf, und Christian Land ging damals in demselben Orkan über Bord, der auch der "Vandalia" das wertvolle Anhängsel wegriß und es verschwinden ließ in dem Luftschacht der Urvettern.

"Unser Schiff!!"

Das ist Diavolas Stimme...

Und auf diesen Ausruf folgt ein neuer Granatensegen, - an den Lavablöcken unserer Festung zerstiebende die platzenden Geschosse...

"Meines Vaters Schiff - sein Handelsdampfer..!

Noch lauter tönt Diavolas Stimme, und die helle Freude klingt durch diese Feststellung...

"Die Flagge unserer Reederei!! - Wer begleitet mich? - Ich will hinüber... Sie sollen mich sehen, sie kennen mich alle, sie werden mir gehorchen, mir die Treue wahren, denn sie wissen, daß ich für sie sorgte, für sie kämpfte - gegen die Ausnutzer, die meinem Vater ins Ohr raunten, mich wieder wegzuschicken - - irgendwohin, mich, die Bestgehaßte unter den Geldsäcken Ecuadors! - Wer begleitet mich? Wer trägt mich hinüber, falls die Kerle der "Vandalia" mich abknallen?"

"Ich!!" Mark Olden ist es...

Aber Mark Olden eignet sich kaum für diese Art Abenteuer...

Er ist zu jung, zu temperamentvoll, - und er sieht dies wohl ein, als ich erkläre, nur ich würde Diavola schützen können...

"Olden, nichts für ungut, - doch hier steht zu viel auf dem Spiel. Sollte mir etwas zustoßen, dann sorgen Sie für meinen Monte..."

Mark Olden fügt sich gern, als Diavola ihm stumm und herzlich die Hand drückt.

Fast vergessen, fast übersehen in all diesem Hin und Her sitzt da in einer Ecke der kleinen Dachfestung die Frau, die das größte Leid zu tragen hat: Hilda Land!

Sie ahnt noch nicht, daß ihr Gatte in dem Stahlgehäuse ersticken muß, daß er sich überhaupt dort befindet. Sie ahnt noch nichts von alledem, aber sie sitzt zusammengesunken da, - - so, als hätte sie an ihrem eigenen Leid übergenug zu tragen.

Nur Monte hockt neben ihr, Monte, der hier überflüssig ist. Er schmiegt sich an ihre Schenkel, legt ihr den Kopf in den Schoß, und die klugen Hundeaugen forschen in dem verhärmten Gesicht mit der kupfernen Haarkrone.

Diavola steigt bereits hinab, Sprosse um Sprosse, und dann schleichen wir durch die Gassen, drücken uns durch die Uferhügel zum Versteck des Beibootes der "Armada".

Das kleine Boot schießt in die Bucht, - ich rudere, wie ich nie gerudert habe, - ich weiß, daß die Kerle der "Vandalia" feuern werden, daß nur die Schnelligkeit des Fahrzeugs und die miserablen Schützen uns einige Aussicht auf Entrinnen bieten.

Und dabei ist dieser Vormittag unter der Äquatorsonne so wundervoll, der Wind so erfrischend, der Salzhauch der See so belebend...

Wie schön könnte mein Niemandsland sein, wenn nicht die Geldgier der Menschen auch hier den Frieden störte!

Es ist immer dasselbe traurige Spiel...

Immer...

Selbst das fernste Abseits bleibt davon nicht verschont. Entweder läßt Machthunger die Menschen einander bekämpfen oder Goldhunger... Hunger macht harmlose Geschöpfe zu Bestien.

Singend und surrend pfeifen die Kugeln...

Singend kommen sie daher, die bleiernen Grüße, - und noch immer ist die "Vandalia" so nahe, obwohl wir uns dicht am Südufer halten...

Dann endlich: Haraki, Richtkanonier der Festung Niemandsland, hat einen glänzenden Treffer zu buchen.

Genau da vorn, wo die Burschen ihre veralteten Maximkanonen, Ramschware von irgendwo aufgebaut haben, krepiert eine Granate und schafft uns Luft. Die Herren werden etwas wild, und wir flitzen weiter.

Diavola steht hochaufgerichtet am Steuer in voller Figur...

Tapferes Mädel...

Der kleine Dampfer - ich lese bereits den Namen "Quito" - hat gestoppt.

Vorn stehen ein paar Männer mit Ferngläsern...

"Meuterei!" sagt Diavola gereizt. "Das sind nicht der Kapitän und der Steuermann der "Quito". - Natürlich Meuterei - auch das kommt auf Klaus Johannsens Konto!!"

Von der "Quito" fällt kein Schuß...

Wir sind dicht heran, und das Mädchen ruft nach oben:

"Hallo, Pedro, - herunter mit dem Fallreep! Etwas fix, Freunde!!"

Pedro ist ein ziemlich schwärzlicher Gentleman. Er grinst mit etwas bekniffenem Gesicht über die Reling, und seine Nachbarn verraten ebenfalls einiges Unbehagen, trotzdem gehorchen sie, und Sennor Pedro hilft Diavola sogar aus dem Boot und stottert etwas von großer Wiedersehensfreude oder so ähnlich...

Dann stehen wir inmitten der zwölf Farbigen und nun erst merke ich, wie glänzend das Mädchen diese "Amigos" zu nehmen weiß.

"Pedro - eine Zigarette..." - das klingt so, als ob da vor uns lediglich ein Feuerwerk zu einer Hochzeit oder dergleichen abgebrannt würde.

Pedro dreht eine Zigarette mit Jongleurfixigkeit. Die Finger sind nicht ganz sauber. Das macht nichts. Er beleckt den Kleberand, das macht erst recht nicht, - die Zigarette ist fertig, man reicht Diavola Feuer, und nach den ersten Zügen betrachtet sie ihre "Amigos", schüttelt den Kopf und meint belustigt:

"Ihr seid mir ja feine Genossen!! Das ist also euer Dank, daß die reichen Banditen mich am liebsten aufknüpfen möchten!"

Die meisten Augenpaare stieren sehr betreten auf die Deckplanken.

"...Was meint ihr wohl, wenn ich in Guayaquil erzähle, ihr hättet mich im Stich gelassen?! Man wird euch verprügeln! Oder nicht?! Amigos, nun holt den Kapitän und die Schiffsoffiziere, die ihr wohl eingesperrt habt auf Anraten des weißen Schuftes drüben, und alles ist vergessen - - alles..!"

Diavola schauspielert nicht, hält keine Volksreden, - sie wirkt durch ihr schlichtes, natürliches Auftreten, sie klopft einem riesigen schwarzen Heizer auf die Schulter und lacht:

"Habt ihr euch einwickeln lassen!! So dumm zu sein!! Wer steht euch näher, - ich oder der weiße Kerl, der euch Millionen versprach, he?! Wer von euch ließ sich in Quito von den Aussaugern mit faulen Eiern bewerfen?! He?! Macht fix, - holt die Offiziere, und dann geht der andere Tanz los..! Da, schaut euch die "Vandalia" an!! Die Granate saß dicht über der Wasserlinie..!! Bald sackt der Kahn weg, und dann..."

Vier, fünf Leute verschwinden...

Pedro kratzt seinen Krauskopf mit Inbrunst, und aus Verlegenheit dreht er dann eine zweite Zigarette...

"Bitte, Senorita..." -

Weiß der Himmel, diese Senorita könnte man in die Arme nehmen und gründlich abküssen, nur wegen dieses fabelhaft echten Tones, mit dem sie mit ihren Schützlingen verkehrt.

Sie war ihres Einflusses und Sieges vollständig sicher. Sie hat nicht übertrieben: Sie muß in Ecuador die bestgehaßte Frau sein, denn so dicke, hartnäckige, verbohrte Niggerschädel, Halbniggerschädel und hellhäutige Mestizen derart um den Finger zu wickeln, das bringt eben nur eine volkstümliche Persönlichkeit fertig.

Um mich kümmert sich keine Seele.

Ich bin Statist, Komparse, Beiwerk...

Scheinbar.

Ich habe die Augen überall, ich muß doch wissen, was hier an Waffen an Bord ist - für alle Fälle. - Viel ist es nicht... Die paar Vogelflinten dort an der Reling, daneben drei alte Musketen und die Trommelrevolver der Besatzung: Damit ist kein Staat zu machen!

Dann erscheinen der Kapitän, die beiden Steuerleute und der Ingenieur an Deck. Diavola eilt ihnen entgegen, - der Friede ist im Augenblick wieder hergestellt und die Besatzung geht an ihre Arbeit, als wäre nichts geschehen.

Der Kapitän, der sichtlich viel Indianerblut in den Adern hat, ist ein stattlicher strammer Mann mit sehr energischem Gesicht. Diavola macht uns miteinander bekannt.

"Wie sollen wir uns verhalten, Sennor?" fragt der Kapitän höflich und blickt nach der übel zerschossenen "Vandalia" hinüber, die bereits manövrierunfähig ist.

Der kleine Haraki ist ein Teufelskerl.

Der trifft..! -

Ich kann unter diesen Umständen mir ein ganz behagliches Schmunzeln leisten.

"Käpten, tun sie gar nichts... Sie sehen ja: Der verrostete Kasten ist erledigt. - Sollten jedoch die Leute der "Vandalia" zu fliehen suchen, so knallen Sie gehörig dazwischen... - Die Senorita und ich müssen wieder an Land..!"

...Unser Boot stößt ab. Vorsichtigerweise wählen wir als Ziel den nächsten Uferpunkt, denn es wäre sinnlos, sich nochmals dem Zufallsspiel der singenden Kugeln auszusetzen.

Die "Vandalia"-Leute haben auch anderes zu tun... Ihr morscher Frachter liegt bedenklich schief, und Haraki pfeffert noch immer neue Nüsse in die verrosteten Planken.

Wir landen, ziehen das Boot zwischen Felsen und traben der toten Stadt zu. Diavola ist prächtiger Laune, sie neckt mich sogar mit blitzenden Augen wegen meiner spießbürgerlichen Onkelmanieren...

Sie ist doch ein Teufelchen!

Aber ich habe bei ihr verspielt in dem einen Punkte..

"Da ist mir doch Mark Olden weit lieber, Sie alter Knabe, Sie..! Erst bombardieren Sie mich mit Blicken wie Feuerfrösche, und nachher erzählen Sie mir allerlei Liebesromane von Malmotta..! Das war beinahe schon eine Herausforderung!"

Ihr übermütiges Lächeln verschönt uns den Weg durch die Felsen...

Als wir von der Stadtgrenze auf die Bucht zurückblicken, geht gerade auf der "Vandalia" ein weißer Fetzen hoch: Parlamentärsflagge - Friedensangebot!!

Arme alte "Vansalia!!"

Uralte, arme "Vandalia", - mit dir ist es aus...

Damit du nicht wegsackst, hat Klaus Johannsen dich auf die Riffe der Bucht auflaufen lassen.

Ein Wunder, daß die Maschine das noch geschafft hat!!

...Und auf den Dächern unseres Hauses stehen unsere Gefährten... Harakis Gesicht ist grün-schwarz von den Rückschlägen der Pulvergase... Ein feines Kerlchen, dieser Haraki!!

Diavola winkt...

Mark Olden brüllt...

Die Brüder Daus teilen brüderlich das letzte Ende Priem...

Abseits lehnen Hilda Land, vor ihr der alte Käpten John... Die beiden sind der Wermutstropfen im Becher der Freude. - Dann rennt Monte mir entgegen, wirft mich beinahe um, stupst mich auf die Nase---

Was will er nur?!

Ich möchte nun doch endlich erfahren, was in dem verdammten Ding von Tresor steckt!!

Geld?! Banknoten! - Ausgeschlossen..!

Aber Monte läßt mir keine Ruhe... Er läuft in den Tempelhof hinab, bellt, - - und da begreife ich endlich...

Diavola ist bereits im Hause. Monte und ich klettern hinab in das Schatzgewölbe...

Das wollte Monte...

Seine feine Hundenase, sein Spürsinn hatten herausgefunden, was wir anderen wohl erst nach Stunden entdeckt hätten.


 

14. Kapitel

Die Geschichte der "Vandalia"

 

Vorsehung, Schicksal, Fatum, höheres Walten...

Man werde das alles in einen güldenen Topf, rührt es gründlich um, dann kommt die richtige Mischung heraus.

Nur nicht das blöde Wort: Zufall!

Wer noch immer so rückständig ist, von "Zufall" zu reden, hat nie seine vier Spießbürgerpfähle, sein "Bürgerheim" in Wahrheit verlassen, und mag er noch so viel mit Cook oder Stampen oder sonstwie in der Welt auf gutgepflegten Autostraßen umher gegondelt sein.

Zufall?!

Schon allein die Wortbildung "Zu - fall" muß jeden Nachdenklichen stutzig machen.

Was einem "zufällt", so oder so, ist ein Geschenk. Von wem, bleibt sich gleich. Stehst du unter einem hohen Apfelbaum mit wundervollen reifen Früchten, und dir "fällt" dann ausgerechnet ein Apfel zu - nämlich vor die Füße - wem willst du einreden, daß das "Zufall" gewesen?! Der Apfel war eben reif zum Sturz, er mußte fallen, sein Stiel war locker... Deshalb fiel er.

Und wer wollte mir einreden, daß hier in der Steinkammer, wo nur das eine größere Loch nach Osten zeigte, eine Revolvergranate der "Vandalia" "zufällig" den Weg durch dieses Loch gefunden und die eine Ecke des Tresors glatt weggerissen und dabei die Tür mit aufgesprengt hatte?

Jedenfalls: Als Monte und ich eingedrungen waren, lehnte da schachmatt an der offenen Tür Christian Jensen Land und blickte uns ernst entgegen.

Daß ich stehen blieb, daß ich zunächst keine Worte fand für diese Art Überraschung, - ich glaube, jedem wäre die Kehle wie zugeschnürt gewesen...

Denn nicht allein der Anblick des unten links zerfetzten Tresors, der offenen Tür und des blassen, erschöpften Mannes wirkten so überaus verwirrend und erschütternd.

Die Hauptsache, die Hauptursache vielleicht war der Bach von Edelsteinen, der da aus dem Innenraum des korkgepolsterten, technisch vollendet konstruierten Stahlgefüges auf den Steinboden gerieselt war.

Ein Bach, ein gleißender Strom...

Ein phantastisches Gemenge von Diamanten von ausgesuchter Größe und modernstem Schliff...

Und daneben das menschliche Häuflein Unglück und Mattigkeit: Christian Land!!

Man konnte sich keine größeren Gegensätze denken.

Hier Millionen, Abermillionen, - dort ein Mensch, der fast fünf Jahre unter seinen Urvettern gelebt und deren Sprache angenommen und sein eignes Organ ihren Lautbildungen angepaßt hatte.

Christian Land reckte die Hand empor.

"Gut, daß Sie kommen, Abelsen... Ihr Hund war bereits hier... Ein Wunder ist geschehen... Helfen Sie, daß auch ein zweites geschieht. - Ich will beichten, Abelsen..."

Er wollte...

Ein leichter hastiger Schritt da... Um den Tresor biegt eine Frauengestalt: Hilda!

Sie stutzt, ihre Augen suchen die ihres Gatten, der für sie bisher nur harte Worte fand.

Und sein Blick erwärmt sich unter den vorwurfsvollen, flehenden Augen, er lächelt schwach, schuldbewußt. Er sagt nicht viel...

"Ich hatte kein Recht, dich zu richten, - die fünf Jahre im Erdinnern inmitten von Geschöpfen, die nicht Mensch, nicht Tier, müssen meinen Geist stumpf gemacht, unfähig, gerecht abzuwägen."

Hilda Land ist seine Gattin, - und ihr Herz kennt nur die Güte, die Liebe, die Sehnsucht und die Freude über das Wiederfinden.

Sie eilt zu ihm, kniet nieder...

- - Hier bin ich überflüssig, ich brauche nicht mehr zu helfen, diese beiden Menschen werden sich zusammenfinden ohne mich.

Ich umschreite den Tresor, setze mich drüben auf einen Felsblock und kraule Monte den Kopf.

Am liebsten spräche ich ganz laut zu ihm, damit ich nicht hörte, was die beiden da flüstern...

Ich spreche leise zu meinem treuen Hunde, zu meinem alten Gefährten, zu dem treuen Begleiter von Madagaskars üppigen Küsten bis hier zum Niemandsland...

Ich spreche...

"Stell dir vor, alter Monte, du wärest dort mit einem Unterarmschuß, wie Christian ihn davontrug, in jenen Tresor geflüchtet... Stelle dir vor, du hättest den Schlüssel besessen, du hättest die Tür geöffnet, den Schlüssel herausgezogen und die Tür in der Hoffnung zugeschlagen, du könntest sie von innen jeder Zeit wieder öffnen... Und dann male dir aus: Du kannst es nicht!! Der Mechanismus versagt, weil das Stahlgehäuse durch den Sturz zu arg zerbeult ist. Male dir aus, wie du dem Ersticken nahe bist, wie du unsere Klopftöne hörst und hoffst, wie du schließlich jede Hoffnung fahren läßt... Und dann kommt wie von ungefähr eine Granate in dieses Gewölbe, zerfetzt die Tresorecke, sprengt die Tür und gibt dir das Leben wieder...

Du atmest wieder frische Luft, Sauerstoff, du kriechst ins Freie - - und du lebst!! - Male dir das alles aus, alter Freund, und du wirst begreifen, daß dieser Geschützkampf zwischen uns und der "Vandalia" doch wohl mehr Bedeutung hatte als nur die einer groben Sensation! - Siehst du, Monte, - das wollte ich deinem klugen Hundehirn klarmachen... So recht eindringlich...! So recht, daß du dir jede Einzelheit vergegenwärtigst... jede!! Den drohenden Erstickungstod, das Pochen, das die Hoffnung weckte und dann: Die Granate, die Befreiung!!"

...Montes braune Hundeaugen hängen an meinen Lippen...

Er äußert sich nicht weiter zu alledem. Aber ich selbst fühle, daß die bloße Vorstellung dessen, was geschehen ist, erschütternd wirkt, daß von den letzten Vorgängen all das wie überflüssiges grellbuntes Beiwerk abgestreift wird, das die edle Linie des Geschehens verschleiern könnte: Ein Mann entrinnt dem Tode, ein Mann gewinnt seine Frau zurück, - - das besagt alles!

Das ist Schicksal... - -

Und noch eins, auch das drängt sich in den Vordergrund:

Das ist Schicksal, verbunden mit Weltgeschehen, Weltvergehen...

Neuland taucht auf...

Neuland erweitert sich...

Ein verliederter Dampfer gerät in einen der Hauptkanäle...

Die Tiefe der Erde speit Hunderte von halb verhungerten Geschöpfen aus...

Eine grüne, fruchtbare Insel versinkt...

Nur das Niemandsland bleibt übrig, nur ein Teil der toten Stadt...

Und dazu die Menschen, die mitten hineingesetzt sind in diese Naturkatastrophen als Mitspieler eines Dramas von Geldgier.

Ein gigantisch großer Zug liegt in alledem.

Und die Tragödie selbst?

Plötzlich steht Hilda vor mir. Eine verwandelte Hildegard Land, verwandelt wie das neue Land, das dem Meer entstieg.

Eine Frau mit glückstrunkenen Augen, mit roten, heißen Lippen...

"Abelsen, Christian möchte erzählen," sagt sie mit starker froher Stimme.

Wir vier sitzen nun beieinander, Monte gehört mit dazu, - neben uns schillert der gleißende Bach, der dem Tresor entströmte.

Christian Land beginnt: Die Geschichte des großen Diamantensyndikats.

 Die ganze Welt weiß es, zumindest die an den Dingen irgendwie Interessierten, daß die Diamantenproduktion Südafrikas seit vielen Jahren die Nachfrage, den Absatz gewaltig übersteigt.

Angebot und Nachfrage regeln die Preise. Je höher das Angebot, desto mehr sinken die Preise.

Hätten die südafrikanischen Diamantenminen nun all die Steine, all die erstklassige Ware, die gefunden wurde, auf den Markt geworfen, wäre der Publikumswert der Diamanten verhängnisvoll gesunken.

Ein Stein von ein Karat bei fehlerloser Beschaffenheit wäre mit vierzig Mark reichlich bezahlt gewesen.

Das Syndikat sah sich daher gezwungen, die Ware zurückzuhalten, aufzuspeichern. Das Syndikat erstickte fast in Steinen, nur um die Preise auf dem Weltmarkt zu halten.

Die Führer erkannten, daß selbst durch dieses Zurückhalten  der Ware die Existenz des Syndikats bedroht war.

Man mußte einen Ausweg finden, die Steine als angeblich minderwertig trotzdem unter das Publikum zu bringen.

Südamerika ist nun, hauptsächlich Brasilien, nebenher andere kleine Republiken, als Herkunftsort zweitklassiger Steine seit langem bekannt.

Was lag näher, als Südamerika für eine großzügige geschäftliche Transaktion zu benutzen?!

Das Syndikat trat insgeheim mit Benito Armada, dem Besitzer einiger Diamantengruben in Ecuador, in Verbindung und ließ durch ihn die nötigen Vorbereitungen treffe, die Überfülle von Steinen unbemerkt nach Ecuador zu schaffen.

Armada ließ in Deutschland nach seinen Angaben den Tresor bauen. Armada fand auch in der Person des jungen Dampferkapitäns Christian Land einen verschwiegenen, unternehmungslustigen Mann, der sich für die Sache durch große Versprechungen hinreißen ließ.

Christian Land kaufte die "Vandalia", spielte seinen eigenen Reeder, nahm den leeren Tresor ins Schlepp und verließ bei Nacht und Nebel die deutsche Küste, gelangte auch bis zu dem vereinbarten Punkte bei Kapstadt, lief in die stille Bucht ein, und hier wurde der Tresor gefüllt.

An Bord befanden sich damals von den später in Erscheinung tretenden Personen der alte John Johannsen, damals erster Steuermann, sein Bruder Klaus, Christian Lands wenig zuverlässiger Bruder Richard und der Ingenieur, der Steward und zwei Matrosen.

Obwohl Christian Land nun erst ein halbes Jahr verheiratet war, hatte er seine junge Gattin doch daheim gelassen, weil er sich der Gefahren dieser Seereise sehr wohl bewußt war.

Die "Vandalia" mit dem in drei Meter Tiefe schwimmenden Tresor im Schlepptau schlich außerhalb der sonst meistbefahrenen Dampferstraßen gen Osten.

Zwischen den nördlichsten Galapagos-Inseln ereilte sie das Geschick in Gestalt eines jähen Orkans, die Schlepptaue rissen, Kapitän Land und ein Teil der Besatzung wurden über Bord gewaschen, der Kapitän rettete sich auf die Turmklippe, in die bereits der Tresor hineingestürzt war, er geriet in die Gefangenschaft der Urvettern, und die wracke "Vandalia" wurde mühsam in einen Hafen gesteuert, ausgebessert und kehrte zunächst nach Deutschland zurück, wo Klaus Johannsen nach gründlicher Überholung des Schiffes die Besatzung ergänzte und mit der ausgesprochenen Absicht wieder in See stach, insgeheim nach dem schwimmenden Tresor zu suchen.  Sehr bald galt die "Vandalia" für verloren, verschollen. Niemand ahnte etwas von ihren jahrelangen Kreuzfahrten mit dem Drahtnetz aus Stahl hinter sich.

Hilda Land, die nun mit an Bord gegangen war, hatte sich einverstanden erklärt, daß weder das Syndikat noch Armada von den Absichten des Dampfers unterrichtet würden, denn sie hielt es für besser, daß die Angelegenheit totgeschwiegen würde, durch die ihr Gatte bloßgestellt werden könnte.

Und gerade dies hatte Christian Land ihr zum Vorwurf gemacht. Er hatte dabei völlig übersehen, daß er selbst sich für das fragwürdige Geschäft hergegeben hatte, sein Redlichkeitsgefühl war zu unrechter Zeit erwacht.

Auch dieses Zerwürfnis wurde beseitigt. Die Gatten söhnten sich aus, und zunächst war hiermit eine der seltsamsten Spekulationen auf dem Diamantenmarkt beendet.

Daß sie gleichzeitig mit der Geschichte des Niemandslandes eng verknüpft worden, stand schließlich wohl auf demselben Blatt des Buches des Schicksals. - -

...Christian Land wandte sich mir zum Schluß mit der schwer zu beantwortenden Frage zu: "Was würden sie tun, Abelsen? - Dort liegen die Edelsteine... Der Tresor enthält noch weit mehr. - Geben Sie mir einen Rat, denn jetzt bin ich wieder verantwortlich für den Auftrag, den ich einst übernahm..."

Das stimmte wohl. Aber eine Entscheidung treffen?!

Ehrlich betrachtet war das Ganze ein großer Schwindel... Wenigstens für mein Gefühl. Und Christian Land dachte wohl genau so. - -

Vorsehung, Schicksal, Fatum, höheres Walten...

Man erde das alles in einen güldenen Topf, rühre es gründlich um, dann kommt die richtige Mischung heraus...

Nur nicht das blöde Wort: Zufall!

Aus diesem güldenen Topf stieg der Bruder der Vergänglichkeit empor...

Mein Monte witterte ihn...

Heulte... lief hin und her...

Heulte wieder, - - winselte...

 


 

15. Kapitel

Das Grab der Diamanten

 

Ich beobachtete ihn nur kurze Zeit. Das waren genau die dieselben Anzeichen wie damals, als vor vielen Wochen mein Glashaus auf Santa Renata, Vulkanglas, knirschend auseinanderbarst... Das waren bei Monte die sichtbaren Beweise, daß seine unverdorbenen, nicht abgestumpften Urinstinkte mir die nahe Katastrophe meldeten.

Hilda ahne wohl dasselbe. Mit einer Kraft, die man ihrem schlanken Körper kaum zugetraut hätte, riß sie Christian Land empor und fragte nur: "Abelsen, - - Gefahr?"

Ich horchte... Ich wollte die Stimmen der Titanen der Tiefe vernehmen, deren glühende Fäuste Neuland geschaffen hatten... Gewiß, auch Santa Renata und ein Teil des Neulandes waren nachts vor unseren Augen schweigend vom siegreichen Pacific verschlungen worden. Sie waren wieder hinabgetaucht in die Tiefen des Weltmeeres wie ruhige Schwimmer, deren Herzschlag jäh stockt und die dann leblos, lautlos, ohne Gegenwehr in den Fluten ihr Grab finden. Ich horchte angestrengt, - als einziges vernehme ich das harte, gedämpfte Reiben von Steinmassen gegen Steinmassen, nichts weiter. Und doch wuchs die instinktive Angst des Hundes zu aufreizender Beweglichkeit. Monte rannte zu der Öffnung, durch die das befreiende Geschoß seine  Bahn genommen hatte,  - ich durfte diese Warnung nicht unbeachtet lassen, rechtzeitig fiel mir ein, daß wir und der Tresor hier auf unterhöhltem Boden standen, daß das Fundament des  Turmes, Urgestein, ebenfalls hohl gewesen und hinabgeführt hatte in das überschwemmte Reich der Urvettern. Nur der Zusammenbruch des Turmes hatte hier rings um den Tresor trügerischen, unebenen Steinboden geschaffen...

Und da spürte ich auch schon unter meinen Füßen die erste leise Erschütterung... 

"Fliehen - - fort mit uns, Frau Land, - ich trage Ihren Gatten! Schnell!!"

In solchen Augenblicken verschwimmen die Einzelheiten zu dem schlichten Bilde einer überhasteten Flucht. Da gib es keine Einzelszenen, die das Hirn als eindrucksvolle Erinnerung aufnehmen könnte. Das handelt es sich nur um eins: Fliehen!!

Hilda und Monte waren im Freien. Ich schob Christian Land durch das Loch, Hilda zog von draußen... - Wir hatten das Schatzgewölbe hinter uns, aber vor uns lagen die Steinblöcke, eine grausige Wildnis, ein Durcheinander riesiger Brocken, die zum Teil nur auf den anderen geringe Stütze gefunden hatte und ins Rutschen kommen würden, wenn sich dort der Hügel der Blöcke, die Höhle des Tresors in seinem Gefüge lockerte und zusammenbrach.

Den verwundeten Mann, der nur seinen einen Arm gebrauchen konnte und der noch immer hilflos wie ein Kind war, durch diese Wildnis zu transportieren, war höchste Aufopferung, restlose Hingabe...

Das Zufallsgewölbe hinter uns krachte bereits zusammen...

Der Lärm der stürzenden Steinmasse wuchs. Die Stille schwand, die Hölle stimmte ihre Instrumente...

Besinnungslos kletterte ich, sprang ich, rang ich um das Leben, den schweren Körper im linken Arm... Frau Hilda mußte sich selber helfen... Um Monte konnte ich mich nicht kümmern... Und die Gefährten? - Sie mochten am Buchtstrand weilen, nur der alte John näherte sich dem grauenvollen Tanzplatz der gleitenden Steinmassen.

Man überlegt nicht, man handelt nach der Eingebung des Augenblicks... Man ist Triebmensch, denn wo das Unheil in Gestalt dieser alles zermalmenden Steinblöcke seine Höllenorgien feiert, erlischt das Hochgezüchtete, Vernunftsgemäße...

Leben - fliehen - - nur das!!

Und wir scheinen es zu schaffen, wir sind am Außenrand des rutschenden Trümmerfeldes, vor mir hoch droben auf einem Lavablock steht der greise John, ich werfe ihm den Mann zu, der mich behindert, der alte Kapitän packt den Arm Christian Lands, zieht, - - gewonnen...

Und gerade da gleitet mein Fuß in eins der Löcher, die ihre Gestalt dauern ändern... Gerade da werde ich umklammert von den Krallen der feindseligen Trümmer, es gibt kein Vorwärts, kein Zurück, mein linker Fuß steckt in einer Steinzacke, und nur eine Axt könnte mich befreien, mit der ich mir den Fuß abhackte, um frei zu werden.

Noch mehr geschieht. Meine Schicksalsstunde ist da. Der Riesenblock, auf dem John Johannsen gestanden hat, kippt langsam nach hinten, er folgt dem einfachen Gesetz, das jeden Stein auf einem Abhang vorwärts rollen läßt. Er kippt bedächtig, unerhört grausam langsam, langsam, als wäre er ein Folterknecht, der sich freut über die Qualen seiner Opfer. Und er versperrt mir jede Aussicht. Ich sehe nur ihn, seine rissigen Kanten, die mich zu Brei quetschen werden... Ich komme nicht frei aus der Zange, und der Block kippt... Mein Rücken lehnt sich an einen tiefer gelagerten Block, mein linker Fuß ist in das Fangeisen geraten, - ich bin ein Tier, das den Gnadenstoß erwartet. Und um mich her nimmt die Vernichtung dessen, was noch als Schatzgewölbe seine tiefe Bedeutung gehabt, ihren Fortgang unter Lärmen und Toben... Ich höre die Felsmassen ins Wasser klatschen, ich höre zwischendurch einen metallischen Ton, - ich weiß: Der verfluchte Tresor saust in die Abgründe der Unterwelt mit seinem blanken Quark.

Aber ich, - - ich hier jämmerlich sterben, - niemals!! Der Lebenswille flammt auf, - meine Hände greifen umher, da ist ein Steinblock, lang, schmal, trotzdem stark genug als Stütze! Warte nur, Folterknecht, ich lege dir schon das Handwerk, noch hast du mich nicht... noch nicht!

Die Seinstütze paßt, hält, - - hält sogar diesem ungeheueren Druck stand, knirscht, knarrt, kreischt, - - aber sie hält!

Vielleicht habe ich in dem Augenblicke grimmig gelächelt... Vielleicht habe ich sogar schrill gelacht... wie jene lachen, die den Tod vor sich sehen in Griffnähe...

Und als ob diese meine Abwehr das Signal zur Beruhigung der abwärtsgleitenden Steinmassen gewesen: Plötzlich verstummt der Lärm...

Hier und dort noch ein Poltern... Auch das verstummt...

Ich horche wieder, blicke empor zur Kante des Folterknechts, - Monte schaut mich an, wedelt sacht, seine Ohrstummel bewegen sich, in seinen traurigen Augen ist ein Ausdruck übermäßiger Freude. Ich bücke mich... Die Steinstütze hindert mich, aber die Steine, die dort unten meinen Fuß einklemmten, lassen sich entfernen. Da erst fühle ich die Schmerzen an dem zerschundenen Fußgelenk - ein Wunder, daß der Knochen nicht splitterte. Ich klettere empor, ich bin frei, ich werfe einen Blick zurück...

Wo das Schatzgewölbe, wo die Urfundamente des Turmes standen, gähnt ein zerrissener Krater, in dem schmutziges Wasser schillert.

Christian Land braucht sich keine Gedanken mehr darüber zu machen, was mit den Diamanten geschehen solle, die man durch die Meere schmuggelte von Afrikas Küste bis hierher...

Keiner wird diese Steine je wiederfinden.

Der Erdenschoß aus dem sie kamen, nahm sie wieder zu sich.

Ich humpele unserem Tempelgebäude zu, der alte John sitzt vor dem Eingang, gänzlich erschöpft. Ganz allein sitzt er da, sagt nur wie entschuldigend für seinen Zustand: "Christian Land wiegt seine anderthalb Zentner, Abelsen... Für meine Knochen war es etwas viel..."

"Und die anderen?"

"An der Bucht... Mein Bruder Klaus ist tot... Von den Leuten der "Vandalia" leben noch acht Mann... Man wird ihnen ein Boot geben, mögen sie fliehen, Diavola will es so, sie betrachtet sie als Verführte, und Hilda weint ihrem Schwager keine Träne nach. Diavola ist ein Feuergeist, eigentlich gehört sie mit einer wehenden Fahne auf eine Barrikade in den dicksten Kugelregen... Aber Mark Olden, schätze ich, wir dieses Feuer in andere Kanäle lenken... Die Frau ist nun einmal für die Liebe bestimmt... - In meinen Jahren schaut man Welt und Dinge mit anderen Augen an... Ich war ein Schwächling, Abelsen, und das wäscht keiner vor mir. Ich sehne mich nach Ruhe. Auf Armadas Pflanzungen werde ich sie finden." Plötzlich lebte seine Stimme auf: "Und trotzdem: Es lag doch ein großer Zug, ein hinreißender Schwung in diesem Geschehen, und gerade Niemandsland hat mir ein zurückgegeben: Die Gewißheit, daß auch mein Dasein seinen Höhepunkt hatte, hier auf diesem jungfräulichen und doch so uralten Boden, hier unter euch, die ihr kein Wort des Vorwurfs gegen mich habt." - Ein stummer Händedruck, - - und nie mehr fand ich Gelegenheit, mit dem greisen John Johannsen so inhaltsschwere Worte zu tauschen.

Wir blieben noch vier Tage auf Niemandsland. Jetzt läuft die Jacht gen Nordost, gen Ecuador. Und jetzt könnte ich den Schlußstrich ziehen unter die Geschichte des herrenlosen Gebietes, denn dieser Abseitspfad ist beendet.

Es ist Mitternacht. In aller Stille habe ich mein geringes Hab und Gut gepackt. Dort liegen die drei Schwimmwesten für Monte und mich. Heimlich werden wir verschwinden... Der erste Segler, der unseren Kurs kreuzt, soll mich mitnehmen in die ungewisse Zukunft.

Seit einer Stunde beobachte ich die weißen Segel drüben, die so allmählich nahen.

In aller Stille gleiten wir ins Wasser...

Die Brigg da drüben scheint ein Schulschiff für Anfänger zu sein. Sie kreuzt in ganz merkwürdigem Zickzack, und die Schwimmtour, die ich auf eine Stunde berechnete, dauert nun bereits die doppelte Zeit. Allmählich packt mich doch so etwas wie Angst... Die Jacht ist längst verschwunden, und die Brigg spielt mit mir ein übermütiges Haschen...

Zähne zusammenbeißen..!! Ausruhen!!

Da - - sie kommt auf uns zu...

Ich rufe, brülle...

Und in wildem Spiel der Muskeln, hinter dem bereits die Hoffnungslosigkeit lauert packe ich gerade noch ein Tau, das mittschiffs im Wasser schleift...

Ein tiefer, tiefer Atemzug... Ich knote Monte und unser Bündel an das Tau, klimme empor...

An Deck nicht eine Seele... Und dabei blitz alles vor Sauberkeit...

Seltsam...

Ich rufe... - Keine Antwort... Ich stehe allein auf fremden Planken, und wie von ungefähr fallen mir des alten John Johannsens Worte ein - - vielleicht als Antwort aus der  Ferne, wo Diavolas Jacht ohne uns durch die Wogen zieht: "Es lag doch ein großer Zug, ein hinreißender Schwung in diesem Geschehen und gab mir die Gewißheit, daß auch mein Dasein seinen Höhepunkt hatte!"

...Die Brigg schlingert...

Der Pacific rauscht...

Die Geschichte des Landes, das der Pacific gebar, ist aus... Der neue Weg hat begonnen... Die Einsamkeit ist um mich her, das Abseits wartet...

Warten wir, was es bringt...

 

Nächster Band:

     Das Erbe von Monte-Christo.